Wir haben mit dem Schöpfer des KI-Zeitreisenden gesprochen

Auf Twitter, Instagram und anderen Plattformen machen fantastische Bilder eines Zeitreisenden die Runde. Ein kahlköpfiger Mann trifft in ihnen Albert Einstein, rasiert Salvador Dalí und fährt mit Wikingern auf einem Drachenboot. Erschaffen wurden die Zeitreise-Selfies mit Künstlicher Intelligenz, genauer: mit der KI-Software Stable Diffusion. Wir haben mit dem Künstler hinter den Bildern gesprochen.

Von Michael Förtsch

Er hat ein breites Lächeln aufgesetzt, wie es nur ein Tourist haben kann, der endlich vor der Sehenswürdigkeit steht, die er schon sein halbes Leben besuchen wollte. Dazu trägt der Mann mit den strahlenden Augen ein dünnes Leinengewand, einige Lederketten und eine Kopfbedeckung aus weißem Filz, die sein haarloses Haupt vor der grellen Sonne schützt. Im Hintergrund des spontan scheinenden Selfies zu sehen: ein bärtiger Mann mit weißem Gewand und offenem Mund, der sich scheinbar wundert, was der Tourist da tut. Und hinter ihm wiederum: die mächtigen Pyramiden von Gizeh. Allerdings völlig anders als man sie sonst kennt. Denn auf dem Bild sind sie noch nicht ganz so mächtig. Sie sind gerade im Bau. Ein Gerüst ist zu sehen, Hunderte von Arbeitern in einer Sandgrube und ein riesiger Stapel von gigantischen Steinblöcken, der aber sichtlich noch wachsen muss. Das kuriose Foto ist ein Selfie von einem Zeitreisenden namens Stelfie. Und natürlich ist es nicht echt. Es wurde mit einer Text-zu-Bild-KI erstellt.

Seit Dezember 2022 veröffentlicht der fiktive Zeitreisende auf Twitter und Instagram die Schnappschüsse von seinen Sprüngen quer durch die Zeiten. Dabei postet er auch immer wieder Treffen mit historischen Persönlichkeiten. Stelfie war dabei, als Columbus nach Amerika aufbrach, er posierte mit Odysseus vor dem trojanischen Pferd, spazierte mit Van Gogh durch eine sternenklare Nacht und ließ sich von Picasso malen. „Ich möchte ihn noch eine ganze Menge erleben lassen“, sagt der Schöpfer von Steflie in einem Interview mit 1E9. „Ich möchte, dass er Herkules trifft, Michelangelo, vielleicht verschlägt es ihn sogar in die Zukunft. Wir werden sehen.“

Wer der Schöpfer von Stelfie ist, das soll nicht enthüllt werden. Zumindest noch nicht. Das Gesicht in den Bildern sei daher auch nicht seines. „Das bin nicht ich“, sagt er uns. Stelfie sei nicht einmal ein echter Mensch, sondern basiere auf einem 3D-Modell, das in einer 3D-Software erstellt wurde. Denn der Schöpfer von Stelfie arbeitet als professioneller Digitalkünstler, der seine Werke seit rund vier Jahren auch erfolgreich verkauft und davon leben kann. Davor sei er bereits als „traditioneller Künstler“ unterwegs gewesen, „so richtig mit Farbe auf Leinwand“, sagt er. Das sei jedoch eher eine Passion gewesen. Erst mit seinen digitalen Werken habe er Anerkennung und Fans gefunden. Auch von denen wisse bisher niemand, dass er der Erfinder des Zeitreisenden ist. Er selbst sei im Grunde lediglich ein „witziger alter Mann“.

Alles stabil

Auf generative art – also mittels KI erzeugte Kunst – ist der Stelfie-Erfinder schon vergleichsweise früh gestoßen – weit vor dem Hype rund um aktuelle Text-zu-Bild-Generatoren. Vor drei Jahren habe er begonnen, die Programmiersprache Python 3 zu lernen und sei dadurch mit rudimentären Werkzeugen zur Bildsynthese in Kontakt gekommen, die bereits faszinierende Formen- und Farbenwelten erzeugen konnten. „Dann kamen DALL-E, Midjourney und Stable Diffusion“, sagt er. „In Letzterem sah ich großes Potential – und ich stürzte mich in das Maschinenlernen, das die ganze Magie möglich macht.“ Er habe viel experimentiert und sei schlussendlich auf die Idee gekommen, dass sich mit dieser Technologie die Geschichte einer Zeitreise erzählen lasse. Die Sprünge durch die Zeit dann auch – in Bildern – umzusetzen, habe sich trotz der magischen Technik als sehr aufwendig und zeitintensiv erwiesen.

Die Chance, dass sofort alles stimmt, ist gleich Null.

Schöpfer von Stelfie

Für jedes Bild entwickle der Künstler ein Konzept mit allen Elementen, die er darin sehen will. Manchmal skizziere er auch eine Szene, die er dann mit Stable Diffusion so gut wie möglich durch seine Prompts – also die Texteingaben – zu konstruieren versucht. „Die Chance, dass sofort alles stimmt, ist gleich Null“, sagt der Digitalkünstler. Es kommen daher mehrere Rohfassungen einer Szene zustande, aus der der Künstler anschließend die Beste auswählt, um damit weiterzuarbeiten. Und das vor allem mit dem sogenannten Inpainting. Dabei können in Bildern mittels KI-Synthese ausgewählte Bereiche manipuliert werden. Es lassen sich Gesichter modifizieren, Objekte einfügen oder entfernen. Das Ergebnis sieht nicht immer harmonisch aus. Mit einem img2img genannten Prozess wird daher die Szenerie eines manipulierten Bildes als neues Bild nochmals geniert. Denn hierbei werden von der KI-Software sowohl Licht, Tiefenschärfe und andere Faktoren für alle Bildelemente neu berechnet.

Für viele der Bilder kommen zumindest zwei bis drei Modelle von Stable Diffusion 1.5 zum Einsatz. Die Basis-Fassung und zwei, die der Künstler mit der Software Dreambooth selbst geschaffen hat. Eine, die er mit Screenshots des in einer 3D-Software gestalteten Stelfie auf das Gesicht des Zeitreisenden trainiert hat. Und eine weitere, die mit zahlreichen Landschaften trainiert wurde. „Ich habe auch das neue Modell ausprobiert“, sagt er nebenbei zum zwischenzeitlich veröffentlichten Stable-Diffusion-2-Modell. „Aber ich bevorzuge das 1.5er Modell, also bleibe ich dabei. Ich habe mich nicht an der Debatte beteiligt, ob es besser oder schlechter ist, aber ich weiß, dass die Community es nicht sehr mag.“

Aus Stelfie könnte mehr werden

Für den Schöpfer des Zeitreisenden Stelfie ist es mit Stable Diffusion aber nicht getan. Auch klassische Bildbearbeitungswerkzeuge wie Photoshop kommen zum Einsatz. Mal, um ganze Bildteile zu manipulieren und neu zu komponieren, die anschließend mit Stable Diffusion erneut verarbeitet werden. Mal für dezente Nachbearbeitungen und Korrekturen von Farbe, Kontrast, Bildausschnitt und Schärfe. „Normalerweise brauche ich für ein Stelfie-Bild so zwischen fünf und 15 Stunden“, sagt der Grafiker und Künstler. Je nach Motiv und der Menge der Bildelemente sei es einfacher oder schwerer, diese mit der KI in der gewünschten Qualität und Kohärenz zu erzeugen.

Die Aufmerksamkeit, die die fiktiven Zeitreisen von Stelfie bekommen, erfreut und ermutigt den Künstler natürlich. Daher hat er auch schon Ideen für Stelfie über die KI-Bilder hinaus. Er arbeite etwa schon an einer Hintergrundgeschichte für den kahlköpfigen Zeitspringer und „werde sie teilen, wenn sie fertig ist“. Auch könne er sich vorstellen, aus Stelfie einen echten Heldencharakter zu formen. „Es gibt viele Möglichkeiten, auf das Konzept aufzubauen“, sagt er. Ein Comic hält er für eine gute Idee.

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Derzeit genieße ich es einfach, mir die Stelfie-Abenteuer auszudenken und als Bilder umzusetzen.

Schöpfer von Stelfie

In naher Zukunft allerdings sieht sein Schöpfer Stelfie erst mal weiterhin im Internet zu Hause. Wobei er hofft, seine Bilder auch irgendwann in einer „physischen Galerie“ ausstellen zu können. Denn: „Derzeit genieße ich es einfach, mir die Stelfie-Abenteuer auszudenken und als Bilder umzusetzen“, sagt der Künstler. „Ich habe es auch nicht eilig [mehr daraus zu machen]. Ich bin sicher, dass sich früher oder später einige gute Gelegenheiten ergeben werden.“ Er sieht in der KI-Kunst eine Revolution, die nicht nur die Kunstwelt umkrempelt, sondern auch neue Möglichkeiten für Kreative eröffnet. „Es wird vieles revolutionieren“, sagt er. „Ich stelle mir schon vor, was in den nächsten fünf Jahren mit der Video- und Filmindustrie passieren könnte.“

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"Sehr witzige Geschichte! Ich habe erst in dieser Woche Midjourney gefunden und bin total weg davon, was das alles kann. Bitte mehr zu dem Thema!"