Elon Musk will unsere Gehirne anzapfen. Seine Firma Neuralink entwickelt ein Brain-Computer-Interface, das unsere Denk- und Erinnerungsleistung künstlich verbessern soll. Und Neuralink ist bei weitem nicht die einzige Firma, die an so einer Schnittstelle arbeitet. Auch für die Computerspielindustrie könnte diese Technik interessant werden. Denn sie könnte verändern, wie wir spielen und wie Spiele auf Gamer reagieren. Aber ganz unproblematisch ist das nicht!
Von Achim Fehrenbach
Nathan Copeland spielt Final Fantasy XIV. Sein Avatar läuft über saftig grüne Hügel, ehe er auf einige aggressive Riesenhornissen trifft. Nathan zieht sein Schwert und attackiert die Monster. Wenn sie zurückschlagen, weicht er durch geschickte Seitwärtsbewegungen aus. Seinen Avatar steuert Nathan aber weder mit einem Controller noch mit Tastatur und Maus. Der Mittdreißiger ist seit einem Autounfall im Jahr 2004 querschnittsgelähmt. Seit 2014 ist er Proband eines Forschungsprojekts an der Universität Pittsburgh.
In Nathans Gehirn wurden vier Mikroelektrodenbündel implantiert, sogenannte Utah Arrays. Diese zeichnen Aktionspotentiale und Feldpotentiale auf, also elektrische Signale im Gehirn. Über das Brain-Computer-Interface – kurz: BCI – kann Nathan damit Computer und Roboterarme steuern. Als Barack Obama 2016 die Universität Pittsburgh besuchte, begrüßte er ihn so mit einem Fistbump. Die Utah Arrays zeichnen Signale auf, senden aber auch Signale zurück: Nathan kann also fühlen, wenn jemand den Roboterarm berührt.
Über das Array kann er auch Avatare in Computerspielen steuern. In seinen YouTube-Channel BCI Can Do Better hat Nathan mehrere Gameplay-Videos hochgeladen: Besagte Szene aus Final Fantasy , aber auch Spielszenen aus Pac-Man und Sonic 2. „Du bist besser als 90 Prozent aller Spieler“, lautet einer der vielen bewundernden YouTube-Kommentaren. Mit seinen Videos und Interviews macht Nathan vielen querschnittsgelähmten Menschen Hoffnung auf ein selbstbestimmter es Leben.
Mehr Elektroden sorgen für noch mehr Kontrolle
Neurogaming, so der Fachbegriff für die Spielsteuerung per Gehirn, ist einer von vielen Anwendungsbereichen für Brain-Computer-Interfaces. Besonders in den USA wird eifrig an Hirnimplantaten und deren Möglichkeiten geforscht. Im Auftrag von Facebook arbeitet die University of California an einem Interface, das Gedanken unmittelbar in geschriebene Sprache übersetzen soll. User müssten dann nicht mehr alles umständlich von Hand eintippen. Derweil entwickelt die Firma Openwater ein BCI, das hochauflösende Bilder des Geschehens im Gehirn liefern und dadurch Therapiemöglichkeiten stark verbessern soll.
Auch US-Milliardär Elon Musk mischt beim Thema BCI kräftig mit: Seine Firma Neuralink arbeitet an einer Maschine, die präzise feinste Elektroden in das Gehirn nähen kann. Kleine Chips im Kopf sollen darüber Signale auffangen, mit der sich dann beispielsweise Smartphones oder ein Fernseher steuern lassen. Langfristig will Neuralink jedocch Menschen helfen, ihre kognitiven Fähigkeiten zu steigern – und ihnen letztlich ermöglichen, Künstlicher Intelligenz Paroli zu bieten.
Auch Nathan Copeland ist vom Neuralink-Konzept begeistert: „Je mehr Elektroden man hat, desto mehr Neuronenaktivität kann man aufzeichnen. Damit wären komplexere Tätigkeiten möglich. Ich kann nur meinen rechten Arm und meine rechte Hand per Gedanken ansteuern.“ Mit mehr Elektroden hätte er mehr Kontrolle, sagt Nathan. Und könnte damit auch mehr Computerspiele zocken.
Bei BCIs unterscheidet man ganz grundsätzlich zwischen invasiven und nicht-invasiven Methoden. Firmen wie Neuralink und der Utah-Array-Produzent Blackrock Microsystems setzen auf invasive Verfahren, die vergleichsweise risikoträchtig sind: Werden Elektroden direkt ins Hirngewebe eingebettet, kann es zu Abstoßungsreaktionen oder Narbenbildung kommen – und damit zur Schädigung des Gehirns. Nicht-invasive Methoden sind deutlich risikoärmer, weil sie elektrische Aktivitäten ohne Eingriff ins Gehirn messen.
Das bekannteste Verfahren dieser Art ist die Elektroenzephalografie, kurz: EEG: Sie misst Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche. Von diesen Signalen lassen sich Rückschlüsse auf die elektrischen Aktivitäten der Hirnrinde ziehen. EEG-Hauben erinnern ein wenig an Badekappen, sie kommen vielfach in der medizinischen Diagnostik zum Einsatz, etwa bei Gehirnerkrankungen wie Epilepsie, Narkolepsie oder Enzephalitis. EEG-Messungen dauern oft nur wenige Minuten – kein Vergleich zu hochriskanten, invasiven Messmethoden.
Auch hier geschieht einiges an Forschung. Start-up-Unternehmen wie BrainCo, Emotiv, BitBrain und NextMind arbeiten daran, die EEG-Technologie zu verkleinern und in schlanken Kopfbändern unterzubringen. Damit soll sie alltagstauglich werden und beispielsweise in Verbindung mit Smartphone-Apps bei Meditations- und Konzentrationsübungen helfen, das eigene Gehirn fokussiert und wach zu halten.
Mein Gehirn, meine Daten?
Brain-Computer-Interfaces werfen eine ganze Reihe ethischer Fragen auf. Natürlich ist es ein riesiger Fortschritt, wenn querschnittsgelähmte Menschen selbst Roboter steuern und dadurch ihr Leben wieder eigenhändiger gestalten können. Auch kann die diagnostische Früherkennung schwerer Hirnerkrankungen rechtzeitig therapeutische Maßnahmen erlauben. Und doch muss man sich bewusst sein, dass Gehirndaten für viele Firmen ein höchst wertvoller Rohstoff werden könnten. Schon jetzt werten Facebook und andere unsere Internet-Präferenzen detailliert aus, denn diese Präferenzen sind bares (Werbe)geld wert. Könnte Mark Zuckerberg direkt auf unser Denken zugreifen, dann könnte Facebook unsere Vorlieben noch deutlich besser matchen.
Natürlich gehe „es Facebook vor allem um unsere Gehirndaten. Sie würden das lieben“, sagt Silicon- Valley-Investor Steve Hoffmann in einem Interview. „Sie haben bereits eine Maschine, die soviel persönliche Daten einsaugt wie nur irgendwie möglich. Wenn sie mit Hilfe von Gehirndaten ein Level tiefer gehen können, werden sie das natürlich machen.“ Ethische Fragen ergeben sich aber auch an anderer Stelle. Wer sein Gehirn an einen Computer anschließt, muss damit rechnen, dass hochsensible biologisch-medizinische Daten – etwa zu versteckten Vorerkrankungen – ausgelesen werden. Und wenn diese Daten in die falschen Hände geraten, kann das zu ganz konkreten Benachteiligungen im Alltag führen – etwa beim Abschluss von Gesundheitsversicherungen. Ethisch fragwürdig ist natürlich auch, dass Forscher und Hersteller nach wie vor mit Tierversuchen arbeiten, um die BCI-Entwicklung voranzubringen.
Was aber, wenn Neuralink seine Ankündigung wahrmacht? Wenn es der Musk-Firma also gelingt, Daten nicht nur breitbandig aus Gehirnen auszulesen, sondern auch Daten ins Gehirn zu schreiben ? Für viele Menschen klingt das nicht in erster Linie nach „Human Enhancement“, wie Musk es nennt, sondern nach George Orwells 1984. In der dystopischen Netflix-Serie Black Mirror ist es ausgerechnet ein Computerspiel, das die Gefahren dieser Technologie verdeutlicht. In der Folge Playtest übernimmt ein US-Backpacker aus Geldnot einen vermeintlich lukrativen Job und heurert bei der Firma SaitoGemu als Tester für ein neues Horrorspiel an. Ihm wird ein Chip in den Nacken implantiert, der sein Gehirn anzapft – aus den persönlichen Ängsten und Traumata komponiert SaitoGemu daraufhin das perfekte Horrorerlebnis. Wer Black Mirror kennt, weiß, dass die Geschichte nicht gut ausgeht…
Alles nur ein Spiel
Wie wahrscheinlich ist es, dass Firmen wie Neuralink in absehbarer Zeit solch „organische Festplatten“ erschaffen? Dass sie ein BCI zur Marktreife bringen, dass Hirnaktivität nicht nur punktuell abbildet? Auf einer Presseveranstaltung Mitte vergangenen Jahres räumten Neuralink-Mitarbeiter ein, „noch weit“ von einem kommerziellen Produkt entfernt zu sein. Und es gibt nicht wenige Experten, die die Neuralink-Versprechungen für einen ziemlichen Hype halten.
Moritz Helmstaedter ist Leiter des Department of Connectomics am Max-Planck-Institut für Hirnforschung. Im Interview mit 1E9 bezeichnet Helmstaedter es als „reine Spekulation“, Gedanken auszulesen oder einzuspeisen: „Das sind hochkomplexe Inhalte, dafür müsste man wirklich verstehen, wie in diesen weit verteilten Netzwerken Informationen weitergegeben und auch eingeprägt werden. Davon sind wir noch sehr weit entfernt.“ Man müsse sich bewusst machen, so Helmstaedter, dass unser Gehirn 86 Milliarden Nervenzellen umfasst – und dass in jeder Sekunde ungefähr ein Zehntel davon elektrisch aktiv ist. „Da wird natürlich klar, dass man mit 24, 240 oder auch 2400 Elektroden nicht allen acht Milliarden Nervenzellen pro Sekunde zuhören kann. Das sind Methoden, die immer nur Bruchteile des Netzwerks beobachten können.“
Allerdings könne man auch schon damit erstaunlich viel anfangen, meint Helmstaedter. Schon mit vergleichsweise einfachen Messmethoden ließen sich „in diesem gewaltigen ‚Schwatzen‘ des Gehirns, in diesem großen Rauschen, grundsätzliche Veränderungen wahrnehmen.“ Und zwar ohne dass man alle Zellen verstehe. „Das kann durchaus geeignet sein, um Handlungsinitiationen und vielleicht sogar Entscheidungen auszulesen“, sagt Helmstaedter. Auch Benjamin Blankertz sieht den Neuralink- Claim sehr kritisch. „Viele Leute überschätzen meiner Meinung nach das – zumindest kurz- und mittelfristige – Potenzial von BCIs für den Massenmarkt“, sagt Blankertz, der die Neurotechnology Group der Technischen Universität Berlin leitet. „Die Firmen nutzen den Hype und treiben damit die Erwartungen weiter in die Höhe und verfälschen die Einschätzung des aktuellen Stands.“
Dadurch werde es für die Forschung sehr viel schwieriger. „Ein Projektantrag, der für den aktuellen Stand der Forschung deutlich nach vorne bringen würde, klingt in Relation zur allgemeinen Einschätzung rückständig“, sagt Blankertz. „Das macht es schwer, potenzielle Förderer zu überzeugen. Ebenso wird es vermutlich Firmen ergehen, die Gelder für realistische BCI-Anwendungen akquirieren wollen.“ Es bleibt also abzuwarten, ob Elon Musk bei BCIs liefern kann – immerhin hat er das auch bei Tesla, SpaceX und anderen Projekten geschafft. Und auch wenn das Einstöpseln wie bei Neuromancer oder Matrix noch lange nicht Wirklichkeit wird, gibt es doch etliche spannende Projekte, die das Thema BCIs vorantreiben – und damit auch das Thema Neurogaming.
Es geht hier gar nicht in erster Linie um die Vielzahl an EEG-Headsets und -Headbands, die seit der Jahrtausendwende den Consumer-Markt geradezu überschwemmen. Produkte wie Emotiv EPOC, NeuroSky Mindset, SenzeBand, InteraXon MUSE, Melon Dreamband und iWinks Aurora richten sich an Menschen, die ihre Konzentration trainieren oder einfach entspannen wollen. Zu den Konzentrationsübungen zählen oft auch simple Gaming-Apps: Das Headband wird per Bluetooth mit dem Smartphone oder PC verbunden und übermittelt dann vergleichsweise grobe Messdaten. Theoretisch sollen User in den Mind Games Bälle durch Labyrinthe steuern oder Gewichte austarieren. In unseren Tests scheiterte das Ganze allerdings schon häufig an der Software.
Was nicht heißt, dass sich EEG-Scans grundsätzlich nicht für Neurogaming eignen. Die US-Firma Neurable etwa analysiert per Machine Learning Daten, die aus EEG-Messungen stammen. Neurable konzentriert sich dabei auf sogenannte ereigniskorrelierte Potentiale: Dadurch lassen sich bestimmte Entscheidungsprozesse offenbar besser abbilden als mit anderen Analysemethoden. Dass die Methode funktioniert, hat Neurabel unter anderem mit der Spieledemo Awakening bewiesen: In dem VR-Spiel hebt man Objekte, stoppt Laser und verwandelt einen Roboterhund in ein Ballontier – und das nur mit der Kraft der Gedanken.
Moritz Helmstaedter hält den Schritt zu komplexen Bewegungsanalysen für durchaus plausibel: „Durch gute Mustererkennung ließe sich da einiges rausholen.“ Mitentscheidend sei dabei aber auch ein Lernprozess, so der Forscher: „Der Spieler oder die Spielerin müsste – im Sinne des Biofeedbacks – lernen, bestimmte Signalarten zu verstärken. Da ist das Gehirn unglaublich adaptiv, da scheint viel möglich. Aber auch das ist weit entfernt vom eigentlichen Gedankenlesen.“
Spiel mit Köpfchen
EEG-Scans sind jedoch keineswegs die einzige Methode, um Hirnaktivität nicht-invasiv auszulesen. 2018 präsentierte die New Yorker Firma CTRL-labs auf der Tech-Konferenz Slush ein Armband, das Bewegungssignale an den Muskeln ausliest. „Damit können wir die neuromuskulären und biophysischen Signale entschlüsseln, die man immer dann generiert, wenn man sich bewegt und mit Dingen interagiert“, sagt Chief Strategy Officer Josh Duyan im Interview. „Mittels Signalverarbeitung und Machine Learning sind wir in der Lage, die einzelnen Motoneuronen im Rückenmark zu identifizieren, wenn sie feuern.“ Ein YouTube-Video zeigt Firmenchef Thomas Reardon beim Spielen des Klassikers Asteroids . Zwar sind die Handbewegungen dabei noch in Ansätzen zu erkennen - doch CTRL-labs arbeitet weiter an der Verfeinerung der Messmethoden. Dass das Projekt zukunftsträchtig ist, zeigte sich spätestens im Herbst 2019, als CTRL-labs in die Facebook Reality Labs eingegliedert wurde. Benjamin Blankertz räumt der Messung muskulärer Signale ein hohes Potenzial ein – genauso wie beispielsweise Sensoren über dem Vokaltrakt zur Umsetzung von subvokaler und stummer Sprache.
Als Technologie mit Unterhaltungspotenzial müssten BCIs eigentlich auch für die Konsolenhersteller interessant sein. Doch bis jetzt haben Sony, Microsoft und Nintendo dazu noch nichts Konkretes verlauten lassen. Im Frühjahr 2020 tauchte allerdings ein Patentantrag von Sony auf, der die Fantasie der Community beflügelt. Das Patent beschreibt ein System für Biofeedback, das die Herzfrequenz und die elektrodermale Aktivität – Leitfähigkeit der Haut – misst, und so den Gefühlszustand des Spielers ermittelt. Womöglich wird Sony das Biofeedback-System als Aufsatz für den PS5-Controller anbieten – oder als Teil des Headsets Playstation VR 2. Der Schritt zur Messung der Hirnaktivität ist da nicht mehr weit.
Moritz Helmstaedter kann sich durchaus vorstellen, dass Neurogaming ein attraktiver Markt für BCIs sein kann. „Der stärkste Technologietreiber in diesem Bereich ist allerdings wohl das Verteidigungswesen, vor allem in den USA“, sagt er. „Da gibt es einige Start-up-Firmen, die hier sehr aktiv sind und letztlich von der DARPA finanziert werden.“
Sehr spannend ist, was die Valve Corporation mit Neurogaming vorhat. Die Betreiber der Download-Plattform Steam forschen schon seit einiger Zeit mit Biofeedback-Parametern wie Herzfrequenz, Hautwiderstand und Körperhaltung. BCIs sind nun die nächste Stufe der unternehmenseigenen Spielererforschung. Im März 2019 hielt der Valve-Psychologe Mike Ambinder einen Vortrag auf der Game Developers Conference in San Franciso, Titel: Brain-Computer Interfaces: One Possible Future for How We Play . In dem Vortrag gab Ambinder zwar keine konkreten Produkte oder Releases bekannt, beschrieb aber recht genau, worauf Valve hinauswill.
Die Grundproblematik für Valve: Herkömmliche Controller erfordern Geschicklichkeit, Fingerfertigkeit und Erinnerungsvermögen – für Games sind sie als Schnittstelle also nur bedingt geeignet. Ambinder will deshalb Controller „als Mittelsmann ausschalten“ – stattdessen soll es zwischen Spieler und Spiel eine möglichst direkte Verbindung geben. Die Lösung: BCIs. „Wie wäre es, wenn man sich einfach nur vorstellt, was man möchte – und das dann auch geschieht?“, so Ambinder. „Würde das nicht die Art und Weise verändern, wie wir spielen?“ Mit BCIs, so Ambinder, können wir Spiele schneller steuern, komplexere Steuerbefehle geben und auch mehrere Steuerbefehle mühelos miteinander verketten. Das sei auch besser als Gestensteuerung, die schnell zur Ermüdung führe.
Spiele könnten auf Gamer reagieren
Doch die Spielsteuerung ist aus Sicht von Valve nicht der einzige Vorteil von BCIs. Mit herkömmlichen Controllern gingen sämtliche nonverbalen Informationen verloren, so Ambinder – Informationen, die Game-Designer gut gebrauchen könnten. Ambinder zählt auf, was Valve gerne über die Spieler wüsste: „Sind sie glücklich oder traurig? Sind sie bei der Sache oder abgelenkt? Sind sie gelangweilt oder frustriert? Erkunden sie gerade etwas? Oder lösen Rätsel?“ Auf das Game-Design hätten solche Erkenntnisse enorme Auswirkungen, betont Ambinder. So könnte zum Beispiel das Balancing in Echtzeit verbessert werden, wenn das System merke, dass der Spieler überfordert ist oder er nur einen Teil seiner Aufmerksamkeit dem Spiel widmet: Das Verhalten der Computer-Gegner und -Companions würde subtil angepasst.
Das würde auch bedeuten, dass Schwierigkeitsstufen nicht mehr zu Spielbeginn ausgewählt werden müssen – wobei man hier natürlich einwenden kann, dass die Vergleichbarkeit für viele Gamer eine nicht unwesentliche Motivation darstellt. Ambinder sieht aber auch noch andere Vorteile: Anhand der Messdaten könnten besonders toxische Spieler leichter identifiziert werden, um die Atmosphäre innerhalb der Community zu verbessern. Ein weiterer Vorteil wäre die dynamische Anpassung der Belohnungsstruktur: So könnten demotivierte Spieler mit Bonus-Items leichter zum Weiterspielen motiviert werden. Was aber natürlich eine Ethikdiskussionen in Gang bringen dürfte: Schließlich lassen sich mit individuell angepassten Belohnungen besonders geschickte Gratifikationskreisläufe bauen, die womöglich die Spielsucht fördern. Ein anderer Vorteil ist hingegen weitgehend unstrittig: BCI-gekoppelte Avatar könnten – besonders in Rollenspielen – die Stimmung der Spieler sehr präzise wiedergeben. Als Spion müsste man sich dann tatsächlich möglichst unauffällig verhalten – auch in Mimik, Gestik und Körperhaltung.
Ambinder selbst nutzt für seine Forschung ein Open-Source-Headband mit EEG-Funktion. Ein solches BCI könnten Nutzer ähnlich wie ein VR-Headset tragen, es könnte aber auch Teil eines VR-Headsets sein. Invasive Methoden kommen für den Massenmarkt jedenfalls nicht in Frage, so Ambinder: „Wie viele von uns lassen sich denn freiwillig ein Loch in den Kopf bohren?“ Natürlich seien Hirndaten unglaublich verrauscht, räumt der Psychologe ein: „Es gibt so viel, was wir nicht verstehen.“
Dennoch ist Ambinder zuversichtlich, dass BCIs das Game-Design deutlich voranbringen können. Benjamin Blankertz sieht für die unmittelbare BCI-Steuerung von Spielen auf absehbare Zeit kein Potenzial, „da die Steuerung entweder sehr indirekt oder sehr fehlerbehaftet und verzögert – und vermutlich beides – ist“. Bei BCIs sei der Lernprozess vermutlich deutlich mühsamer und langwieriger als zum Beispiel bei einer Computermaus. Games, die Spieler geschickt zum Erlernen der Steuerung motivieren, können da sehr hilfreich sein, sagt Blankertz: „Das treibt dann die weitere Entwicklung von BCI-Technologie an.“
Teaser-Bild: gorodenkoff / Getty Images