Ein Fotograf lässt seine Kamera mit der KI DALL-E 2 in „alternative Realitäten“ blicken

Ein Entwickler aus Neuseeland hat ein Programm für seine Kamera geschrieben, das es erlaubt, seine Bilder unmittelbar von einer Künstlichen Intelligenz verändern zu lassen. Das Resultat sind Fotos, die wirken, als würden sie aus einer Parallelwelt stammen. Denn sie scheinen sowohl vertraut als auch fremd.

Von Michael Förtsch

Es ist erst wenige Monate her, dass das Forschungsunternehmen OpenAI seine Künstliche Intelligenz DALL-E 2 enthüllte. Diese wurde entwickelt, um auf einfache Textkommandos hin Bilder zu erzeugen. Und das tut DALL-E 2 mit erstaunlicher Qualität und überwältigender Vielfalt, wie Testnutzer des Systems auf Twitter und Instagram zeigen. Denn DALL-E 2 wurde mit unzähligen Fotos, Grafiken und Kunstwerken trainiert und kann in den Textbefehlen auch einen Kontext ausmachen und Zusammenhänge erkennen. Die KI ist dadurch etwa fähig, ein Bild mit einem Tisch in der Form einer Gitarre zu generieren, das im Stil von Vincent van Gogh gemalt ist. Ebenso kann sie ein annähernd fotorealistisches Bild eines Astronauten hervorbringen, der auf einem Pferd über den Mond reitet.

Einer der derzeit mehreren Tausend verschiedenen Testnutzer ist Nicholas Sherlock aus dem neuseeländischen Dunedin, der als Software-Entwickler und IT-Sicherheitsexperte arbeitet. Daneben ist er ein passionierter Fotograf und nutzt DALL-E 2 nicht nur, um gänzliche neue Bilder zu erzeugen, sondern auch, um bestehende Bilder zu verändern. Wie OpenAI schon bei der Enthüllung von DALL-2 demonstrierte, ist die Künstliche Intelligenz nämlich ebenfalls fähig, bestehende Fotografien und Grafiken auf Ansage hin zu manipulieren. DALL-E 2 kann Objekte entfernen oder einsetzen.

Aber die Künstliche Intelligenz kann hochgeladene Bilder ebenso „iterieren“, also basierend auf einem Motiv weitere ähnliche Motive erzeugen. „Mir ist aufgefallen, dass DALL-E 2 sehr gut darin ist, den Stil des Eingangsbildes zu imitieren“, sagt Sherlock im Gespräch mit 1E9. „Wenn man ihm ein unscharfes Eingangsbild gibt, gibt es auch ein unscharfes Ausgangsbild. Wenn man ihm etwas gibt, das aussieht, als wäre es mit einer Handy-Kamera aufgenommen worden, dann ist es das, was man bekommt.“

Ich wollte mit meiner richtigen Kamera Fotos machen und meine Ergebnisse [von DALL-E 2] direkt vor Ort bekommen, um dann zu entscheiden, was ich als nächstes fotografiere.

Nicholas Sherlock

Der Neuseeländer war fasziniert, aber fragte sich auch, ob sich seine Experimente unmittelbarer und mehr im Sinne echter Fotografie gestalten lassen könnten. „Ich wollte also etwas Besseres, als mit der Smartphone-Kamera meine Bilder zu machen und sie manuell auf die DALL-E-Webseite hochzuladen“, so Sherlock. „Ich wollte mit meiner richtigen Kamera Fotos machen und meine Ergebnisse [von DALL-E 2] direkt vor Ort bekommen, um dann zu entscheiden, was ich als nächstes fotografiere.“ Daher setzte sich der Entwickler an seinen Rechner und entwickelte eine kleine App, die genau das ermöglichen sollte.

Blicke in eine andere Welt?

Gerade einmal zehn Tage habe es von der Idee bis zum fertigen Programm gebraucht, das Nicholas Sherlock auf seine Sony-Alpha-Kamera aufspielte – und das mittlerweile auch auf GitHub für jeden verfügbar ist. Denn die Betriebssysteme zahlreicher Kameras des Herstellers basieren auf dem offenen Betriebssystem Android und seien damit leicht zugänglich und „prädestiniert, um diese Art von Software-Add-on zu unterstützen“, wie Sherlock sagt. Die Funktionsweise der App sei vergleichsweise simpel: Die Kamera wird über ein Smartphone mit dem Internet verbunden. Wird anschließend ein Foto geschossen, wird dieses von der Kamera über das Smartphone über eine Schnittstelle direkt an DALL-E 2 weitergeleitet. Die Künstliche Intelligenz erzeugt dann Varianten des Fotos, die „sofort auf die Kamera zurückgespielt werden, wo du sie betrachten kannst“.

Die KI-Fotos, die Nicholas Sherlock mit dem Programm bisher erzeugte, sind bemerkenswert. Das Bild eines Grabsteins auf einem Friedhof wird von DALL-E 2 erneut in ein Friedhofsbild verwandelt, das jedoch einen Grabstein anderer Form und Größe zeigt. Auf dem Bild eines historischen Gebäudes wandelt sich die Architektur, als ob es in einer anderen Epoche erbaut worden wäre. Und das Foto von einem gelben Food Truck mit einem lachenden Dumpling auf der Seite wird in verschiedene Bilder von ebenso gelben Food Trucks gewandelt, die jedoch mit bizarren Maskottchen und unlesbaren Schriftzügen versehen sind. Die meisten der Originalbilder hat der Neuseeländer mit einem sogenannten Tilt-Shift-Objektiv aufgenommen, das es erlaubt, einen Miniaturlandschaft-Effekt zu erzeugen, was die Ergebnisse umso traumgleicher macht.

Die von der Künstlichen Intelligenz iterierten Fotos, die bei einem Spaziergang durch seine Heimatstadt entstanden, wirken, wie der Entwickler selbst sagt, als stammten sie aus einem „parallelen Universum“. Sie würden einerseits sehr vertraut erscheinen, aber auch auf obskure Weise entfremdet. Entsprechend taufte er seine App Quantum Mirror – nach einem mysteriösen Spiegel, der in einer Folge der TV-Serie Stargate SG-1 vorkommt und der „dich, wenn du hineinschaust, in parallele Welten schauen lässt, die unserer ähneln, aber auch anders sind“.

Werde Mitglied von 1E9!

Hier geht’s um Technologien und Ideen, mit denen wir die Welt besser machen können. Du unterstützt konstruktiven Journalismus statt Streit und Probleme! Als 1E9-Mitglied bekommst du frühen Zugriff auf unsere Inhalte, exklusive Newsletter, Workshops und Events. Vor allem aber wirst du Teil einer Community von Zukunftsoptimisten, die viel voneinander lernen.

Jetzt Mitglied werden!

Vielleicht besser nicht benutzen!

Obwohl Nicholas Sherlock seine Software frei verfügbar macht, möchte er potentielle Nutzer auch warnen. Denn aktuell verstößt diese Nutzung gegen die Geschäftsbedingungen, die OpenAI für DALL-E 2 festgesetzt hat. Sein eigener Zugang zu DALL-E 2 sei daher derzeit leider gesperrt – weshalb er die App auch nicht weiterentwickeln könne. Daher hofft er darauf, dass sich die Nutzungsbedingungen ändern, wenn die Künstliche Intelligenz öffentlich verfügbar wird. Wenn es soweit sei, „plane ich, Quantum Mirror zu aktualisieren, so dass es dann wirklich jeder [mit der passenden Kamera] nutzen kann“.

Dass die App auch für Kameras anderer Hersteller oder Smartphones verfügbar wird, damit rechnet Nicholas Sherlock derzeit nicht. Zumindest habe er selbst keine Pläne, was die Portierung von Quantum Mirror angeht. „Es ist aber wahrscheinlich, dass andere Entwickler ähnliche Kameraprogramme für Android- und iOS-Smartphones entwickeln werden“, sagt er. Sherlock ist überzeugt, dass solche Anwendungen bald schon für jeden nutzbar und verfügbar sind. Und er ist sicher, dass KI-Programme wie DALL-E 2 in Zukunft zu mächtigen Werkzeugen für Fotografen werden, und helfen, neue kreative Wege in der Fotografie und Fotobearbeitung zu erschließen.

Hat dir der Artikel gefallen? Dann freuen wir uns über deine Unterstützung! Werde Mitglied bei 1E9 oder folge uns bei Twitter, Facebook, Instagram oder LinkedIn und verbreite unsere Inhalte weiter. Danke!

Sprich mit Job, dem Bot!

Job, der Bot

War der Artikel hilfreich für dich? Hast du noch Fragen oder Anmerkungen? Ich freue mich, wenn du mir Feedback gibst!

5 „Gefällt mir“

Sehr kreativ!
Seit kurzem habe ich auch einen Testaccount. Wirklich spektakuläre Sachen sind mir noch nicht gelungen, aber das kann ja noch werden :slight_smile:
Ein Stück Software, das deren Schnittstelle nutzt hatte ich auch schon in Erwägung gezogen.

2 „Gefällt mir“

Ganz ehrlich?
Wenn die hier abgebildeten Aufnahmen schon als besonders gelungen gelten sollen, dann kann ich nur sagen: Keine einzige davon hat mich beeindruckt.
Da kommen spektakulärere Ergebnisse zustande, wenn man den UV-Filter vor dem Objektív mit Vaseline behandelt oder wenn man gleich durch einen Flaschenboden fotografiert.
Wenn das alles ist, was eine KI zustande bringt, dann hat sie einen IQ wie ein Meter Feldweg…
Gruß :wink: von Hubert

1 „Gefällt mir“