Fleisch, für das kein Tier leiden und sterben musste – und das nur wenig Belastung für die Umwelt und das Klima darstellt. An dieser Zukunftsvision arbeiten derzeit zahlreiche Start-ups. Sie wollen Fleisch einfach sauber in Bioreaktoren heranwachsen lassen. Das ist eine Herausforderung. Aber einige Unternehmen versprechen, dass das Kulturfleisch bald schon auf ersten Tellern landet. Jedoch wird es noch Jahrzehnte dauern, bis das Laborfleisch die Welt verändert. Dafür gibt es jedoch Übergangslösungen.
Die Fleischindustrie hat Probleme. Immer wieder werden Schlachthöfe und Wurstfabriken zum Zentrum von Skandalen. Sei es wegen mangelnder Hygiene oder der Art, wie Rinder, Hühner und andere Tiere aufgezogen, gehalten und zur Verarbeitung zum Nahrungsmittel vorbereitet werden. Dennoch vergeht nur wenigen die Lust auf Fleisch. Sei es in Form eines saftigen Steaks, eines knackigen Würstchens, einer Bulette auf einem Burger oder als Hack in der Bolognese-Soße, in der die Spaghetti ertränkt werden. In den vergangen 50 Jahren hat sich der Fleischkonsum laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen international sogar vervierfacht.
Und er steigt im Gleichklang mit dem Wachstum der Weltbevölkerung weiter an. Insbesondere in China und Indien nimmt die Nachfrage zu. Ganz vorne beim Fleischverzehr sind aber weiterhin die Industrienationen – auch wenn der Pro-Kopf-Konsum zuletzt teilweise gefallen ist. In den USA verbraucht jeder Bürger im Durchschnitt 115 Kilogramm pro Jahr. In Australien sind es 116 Kilogramm. In Deutschland immerhin 87 Kilogramm, wenn man neben dem Fleisch, das tatsächlich gegessen wird, auch weggeworfenes Fleisch oder welches, das verfüttert wird, einbezieht. Auf dem Teller landen im Schnitt 59,5 Kilo pro Person und Jahr. Die restlichen EU-Länder sind bei der Fleischlust nur wenig zurückhaltender. Insbesondere fürs Klima ist das katastrophal. Laut der Welternährungsorganisation FAO werden pro Jahr rund 75 Milliarden Tiere aufgezogen, nur um dann geschlachtet zu werden. Laut einer Studie von Worldwatch ist die Nutztierhaltung dadurch für beinahe die Hälfte der menschengemachten Treibhausgase verantwortlich. Die FAO sieht sie in ihrer Rechnung bei bei 14,5 Prozent.
Laut Umwelt- und Klimaforschern kann es so nicht weitergehen. Das heißt: Es wäre besser, wenn Menschen weniger Fleisch von Tieren essen. Daher wäre es ideal, wenn sich Fleisch effektiver und ressourcenschonender herstellen ließe – und das womöglich ganz ohne Tiere. Laut Mark Post haben wir „eigentlich auch gar keine andere Wahl“ als darauf umzustellen. Und zwar im großen Maßstab. Denn: „Wenn wir das hinkriegen, werden wir einige unserer dringendsten Probleme beseitigen“, sagt Post. „Wir haben einfach nicht genug Land und Wasser, um all die Tiere zu versorgen, die es bräuchte, um die Menschen satt zur kriegen.“
Wir haben einfach nicht genug Land und Wasser, um all die Tiere zu versorgen, die es bräuchte, um die Menschen satt zur kriegen.
Mark Post
Mark Post ist nicht irgendwer. Er stellte im Jahr 2013 an der Universität Maastricht den ersten Burger vor, der mit Hackfleisch belegt war, das nicht an einem Tier gewachsen ist. Stattdessen wurde es aus einer Zellprobe herangezogen– künstlich im Labor. Die Kosten für den einen Burger? Seinerzeit: 250.000 Euro. Gekommen ist das Geld unter anderem von Google-Gründer Sergey Brin. Im Jahr 2015 gründete Post dann Mosa Meat und versucht seitdem mit einem Team, Fleisch aus dem In-Vitro-Verfahren sowohl zum sicheren, sauberen als auch günstigen Industrieprodukt zu machen. Das niederländische Start-up gilt damit als der Pionier und Vorreiter der sogenannten Clean-Meat-Industrie.
Immer mehr Unternehmen versprechen Fleisch ohne Tiere
Mosa Meat ist längst nicht mehr allein. Mittlerweile ist ein wahres Wettrennen darum entbrannt, als erster Laborfleischprodukte in Restaurants und Supermarktregale zu bringen. Ende 2018 arbeiteten rund 26 Start-ups an Clean Meat. Heute sollen es schon über 30 sein – viele davon in den USA, Israel und China. Bei etlichen sind die Geldgeber große Namen und deren Wagniskapitalfirmen: Lebensmittelgiganten wie Tyson Foods, Cargill, Nestlé, Unilever, die PHW-Gruppe oder die Bell Food Group, die an der Entwicklung mitverdienen wollen. Aber auch Tech-Milliardäre wie Bill Gates, Sergey Brin und Richard Branson sind involviert.
Eines der aussichtsreichsten Start-ups ist derzeit Aleph Farms aus Rehovot, Israel. Dessen französisch-isrealischer Co-Gründer Didier Toubia sagt, dass es ihm mit seiner Arbeit darum gehe, „für meine Kinder eine bessere Welt“ zu schaffen. Aber auch die Liebe des Biologen und Nahrungsmitteltechnikers zum Essen und der Wissenschaft hätten zur Gründung von Aleph Farms geführt, das im Dezember 2019 das erste Steak präsentierte, das im Labor gewachsen ist. Daran gearbeitet hatte das Unternehmen bereits seit 2017.
Die Herausforderung dabei? Das Fleisch eines Steaks hat ein komplexes Gewebe und eine sehr eigene Struktur, die aus Muskel-, Stützzellen und Gefäßen besteht. Nun werkelt das Unternehmen daran, den Prozess zu perfektionieren und zu routinierten. „Es kostet uns drei Wochen, um ein Steak wachsen zu lassen“, sagt Didier Toubia zu 1E9. „Die wachsen aus dem gleichen Gewebe, aus denen auch natürliches und echtes Fleisch besteht. Aber das alles eben ganz ohne die Nachteile bezüglich Tierwohl oder Klima.“
Andere Start-ups erzielten schon ähnliche Erfolge. Beispielsweise Memphis Meats aus Berkley, Kalifornien. Das präsentierte im Jahr 2016 ein erstes Fleischbällchen aus Kulturfleisch. Im Jahr 2017 zeigte Memphis Meats dann Fleisch, das aus den Zellen eines Hühnchens und einer Ente herangezüchtet worden war. New Age Meats aus San Francisco hingegen präsentierte 2018 Würstchen, die aus den Zellen eines Schweines namens Jessie gezüchtet worden waren.
Auch in Deutschland wird geforscht
Laura Gertenbach hat noch nichts, was sich vorzeigen lässt. Oder noch besser: essen lässt. Aber das soll sich in den kommenden Jahren ändern. Die Tochter eines Landwirts, die vorher bereits einen Versand für Bio- und Qualitätsfleisch gestartet hat, ist die Gründerin von Innocent Meat. Es ist das erste und bislang einzige deutsche Start-up, das sich der Herausforderung stellen will, Clean Meat in die Regale zu bringen. Und das, wie Gertenbach sagt, aus „ganz pragmatischen Gründen“.
„Ich esse gerne Fleisch“, sagt sie zu 1E9. Außerdem sehe sie die In-Vitro-Technologie als „Innovation aus der Landwirtschaft heraus“ – und als logische Weiterentwicklung der bisherigen Fleischproduktion. „Der Tierwohlaspekt ist auch wichtig“, meint Gertenbach. „Aber es geht mir primär darum, die Frage zu klären: Wie stellen wir in Zukunft Nahrungsmittel her.“ Die Frage sieht sie als durchaus drängend – insbesondere beim Fleisch. Während die Nachfrage wachse, werde es durch die Folgen des Klimawandels immer schwieriger, viele Tiere zu versorgen. In-Vitro-Fleisch, sagt sie, „lässt sich unabhängig vom Klima, Extremwetter und den Anbauflächen herstellen“.
Ich esse gerne Fleisch.
Laura Gertenbach
Arbeiten will Innocent Meat zunächst an Schweinefleisch, das zu klassischem Hackfleisch werden soll. Das sei mit das begehrteste und das für Europa naheliegendste Fleischprodukt. „Damit kannst du viel machen. Du kannst es in verschiedenste Lebensmittel weiterverarbeiten“, meint die Gründerin. „Du kannst es in Bolognese tun, in Chili. Und nicht zu vergessen: Deutschland ist Wurstland.“
Das Ziel für Innocent Meat ist daher zunächst ein 100-Gramm-Stück Fleisch aus Schweinezellen zu erzeugen. Aber: „Noch sind wir in der Research-Phase“, erklärt Gertenbach, die dabei ist, ein Team aus Wissenschaftlern und Technikern auszubauen. Dass andere Unternehmen in der Technologie schon weiter sind, schreckt Gertenbach nicht ab. Sie ist überzeugt, dass es nicht um kurzfristige Erfolge geht, sondern einen „verdammt langen Atem“. Wann Innocent Meat daher sein erstes Hack ohne Tier präsentiert, da möchte Gertenbach nur vorsichtig spekulieren: „Fünf Jahre wird es wohl noch dauern – kann aber auch weniger sein.“
Zahlreiche weitere Start-ups sind, genau wie Innocent Meat, jetzt erst eingestiegen und machen sich gerade an die Forschung. Einige davon wollen sich gezielt auf eher spezielle Fleisch- und Tierprodukte fokussieren. Beispielsweise IntegriCulture aus Japan, das unter anderem Gänselebern für Foie gras heranzüchten will, und Shiok Meats aus Singapur, das Schrimps-, Krabben- und Hummerfleisch fabrizieren möchte.
Das Nährmedium ist wichtig
Egal, welches Clean-Meat-Start-up: Sie alle nutzen im Grunde das gleiche Konzept. Mittels Biopsie werden aus Tieren geeignete Zellen entnommen, die sich dann unter hygienisch sauberen und kontrollierten Bedingungen in einem sogenannten Bioreaktoren zu einer Zellkultur entwickeln und vermehren – bis am Ende ein Stück Fleisch entsteht. Je nachdem, ob das Ziel Steak oder Hackfleisch ist, werden getrennt oder kombiniert mit den Muskelzellen auch noch Fett- und Bindegewebe herangezüchtet. Aus einem kleinen Stück vom Tier mit mehreren 100 Stammzellen könnten zwischen fünf und zehn Tonnen an Fleisch gezüchtet werden. In der Theorie zumindest.
Die Herausforderung ist, das Wachstum dieser zunächst vollkommen entwurzelten Zellen anzuregen und sie mit dem zu versorgen, was sie für ihr Wachstum brauchen. „Sie brauchen etwas zu essen, sonst passiert nichts“, scherzt Gertenbach. Und was sie brauchen, das ist eine Mischung aus Aminosäuren, Zuckern und Wachstumsstoffen. Als Mark Post mit seiner Arbeit an dem Burger Patty begann, nutzte er dafür eine natürliche Nährflüssigkeit: das Fetal Bovine Serum – oder: Fötales Kälberserum –, das aus dem Blut von getöteten Kälberföten gewonnen wird und daher sehr umstritten ist.
Wegen der Art und Weise, wie das Serum gewonnen wird, das sagte Post bereits vor einigen Jahren selbstkritisch, sei sein In-Vitro-Fleisch „noch nicht clean“ gewesen. Jedoch gibt es alternative Kulturmedien, die mittlerweile auch genutzt werden. Erst im letzten Jahr hat Mosa Meat begonnen, ohne Fötales Kälberserum zu arbeiten, was „höchste Priorität“ hatte, aber „keine leichte Aufgabe war“, wie das Unternehmen sagt.
Die Entwicklung eines Nährmediums ist schwierig und teuer, weil dessen Mischung hochkomplex ist. Jeder Bestandteil muss korrekt dosiert sein, um das bestmögliche Zellwachstum zu erreichen. Je besser abgestimmt die Rezeptur ist, umso schneller wächst das Fleisch. Stimmt die Mixtur nicht, kann die Zellkultur auch einfach eingehen. Daher ist die Rezeptur für die Nährlösung von Mosa Meat natürlich geheim – und soll über die kommenden Jahre durch ein ganzes Team stetig optimiert und weiterentwickelt werden. Das gleiche gilt für Aleph Farms.
Wir ernähren die Zellen mit den für ihr Wachstum wichtigen Vitaminen und Mineralien sowie mit den essentiellen Aminosäuren, Zuckern und Wachstumsfaktoren, die wir aus Pflanzen isolieren oder mittels Hefen produzieren.
Didier Toubia
„Wir ernähren die Zellen mit den für ihr Wachstum wichtigen Vitaminen und Mineralien sowie mit den essentiellen Aminosäuren, Zuckern und Wachstumsfaktoren, die wir aus Pflanzen isolieren oder mittels Hefen produzieren“, sagt Didier Toubia von Aleph Farms, geht aber nicht näher ins Detail. Diese Bestandteile der Nährlösung sorgen dafür, dass das Fleisch „in einer sonst sterilen Umgebung so wachen kann, wie auch natürlicherweise echtes Fleisch entsteht“.
Auf Fötales Kälberserum zu verzichten, hat jedoch nicht nur ethische Beweggründe, sondern auch finanzielle. Denn ein Liter kostet zwischen 300 und 500 Euro. Laut Mosa Meat sei Fötales Kälberserum dadurch bislang „der teuerste Teil unseres Prozesses“ gewesen. Und das schlug sich natürlich auf die Fleischkosten nieder. Seit Mosa Meat auf ein eigens entwickeltes und Tier-frei hergestelltes Nährmedium umgestiegen sei, hätten die Herstellungskosten für ein Stück In-Vitro-Fleisch „um das 88-fache gesenkt“ werden können.
Für Laura Gertenbach hat die Umstellung auf nicht-tierische und selbst entwickelte Nährlösungen noch einen weiteren Vorteil. Da in Zukunft immer mehr Fleisch ohne Tierhaltung auskommt, wird die Lebensgrundlage von vielen Bauern bedroht. Und: „Keiner möchte dafür verantwortlich sein, dass Berufsstände verschwinden“, sagt sie. Ihre Überlegung: Bauer, die derzeit etwa die Rohstoffe für Futtermittel anbauen, aber auch Schweine- und Rinderzüchter könnten zu jenen werden, die die Inhaltsstoffe der Nährlösungen produzieren. Schließlich kommen deren Ausgangsstoffe zu großen Teilen vom Feld – wie etwa in Form von Zucker, der aus Zuckerrüben gewonnen wird.
Wann kommt das In-Vitro-Fleisch?
Dass echtes Fleisch aus Labor machbar ist, das ist mittlerweile also bewiesen. Doch wie lange wird es noch dauern, bis es in Restaurants auf den Teller und in den Supermärkten in die Regale? Laut Didier Toubia von Aleph Farms nicht mehr so lange. Derzeit brauche es rund drei Wochen, um aus einem Zellhaufen ein Steak heranwachsen zu lassen. Das klinge lange, sagt der Israeli. Jedoch müsse bedacht werden, dass es „in der industriellen Zucht zwei bis drei Jahre dauert, bis ein Tier wächst“. Und solche Steaks könnten mit den richtigen Prozessen zu Tausenden in immer gleicher Qualität auf kleinem Raum produziert werden.
Bereits im kommenden Jahr will Aleph Farms dafür die erste sogenannte BioFarm bauen. In der sollen dann die Steaks hergestellt werden, deren Entwicklungsprozess bis Ende dieses Jahres abgeschlossen sein soll. Später sollen weitere Fleischprodukte hinzukommen.
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Jetzt Mitglied werden!„Unser Pilotversuch wird Ende 2022, Anfang 2023 starten“, sagt Didier Toubia. Dann könnten die ersten – und mit Ausnahme weniger entnommener Zellen – ganz ohne Tier gezüchteten Steaks in Restaurants und eventuell schon in ausgewählten Märkten angeboten werden. Das US-amerikanische Memphis Meats setzt auf ähnliche Termine. In zwei Jahren will es ein erstes Werk in Betrieb nehmen und die Testproduktion von Rinder-, Hühner- und Entenfleisch aus dem Bioreaktor starten. SuperMeat aus Tel Aviv will 2022 Hühnerfleisch aus Zellkulturen produzieren.
Mosa Meat vom Pionier Mark Post möchte jedoch noch früher dran sein. Die Niederländer wollen schon 2021 in Zusammenarbeit mit ausgewählten Restaurants erste Clean-Meat-Produkte anbieten, hatte Mark Post schon 2019 im Gespräch mit 1E9 gesagt. Per E-Mail bestätigte uns Beckie Calder-Flynn von Mosa Meat, dass das immer noch der Plan ist.
Andere Start-ups sind noch lange nicht soweit – sondern planen eher bis zehn Jahre in die Zukunft. Ein Nachteil wird das für diese Unternehmen jedoch nicht sein, glaubt Mark Post. Ihm, anderen Unternehmen und Marktbeobachtern zufolge, wird es wohl noch Jahrzehnte brauchen, bis genug Produktionskapazitäten bestehen, um In-Vitro-Fleisch für ganze Länder und letztlich die Welt herzustellen. Das sei genug Zeit für zahlreiche weitere Unternehmen, in das Rennen einzusteigen und sich mit guten Innovationen und cleveren Ideen einen Platz zu erkämpfen – und mit niedrigen Preisen.
Was wird In-Vitro-Fleisch kosten?
Die Frage, ob und wie schnell In-Vitro-Fleisch die Supermarktregale und unsere Teller erobert, hängt wohl vor allem davon ab, wie teuer es ist. „Die Menschen sind sehr preisempfindlich“, sagt Laura Gertenbach aus Erfahrung mit ihrem Bio-Fleischhandel. Sie glaubt, dass manche Kunden zunächst bereit wären, etwas mehr für Fleisch zu zahlen, für das kein Tier sterben musste – oder aus Interesse an dem neuen Produkt. Doch langfristig „muss es natürlich konkurrenzfähig“ werden.
Genauso sehen es Mosa Meat und Aleph Farms. Das niederländische Mosa Meat ist überzeugt, den Preis für eine Hackfleischscheibe alsbald auf neun bis zehn Euro zu bringen – verglichen mit den 250.000 Euro, die der erste Burger gekostet hat. „Der Preis eines Hamburger Patty im Supermarkt liegt um einen Euro“, sagt Beckie Calder-Flynn von Mosa Meat. „Wir glauben, dass wir mit weiteren Verbesserungen und effizienteren Verfahren den Preis in den kommenden zehn Jahren auf dieses Niveau senken können.“
Gleiches erklärt auch Didier Toubia von Aleph Farms voraus. „Wir haben bereits einige Meilensteine bei der Kostensenkung gehabt“, meint er. „Und wie mit jedem Nahrungsmittel das neu auf den Markt kommt, wird es zunächst etwas teurer sein. Aber mit dem Ausbau der Produktion wird der Preis sinken.“ 45 Euro kostete ein In-Vitro-Steak im vergangenen Jahr. Bis 2021 solle der Preis auf „etwas mehr als das, was du für ein normales Steak bezahlst“ fallen.
Letztlich, davon sind nahezu alle Gründer von In-Vitro-Fleisch-Start-ups überzeugt, würde der Preis von Clean Meat sogar den von Schlachtfleisch unterbieten. Denn schließlich könnte das Heranzüchten von Fleisch statt von ganzen Tieren einfach effektiver, schneller und mit weniger Einsatz ablaufen. Durchschnittlich werden von einem Schlachttier nur zwei Drittel verwertet. Der Rest sind Schlachtabfälle. Das Laborfleisch würde wohl fast zu 100 Prozent beim Kunden landen – und Nährmedien sollen sich aufbereiten und erneut verwenden lassen.
Verglichen mit der Rinderzucht würde bei der Produktion von In-Vitro-Rindfleisch aber auch noch bis zu 75 Prozent weniger Wasser und 95 Prozent weniger Land benötigt – und rund 87 Prozent weniger Treibhausgase verursacht, sagt zumindest Mosa Meat. Auch eine Studie des Beratungsunternehmens Kearney geht davon aus, dass die Einsparungen „signifikant“ ausfallen werden.
Fake-Fleisch als Übergangslösung?
Dennoch: Bis Clean-Meat weithin verfügbar und erschwinglich wird, wird es also noch eine ganze Weile dauern. Bis dahin könnten andere Alternativen zum traditionellen Fleisch helfen, das Tierleid und die Schäden für Umwelt und Klima einzudämmen. Dazu gehören neue Arten von Pflanzen-basierten Fleischersatzprodukten, die den Fleischhunger besänftigen können – und das Klima dabei stellenweise nur halb so stark belasten wie ein gleichwertiges Schlachtfleischprodukt. Der Trick: Im Gegensatz zu lange bekannten Vegan-Produkten, wie sie bereits seit Jahren erhältlich, aber nur in einer Nische erfolgreich waren, sollen diese neuen Fleisch-Imitate immer weniger vom Original zu unterscheiden sein.
Ende 2019 erlebte der Beyond Burger des kalifornischen Start-ups Beyond Meat einen echten Boom als er in Europa verfügbar wurde. In Filialen des deutschen Discounters Lidl, der ihn zeitweise exklusiv im Angebot hatte, waren die Burger Pattys nach wenigen Stunden ausverkauft. Und das obwohl nur zehn Prozent der Bevölkerung vegetarisch und nur zwischen ein und zwei Prozent vegan leben. Die Produktion kam der Nachfrage nicht hinterher.
„In ganz Europa ist die Nachfrage rasant gestiegen“, sagt uns Chuck Muth von Beyond Meat. Daher sollen jetzt in den Niederlanden Werke für die Fake-Buletten und auch Fake-Würstchen entstehen. Hergestellt werden die aus Erbsen, die unter hohem Druck und starker Hitze zu einer Masse verpresst werden, „die den Geschmack, die Textur und das befriedigende Mundgefühl von Fleisch tierischer Herkunft“ nachbilden sollen. Dazu kommen Rote Beete als Fleischsaft und für die Farbe, Salze und Aromen für den Geschmack und Kokosnussöl und Kartoffelstärke für die Saftigkeit.
Der größte Konkurrent von Beyond Meat ist Impossible Foods – zumindest in den USA, denn noch darf Impossible seine Fleischnachahmungen nicht auf dem EU-Markt anbieten. Hinter dem Unternehmen steht der Mediziner und Biochemiker Patrick O. Brown, der seine Lehranstellung an der Stanford University aufgab, um wie er selbst sagt, „das Problem mit der Massentierhaltung“ zu lösen. Er investierte gemeinsam mit einem Team von Forschern fast ein Jahrzehnt, um den saftig-blutigen Geschmack von Fleisch imitieren zu können.
Der Impossible Burger, der das Unternehmen bekannt machte, besteht vor allem aus Soja- und Kartoffelproteinen, Sonnen- und Kokosnussöl sowie Methylcellulose, die für die Bindung sorgt. Die wichtigste Zutat ist jedoch: Leghemoglobin – oder Häm. „Häm ist ein Molekül, das in allen Lebewesen – sowohl in Pflanzen als auch in Tieren – zu finden ist“, sagt uns Esther Cohn von Impossible Foods. Vor allem ist es Bestandteil des Blutfarbstoffes Hämoglobin. Das Unternehmen hat Hefe mit der DNA von Sojapflanzen so manipuliert, dass es das Häm in großen Mengen produziert – und dem Fake-Fleisch beigemengt werden kann. Das sorgt für den Fleisch-typischen Eisengeschmack und die rote Färbung.
Die Fleischreplikate scheinen bisher zu überzeugen – zumindest genug Menschen, die schon vegetarisch oder vegan leben, es versuchen oder etwas weniger Fleisch essen möchten. „Wir sehen, dass die meisten Verbraucher, die pflanzliche Alternativen suchen, keine Abneigung gegen Fleisch an sich haben“, sagt Chuck Muth von Beyond Meat. Viel eher ginge es ihnen darum, argumentiert Beyond Meat, sich ethisch bewusster zu ernähren – und auch gesünder. Impossible Foods behauptet sogar, „neun von zehn unserer Kunden sehen sich selbst als Fleischliebhaber“.
Wir sehen, dass die meisten Verbraucher, die pflanzliche Alternativen suchen, keine Abneigung gegen Fleisch an sich haben.
Chuck Muth
Daher ziehen genau wie bei der Entwicklung von In-Vitro-Fleisch zahlreiche neue Start-ups hinterher – viele davon in Europa. Darunter Ojah aus den Niederlanden, das Rinder-, Hühner-, Schweine- und auch Fischfleisch aus lokal angebauten Pflanzen entwickeln will. In der Schweiz ansässig ist Planted, das im September 2020 Planzen-basiertes Kebabfleisch auf den Markt bringen will. In Berlin ist Mushlabs zu Hause, das auf Pilzwurzelmasse setzt, um die Textur und das Mundgefühl von Fleisch nachzuahmen.
Diesen Trend finden auch einige Entwickler von Clean Meat positiv und beachtenswert. „Es zeigt uns einfach, dass eine Nachfrage nach Alternativen zum industriellen Schlachtfleisch da ist“, sagt Didier Toubia von Aleph Farms. Das sei ein sehr gutes Zeichen – und mache auch ihm als Unternehmer Hoffnung. „Wir [bei Aleph Farms] glauben, dass es sowohl Platz für Fleischalternativen auf pflanzlicher Basis als auch für echtes Fleisch geben wird, das ohne ein Tier gewachsen ist.“
Gibt es bald keine Schlachttiere mehr?
Derzeit macht Pflanzen-basiertes Fleisch rechnerisch schon 1 Prozent des globalen Fleischmarktes aus, wie eine Erhebung der Investmentbank Barclays ergab. Im Jahr 2029 könnten es bereits 10 Prozent sein. Für Clean Meat wird ein ähnlich positiver, wenn auch noch nicht genau bezifferbarer Erfolg erwartet. Eine Umfrage von Memphis Meat ergab, dass rund zwei Drittel aller Befragten die Entwicklung von In-Vitro-Fleisch begrüßen und bereit wären, es zu probieren, sobald es auf dem Markt kommt. Das dürfte über Kurz oder Lang zu einem spürbaren Umbruch in der traditionellen Fleischindustrie führen.
Zahlreiche Jobs in der Schlacht- und Zuchtindustrie könnten wegfallen – aber auch zahlreiche neue in den Alternativindustrien entstehen. Auch der Bedarf von Zuchttieren wird schrumpfen. Geht es nach Mark Post von Mosa Meat würden in einer Welt, in der der gesamte Bedarf mit In-Vitro- und Fake-Fleisch gedeckt werden kann, „statistisch gesehen nur noch 150 Kühe für die Fleischindustrie“ benötigt – und wohl eine ähnliche Anzahl an Tieren für jede andere Fleischsorte. Die könnten dann auch deutlich humaner versorgt werden und würden wohl eher wie Haustiere behandelt – abgesehen davon, dass ihnen hin und wieder eine Zellprobe entnommen wird.
Das würde nicht nur Tierleid reduzieren, sondern auch eine immense Entlastung für die Umwelt darstellen. Millionen Liter Wasser und Hunderte Tonnen an Futtermittel könnten jährlich eingespart, Transportfahrten für Tiere unnötig und riesige Agrarflächen umgenutzt werden. Allein die geringere Anzahl an Kühen würde für eine enorme Reduzierung an ausgestoßenen Klimagasen sorgen.
Laut Didier Toubia wird die sehr eingegrenzte und sorgsame Tierhaltung zur Zellgewinnung eine Art „Domestizierung von Tieren 2.0“ anstoßen. „Anstatt Fleisch durch das Schlachten von Tieren zu produzieren, werden wir eine Agrarindustrie auf Zellebene haben“, sagt er. Es sei ähnlich wie die Erfindung des Autos. Die machte das Pferd für den Transport nahezu unnötig. Ebenso könnte es in den kommenden Jahrzehnten den Tieren ergehen, die jetzt durch die Fleischindustrie auf den Teller gebracht werden. Dadurch könnte letztlich die Grenze zwischen Bauernhoftieren und Haustieren verwischen. Und das sei etwas ziemlich Gutes, meint der Gründer.
Teaser-Bild: Mosa Meat