Der Verkehr muss elektrischer werden. Doch Elektrofahrzeuge sorgen für ganz neue Herausforderungen. Es fehlt an Infrastruktur und viele fürchten um die Stabilität der Stromversorgung. Diese Probleme könnten sich lösen lassen, wenn elektrifizierte Fahrzeuge ihren Strom einfach selbst erzeugen würden – mit Photovoltaik-Modulen. In wenigen Jahren könnte das ganz normal sein.
Von Michael Förtsch
Der Erfolg lässt sich zunehmend auf der Straße sehen. Elektroautos setzen sich durch – auch in Deutschland. Zwar ist die überwiegende Zahl an Fahrzeugen immer noch mit einem Verbrennungsmotor unter der Haube unterwegs. Aber immer öfter rauschen auch voll-elektrische PKW und Lieferfahrzeuge über den Asphalt – und werden nach und nach alltäglich. Vor allem in den Städten. Im Jahr 2021 überholten die Elektrowagen in Deutschland sogar erstmals bei den Neuzulassungen die Diesel-PKW. Im Oktober 2021 waren ganze 30 Prozent der Neuwagen elektrifizierte Autos. In anderen Ländern ist die Revolution noch sichtbarer. In Norwegen sind mittlerweile über 70 Prozent der Neuzulassungen Elektrofahrzeuge. Aber der Erfolg kommt nicht ohne Probleme.
Wer ein Elektroauto besitzt, der findet meist nur in Großstädten problemlos eine öffentliche Ladesäule, die nicht bereits belegt oder defekt ist. In vielen Klein- und Mittelstädten hinkt die Infrastruktur für Elektrofahrzeuge hinterher. Auf dem Land ist die Lage noch prekärer – viele kleinere Gemeinden besitzen keine Ladestationen für E-Automobile. Tatsächlich kommen in Bayern auf 100.000 Einwohner gerade einmal 64 Ladestationen – und damit ist das Bundesland von allen Ländern sogar noch am besten aufgestellt. Eher eine Herausforderung als ein Problem könnten Elektroautos außerdem für das deutsche Stromnetz sein. Selbst wenn, anders als gerne proklamiert, kein black out droht, müssen Ausbauten und Anpassungen vorgenommen werden, wenn die Zahl der Elektrofahrzeuge zunimmt. Eine intelligentere Lastverteilung muss möglich werden.
Genau aus diesen Gründen wirkt eine Idee vollkommen naheliegend. Warum sollten sich elektrische Autos nicht einfach selbst mit Strom volltanken? Einfach mittels Photovoltaik-Modulen? Diese Vorstellung ist alles andere als neu, sondern sogar vergleichsweise alt. Bereits im Jahr 1955 stellte der General-Motors-Ingenieur William Cobb ein Miniaturmodul eines möglichen Solarautos vor. Und seit 1987 findet regelmäßig die sogenannte World Solar Challenge statt – bei der vor allem Studierende aus aller Welt mit experimentellen Fahrzeugen antreten, die allein mit Sonnenenergie rund 3.000 Kilometer durch die australische Wüste zurücklegen. Dieses Rennen war über viele Jahre eher eine technische Herausforderung. Aber es könnte, wie sich nun zeigt, auch den Weg zu alltagstauglichen Solarautos geebnet haben.
Im Jahr 2011 trat ein Team der Hochschule Bochum mit dem SolarWorld GT bei der World Solar Challenge an. Der Wagen war in einer geräumigen Limousinenform gestaltet und begann nach der Challenge noch eine Weltumrundung. Die Bochumer fuhren mit dem Wagen durch Australien, Neuseeland, die USA, Frankreich Luxemburg und einige weitere Länder – und legten dabei über 29.500 Kilometer zurück. Im Durchschnitt fuhr der Wagen 130 Kilometer pro Tag. Damit zeigten die Bochumer, was mit einem Solarauto schon zu diesem Zeitpunkt machbar war. Seitdem war es aber vor allem ein Team aus den Niederlanden, das immer wieder die Alltagstauglichkeit der Solartechnik für Automobile beweisen wollte.
Im Jahr 2020 präsentierte das Solar Team Eindhoven, das mehrmals an der World Solar Challange teilgenommen hatte, den Stella Era: ein in einer futuristischen Tropfenform gehaltenes Solarauto, das als Familienauto ausgestaltet wurde und so viel Strom erzeugt, dass es sogar als Ladesäule für andere Fahrzeuge herhalten kann. Ende 2021 zeigten die Studierenden mit Stella Vita dann den geistigen Nachfolger, der „ein autonomes Haus auf Rädern“ darstellt und mit einer Ladung aus seinen riesigen Dachfläche voller Solarzellen an einem Sonnentag ganze 730 Kilometer zurücklegen kann.
Wir zeigen damit, dass die Technologie heute da ist. Wir müssen sie nur nutzen.
Tijn Ter Horst
Dass der Stella Vita das auch wirklich kann, das bewies das Team auch mit einer 3.000-Kilometer-Tour. Vom 19. September an fuhr das 1,7-Tonnen-Vehikel von den Niederlanden bis zur Südspitze von Spanien – nicht ganz ohne Probleme, aber vollkommen ohne Ladepause an einer Elektrotankstelle. „Wir zeigen damit, dass die Technologie heute da ist“, sagte Tijn Ter Horst in einem Interview mit 1E9. „Wir müssen sie nur nutzen.“ Genau das versuchen tatsächlich nun auch immer mehr Start-ups, aber auch etablierte Autobauer – und das mal mehr, mal weniger ernsthaft und ambitioniert.
Go Sono?
Ein alter Twingo war der Ausgangspunkt für das Team von Sono Motors aus München. Noch während ihrer Abiturzeit begannen Laurin Hahn, Jona Christians und Navina Pernsteiner – die Sono Motors zwischenzeitlich verlassen hat – damit, den kompakten Renault in ein Elektroauto umzubauen, das sich über aufgespannte Solarpaneele selbst mit Strom versorgen sollte. Die „kleine Machbarkeitsstudie“, wie das Team den Wagen heute nennt, funktionierte nicht gut, aber gut genug, um das Trio zu überzeugen, dass ein Sonnen-getriebener Kleinwagen machbar wäre: der Sion. „Viele haben uns anfangs belächelt“, sagte Laurin Hahn 2018 in einem Interview mit WIRED Germany. „Manche haben bezweifelt, dass eine derartige Vision, ein E-Auto mit integrierten Solarzellen, überhaupt umsetzbar ist.“
Dass die Umsetzung zumindest nicht einfach ist, das zeigte sich in den vergangenen Jahren durchaus. Mehrfach wurde der eigentlich für 2019 vorgesehene Produktionsstart für den Sion verschoben, der Preis von ursprünglich 16.000 Euro plus Batteriekosten auf mittlerweile 28.500 Euro erhöht und eine Spendenkampagne durchgeführt, um das junge Start-up vor einer drohenden Pleite zu retten – was auch gelang. Denn die Pläne von Sono Motors sind ambitioniert. Ganze 248 Solarzellen sollen in der Karosserie des Serien-Sion verbaut werden – nicht nur im Dach, sondern auch auf der Fronthaube, in den Türen, der Heckklappe und den Seitenpartien. Genug Strom für 112 Kilometer sollen dadurch pro Woche generiert werden.
Besonders in den hellen Sommermonaten sollen Kurzstreckenpendler und Wenigfahrer mit dem Sion komplett ohne Ladesäulen auskommen können. Über eine klassische Schukosteckdose in der Front kann der Wagen etwa beim Camping auch als Stromversorger dienen und für andere E-Auto als Ladesäule herhalten. Derzeit hofft Sono Motors, dass der Sion ab 2023 in die Produktion gehen wird und die ersten Exemplare an die über 16.000 Vorbesteller ausgeliefert werden können. Der gerade gelungene Börsengang stattete das finanziell vorher strauchelnde Start-up zumindest mit neuen finanziellen Mitteln aus, das zukünftig auch andere Fahrzeuge wie Busse und Lieferwagen mit seiner Solar-Technologie bestücken will.
Ein Lichtjahr voraus?
Bereits im Jahr 2022 will das niederländische Start-up Lightyear die ersten Exemplare seines Solarwagens ausliefern, der Limousine Lightyear One. Wobei Lex Hoefsloot, der Gründer des aus ehemaligen Mitgliedern des Solar Team Eindhoven hervorgegangenen Teams, einräumt, dass auch Lightyear mit so einigen Stolpersteinen und Hindernissen zu ringen hatte. „Als wir Lightyear gegründet haben, gingen wir davon aus, dass wir die meisten benötigten Bauteile einfach von der Stange kaufen könnten“, meint Hoefsloot im Interview mit 1E9. Aber genau das sei dann nicht so gewesen. Insbesondere viele Elemente für das Solarladesystem seien zwar grundsätzlich lieferbar gewesen, aber nicht mit den Spezifikationen, die das Team für nötig und effektiv erachtete.
Bei Lightyear musste daher viel selbst getüftelt werden. Aber laut Hoefsloot wäre der 150.000 Euro teure Wagen diesen Aufwand durchaus wert. Denn der Lightyear One soll mit seinen fünf Quadratmetern an Solarzellen auf Dach und Motorhaube an sonnigen Sommernachmittagen genug Strom für bis zu 12 Kilometer pro Stunde generieren – pro Jahr bis zu 20.000. Wer keine Langstrecken fährt, der müsste den Wagen daher womöglich über Wochen oder sogar Monate nicht laden. Die Reichweite soll aber nicht nur auf die angeblich besonders effizienten Maxeon-Solarzellen zurückzuführen sein, sondern auch auf das auf Stromlinienförmigkeit und Energiesparsamkeit optimierte Design und Antriebssystems des PKW.
Es geht nicht nur darum, die Solarenergie in den Wagen zu bringen. Unser Augenmerk liegt auch darauf, ein Auto zu konzipieren, das effizient ist.
Lex Hoefsloot
„Es geht nicht nur darum, die Solarenergie in den Wagen zu bringen“, sagt Hoefsloot. „Unser Augenmerk liegt auch darauf, ein Auto zu konzipieren, das effizient ist. Es geht darum, den Energieverbrauch des Fahrzeugs zu verringern, den Wagen hinsichtlich der Reichweite zu optimieren und die Netzabhängigkeit und den Ladebedarf zu reduzieren.“ Wie gut das wirklich gelungen ist, das sollen aktuell stattfindende Tests und Probeläufe mit seriennahen Fahrzeugen zeigen. Dabei soll auch herausgefunden werden, wo noch kleine Nachbesserungen nötig sind. Anschließend soll der Lightyear One auf seine Sicherheit geprüft und zertifiziert werden – und dann in einem finnischen Werk in Produktion gehen.
Sonnen-getriebene Arbeitstiere
Die Solartechnik ist nicht nur für private PKWs interessant. Auch für Nutzfahrzeuge ist sie relevant, meint zumindest Ari Motors aus dem sächsischen Borna. Das 2017 gegründete Unternehmen vertreibt mit dem vom chinesischen Hersteller Jiayuan EV gebauten ARI 458 den kleinsten in Deutschland zugelassenen Elektrotransporter. Der wird mit Kofferaufbauten für Liefer- und Zustellarbeiten wie bei Paket- und Pizzalieferdiensten oder auch Handwerker ausgeliefert und ist damit für den Einsatz auf der letzten Meile gedacht. Bereits seit 2020 stattet Ari seine Lieferwagen gegen Aufpreis mit handelsüblichen Solarmodulen aus, die eigentlich für Hausdächer gedacht sind, wie uns Ari-Mitgründer Thomas Kuwatsch sagt. Seit Ende 2021 wird außerdem ein Prototyp mit speziell für Fahrzeuge einwickelten Solarpaneelen von Sono Motors getestet.
Bereits die aktuellen Standardaufbauten sollen je nach Fläche für 20 Kilometer und in den Sommermonaten vereinzelt sogar für sogar bis zu 45 zusätzliche Kilometer am Tag sorgen. Und das funktioniert nach den Erfahrungen der bisherigen Käufer zuverlässig und gut. „Wir verkaufen bereits seit gut 12 Monaten Fahrzeuge mit Solarzellen“, sagt Kuwatsch. „Die Fahrzeugkäufer und besonders deren Kunden finden die Idee toll, dass ihre Ware oder Dienstleistung nun nicht nur elektrisch, sondern auch noch mit Sonnenenergie geliefert wird.“
Laut dem Ari-Chef seien es aber nicht nur der Umweltfaktor und die saubere Energie, die die Käufer der Kleintransporter von der Solarintegration überzeugt. Sondern auch eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Durch den kostenlosen Strom aus der Sonnenenergie soll sich der Preis für den kleinen Transporter bei häufigen Fahrten selbst beim Aufpreis für die Solaranlage deutlich schneller amortisieren. Das sei zuvorderst für Unternehmen ein Faktor, die nicht nur ein Fahrzeug kaufen, sondern gleich eine kleine Flotte. Daher erwägt das sächsische Unternehmen, wenn die Kunden es möchten, in Zukunft auch seinen kompakten Elektro-Van ARI 901 mit Solarzellen nachzurüsten, der mehr Dachfläche bietet.
Weitere ziehen nach
Waren Solarauto-Projekte von Universitäten und Pläne für Solar-Elektrofahrzeuge wie den Sion und den Lightyear One bis vor wenigen Jahren noch obskure Ausnahmen, wächst die Zahl der Solarfahrzeugunternehmungen mittlerweile recht rasant. Und sie bringt in Teilen auch recht sonderbare Fahrzeuge hervor. Aptera Motors, das ursprünglich Niedrigverbrauch-Benziner fabrizieren wollte, stellte 2019 einen futuristischen Drei-Rad-Wagen vor, der durch die Kombination von Batteriespeicher und Solarenergie bis zu 1.600 Kilometer an Reichweite ermöglichen soll. 2022 soll er auf den Markt kommen. Der ebenso dreirädrige Daymak Spiritus soll zusätzlichen Solarstrom nutzen, um Kryptowährungen zu schürfen, wenn der Wagen parkt.
Deutlich konservativer sind die Bemühungen von Unternehmen wie Toyota. Seit Ende 2020 kann der aktuelle Toyota Prius mit in das Dach integrierten Solarzellen gekauft werden, die genug Strom für immerhin zwei bis fünf Kilometer pro Tag erzeugen sollen. Der österreichische E-Autobauer Fisker will mit dem Ocean EV ab 2022 ein voll-elektrisches SUV auf den Markt bringen, dessen langes Dach mit einem Solaraufbau von SolarSky bestückt ist, der 2.400 bis 3.200 Kilometer zusätzliche Reichweite pro Jahr garantiert. Edison Future, das US-Tochterunternehmen des chinesischen Energiekonzerns SPI Energy, plant sowohl einen Pick-up mit Solarverdeck als auch einen Van mit einem gestreckten Solardach.
Natürlich halten sich auch die Gerüchte, dass der E-Auto-Vorreiter Tesla plant, kommende Model-Generationen seiner Fahrzeuge mit Solarzellen nachzurüsten. Dass das möglich ist, zeigte das Team von Lightyear im Jahr 2020 für einen Technologietest. Es verbaute seine Solartechnik in ein Model 3 von Tesla und einen VW Crafter. Lex Hoefsloot von Lightyear sagt, dass er es erfreulich findet, dass „mehr Firmen die Solarintegration für sich entdecken“. Umso schneller werde sich die Technologie entwickeln und umso eher könnten neue Wege gefunden werden, Solarfahrzeuge zu optimieren und in den Alltag zu bringen.
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Jetzt Mitglied werden!Wird die Wirtschaftlichkeit den Ausschlag geben?
Die Technologie um Solarfahrzeuge in den kommenden Jahren nicht nur alltagstauglich, sondern zur Normalität im Straßenverkehr zu machen, ist bereits in Arbeit. Die Solarzellen des Sion-Entwicklers Sono Motors sollen nicht nur Kleintransportern wie von Ari eine längere Reichweite versprechen, sondern auch LKWs, Bussen und Lieferfahrzeuge wie sie zu Tausenden auf deutschen Straßen unterwegs sind. Der Nutzfahrzeughersteller MAN testet gerade die Technik der Münchner. Beim Fraunhofer ISE wird zudem an Solarzellen geforscht, die sich verschiedenfarbig beschichten und dadurch nahezu unsichtbar in die Karosserien von Autos integrieren lassen sollen. Und das Team von Lightyear steht in Kontakt mit Forschern, die hoffen, in naher Zukunft komplett transparente Solarzellen zur Marktreife zu bringen. Die Front-, und Heckscheiben sowie die Seitenfenster von PKWs könnten so zu Stromerzeugern werden.
Alle Optionen, die langfristig zu mehr Wirtschaftlichkeit führen, werden vom Markt angenommen.
Thomas Kuwatsch
Geht es nach Hoefsloot ist es denkbar, dass in 15 Jahren die ersten Autos über die Straßen rollen, die de facto autark unterwegs sind „oder nur ein bis zwei Mal pro Jahr geladen werden müssen“. Damit wären Elektroautos dann auch in Regionen der Welt nutzbar, in denen keine engmaschige Ladeinfrastruktur vorhanden ist. Laut Thomas Kuwatsch von Ari werde „der Einsatz von Solarzellen gerade bei elektrisch betriebenen Nutzfahrzeugen vollkommen normal“ werden. Insbesondere, wenn Solarzellen und Elektrofahrzeuge ihre Effizienz weiter steigern. Dass sich die Solartechnik bei Fahrzeugen durchsetzt, das sei laut Kuwatsch sowieso keine Frage der Technologie, des Idealismus oder des Klimaschutz: „Alle Optionen, die langfristig zu mehr Wirtschaftlichkeit führen, werden vom Markt angenommen.“
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