Bisherige Krebstherapien können schwere Nebenwirkungen haben. Denn sie greifen nicht nur Tumore, sondern auch gesunde Zellen an. Das Münchner Biotechnologie-Start-up Plectonic setzt auf eine Technologie namens DNA-Origami, um das zu ändern. Damit entwickelt es einen molekularen „Schalter“, der Immunzellen gezielt rekrutiert.
Von Wolfgang Kerler
Die Zahl 239.600 verdeutlicht, wie dringend wir wirksame Therapien gegen Krebs brauchen. So viele Menschen starben in Deutschland 2020 an Krebs. Er ist nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache.
Die besten Chancen haben Patienten, wenn Tumore komplett operativ entfernt werden können. Ist das nicht möglich, wird meistens auf zwei Standardtherapien gesetzt: auf Bestrahlung oder Chemotherapie. Doch beide haben ein „Spezifitätsproblem“, sagt Klaus Wagenbauer, einer der Gründer und CEO von Plectonic Biotech, zu 1E9. „Speziell die Chemotherapie funktioniert immer noch nach dem Gießkannenprinzip: Sie tötet zwar Krebszellen, aber eben auch gesunde Zellen.“
Das kann Folgen haben, die im schlimmsten Fall sogar zum Abbruch der Behandlung führen können: Übelkeit, Erbrechen, Müdigkeit oder – gerade bei Chemotherapien – Haarausfall. Zwar hat die Medizin im Laufe der Jahrzehnte Fortschritte gemacht, weshalb die Nebenwirkungen nicht mehr so stark ausfallen. Doch das Problem, dass die zur Therapie eingesetzten Zellgifte und Strahlen auch gesundes Gewebe angreifen, ist bis heute nicht gelöst.
Plectonic will gezielte Immuntherapien möglich machen
Große Hoffnungen werden daher seit etwa 20 Jahren in sogenannte Immuntherapien gesetzt. Die Idee dahinter klingt einfach: „Man möchte das körpereigene Immunsystem nutzen, um Krebszellen zu bekämpfen“, erklärt Klaus Wagenbauer. In der Praxis wird die Sache aber kompliziert, schließlich entsteht Krebs dadurch, dass das Immunsystem Zellen nicht erkennt, die entartet sind, also frei wuchern. Wie also könnte es auf die Krebszellen aufmerksam gemacht werden?
„Aktuelle Ansätze setzen dafür auf bestimmte Antigene“, sagt der Plectonic-CEO. „Aber diese Antigene sind häufig nicht nur auf Krebszellen, sondern auch auf anderen Zellen zu finden. Schon läuft man wieder in das Spezifitätsproblem rein.“ Das bedeutet: Gesunde Zellen werden ebenfalls angegriffen, was wiederum zu Nebenwirkungen führen kann. Um diese drastisch zu verringern, hat Plectonic ein molekulares Konstrukt namens LOGIBODY entwickelt. Es ist nur wenige Nanometer groß und soll wie ein An/Aus-Schalter für das Immunsystem funktionieren.
Die LOGIBODYs können an zwei Seiten an Zellen andocken. Auf der einen Seite der LOGIBODYs sind Antikörper platziert, mit denen sie Tumorzellen identifizieren – und zwar nicht nur anhand einzelner Antigene, sondern anhand eines Musters mehrerer Antigene. „Das ist deutlich spezifischer für Krebszellen als für gesunde Zellen“, sagt Klaus Wagenbauer. Die Treffsicherheit der Therapie ist also deutlich größer.
Haben die LOGIBODYs die Tumorzellen erkannt, binden sie an diese. Dann wird gewissermaßen der Schalter umgelegt: Auf ihrer anderen Seite werden Antikörper aktiviert, die vorher verborgen waren. Diese werden von körpereigenen Immunzellen erkannt. Diese docken ebenfalls an und beginnen ihren Kampf gegen die Krebszelle – ganz gezielt.
„Die LOGIBODYs sollen Patienten gespritzt werden und schwimmen dann im Blut. Stoßen sie auf eine Krebszelle, die das Antigen-Muster enthält, docken sie an und rekrutieren eine Immunzelle“, sagt Klaus Wagenbauer. „Es funktioniert also nach einer Wenn/Dann-Logik, deshalb heißen unsere Schalter auch LOGIBODYs – logic-gated antibodies.“
DNA-Stränge, die sich selbst zu Schaltern, Käfigen oder Motoren falten
Ihren Namen hat sich die Technologie, mit der Plectonic seinen Schalter entwickelt, bei der japanischen Faltkunst Origami geliehen. Beim DNA-Origami wird aber kein Papier gefaltet, sondern Erbgut-Material. Lange DNA-Einzelstränge werden durch kurze Gegenstücke zu doppelsträngigen Strukturen ergänzt – und dabei in die gewünschte Form gebracht. Neben Schaltern wurden auch schon Käfige für Viren, winzige Elektromotoren oder Roboter gefaltet, jeweils nur wenige Nanometer groß.
Für deren Fertigung braucht es keine mikroskopisch kleinen Maschinen. Die Auswahl der richtigen DNA-Sequenzen sorgt dafür, dass sich die Stränge von selbst wie gewünscht falten und anlagern, sobald sie in eine Lösung gegeben werden.
Entwickelt wurde die Technologie 2006 vom amerikanischen Forscher Paul Rothemund. Verschiedene Arbeitsgruppen entwickelten sie in den vergangenen Jahren entscheidend weiter, speziell die Arbeitsgruppe um Hendrik Dietz, Professor für Biomolekulare Nanotechnologie an der Technischen Universität München und Mitgründer der Plectonic. Neben Capsitec und Tilibit gehört nun auch die Plectonic zu den Start-up-Ausgründungen, die daraus inzwischen hervorgegangen sind.
Finanzierung durch die Bundesagentur für Sprunginnovationen
Mit seinen molekularen Schaltern verfolgt Plectonic einen völlig neuen Ansatz. Es dürfte also einige Jahre dauern, bis sie tatsächlich zum Einsatz kommen. Außerdem ist ein Erfolg – auch angesichts der umfangreichen Zulassungsverfahren – nicht garantiert. Klassische Wagniskapitalinvestoren fielen für Plectonic damit als Geldgeber aus. „Der Weg ist noch weit, die Kosten sind hoch“, sagt Klaus Wagenbauer. „Für so etwas sind gerade europäische Venture-Capital-Fonds leider noch oft zu risikoavers.“ Amerikanische Investoren wären eine Alternative gewesen, sagt der Firmengründer. „Doch wir wollen das unbedingt in Deutschland machen.“
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Jetzt Mitglied werden!Möglich wird das nun dank der vor drei Jahren gegründeten Bundesagentur für Sprunginnovationen, kurz: SPRIND, die die Arbeit von Plectonic in den kommenden Jahren mit einem Darlehen finanziert. Die Agentur hat die Aufgabe, revolutionäre Technologien durch das berüchtigte „Tal des Todes“ zwischen Grundlagenforschung und Marktreife zu begleiten, in dem sich bisher kaum Geldgeber finden lassen. „Das ist optimal für Deep-Tech-Ausgründungen aus Universitäten wie Plectonic“, sagt Klaus Wagenbauer. „Unsere grundlegende Technologie ist entwickelt, aber der Weg zum nächsten Meilenstein ist noch recht weit.“
Das Start-up hat sich zum Ziel gesetzt, in fünf Jahren eine erste klinische Studie zu starten – mit molekularen Schaltern zur Behandlung von Blutkrebs. Parallel sollen zusammen mit Pharmaunternehmen LOGIBODYs der nächsten Generation entwickelt werden. Läuft alles nach Plan will Plectonic dann auch an Molekülen gegen solide Tumore arbeiten, zum Beispiel gegen Brust- oder Prostatakrebs. „Ich hoffe, dass wir mit unserer Technologie einen Beitrag dazu leisten können, dass man bestimmte Krebsarten in Zukunft sehr gut therapieren kann“, sagt Klaus Wagenbauer.
Langfristig will Plectonic das ganze Potential der Plattformtechnologie ausschöpfen. Denn mit den DNA-basierten Molekülen könnten sich auch viele anderen Krankheiten, zum Beispiel Autoimmunerkrankungen, behandeln lassen. „Es ist unser Traum, manche Krankheiten auszuradieren.“
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Titelbild: Shutterstock
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