Pläne für Städte auf dem Wasser gibt es mittlerweile viele. Bei fast allen handelt es sich um durchgetaktete Siedlungsprojekte, die wenig Flexibilität und Raum für Fehler bieten. Ein dänisches Duo entwickelte daher eine andere Idee. Es will mit kleinen Inseln organisch wachsende Gemeinden ermöglichen.
Von Michael Förtsch
In vielen Regionen der Welt ist Land knapp – und es wird noch knapper. Denn das Eis an den Polen schmilzt und der Meeresspiegel steigt. Und das immer schneller, wie Klimaforscher attestieren. Selbst wenn alle Emissionen von Klimagasen unmittelbar gestoppt würden, würde der Meeresspiegel bis Ende des Jahrhunderts um 78 Zentimeter ansteigen. Dadurch sind viele Küstenregionen bedroht. Zahlreiche Städte könnten ganze Nachbarschaften ans Meer verlieren. Einige Nationen könnten sogar gänzlich in den Ozeanen verschwinden. Das wird auch immer mehr Architekten bewusst, die nun verstärkt nach Lösungen suchen – und zwar auf dem Wasser. Denn die beste Art, mit dem Wasser umzugehen sei, es zu akzeptieren und als Ressource zu begreifen. Der Meinung ist insbesondere Marshall Blecher.
Vor rund zwei Jahren gründete Blecher gemeinsam mit dem Designer Magnus Maarbjerg das Maritime Architecture Studio – kurz MAST – in Kopenhagen. Die dänische Hauptstadt wird in den kommenden Jahren unmittelbar vom steigenden Meeresspiegel betroffen sein. Und, wie Marshall Blecher sagt, wollen er und sein Mitstreiter die „kaputte Beziehung zwischen Städten [wie Kopenhagen] und dem Meer reparieren“. Sie beide hätten größten Respekt vor dem Meer – sowohl als Bedrohung als auch als Möglichkeit. Bereits 2018 vertäute das Duo eine nur wenige Quadratmeter kleine Kunstinsel mit einem einzelnen Baum im Hafen von Kopenhagen, der bald zahlreiche weitere folgen und sich als Copenhagen Islands zu einem schwimmenden Park zusammenfinden sollen. Dazu sollen auch eine schwimmende Sauna, eine Bühne und sogar ein Café gehören.
Für Marshall Blecher sind diese künstlichen Inseln nicht nur ein Kunst-, Gesellschafts- und Architekturprojekt, sondern auch ein Machbarkeitsbeweis. Er und Maarbjerg haben nämlich mehr vor. Zusammen mit der österreichischen Baufirma Rhomberg planen sie ein Konzept, das sich schlicht Land on Water nennt. Damit wollen die Architekten in Zukunft Dörfer und Städte auf den Meeren errichten. „Wir sehen viel Interesse für das Bauen auf dem Wasser, das Bewusstsein für den Anstieg des Meeresspiegels steigt und die Gefahr von Überschwemmungen nimmt überall zu“, sagt Blecher. Mit dieser Erkenntnis ist der Architekt nicht alleine. Inzwischen gibt es zahlreiche Ideen für Städte und Siedlungen auf dem Wasser. Doch Blecher glaubt, dass er und sein Mitstreiter eine neue und bessere Herangehensweise gefunden haben.
Organisch wachsen
In diesem Jahr haben die Vorbereitungen für den Bau von Maldives Floating City begonnen, einer schwimmenden Stadt, die vom niederländischen Waterstudio NL geplant wurde und neuen Lebensraum auf den Malediven schaffen soll. In Südkorea soll hingegen Oceanix entstehen, eine vom Architekturbüro BIG bereits vor Jahren ausgetüftelte Meeresstadt, die bis Endes des Jahrzehnts nahe Busan Wohn- und Arbeitsraum für 10.000 Menschen bieten könnte. So etwas will Marshall Blecher aus Kopenhagen nicht – zumindest nicht so. „Viele der Entwürfe sind Top-Down-Konzepte“, sagt er. Diese Ocean Cities seien artifizielle Planstädte und nicht auf organisches Wachstum eingestellt. Sie seien daher prädestiniert, „viele der Fehler des Städtebaus aus der Mitte des Jahrhunderts zu wiederholen“ – wie Brasilia oder Basildon, die zwar modern und durchdacht sind, aber keine hohe Lebensqualität und kein gesellschaftliches Miteinander bieten.
Mit Land on Water soll daher ein anderes Bauen möglich sein. Die Architekten wollen verschiedenste Module entwickeln, die sich einzeln auf dem Wasser platzieren und dann mit anderen verknüpfen lassen. Es soll Module mit großen und kleinen Wohnhäusern geben, welche mit Gewächshäusern, kleinen Parkanlagen, Büroräumen, Schulgebäuden, Gemeinschafts- und Freizeitflächen und vielem mehr. „Unser Ansatz ist es, ein System zu entwickeln, das eine organische Gemeinschaftsbildung ermöglicht“, sagt Blecher. Statt eine komplette Stadt aus dem nichts zu schaffen, soll mit Land on Water gebaut werden, was gebraucht wird. Nach und nach sollen Siedlungen entstehen und wachsen. Funktioniert eine Zusammensetzung nicht, können die Module neu geordnet werden. Und das rund um die Welt.
Laut Blecher soll Land on Water ebenso gut in einem skandinavischen Fjord wie an der Ost- oder Westküste der USA, zwischen den Atollen von Tuvalu oder den Marshallinseln einsetzbar sein. Dafür soll auch ein neues Schwimmsystem sorgen, das die Architekten mit den Österreichern von Rhomberg entwickelt haben. Land on Water setzt nicht auf klassische Pontons aus Beton oder Styropor, sondern auf flache Schalen aus recyceltem Plastik, die mit stählernen Käfigbauten nach unten erweitert werden. Letztere sorgen für eine stabile Lage im Wasser. Außerdem dienen sie als Behälter für Auftriebselemente, die ebenfalls aus altem Plastik gefertigt werden sollen.
Wird ein Schwimmelement auf einer Seite stärker belastet, weil neue Möbel in ein Haus kommen, kann in den entsprechenden Käfig einfach ein weitere Tonne aus Recyclingplastik aus dem Ozean gepackt werden, um das Gewicht auszugleichen. „Wir glauben, dass das letztlich eine gute Sache für die Umwelt sein könnte“, so Blecher. Die Käfige mit der Maskendrahtstruktur, meinen die Architekten, wären zudem das ideale Habitat für Seegras und andere maritime Pflanzen – und langfristig auch für das Tierleben in der jeweiligen Weltregion. Eine menschliche Siedlung auf dem Wasser könnte so auch zu einem positiven Treiber der lokalen Biodiversität werden.
Interesse ist da
Einen sehr großen Vorteil sieht Marshall Blecher insbesondere in der Einfachheit von Land on Water. Die Schalenelemente seien einfach zentral herstellbar und könnten kostengünstig und schnell an jeden Ort der Welt transportiert werden. Die Recyclingmaterialien für die Auftriebselemente ließen sich in vielen Ländern vor Ort beschaffen und auch verarbeiten. „Das ist effizient, kostengünstig und nachhaltig“, sagt Blecher. Dadurch könnte Land on Water auch eine Möglichkeit für weniger wohlhabende Regionen und Menschen darstellen.
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Jetzt Mitglied werden!„Auf Wasser zu bauen kann so günstig sein, wie auf Land zu bauen“, meint Blecher. Mit einem grundlegend simpel gehaltenen System wie Land on Water könnte, wenn in Masse produziert, sehr günstiger und in großer Breite verfügbarer Wohnraum erzeugt werden. Letztlich handle es sich schließlich um ein Haus, das auf eine Plastikwanne gesetzt wird: Das könne sehr bescheiden gehalten werden, aber natürlich auch sehr luxuriös ausfallen. „Die ersten Projekte, an denen wir arbeiten, werden in wohlhabenderen Ländern angesiedelt sein“, räumt der Architekt ein. „Aber wir glauben, dass der Preis mit der Skalierung deutlich sinken kann und Land-on-Water-Projekte überall auf der Welt realisierbar werden.“
Um erschwinglichen Wohnraum auf dem Wasser zu ermöglichen, brauche es aber vor allem Unterstützer aus der Politik, glauben die Architekten. Sie müssten helfen, solche Projekte anzuschieben und umzusetzen. Tatsächlich gibt es gbereits roßes Interesse an der Idee der Architekten aus Dänemark. Aus mehreren Ländern lägen bereits Anfragen vor – von Inselnationen hin bis zu großen Küstenstädten. Ein erster Prototyp einer Siedlung soll bereits 2023 entstehen. Weitere Projekte seien schon in Planung.
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