FixFirst: Dieses Start-up will das Betriebssystem für Reparatur und Kreislaufwirtschaft liefern

Wer in Deutschland ein kaputtes Elektrogerät reparieren lassen will, braucht Nerven und Geduld. Im erschreckend analogen Kommunikationswirrwarr zwischen Händler, Hersteller, Reparaturbetrieb und Kunden vergehen Wochen – wenn das Produkt nicht gleich durch ein neues ersetzt wird und auf dem Müll landet. Das Start-up FixFirst aus Berlin will das ändern und zum Betriebssystem der Kreislaufwirtschaft werden.

Von Daniel Szöke

1998 steht auf dem Bauernhof der Familie Daus eine alte Waschmaschine. Die Aufschrift „Görlitz DDR” gibt den Herstellungsort an. Mit ihren 19 Jahren klappert die Waschmaschine leise und manchmal auch ein bisschen lauter, bis sie eines Tages nicht mehr anspringt. Aber in der Elektrotechniker-Familie weiß selbst der Achtjährige, was zu tun ist: die Waschmaschine reparieren. Zusammen mit seinem Opa schaut sich Sebastian Daus das Gerät an, sie ersetzen das defekte Einzelteil und drücken den Start-Knopf. Siehe da, die Waschmaschine springt wieder an und trommelt fröhlich weiter. Durch diesen ersten Erfolg beim Reparieren merkt der technikbegeisterte Schüler, wie weit man mit „erstmal herumprobieren und basteln” kommen kann.

Was handwerkliche Familien schon seit Jahrzenten erkannt haben, ist inzwischen auch der Politik aufgefallen: Eine nachhaltige Wirtschaft muss nicht nur recyclen, sondern auch Wartung betreiben und reparieren können. Im Moment wird aber vieles – von der Waschmaschine bis zum Pullover – einfach weggeschmissen. 2020 wurden von 1.037.000 Tonnen an Elektroschrott nur 1,9% etwa durch Reparaturen wiederverwendbar gemacht. Das liegt auch daran, dass es in Deutschland gar nicht so einfach ist, einen Reparaturbetrieb zu finden: Es gibt zwar Anbieter, aber die sind oft sehr spezialisiert. Außerdem sind die Wartezeiten häufig lang und die Kosten hoch. Reparieren in Deutschland ist dezentralisiert und – wie so vieles – kaum digitalisiert.

Bis zur eigentlichen Reparatur vergehen oft Wochen

Um das zu ändern, braucht Deutschland viele Ideen – und Menschen, die diese auch umsetzen. Einer davon ist derselbe Sebastian Daus, der damals die alte Waschmaschine mitreparierte. Nach mehreren Stationen in der Digitalwirtschaft, zum Beispiel bei Rocket Internet oder Uber, begann er nach Lösungen für den Klimawandel zu suchen. Dabei beschäftigte er sich auch mit der Reparatur-Branche in Deutschland. Und war schnell ziemlich ernüchtert: „Es kann nicht sein, dass der Reparaturdienst im digitalen Zeitalter so unorganisiert ist“, sagt er zu 1E9. „Da gibt es viel Potential”.

Es kann nicht sein, dass der Reparaturdienst im digitalen Zeitalter so unorganisiert ist.

Vor allem wunderte sich Sebastian darüber, dass Reparaturanbieter und Kunden so viele Hindernisse überwinden müssen, bis es zur eigentlichen Reparatur kommt. Die Werkstatt muss mit den Herstellern von Produkten oder auch den Zulieferern einzelner Komponenten auf verschiedenen Kanälen kommunizieren. Kunden, die sich oft erst an Hersteller oder Händler wenden, müssen oft wochenlang warten, bis ein qualifizierter Techniker überhaupt einen Blick auf das kaputte Produkt wirft. Techniker sind sich oft unsicher, ob sie die richtigen Werkzeuge oder einen Zugang zu den Schaltplänen des Geräts besitzen, um die Reparatur durchführen zu können. Einen Industriestandard, wie die Reparatur eines bestimmten Produktes dann durchzuführen ist, gibt es auch nicht. Um genau solche Hindernisse zu beseitigen und damit zu mehr Reparaturen beizutragen, gründete Sebastian mit seinem Studienfreund Saqib Hanif ein eigenes Unternehmen. Der Name: FixFirst. Zuerst reparieren.

Damals wie heute ist seine Antwort auf ein Problem: erst einmal herumprobieren und basteln. Zuerst setzte FixFirst also auf ein Marktplatz-Modell, also einen digitalen Dienst, der Nutzer mit einem passendem Reparaturdienst für ihr defektes Gerät verbindet. Doch schnell stieß das Start-up dabei auf Barrieren. Um einen schnellen, günstigen, digitalen Dienst anbieten zu können, braucht es für jedes defekte Produkt einen qualifizierten Reparaturdienst, der versprechen kann, dass die Reparatur auch schnell verläuft. Doch es gibt zu lange Wartezeiten, die Reparaturdienste können eben dieses Versprechen daher nicht einhalten. Müssen sie auch nicht, sagt Sebastian, denn gut eingespielte Reparaturdienste werden schon jetzt von Unternehmen mit Reparatur-Anfragen überhäuft und haben deswegen wenig Bedarf, mit einem digitalen Dienst zusammenzuarbeiten. Doch ein digitaler Dienst, der keine Schnelligkeit versprechen kann, ist zum Scheitern verurteilt. Denn an digitale Angebote haben Kunden hohe Erwartungen: Im Zeitalter von AmazonPrime und anderen Quick-Commerce-Anbietern wollen Kunden auch die Reparatur ihrer kaputten Produkte mit einem Klick erledigt haben.

Ein Betriebssystem für die Kreislaufwirtschaft

Das Start-up FixFirst wechselte also von einem Marktplatz-Modell zu einer B2B-Software mit dem Grundsatz „Software as a Service”. Ziel ist es, mit der Software ein Betriebssystem für die Kreislaufwirtschaft zu bauen, um, wie Sebastian sagt, „das Leben derer, die Circular-Services anbieten oder anbieten wollen einfacher zu machen”. Der Fokus dabei liegt zunächst auf der Reparatur von Produkten. Doch auch für Recycling und Wiederverwertung soll sie zum Einsatz kommen.

Die Software wickelt die vielen einzelnen Schritte, die es von der ersten Anfrage der Kunden bis zur Auslieferung des reparierten Produkts braucht, in einem einfachen Prozess ab. Dafür arbeitet FixFirst mit Herstellern, wie zum Beispiel Miele, zusammen. Sobald der Kunde dem Hersteller eine Anfrage zur Reparatur durch Anruf, E-Mail oder Mausklick schickt, übernimmt FixFirst. Der Hersteller kriegt von der Software eine Benachrichtigung und wird sofort mit einer passenden Werkstatt in Verbindung gebracht. Mithilfe der Software wird dann der Termin für die Fehlerdiagnose festgelegt, die Techniker oft auch per Videoanruf erledigen können. Dann wird ein Kostenvoranschlag erstellt. Techniker können in der Software außerdem genau sehen, ob die passenden Einzelteile, Werkzeuge oder Schaltpläne für die Reparatur vorliegen. Nimmt der Kunde – oder im Garantiefall der Hersteller – das Angebot an, erfolgt die Reparatur, die Erstellung der Rechnung und die Auslieferung des reparierten Geräts. Auch diese Schritte, die momentan noch viele E-Mails und Telefonate kosten, können über die Software von FixFirst abgewickelt werden. Sie funktioniert auch dann, wenn die Hersteller ihre Produkte selbst, in der eigenen Werkstatt reparieren. Ein Shopify für Reparatur quasi! Doch das Start-up möchte mit seiner Software noch mehr erreichen.

Über den gesamten Prozess sammelt FixFirst eine Vielzahl an Daten: Informationen zur Lebens- und Reparaturdauer, Diagnoseberichten oder Fehlermeldungen eines Produkts. Und damit kann die Wurzel aller Probleme angegangen werden: das Produktdesign. Hersteller können anhand dieser Daten etwa analysieren, welches Produkteinzelteil besonders häufig einen Defekt hervorruft, und es dann besser designen.

Dieser End-to-End Prozess soll sich nicht auf die Reparatur beschränken, schließlich ist die Einführung der Kreislaufwirtschaft eine systemische Veränderung. FixFirst möchte vor allem die Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren entlang der Wertschöpfungskette verbessern. Hersteller, Händler und sogar Städte können ihre externen Dienstleister, zum Beispiel die Zulieferer einzelner Teile, die Werkstätten oder die Wertstoffhöfe auf die Plattform von FixFirst bringen. Integriert ein Unternehmen auf der Plattform mehrere externe Dienstleister führt das im besten Fall dazu, dass es den vollständigen Lebenszyklus eines Produktes durch die Software verwalten kann. Von der Reparatur zur Wartung zur Wiederverwendung. Sebastian sagt, dass durch eine so enge Integration „Unternehmen in die Lage versetzt werden, flexible und innovative Dienstleistungen anzubieten“. Dazu gehört Kundenservice per Video, die direkte Buchbarkeit von Reparaturterminen oder auch ein Express-Service, bei dem der Kunde sein defektes Gerät auf einer Website anmeldet und es nach vierundzwanzig Stunden repariert ist.

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Kreislaufwirtschaft – mehr als eine Fußnote in der Nachhaltigkeitsdiskussion

Bis 2030 möchte das FixFirst-Team dazu beitragen, das Leben etwa einer Milliarde Produkte zu verlängern, um damit über 100 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Ein Produkt-fokussierter Klimaschutz wird in der Zukunft wichtiger werden, denkt Sebastian, schließlich stammen laut dem Circularity Gap Report 70% aller Treibhausgas-Emissionen aus der Herstellung oder der Nutzung von Produkten. Inzwischen sehen den Zusammenhang zwischen Produktlebensdauer und Nachhaltigkeit auch immer mehr Großunternehmen und Start-ups. Dazu kommt, dass durch die Bewegung, die – inzwischen in einigen Bereichen erfolgreich – ein Recht auf Reparatur fordert, auch seitens der Kunden mehr Wert auf die Reparierbarkeit von Produkten gelegt wird. Und auch Regierungen, von den USA bis nach Deutschland, wollen ein Recht auf Reparatur durchsetzen. „Erst jetzt wird die Verbindung zwischen dem Klimawandel und der Circular Economy stärker wahrgenommen”, sagt Sebastian. Damit dieser Trend noch an Fahrt gewinnt, will er das Thema Kreislaufwirtschaft auch stärker an die Öffentlichkeit zu tragen.

Erst jetzt wird die Verbindung zwischen dem Klimawandel und der Circular Economy stärker wahrgenommen

Spannende Zukunftsvisionen für die Nachhaltigkeit hat das FixFirst-Team auch schon. Mit einer Datenbasis möchten sie in Zukunft alle Materialströme von Produkten steuern. Jedes Produkt und sogar jedes Bauteil könnte einen digitalen Zwilling bekommen. Ist ein Einzelteil defekt, kann die Software dann anhand dessen digitaler ID ein passendes Ersatzteil finden – im Lager des Unternehmens, in einem defekten Produkt, das ausgeschlachtet werden kann, oder sogar im eigenen Haushalt. Die Software könnte sogar berechnen, ob es nun klimaschonender ist, das Produkt zu reparieren, es zu warten oder zu recyclen.

Während unsere Wirtschaft vor einem kompletten Umbau steht, ist eines gleichgeblieben: Auf dem Hof von Sebastians Familie trommelt die Waschmaschine aus der DDR noch immer vor sich hin. Wenn auch auf andere Art: Sebastians Opa hat sie umgebaut – zu einer Kreissäge.

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Titelbild: Getty Images

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