Acht Romane, die euch auf das Metaverse vorbereiten

Das Metaverse ist ein Buzzword, aber womöglich kein absurder Techniktraum mehr. Zahlreiche Firmen arbeiten daran, begehbare digitale Welten zu erschaffen, die zu parallelen Realitäten werden sollen. Welche Möglichkeiten und Gefahren damit verbunden sind, das wird bereits seit Jahren in Science-Fiction-Romanen erforscht. Wir stellen euch acht Sci-Fi-Werke vor, die ihr lesen solltet!

Von Michael Förtsch

Neue und aufregende Welten, die darauf warten erforscht zu werden. Bislang unvorstellbare Erfahrungen, neue Freunde, unbegrenzte Freiheit, ungezügelte Kreativität und vielleicht sogar Reichtum und Ruhm. All das verspricht das Metaverse – zumindest irgendwie. Denn diejenigen, die daran arbeiten, die unscharfe Vision eines Kosmos von digitalen Welten in die Realität zu hieven, präsentieren geradezu utopische Vorstellungen, was das Metaversum angeht. Aber bislang manifestiert sich das Metaverse vor allem als ein von digitaler Goldgräberstimmung getriebener Hype und eher provisorisch wirkenden Blockchain-Reichen wie Decentraland , die viel zum Anschauen aber wenig zum Tun bieten.

Jedoch meinen es Entwickler durchaus ernst damit, unter dem Banner des Metaverse eine Art räumliches und begehbares Internet zu schaffen. Eines, in dem virtuelle Begegnungen dennoch nahbar erscheinen können, in dem jeder so aussehen und klingen kann, wie er mag. In dem sich Räume und Erfahrungen erschaffen und verkaufen lassen und dadurch eine neue Ökonomie entsteht, die losgelöst von der Begrenzung der stofflichen Realität unendliche Gewinne verspricht. Nicht umsonst investieren Fonds, Risikokapitalgeber, Blockchchain-Firmen und Videospielgiganten Milliarden in junge Firmen, die an den simulierten Scheinwelten werkeln.

Wie das verheißungsvolle Metaverse letztlich aussehen und funktionieren soll – und was dabei alles schief gehen könnte –, das lässt sich bisher nicht mit Bestimmtheit sagen. Wer jedoch eine Ahnung davon bekommen will, der kann das nachlesen. Denn inspiriert sind der Hype und die Vision vor allem von Science-Fiction-Romanen, die teilweise bereits mehrere Jahrzehnte alt sind. In ihren Beschreibungen zukünftiger Technologien und Konzepten wirken sie geradezu prophetisch – aber manchmal auch ziemlich daneben. Romanautoren wie Wiliam Gibson, Neal Stephensons und Tad Williams haben sowohl technische als auch gesellschaftliche Entwicklungen und Gefahren niedergeschrieben, die heute akut sind und greifbar erscheinen.

Snow Crash

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Die Welt im Neal-Stephenson-Roman Snow Crash ist alles andere als einladend. Die USA sind nach mehreren Krisen in einzelne Stadtstaaten zerfallen, die jeweils eigene und sehr konfuse Gesetze erlassen haben. In anderen Ländern sieht es nicht besser aus. Polizei, Geheimdienste, das Militär und selbst die Mafia sind privatisierte Konzerne, die jedem zu Diensten sind, der bezahlen kann. Parallel zu dieser dystopischen Welt existiert das digitale Metaverse, eine Sammlung von Virtual-Reality-Welten, die über Geschäfte aufgereiht an einer endlos scheinenden Straße zugänglich sind. In diesen Welten versuchen sich Menschen wie der Pizzabote Hiro selbst zu verwirklichen und Abenteuer zu erleben.

Das Metaverse, das in Snow Crash zum ersten Mal als solches bezeichnet wurde, ist ein Kosmos, der so manchem Hoffnung und Freiheit gibt. Aber plötzlich geht ein Virus um, der nicht Computer, sondern Menschen abstürzen lässt, die im Metaverse eingeloggt sind – und sie dadurch tötet. In seinem Roman erforscht Stephenson die direkten und indirekte Gefahren von virtuellen Realitäten. Darunter unter anderem, wie sie sich Menschen durch sie manipulieren lassen und von der Realität entfremden können. Dadurch ist Snow Crash heute so relevant, wie es der Roman zum Erscheinen im Jahr 1993 war.

Neuromancer

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Der bereits im Jahr 1984 veröffentlichte Roman Neuromancer und seine zwei Fortsetzungen gelten heute als die Ecksteine des Cyberpunk-Genres. Der Autor William Gibson zeichnete in ihnen eine technologisch fortgeschrittene Welt, die von mächtigen Großkonzernen, Ausbeutung, Kriminalität und Armut dominiert wird. Daher verlangt es den Menschen danach, aus ihrem Elend zu entfliehen – zumindest zeitweise. Und das ist, wofür SimStim gemacht ist. Mit einem Elektroden-Stirnreif können Menschen mit allen Sinnen in den Körper anderer Menschen eintauchen, um Helden-, Liebessimulationen oder auch Pornographie zu erleben.

In der Neuromancer-Zukunft ist die simulierte Stimulation eine regelrechte Droge. Menschen betteln auf der Straße um Geld für einige Minuten mit dem Stirnreif. Ein Metaverse ist das freilich nicht. Und auch der Cyberspace ist keines, also das räumliche Netzwerk, in das Hacker in den Gibson-Erzählungen eindringen, um Daten zu stehlen. Aber einige Soziologen und Psychologen geben zu bedenken, dass das Metaverse ebenso süchtig machen könnte. Denn es könnte einen allzu einfangenden Eskapismus darstellen. Nicht nur, weil der Drang, der Realität in Zeiten von Pandemien und Klimawandel zu entfliehen sehr groß sein kann, sondern auch, weil der echte Körper, der soziale und gesellschaftliche Hintergrund dort nur eine kleine oder sogar keine Rolle spiele – ganz ähnlich, wie schon in erfolgreichen Online-Rollenspielen.

Otherland

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In der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts dominiert das Netz das Leben nahezu aller Menschen. Diese Weiterentwicklung des Internet ist ein virtueller Raum, der über Implantate oder Schlafkapseln betreten wird. Viele verbringen ihr gesamtes Leben im Netz, in dem eine geheimnisvolle Ansammlung von bizarren Welten existiert – das Otherland. Das wurde von einer verschwörerischen Elite namens Gralsbruderschaft geschaffen, die finstere Motive hat und auch das Bewusstsein von Menschen gefangen nimmt, so, dass sie nicht mehr aus dem Netz entfliehen können. Neun Helden, die bezüglich ihrer Herkunft nicht unterschiedlicher sein könnten, wollen die Bruderschaft stürzen.

Mit über 3.500 Seiten ist die Tetralogie ein umfassendes und zudem ziemlich komplexes und verworrenes Werk, das durch psychedelische VR-Nachbildungen des trojanischen Krieges, dem Krieg der Welten, Oz und Alice’ Wunderland zieht. Williams spekuliert in seinem Werk, dass digitale Welten helfen könnten, kulturelle und gesellschaftliche Grenzen zu überwinden. Aber ebenso wirft er Fragen danach auf, welche Folgen es wohl hätte, wenn Menschen sich stärker mit ihrem digitalen als mit ihrem stofflichen ‚Ich‘ identifizieren. Und was wäre, wenn die Bindung an die reale Existenz sich auflöst oder jegliche Bedeutung verliert? Die Antworten auf diese Fragen zu finden, überlässt Williams dabei vollkommen den Lesern.

Rosewater

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Im Jahr 2012 passiert im Roman von Tade Thompson das Unvorstellbare. Ein außerirdisches Wesen landet auf der Erde und erschafft eine undurchdringliche Kuppel nahe Lagos in Nigeria. Um das abgeschottete Biotop entsteht der Ort, der später Rosewater getauft wird. Das Wormwood genannte Wesen setzt einen Pilz frei, der über die kommenden Jahrzehnte das Nervensystem nahezu aller Menschen infiziert. Dadurch wird die Ankunft weiterer extraterrestrischer Kreaturen vorbereitet. Denn diese Pilzinfektion scheint das Rückgrat eines Kommunikationsnetzwerkes, der Xenosphere, zu sein, durch die diese Wesen kommunizieren.

Aber nicht nur Aliens haben Zugriff auf das Netzwerk, sondern auch einige sensitive Menschen wie Kaaro, der für die Regierungsbehörde S45 arbeitet. Menschen wie er finden sich nach dem Eintauchen in einer Art simulierter Traumrealität wieder, in der sie sich als Avatare bewegen können. Nicht nur die Menschen sind dort, sondern auch die außerirdischen Wesen, die, wie es scheint, nur auf diese Weise ihre Emotionen, Gedanken und Pläne mitteilen können. Das ist ein Gedanke, der fasziniert. Denn auch das Metaverse könnte es für Menschen, die sonst mit zwischenmenschlichen Kontakten hadern, erleichtern sich auszudrücken und sozial aktiv zu werden.

Ready Player One

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Der Debütroman von Ernest Cline spielt in einer dystopischen Zukunft. Der Klimawandel hat die Erde verwüstet und viele Menschen leben in Slums aus aufeinandergestapelten Wohnwagen. Ihr einziger Rückzugsort, an dem sie so etwas wie Erfüllung finden können, arbeiten und lernen, ist die OASIS. Die Virtual-Reality-Plattform entstand aus einem Online-Rollenspiel, das sich zu einem riesigen Kosmos ausformte, der nun aus Tausenden von Planeten besteht, die den Welten aus Star Wars, Blade Runner und vielem mehr nachempfunden sind. Als der Erschaffer der OASIS stirbt, entbrennt eine Schatzsuche nach dem Schlüssel zu seinem Erbe.

Der Roman Ready Player One hat trotz vieler Schwächen und durchwachsener Kritiken vielfach die Vorstellung des Metaverse geprägt. Denn die OASIS gleicht oberflächlich einem kunterbunten – und von 80er-Jahre-Popkultur geprägten – Freizeitpark. Aber die virtuelle Parallelwelt des Romans – und dessen Verfilmung – ist keine Utopie. Auch hier regiert das Geld. Wer keines hat, muss in Spielen nach virtuellen Gegenständen und Münzen grinden oder steckt einfach fest. Und reiche OASIS-Nutzer können sich nach dem Pay-To-Win-Prinzip in virtuellen Einkaufszentren einfach die beste Ausrüstung zusammenkaufen, um anderen überlegen zu sein. Dadurch erscheint Ready Player One eher als eine Warnung als eine Blaupause.

Das Ende des Regenbogens

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Robert Gu war einst ein gefeierter, aber aufgrund seiner ablehnenden Persönlichkeit auch umstrittener Poet. Dann erkrankte er an Alzheimer. Dank neuer medizinischer Verfahren gewinnt er jedoch seine kognitiven Fähigkeiten und seine Jugend zurück. Allerdings hat er während seiner Therapie fast 20 Jahre an technologischem Fortschritt verpasst. Viele Entwicklungen schockieren und faszinieren ihn. Darunter Kontaktlinsen, die jeden jederzeit mit dem Internet verknüpfen, das sich durch Augmented-Reality-Technologie wie ein seidenes Tuch durch die stoffliche Welt zieht. Ein omnipräsentes Metaversum, in dem Menschen auch in der Wirklichkeit zu ihrem Avatar werden können.

Während Robert versucht, sich in dieser neuen Welt zurechtzufinden, werden er und seine Großenkelin in eine bizarre Verschwörung hineingezogen, deren Strippenzieher übermenschlich zu sein scheinen. In seinem Roman – und dessen lose anknüpfende Fortsetzung – stellt Vernor Vinge unter anderem die Frage danach, was mit jenen geschieht, die nicht vollkommen selbstverständlich an der Digitalisierung der Welt teilnehmen wollen oder teilnehmen können. Und auch, welche neuen gesellschaftlichen, kulturellen oder auch zwischenmenschlichen Konflikte daraus erwachsen werden.

Escapology

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Shock Pao ist ein Hacker, der beste angeblich. Er soll im Slip, einem Virtual-Reality-Universum, alles stehlen können. Außerhalb des Slip ist er jedoch chronisch pleite, ohne Job und Hoffnung. Daher nimmt er als Hacker mittlerweile jeden Job an, so gefährlich er auch sein mag. Als ihm seine Ex-Freundin den Auftrag vermittelt, in die Slip-Datenbank einer Bank einzubrechen, geht jedoch plötzlich alles schief. Denn der digitale Diebstahl ist Bestandteil eines finsteren Plans, den der psychotische Verbrecherbaron Twist Calhoun ausgeheckt hat.

Die Metaverse-artige VR-Welt Slip spielt im Erstlingsroman Ren Warom eigentlich eine eher untergeordnete Rolle. Aber Warom zeichnet sie als eine wilde und überdrehte Digitalwelt voller irrsinniger Charaktere, unmöglicher Architektur und bizarrer Memes, die sie dadurch als eine Parallelwelt mit ganz eigener Kultur und Gesellschaftsstruktur darstellt. Virtuelle Gegenstände können da so wertvoll sein wie Tresore voller Geld. Und das scheint nicht allzu weit von der Realität entfernt, wenn man sich in Metaverse-Prototypen wie Decentraland oder den Communities umschaut, die sich um NFT- und Digitalkunst-Projekte bilden.

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Simulacron-3

8

Der Roman Simulacron-3 erschien im Jahr 1964. In ihm ersinnt Daniel F. Galouye eine überzeugende Simulation einer kompletten Stadt, die auf einem Computer der Marktforschungsgesellschaft Test AG existiert. Ihr Sinn und Zweck ist es, neue Produkte vor der Einführung auf dem realen Markt zu testen. Laut der Test AG sind die Bewohner dieser Scheinrealität lediglich unwissende Programme, die sich aber so fühlen und verhalten, wie reale Menschen. Sie sollen so detailliert programmiert sein, dass sie sogar über ein Bewusstsein verfügen.

Die Simulation wird vom Techniker Douglas Hall betreut. Nachdem sein Vorgensetzer plötzlich stirbt und ein Kollege sich in Luft auflöst, beginnt Hall zu glauben, dass auch seine Welt nur eine Simulation darstellt. Er will einen Weg finden, in die „höhere Realität“ zu entfliehen, die über dieser Scheinwelt liegt. Simulacron-3 war einer der ersten Romane, der digitale Scheinwelten zum Thema machte und darüber spekulierte, was wäre, wenn wir diese als „nicht echt“ erkennen. Der Roman war Basis für Filme wie Welt am Draht, The Thirteenth Floor und Inspiration für Filme wie Matrix, Dark City und Existenz.

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Titelbild: Getty Images / blackdovfx

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Interessant.,:raised_hands::cherry_blossom::rabbit::sparkles: von Tade Thompsons Rosewater hatte ich noch nicht gehört. Gerade spannend., da ich zu First contact Romanen in der SF recherchiere. Das vereint ja dann beides first contact und Metaverse… Oder hab ich das richtig verstanden., die Extraterrestrials kommunizieren über das Metaverse? Sehr elegant.

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Tolle Auswahl! Vor ein paar Jahren las ich ein Krimi, in dem der Täter glaubte, im Simulacron zu leben. Eine der wichtigsten Personen Ermittlerteam war ein… Computernerd. Komme aber nicht mehr darauf, wie das Buch hieß :-/

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Ist ein faszinierendes, aber auch etwas eigenwillig geschriebenes Buch. Es springt sehr stark zwischen unterschiedlichen Zeiten.

Und … die Kommunikationsebene der Aliens funktioniert quasi wie ein Metaverse, ja.

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Ich hatte auch noch zwei Romane im Kopf, auf deren Namen ich aber nicht mehr kam, auch nicht mit Google.

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Sehr cool! Danke für den Tipp :+1::sparkles::rabbit: Das schau ich mir auf jeden Fall an! :dizzy::star2::ok_hand:

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Google kann eventuell nur Bestseller. Und es war m.E. keiner. Aber die Idee war interessant, insbesondere, wenn man Simulacron kennt :sunglasses:

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