Michael Braungart fordert echte Kreislaufwirtschaft: „Ich schütze die Umwelt nicht, wenn ich sie weniger zerstöre“

Ein Pfand auf alle Verpackungen, Waschmaschinen im Abo und perfekt falsche Autoreifen. Der Cradle-to-Cradle-Pionier Michael Braungart hat klare Vorstellungen davon, wie unser Wirtschaftssystem umgebaut werden muss, um den Planeten zu retten. Von Verzicht hält er nichts. Er setzt auf Kreislaufwirtschaft und endloses Recycling – auch beim Thema Plastik.

Ein Interview von Phil Tagscherer

Der Chemiker Michael Braungart ist Professor an der Erasmus-Universität Rotterdam, an der Leuphana Universität Lüneburg, er ist Chef der EPEA GmbH, Leiter des Umweltinstituts in Hamburg und hat viele weitere Titel. Vor allem aber ist er – zusammen mit dem amerikanischen Architekten William McDonough – der Erfinder des Cradle-to-Cradle-Konzepts. „Cradle to cradle“ heißt auf Deutsch „von der Wiege zur Wiege“. Die Grundidee dahinter ist ein Wirtschaften in biologischen und technischen Kreisläufen. Abfall kommt darin nicht mehr vor.

Michael Braungart ist der erste Gast im neuen Podcast SUHDO by 1E9 von und mit Phil Tagscherer. Phil will herausfinden, wie SUstainable Human DOing aussieht, das uns wirklich weiterbringt. Was läge also näher als gleich zu Beginn dieser Suche mit einem echten Pionier zu sprechen. Einen Auszug aus dem Gespräch könnt ihr hier nachlesen, darin geht es um Plastik in Waschmaschinen, neue Geschäftsmodelle und das Problem an Nachhaltigkeitsbeauftragten.


Hier könnt ihr die erste Folge von SUHDO by 1E9 hören: Phil Tagscherer im Gespräch mit Profi. Michael Braungart.

Phil Tagscherer: Nehmen wir mal an, Sie gehen zu einer Firma, die ein Cradle-to-Cradle-Produkt designen will. Welche Grundsätze haben Sie für so einen Fall in ihrem geistigen Handbuch gespeichert?

Michael Braungart: Eine Frage lautet: Verschleißt das Produkt, das die Firma herstellt oder vertreibt, bei der Anwendung? Dann muss es so gestaltet sein, dass es in biologische Systeme zurückgehen kann. Sonst optimiert man nur das Falsche. Autoreifen, zum Beispiel, halten heute doppelt so lang wie vor 30 Jahren – und die Leute denken, das sei gut, weil man weniger Autoreifen braucht. Aber die 470 Chemikalien, die in den Reifen drin sind, finden sich jetzt in der Umwelt. Über die Hälfte des Mikroplastiks im Rhein ist Reifenabrieb. Man hat das Falsche perfekt gemacht und damit perfekt falsch.

Nächste Frage: Wird das Produkt nur genutzt? Eine Waschmaschine oder ein Fernseher werden ja nicht verbraucht, sondern nur genutzt. Also gehen sie in die Technosphäre. Man muss außerdem klären: Was wollen die Leute wirklich haben, wenn sie das kaufen? Und ihnen nicht einfach einen Teppichboden verkaufen, wenn sie eigentlich eine Fußbodenverpackung haben wollen, die einen optisch und akustisch anderen Eindruck hat. Es geht also darum, die Marktwirtschaft ernst zu nehmen und den Leuten nicht einen Haufen Chemie verkaufen, wenn sie doch eigentlich nur die Nutzung brauchen.

Meine größten Feinde sind inzwischen die Nachhaltigkeitsbeauftragten in den Unternehmen.

Wesentlich ist der Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Erstmal muss man fragen: Was ist das Richtige? Und dann: Wie mache ich es richtig? Denn wenn ich das Falsche optimiere, wird es gründlich falsch. Ich schütze die Umwelt nicht, wenn ich sie weniger zerstöre.

Meine größten Feinde sind inzwischen die Nachhaltigkeitsbeauftragten in den Unternehmen, weil sie ihr Bestehendes optimieren – und die Plastikflasche noch drei Prozent leichter machen und dann ihren jährlichen Bericht schreiben. Allein in Europa werden sieben Milliarden Umsatz mit solchen Nachhaltigkeitsberichten gemacht. Für etwas Neues brauche ich aber ein anderes Vorgehen.

Sie haben das Thema Plastikflaschen schon angesprochen. Neulich habe ich mir eine neue PET-Flasche genauer angeschaut. Auf dem Etikett war deutlich zu erkennen, dass die Flasche ein Produkt der Kreislaufwirtschaft sei. Allerdings habe ich schon aufgeschnappt, dass ein Großteil des Recyclingmülls in Deutschland verbrannt wird, also dem Kreislauf rausgenommen wird. Und ein anderes Problem ist meines Wissens nach, dass PET nicht ewig wiederverwertbar ist. Halten Sie den Begriff Kreislaufwirtschaft für diese Form des Recylings überhaupt für gerechtfertigt?

Michael Braungart: Naja, das PET ist ja nie für Recycling hergestellt worden. Es werden jetzt viele Dinge recycelt, die nie für Recycling gedacht waren. Auf der anderen Seite gibt’s viele Dinge, die noch überhaupt nicht recycelt werden, die wirklich wichtig sind. Zum Beispiel wird aus einem wertvollen Autostahl mit 46 verschiedenen Stahllegierungen nachher primitivster Betonstahl gemacht. Da ist alles – Chrom und Kupfer und Nickel und Kobalt – im Betonstahl verloren. Und das gilt bei uns als Recycling!

Es ist noch nie ein Handy zum Handy recycelt worden, noch nicht einmal ein einfaches Fensterglas ist jemals zum Fensterglas recycelt worden. Bis vor drei Jahren war es noch legal, alte Plastikflaschen in Bergwerke zu kippen und das als stoffliche Verwertung auszugeben. Das ist nur eine Subvention für die Abfallindustrie. Der Grüne Punkt ist nie für die Umwelt gemacht worden. Eigentlich ist alles, was da stattfindet, Downcycling.

PET kann maximal siebenmal wieder für denselben Zweck eingesetzt werden. Das heißt, man muss andere Strategien entwickeln und Kunststoffe dafür entwickeln, dass sie wirklich recycelt werden können. Und man müsste ein Pfand auf alle Verpackungen – nicht nur auf ein paar Getränkeverpackungen – erheben, damit man wirklich die wertvollsten und besten Kunststoffe einsetzen kann. Dann könnte man Kunststoffe verwenden, die praktisch endlos einsetzbar sind.

Gäbe es denn keinen gleichwertigen Ersatz für Flaschen oder Verpackungen aus Kunststoff?

Michael Braungart: Ich bin durchaus nicht gegen Kunststoff! Ich habe den Tod eines fünfjährigen Mädchens in Braunschweig erleben müssen, das sich mit einer Glasflasche den Hals aufgeschnitten hat. In Hamburg verletzen sich jedes Jahr etwa 200 Kinder schwer durch Glasflaschen. Es gibt also guten Grund, Kunststoffe einzusetzen – aber es sollten die richtigen Kunststoffe sein.

Da sind Sie als Zuhälter auf der Reeperbahn mit einem besseren Image ausgestattet als jemand, der an Kunststoffen forscht.

Man müsste sagen: Lasst uns die Kunststoffe unter Umwelt- und Gesundheitsgesichtspunkten neu denken. Wenn die BASF sagen würde, in zehn Jahren wird nur noch Kunstsoff hergestellt, der aus dem CO2 der Luft gewonnen wird, würde sie die besten Leute kriegen. Sonst krieg ich nur Leute, die Opportunisten sind und versuchen, die Plastikflaschen noch ein bisschen leichter zu machen. Ich brauche aber Menschen, die den Gesamtkontext sehen. Dann könnten wir zum Beispiel Polycarbonate so machen, dass sie von vornherein biologisch abbaubar sind, so es dann – anders als bei PET – auch kein Mikroplastikproblem gibt. Dann haben meine Jungwissenschaftler eine positive Aufgabe. Sonst sind sie doch nur ein Teil davon, den Untergang ein bisschen zu verzögern.

Im Moment kann ich mit Plastik niemanden hinter dem Ofen vorlocken, weil das Image einfach so schlecht ist. Da sind Sie als Zuhälter auf der Reeperbahn mit einem besseren Image ausgestattet als jemand, der an Kunststoffen forscht.

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Ich bin gelernter BWLer – und mir stellt sich natürlich die Frage, dass der meiste Kunststoff, der heute verwendet wird, im Vergleich zu den Alternativen extrem billig ist. Wie kann man denn dieses Problem angehen?

Michael Braungart: Wenn das wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, dann sollte ich das auch bleiben lassen. Ich brauche ein anderes Geschäftsmodell. In einer Waschmaschine sind, zum Beispiel, etwa 120 billige Kunststoff drin. Wenn ich den Leuten aber gar keine Waschmaschine mehr verkaufe, sondern nur 3.000-mal Waschen für neun Jahre, dann weiß ich, wann mir das Material wieder zur Verfügung steht – und dann kann ich Kunststoffe verwenden, die endlos einsetzbar sind. Zum Beispiel gibt es Polysulfone. Ich habe die 500-mal eingeschmolzen für denselben Zweck. Die sind am Anfang viel teurer, aber sie sind völlig passgenau – und ich kann die Waschmaschine dann anstatt mit 100, 120 Sorten mit drei Sorten Kunststoff herstellen, bei denen es sich lohnt, sie zurückzugewinnen. Ich muss nur – und darum ist BWL so wichtig – das richtige Geschäftsmodell dafür entwickeln, damit es sich lohnt, wertvolle Materialien einzusetzen.

Ein Beispiel: Wenn ich auf alle Verpackungen ein Pfand erheben würde, dann kommt der Kunde wieder in meinen Laden zurück. Und Amazon würde ganz dumm aussehen, wenn sie plötzlich die ganzen Verpackungen wieder zurücknehmen müssten, weil sie darin ertrinken würden. Das Produkt kostet nicht mehr, aber ich könnte dann den besten Kunststoff nehmen und nicht den billigsten Dreck. Im Moment wird immer der billigste Kunststoff eingesetzt und am Schluss wird das System viel, viel teurer.

Das ganze Gespräch mit Michael Braungart:

Warum Michael Braungart das 1,5-Grad-Ziel für falsch hält, an das Gute im Menschen glaubt und was der Unterschied zwischen Biosphäre und Technosphäre ist, erfahrt ihr in Folge 1 von SUHDO by 1E9, dem neuen Podcast von und mit Phil Tagscherer.

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Ein ganz toller Artikel an dem ich uns als Internet-Opas ins Spiel bringe :slight_smile:

Kreislaufwirtschaft hört ja nicht bei der Verpackung auf, sondern gilt ganz besonders auch für die fertigen Produkte und dabei besonders für die, die übrig geblieben sind.

Deswegen haben wir vor am 05.10.1997 RESTPOSTEN.de live gestellt und digitalisieren seit dem die Branche für Überhänge, Retouren und Posten. Damit sind wir der dienstälteste B2B Marktplatz Deutschlands.

Und natürlich sind die dabei auch politisch aktiv, denn die Kaffeemaschine, die für Deutschland hergestellt wurde, sollte dann auch hier verkauft werden, selbst wenn es ein neues Modell gibt und nicht über tausende Kilometer per LKW ins Ausland gefahren werden, damit die Preise im lokalen Markt stabil bleiben.

Beste Grüße
Stefan Grimm
RESTPOSTEN.de

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Sau guter Bericht…! Das er BWL’er mal auffe Idee bringt sich andere Geschäftsmodelle auszudenken - find ich klasse! Da liegt ja öfter mal der Hund bestattet… :wink:Hatte den mal live gesehen vor Jahren., und fand ihn damals schon - sehr- imponierend! Er appelliert an Zivilcourage und nicht an alten, albernen Geschäftsmodellen weiterzudocktern… Passt ja auch zu den alternativen Denkweisen aus dem letzten Artikel von @anon69048101

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Vielen Dank für das tolle Feedback Ronit!

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Starke Aussage und das halte ich irgendwie auch für richtig. Hab gerade bei euch den Artikel zur radikalen Aufklärung gelesen und muss hier an die schnellen (scheinbaren) Lösungen und den Glauben an „Solutionism“ denken. Das Mimicking tut dann den Rest, zusammen mit den vielen Möglichkeiten zur „Neutralisierung von Kritik“… @anon69048101

Man kriegt schon Hass entgegengesetzt wenn man sich äußert nicht viel von diesen Nachhaltigkeitsprozessen im Unternehmen und den Reportings zu „x Stück Plastikflaschen und y Seiten Papier eingepart“ zu halten. Es ist einfach nicht effektiv gemessen an der Herausforderung und der kurzen Zeit für diese ernsthaft anzugehen.

Hab mir den gesamten Podcast 2 Mal angehört! Extremst gut, einleuchtend und aufklärend. Ich frag mich warum ich bislang noch nichts von cradle-to-cradle gehört hab :thinking:

Finde viele Ideen aus dem Podcast klasse, u.a., wie auch im Datenkontext, der omnipräsent ist: wenn etwas billig ist, dann zahlt jemand anders die Kosten. Im Kontext der Nachhaltigkeit oft leider die Umwelt. Das sollten gerade in Deutschland zum Denken anregen - den Meistern des Billigkonsums.

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Danke für das positive Feedback! - Die Aussage ist ein O-Ton. Prof. Braungart bedient sich sicherlich auch einer klaren „Kante“ um C-t-C verständlich zu machen. Ich persönlich würde diese Aussage differenzierte sehen, denn es gibt ganz bestimmt auch viele Nachhaltigkeitsbeauftragte, die nicht nur schlechtes etwas besser machen.

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