Dieses Solarauto ist ein autarkes Haus auf Rädern

Bereits seit einem Jahrzehnt forscht ein Team aus Studierenden an der Technischen Universität Eindhoven an Solarfahrzeugen. Mit dem Stella Vita hat die Gruppe nun ein riesiges Fahrzeug gebaut, das eine ganze Wohnung enthält. Anders als klassische Wohnmobile und Camper ist dieses Auto dank seiner Solarpaneele vollkommen autark.

Von Michael Förtsch

Der Stella Vita sieht schon außergewöhnlich aus. Er ist geformt wie eine brandende Welle und ganze sieben Meter lang. Er verfügt über eine gigantische Frontscheibe und zwei große Flügeltüren an der Längsseite. Das Elektroauto lässt unweigerlich an die Science-Fiction-Fahrzeuge in den farbenfrohen Zeichnungen des legendären Designers und Konzeptkünstlers Syd Mead denken. Tatsächlich ist der Wagen eine Konzeptstudie, mit dem erforscht werden soll, wie nachhaltige Mobilitätskonzepte der Zukunft aussehen könnten. Das futuristische Vehikel stammt allerdings nicht von einem neuen E-Auto-Start-up oder einem großen Autobauer, sondern einem Team von Studierenden an der Technischen Universität Eindhoven in den Niederlanden. Die wollen zeigen, dass Elektroautos gebaut werden können, die nicht auf Ladesäulen angewiesen sind. Denn der Stella Vita bekommt seinen Strom gänzlich aus Solarzellen. Aber der Wagen soll nicht nur eine nachhaltige Fortbewegung ermöglichen, sondern auch ein grünes Leben.

Wir müssen unsere Energieproduktion von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energie umstellen.

Tijn Ter Horst

„Es gibt da heute nicht mehr viel zu diskutieren“, sagt Tijn Ter Horst gegenüber 1E9, der den Stella Vita mit geplant und gebaut hat. „Der Klimawandel ist da. Um die Erde lebenswert zu halten, müssen wir Veränderungen anschieben. Wir müssen unsere Energieproduktion von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energie umstellen.“ Genau da will das Solar Team Eindhoven ein Zeichen setzen, Machbarkeiten und Möglichkeiten aufzeigen. Und das tut es schon schon seit fast einem Jahrzehnt mit immer neuen und neugierigen Studenten und Studentinnen. Stella Vita ist bereits das fünfte Solarauto, das auf dem Campus der niederländischen Universität entstand. Im Jahr 2012 war mit Stella das erste Sonnenauto aus einer kleinen Werkshalle gerollt. Es sollte demonstrieren, dass rein Solar-getriebene Fahrzeuge ebenso viel Platz und Komfort wie klassische Benzin-Limousinen bieten könnten. Darauf hat das Team seitdem immer wieder aufgebaut.

Mit Stella Vita hat das Team aber nun ein großes Experiment gewagt. Denn dieses Solarauto ist nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern ein „Haus auf Rädern“, wie Tijn Ter Horst erklärt. Hinter den großen Flügeltüren verbirgt sich eine komplette Wohnung, in der zwei Personen leben können. Auf den knapp neun Quadratmetern hinter dem Führerstand finden ein Doppelbett, ein kleines Sofa, eine Dusche, eine Mini-Küche und auch eine Toilette einen Platz. Dazu gibt es einen Fernseher, eine Kaffeemaschine, Flächen zum Arbeiten und genug Stauraum, um Klamotten, Nahrungsmittel und anderes unterzubringen. Und um sich in dem 1,8 Meter hohen Wagen auch bequem bewegen zu können, lässt sich das Dach hydraulisch auf 2,54 Meter anheben.

Eine riesige Solarfläche für eine riesige Reichweite

Die Idee für den Stella Vita kam den Studierenden nach der Präsentation des vorherigen Solarfahrzeugs. „Unser Solarauto Stella Era war ein Auto für eine Familie“, erklärt Tijn Ter Horst . „Es produzierte [mit seiner großen Fläche an Solarzellen] so viel Strom, dass sich damit problemlos auch andere Fahrzeuge auftanken ließen.“ Bei den ersten Treffen im September 2020, bei denen über Einfälle und Herausforderungen für ein Nachfolgeprojekt gegrübelt wurde, wäre daher die Frage aufgekommen, ob sich in einem Auto „nicht nur mit der Energie der Sonne fahren, sondern auch leben lässt.“

Rund zwei Monate lang sammelte das Team zunächst Konzepte und begann dann mit der Gestaltung des Wagens, den es übrigens nicht als Camper oder Wohnmobil verstanden wissen will. Im Gegensatz zu diesen wäre der Stella Vita vollkommen autark. Er muss nicht an eine Tankstelle oder eine Ladesäule, sondern kann sämtlichen Strom, den es braucht, vollkommen selbst erzeugen. Und genau das war auch eine der Herausforderungen. Denn auch wenn die Dachfläche von 8,8 Quadratmetern Platz für Solarzellen mit rund 2,3 Kilowatt an Leistung bietet, um die Elektromotoren für den Antrieb anzutreiben: Eine komplette, wenn auch kleine Wohnung mit Strom zu versorgen ist nochmal etwas anderes.

Die Lösung? Einfach mehr Solarzellen auf das Fahrzeug montieren. Aber dazu fehlte die nötige Fläche. Doch die Studierenden fanden eine clevere Möglichkeit, um mehr Fläche zu schaffen. Sie statteten das Dach mit einem Flügelsystem aus. Wird das Dach angehoben und somit in den Wohnmodus versetzt, lassen sich links und rechts auf Metallschienen jeweils ein dünnes Vordach mit weiteren Solarpaneelen ausfahren. Dadurch wird die Fläche an Solarzellen auf rund 17,5 Quadratmeter und die Leistung auf fast 4,5 Kilowatt verdoppelt. Diese Zellen speisen einen Akku mit einer Speichermenge von 60 Kilowattstunden – genug Strom, um einen Fernseher 600 Stunden laufen zu lassen. Zum Vergleich: Der Standard-Akku des Model 3 fasst 50 Kilowattstunden.

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Eine Testfahrt soll die Tauglichkeit beweisen

Die Planung und Konzeption des Stella Vita und insbesondere der komplexen Elektronik dauerte fast sieben Monate. Gebaut wurde der Wagen aber in weniger als drei Monaten. „Vom 8. März bis Ende Juli fand die Produktion statt“, sagt Tijn Ter Horst. In dieser Zeit wurde also das Gros der gänzlich individuell hergestellten Karosserie- und Chassisteile gefertigt und mit der Mechanik und Elektronik zu einem Auto zusammengesetzt. Das sei nicht immer einfach gewesen. Aber „die größte Herausforderung war die Zeit“, meint Tijn Ter Horst. „Wir haben in weniger als einem Jahr ein komplettes Fahrzeug geplant und gebaut.“ Der Grund für den Zeitdruck? Das Team wollte noch in diesem Jahr mit dem Wagen auf Tour gehen – und ist es gerade auch.

Seit dem 18. September fahren die Studierenden mit dem Solar-Elektro-Auto von den Niederlanden zur Südspitze von Spanien – und legen dabei bei Universitäten, Firmen und auch bei Politikern einen Halt ein und demonstrieren, dass das Vehikel sowohl als Fahrzeug als auch als Wohnung funktioniert. Das ist ein Weg von rund 3.000 Kilometern. Ende Oktober wollen sie ankommen und damit die Alltagstauglichkeit der Solartechnik beweisen – und testen, ob ihre berechneten Werte stimmen. Denn theoretisch soll der Stella Vita durch den massiven Solaraufbau, der auch während der Fahrt die Batteriepacks lädt, eine tägliche Reichweite von bis zu 730 Kilometern ermöglichen. Ohne Sonnenschein soll die Reichweite bei geladenem Akku immerhin noch 600 Kilometer betragen.

Würde es nach uns gehen, wäre [der Stella Vita] in fünf Jahren auf dem Markt.

Tijn Ter Horst

Zu einem Serienfahrzeug wird der Stella Vita übrigens nicht werden. Nicht, weil das Team nicht wollte, sondern weil sowohl das Geld, die Zeit als auch die Ressourcen fehlen. „Würde es nach uns gehen, wäre er in fünf Jahren auf dem Markt“, scherzt Tijn Ter Horst. Daher versuche das Team stattdessen so viele Menschen wie möglich mit dem Solarhaus auf Rädern zu inspirieren. „Wir wollen zeigen, dass die Technik da ist und jetzt die Zeit ist, um sie einzusetzen“, beteuert Tijn Ter Horst. „In dem wir die beste Energiequelle, nämlich die Sonne nutzen, können wir sicherstellen, dass es bei Mobilität nicht nur darum geht, Energie zu verbrauchen, sondern auch darum, sie zu erzeugen.“

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Teaser-Bild: Bart van Overbeeke

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