Mark Zuckerbergs Vision vom Metaverse ist öde und dystopisch – dabei ginge es anders

Der Facebook-Chef Mark Zuckerberg hat angekündigt, Facebook in ein Metaverse-Unternehmen umzubauen. Der Social-Media-Moloch soll also in virtuelle Welten vorstoßen. Aber was sich der Facebook-Gründer darunter vorstellt, das ist langweilig und trist. Tatsächlich ist das Metaverse eigentlich eine dystopische Vision. Dabei muss das gar nicht sein.

Von Michael Förtsch

Wer an Facebook denkt, der denkt an Social Media, an Werbung, an Fake News und schlechte Nachrichten. Wohl auch deswegen hat Mark Zuckerberg in einem langen Interview mit The Verge nun angekündigt, dass Facebook kein Social-Media- und Werbeunternehmen mehr sein soll. Über die kommenden „etwa fünf oder so Jahre“ soll Facebook stattdessen zu einer „Metaverse Company“ werden. Heißt: Facebook soll von einer Website beziehungsweise einer App zu einem digitalen Raum werden, den die Menschen besuchen; den sie erforschen und in dem sie sich virtuell herumbewegen und mit anderen Menschen interagieren können. Irgendwie jedenfalls. Denn wie genau das aussehen soll, das hat Mark Zuckerberg nicht verraten. Aber Facebook Horizon, eine in einer Testphase befindliche Online-VR-Videospielwelt, gibt wohl einen groben Eindruck, was sich Facebook das vorstellt.

Die Idee des Metaverse ist alles andere als neu. Erfunden hat den Begriff der Autor Neal Stephenson in seinem Roman Snow Crash . In dem ist das Metaverse eine Art futuristisches Internet, das sich als endlos scheinende Straße darstellt, die links und rechts mit Geschäften und Eingängen gepflastert ist, die in verschiedenste Welten führen. Es existiert neben der von Hyperinflation und Korruption geplagten Wirklichkeit. In Tad Williams Otherland ist es das Netz, eine kafkaeske Kakophonie von digitalen Welten, die jeweils ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten und Regeln haben; in denen Menschen als Tiere, Monster und ganz und gar undefinierbare Kreaturen herumstreunen. Geschaffen haben diese Welten einst Superreiche, um sich ganz und gar aus der öden Realität zurückzuziehen. Würde gut zu Mark Zuckerberg passen.

Etwas, aber nicht groß anders ist es in Ready Player One von Ernest Cline. Da ist die OASIS das Metaversum. Sie begann einst als ein ambitioniertes Rollenspiel. Über die Jahre ist sie jedoch zu einer echten Parallelwelt herangewachsen, die sich aus unzähligen Planeten zusammensetzt, zwischen denen die Spieler fließend wechseln können. Diese Welten sind den Kulissen von Videospielen, Filmen und Romanen nachempfunden – vor allem denen der 80er, von denen der OASIS-Schöpfer besessen war. Andere Planeten sind gespickt mit virtuellen Schulen, Universitäten und Bürogebäuden, in denen Menschen lernen und arbeiten. Denn die echte Welt ist in Ready Player One durch Umweltverschmutzung, Klimawandel und den Zerfall der Gesellschaft kein wirklich lebenswerter Ort mehr. Die OASIS ist der einzige Ort, der noch Selbstverwirklichung, Freiheit und auch Reichtum verspricht.

Es ist daher fast schon folgerichtig, dass das Metaverse gerade jetzt wieder einen Hype und Buzz erlebt, wo das Weltklimaforum meldet, dass das 1,5-Grad-Ziel bereits 2030 erreicht wird, Griechenland, Sizilien, die Türkei und Kalifornien in Flammen stehten, Gemeinden in Deutschland weggeschwemmt werden und immer neue Varianten des Coronavirus am Horizont drohen, die noch gefährlicher, tödlicher und übertragbarer sein könnten. Wo politische Schlammschlachten den Diskurs vergiften, Verschwörungstheoretiker die Zentren politischer Macht stürmen und viele Menschen immer noch zu Hause sitzen und sich nicht trauen, zu verreisen. Da scheint eine Vision wie das Metaverse unheimlich verheißungsvoll. Nicht nur, um direkt vom Sofa in eine andere Welt zu segeln, sondern dort auch eine neue, bessere und bereichernde Gesellschaft aufzubauen, eigene Universen im Metaversum zu erschaffen, wo die echte Welt keine Macht hat.

Eine alte Idee

Das Metaverse als Konzept ist – auch in der Literatur, die die Vorstellung vieler prägt – fast immer mit einer Dystopie verbunden. Es ist eine Krisentechnologie , ein Zufluchts- und Rückzugsort für jene, die die Realität einfach nicht mehr aushalten können oder wollen. Denn das Metaverse ist bunt, aufregend und einfach anders. Dabei ist das Metaverse oft auch selbst irgendwie eine Dystopie. Zumindest eine kapitalistische. Auch im Metaverse muss gearbeitet und gebuckelt werden, um voranzukommen. Denn nur wer digitales Geld hat, der kann die theoretisch endlose Freiheit genießen. Und wer sie wirklich genießen will, der muss gut ausgerüstet sein und dafür konsumieren. Dieser Konsum bringt vor allem jenen noch mehr Geld und Macht, die eh schon genug davon haben.

Tatsächlich ist zumindest auch die Zuckerberg-Vision des Metaverse ziemlich kapitalistisch, uninspiriert, spaßfrei und irgendwie auch erschreckend. In seinem Interview mit The Verge sagt der Facebook-Chef wieder und wieder, dass ein Metaverse die „individuelle Produktivität“ der Nutzer beflügeln würde. Er spricht vom Metaverse als „unendliches Büro“ und begeistert sich dafür, wie fantastisch doch so ein virtueller Raum wäre, um Meetings und Konferenzen abzuhalten. Seine Beschreibung klingt erschreckend nach den Passagen, in denen der Ready-Player-One -Held Wade Watts seine Schulden als Tech-Support-Mitarbeiter abarbeiten muss. Jedoch auch andere Metaverse-Konzepte wie The Sandbox oder Roblox drehen sich, wenn auch nicht ausschließlich, stark um Besitz, Handel und eine Parallelökonomie.

Es geht oft um das Machen, Anbieten und Verkaufen, wenn Tech-Größen vom Metaversum sprechen. Das ist nicht grundsätzlich schlecht. Ein Wirtschafts- und Belohnungssystem ist schließlich ein Anreiz für die Nutzer abseits der puren Schöpfungslust, aufregende und vielschichtige Parallelwelten zu bauen, die viele Menschen begeistern. Wie beispielsweise bei Athereia: Hier wollen Menschen in Decentraland zusammen eine Stadt aufbauen, die von Blade Runner und anderen Cyberpunk-Welten inspiriert ist, und ihren Machern irgendwann auch ein Auskommen sichern soll. Nicht wenige sind überzeugt, dass sich in einem Metaversum eine bessere und fairere Wirtschaft schaffen ließe. Einfach, weil es keine nationalen, kulturellen und gesellschaftlichen Grenzen mehr gäbe; weil niemand aufgrund seiner Hautfarbe oder Herkunft diskriminiert werden könnte. Denn wer weiß schon, wer hinter einem Avatar steckt, der virtuelle T-Shirt, Fahrzeuge oder Häuser verkauft.

Das Metaverse kann mehr sein

Aber was kann und soll das Metaverse sonst sein? Abenteuer erleben, Welten erkunden, Geld machen? Das kann einfach nicht alles sein. Und das ist es auch nicht. Es ist wohl weniger die Flucht in eine andere Welt, die viele gerade jetzt vom Metaversum träumen lässt. Sondern wohl die Sehnsucht nach einem digitalen Ort, der irgendwie nahbarer und unmittelbarer ist. Denn auch, wenn sich Freund- und Bekanntschaften irgendwie gut in Chatzeilen und per Videokonferenzen aufrechterhalten lassen; wenn sich Gemeinschaft und Gemeinsamkeit irgendwie in Foren und Boards erleben lässt; wenn sich in Minecraft und Fortnite zusammen mit anderen Welten auf dem Bildschirm erschaffen und Wettkämpfe bestreiten lassen: Irgendwas fehlt da manchmal. Das Echte, das direkt Gegenübersein, ohne im gleichen Raum sein zu müssen. Es ist wohl auch das, was viele hoffen, mit dem Metaversum erleben zu können. Ein Internet, das körperlicher und direkter wird, ohne es sein zu müssen.

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Diese Hoffnung klingt dann schon viel eher nach einer positiven Vision. Vor allem wenn man sie mit all den Vorstellungen vermengt, die zwar nicht in all den Romanen beschrieben, aber durchaus hineingelesen werden. Denn es ist ja nicht unbedingt die OASIS aus Ready Player One , das Netz aus Otherland oder das Metaverse aus Snow Crash , das Entwickler und Metaverse-Enthusiasten in der Realität sehen wollen. Sondern viel eher eine positive, zugängliche und einfach auch utopische Version davon. Eine mit vielen und unentdeckten Möglichkeiten. Eine, die von jedem mitgestaltet und mitverwaltet werden kann. Eine die, ja sicher, ökonomisches Potential hat; Menschen Geld machen lässt. Aber auch neue Erfahrungs- und Erlebniswelten eröffnet und neue Möglichkeiten schafft, sich selbst zu verwirklichen und auszuprobieren. Neue Freunde und Bekanntschaften zu machen – über bisherige Grenzen hinweg. Ich glaube – und vielleicht ist das unheimlich naiv –, dass es dieses Metaverse ist, von dem viele Träumen (und wenn nicht, sollten sie das). Außer wahrscheinlich Mark Zuckerberg.

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Teaser-Bild: Surasak Suwanmake

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Ein Gedanke der mir beim Lesen gekommen ist war folgender. Der Artikel betrachtet, wenn ich es richtig verstanden habe den Kapitalismus bzw. kapitalistische Systeme in bisherigen/fiktive Metaversen als kritisch. Was ich zum Teil verstehen kann und im Bezug auf immer mehr kapitalistisch kritische Diskussionen/Meinungen etc. würde mich folgendes interessieren. Wäre es nicht ein Idee in einem Metaversum mal ein anderes System als den Kapitalismus auszuprobieren? Ich selbst kann mir zwar aktuell kein wirklich besseres System vorstellen, möchte aber offen für neue Gedanken/Ansätze sein.

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Die Frage stelle ich mir auch immer wieder. Warum müssen die digitalen Welten immer so ähnlich – oder noch rauer – funktionieren wie die analoge Welt. Wäre doch super, dort mal testen zu können, wie sich Gesellschaften und Ökonomien auch anders managen lassen würden. Die Menge an Daten und die mächtigen Quantencomputer, die man bräuchte, um die Entwicklungen von Gesellschaften tatsächlich zu simulieren, werden wir auf absehbare Zeit wohl noch nicht haben… was vielleicht auch besser ist. Daher wäre ein Metaversum doch ein ideales Testfeld. Citizen Science Projekte funktionieren in digitalen Welten ja auch schon recht gut:

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Ja, und nein. Etwas kritisch, auf jeden Fall. Aber in erster Linie finde ich es interessant, da es sowohl Chancen als auch Gefahren bietet.

Wäre es nicht ein Idee in einem Metaversum mal ein anderes System als den Kapitalismus auszuprobieren?

Das ist eine sehr gute Frage. Die Antwort darauf ist daher nicht so einfach … und eine klare Antwort habe ich auch nicht. Eine Teilantwort mag sein, dass es vergleichsweise wenige Alternativen gibt, die sich in der Realität als machbar – und daher gut übertragbar – erwiesen haben. Beziehungsweise mit denen Menschen, die solche Metaversen bauen, Erfahrung haben. Ein kommunistisches oder konkurrenzsozialistisches Metaverse? Wäre aber mal ein spannendes Experiment.

Was sich definitiv machen ließe, wäre „ethische Elemente“ in ein Metaverse zu übertragen, die einen „besseren Kapitalismus“ ermöglichen oder ausprobieren lassen. Es gibt Konzepte wie „ethischen Profit“ oder den „Personalismus“.

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