Schön, aber leer: Ein Abstecher nach Decentraland

Die virtuelle Welt Decentraland gehört zu den aussichtsreichsten Kandidaten, wenn es um den Aufbau des gehypten Metaverse geht. Denn das auf der Ethereum-Blockchain aufgebaute Projekt beherbergt schon jetzt zahlreiche Landstriche, die mit epochalen Gebäuden und beeindruckenden Kulissen bebaut sind. Viele Firmen haben viel Geld investiert, um sich ihre Präsenz in Decentraland zu sichern. Aber macht diese digitale Welt auch Spaß?

Von Michael Förtsch

Die nächste Evolutionsstufe des Internet, ein neuer und aufregender Kosmos, der Spiel und Wirtschaft vereint und mit immer neuen Erfahrungen aufwarten kann. Das und noch so einiges mehr soll das sogenannte Metaverse bieten. Der Begriff bezeichnet die noch sehr unscharfe Vision einer Virtual- und Augmented-Reality-Umgebung, die zahlreiche Welten umfasst und vor 30 Jahren erstmals im Neal-Stephenson-Roman Snow Crash erwähnt wurde. Selbst wenn noch keiner so wirklich sagen kann, was genau dieses Metaversum letztlich sein und wie es funktionieren könnte, arbeiten bereits zahlreiche Unternehmen, Initiativen und unabhängige Entwickler daran, es in die Wirklichkeit zu hieven. Einer der Pioniere und das bislang am weitest fortgeschrittene Metaverse ist Decentraland.

Gestartet wurde das Decentraland-Projekt bereits im Jahr 2015. Der Begriff Metaverse war zu diesem Zeitpunkt noch kein Buzzword , das Aktienkurse nach oben springen ließ oder Investoren bewegte, Millionen Euro in vollkommen unbekannte Start-ups zu investieren. Daher versprachen die beiden Argentinier Ari Meilich und Esteban Ordano mit Decentraland ursprünglich eine „[Ethereum]-Blockchain-basierte Virtual-Reality-Welt“, die „im Besitz ihrer Benutzer“ ist. Möglich machen sollte das der Verkauf von virtuellen Ländereien. Die ersten Parzellen wurde im Jahr 2017 für umgerechnet rund 17 Euro pro Stück veräußert. Weitere wurden im Jahr 2018 bei einer Auktion versteigert. Bezahlen konnten die Käufer mit der Decentraland-eigenen Kryptowährung Mana oder auch anderen Ethereum-Währungen wie Dai, BNB oder MKR.

Seitdem hat sich einiges getan. Heute ist ein digitales Grundstück in Decentraland mehrere Tausend Euro wert, die Preise der Parzellen steigen immer weiter. Zu verdanken ist das dem Boom um Virtual Reality und das Metaverse, der zuletzt durch die Pläne des Facebook-Konzerns Meta angefeuert wurde. Mittlerweile sind immerhin 15 Prozent aller Grundstücke bebaut. Aber macht das Decentraland bereits zum Metaverse? Und vor allem: Ist es einen Besuch wert?

Genesis

Mit futuristischen Vorstellungen, wie sie Steven Spielberg in Ready Player One inszenierte, hat Decentraland bisher nicht viel gemein. Statt über eine Virtual-Reality-Brille lässt sich die digitale Weltensammlung bisher nur über den Web-Browser oder eine Windows-Applikation betreten – wobei bereits an einer Virtual-Reality-Fassung für aktuelle Headsets gearbeitet wird. Wer eine digitale Wallet für die Ethereum-Blockchain besitzt, zum Beispiel von Metamask, kann sich darüber direkt ins Spiel einklinken und dann einen Avatar gestalten, der einen in dieser Welt repräsentiert. Wer mag, kann auch ohne Wallet in Decentraland einsteigen – aber verzichtet dabei auf sämtliche Blockchain-Funktionalitäten. Geschlecht, Hautfarbe, Haare und Kleidung lassen sich bei der digitalen Repräsentanz anpassen. Der Avatar fällt nach der Gestaltung sprichwörtlich aus den Wolken und landet in einem zentral auf der Karte gelegenen Hub-Bereich, der das Portal in die Welt von Decentraland darstellt.

Über eine Röhre, die einem Brunnen gleicht, kann von dort direkt in einen Clubraum gesprungen werden. In diesem lassen sich fast rund um die Uhr andere Decentraland-Nutzer treffen, die herumspazieren und chatten. Bei unserem Besuch ging es vor allem darüber, was sich in Decentraland eigentlich unternehmen lässt oder wie man wieder aus dem virtuellen Club herauskommt. Denn wirklich selbsterklärend und fehlerfrei ist das Metaverse bei weitem nicht. Ein Besucher war mit seinem Avatar in einer Wand stecken geblieben. Die Schiebetüren in den Außenbereich mochten sich nicht öffnen und die Schweberöhre, die wieder in den Hub zurücktransportiert, reagierte erst mit einigen Sekunden Verzögerung – und ließ unseren Avatar anschließend mehrmals hintereinander wieder auf die Startplattform plumpsen.

Zurück im Ankunftsbereich finden sich drei große Tafeln, vor der meist mehrere Avatare versammelt sind. Auf diesen werden aktuelle Veranstaltungen, viel besuchte virtuelle Welten und auch Spiele beworben, in die mit zwei Klicks hineingesprungen werden kann. Eine vollständige Übersicht über alle Ereignisse und virtuellen Kulissen lässt sich auch über einen Klick auf das Avatar-Portrait im Eckbereichs des Bildschirms wählen. Und zumindest zu sehen gibt es da durchaus so einiges. Einfache Nutzer, Gruppen, Initiativen und auch Unternehmen haben auf ihren Grundstücken virtuelle Gebäude, Landschaften und Erlebnisse geschaffen, die sich aus einer langen Liste und auch über eine Karte auswählen und ansteuern lassen.

Wenig zu tun

Der markantesten Orte in Decentraland nennt sich Genesis Plaza und ist direkt über die Bar unter dem Brunnen zu erreichen – falls die Schiebetüren mal funktionieren. An breiten Wegen und Straßen sind virtuelle Parkanlagen und NFT-Galerien, ein Amphitheater für Vorträge und Filmabende angelegt. Dazu kommt ein opulentes Trade-Center, das als Treffpunkt für Krypto-Enthusiasten gedacht, aber derzeit menschenleer ist und auf dessen Tickerbändern keine Kurse angezeigt werden. Optisch am beeindruckendsten ist wohl ein anderes Areal: die sogenannte Soho Plaza, die mit futuristischen Kapselgebäuden und jeder Menge virtuellen Kunstwerken wie einem Neon-Tyrannosaurus, einer einäugigen Comic-Krake, einem Pixel-Kampfhubschrauber und anderem vollgestellt ist.

Auch eine klischeehaft asiatisch gestaltete Stadt namens Dragon City, eine Mittelalter-, eine Wald- und eine Naturwelt sowie eine dem Las-Vegas-Strip nachempfundene Kulisse namens Vegas Plaza existieren. Dazu kommt eine dauerhafte Gay Pride Parade mit bunten Wagen, Musik und Tänzern, die sogenannte Rainbow Road. Das alles ist durchaus aufwendig, kreativ und schön anzusehen. Daneben haben vor allem große Technologie- und Krypto-Firmen ihre Niederlassungen in Decentraland. Von Samsung gibt es einen virtuellen Ausstellungsraum namens 837x, der NFT-Marktplatz Super Rare hat ein Museum (von dem aus natürlich direkt die Website angesteuert werden kann) und der Fonds der Winklevoss-Zwillinge und der Krypto-Handelsplatz Kraken betreiben nett gestaltete Hauptquartiere, die an Pavillons auf den Weltausstellungen denken lassen.

Die Orte in Decentraland sind Kulissen, die im ersten Moment viel versprechen. Aber wirklich etwas zu erleben und zu tun gibt es dort bislang kaum. „Schön hier, aber auch echt langweilig“, sagte ein anderer Decentraland-Nutzer in einem Chat bei der Tour über die Vegas Plaza. „Wäre schön, wenn man hier irgendwas unternehmen könnte. Aber es gibt einfach nichts, was man machen kann.“ Ganz ohne Herausforderungen und Spiele ist Decentraland aber nicht. In einem Areal namens Wonderzone kann auf einem Drachen geritten werden. In einer Ecke des Metaverse existiert ein Parkour aus schwebenden Würfeln, der mit gezielten Sprüngen gemeistert werden muss und einen Preis in Form von Kryptowährung verspricht. Auch ein Skate Park ist vorhanden, durch den mit einem virtuellen Hover Board aus Zurück in die Zukunft geschlittert werden kann.

Wirklich spaßig oder überzeugend sind diese interaktiven Einlagen aber nicht. Zu hakelig und unausgearbeitet sind die Mini-Spiele, zu frickelig und ungenau ihre Steuerung. Ebenso fehlen passende Animationen der Avatare. Gut besucht und viel genutzt scheinen ausschließlich virtuelle Poker-Clubs des Unternehmens ICE Poker, das mit gleich mehreren Niederlassungen in Decentraland vertreten ist – und bei dem um Kryptowährungen gespielt wird. Wie uns ein Spieler im Chat erzählt, gewinne er mit den virtuellen Poker-Runden „bis zu 150 Euro am Tag“, aber habe in Summe „wohl mehr verloren als eingenommen“.

Schön leer

Wer in Decentraland herumspaziert, der muss immer wieder darauf gefasst sein, Fehlern zu begegnen. Es ist nicht selten, dass der eigene Charakter mal plötzlich in der Luft schwebt, bis zur Hüfte im Boden steckt oder der Bildschirm plötzlich nur noch eine Fehlermeldung zeigt. Gerne kommt es auch dazu, dass sich Avatare in Wänden oder Begrenzungen verhaken, Fahrstühle versagen oder Animationen aussetzen. Ziemlich unfertig wirkt das Möchtegern-Metaverse dadurch. Doch der Haupteindruck, der nach einem Besuch zurückbleibt, ist der der Leere. So schick viele der Umgebungen auch sind und so überwältigend manche digitalen Installationen ausfallen: Derzeit fühlt sich eine Tour durch Decentraland an, als würde man alleine durch eine Geisterstadt stapfen, aus der gerade alle Menschen verschwunden sind. 25.000 Menschen besuchen Decentraland pro Monat. Angesichts der Größe der virtuellen Welt nicht viel.

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Jenseits der Genesis Plaza und der Poker-Hallen ist selten jemand anders anzutreffen. Lediglich vereinzelte Orte wie die AltCoin Radio Lounge, deren Betreiber regelmäßige Zusammenkünfte organisieren, oder Ereignisse wie eine digitale Fashion Week oder ein Auftritt der Sängerin Grimes Ende März 2022, sorgen dafür, dass virtuelle Tanzflächen und Straßen mit Avataren gefüllt sind. Eine wilde und wuselnde digitale Parallelwelt ist Decentraland in der Regel also nicht. Das macht Decentraland fast schon etwas gespenstisch und deprimierend. Ob sich das in Zukunft ändert? Das lässt sich nicht sagen.

Die Macher von Decentraland versprechen zumindest eine kontinuierliche Weiterentwicklung – die durchaus auch stattfindet. Die zahlreichen Fehler sollen ausgemerzt, die Grafik besser werden und es soll mehr Interaktivität geben. Das soll wiederum Entwicklern mehr Optionen geben, den Besuchern echte Erlebnisse und nicht nur begehbare Werbeflächen und Galerien zu bieten. Einen Antrieb dafür, diese Möglichkeiten auch zu nutzen – oder von anderen nutzen zu lassen –, gäbe es durchaus. Denn die Grundstücke stellen natürlich auch Spekulationsobjekte dar, die nur einen Wert haben, wenn Decentraland floriert und gut besucht wird. Und bisher halten sich die Anreize für eine Reise leider in Grenzen.

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Ähmm, wofür braucht man in so einer digitalen Cyberwelt eigentlich ein „Fahrzeug“? Muss ich da von Link zu Link fahren? Vielleicht ein NFT-Ticket für die Decentra-Bahn DB kaufen?

So weitergedacht und weitergehypt, wird Metaverse das nächste Second-Life.

Man merkt mal wieder, das technische Visionen in den Händen von Marketing-Fuzzies, die nur der nächsten durch das Dorf rennenden Sau nachhecheln, immer im Dollar-, Euro- oder Bitcoin-Symbol enden … und von den eigentlichen Ideen nichts mehr übrig bleibt.

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Es gibt unter anderem Ideen, dass irgendwann mal Mini-Games á la Mario Kart kommen könnten, man durch die Städte cruisen oder mit einem Flugzeug darüber fliegen können soll. Aber wirklich nötig, wären Fahrzeuge nicht, da man sich in Decentraland über weite Strecken einfach „beamen“ kann.

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Genau das ist ja der Punkt.
Decentraland und auch der Zuckerberg-Blueprint sind nichts anderes als VR. Da gibt es keine Verbindung oder Synchronisierung mit „RR“, der realen Welt: man „taucht“ in die VR ein und kann sich da, gerne auch mit irgendwelchen Fahrzeugen, bewegen. In der RR bleibt man aber genau dort, wo man „eingetaucht“ ist. Umgekehrt: bewegt man sich in der RR, hat das in DecentraBlox keine Auswirkung. Es sind also zwei voneinander unabhängige „Welten“.
Die ursprüngliche Idee - oder Vision? - des Metaversums beschreibt aber genau diese (fehlende) Synchronisierung. Nur scheint das die Vorstellungskraft der Investoren vollkommen zu überfordern.

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