Wozu noch auf Links klicken, wenn KI-Suchmaschinen wie Perplexity Fragen kompakt und verständlich beantworten? Dieser Gedanke verschreckt Medienhäuser weltweit. Denn sie brauchen „Traffic“ von Google, also Klicks, um Werbeeinnahmen zu generieren oder potenzielle Abonnenten auf ihre Webseiten zu locken. Was würde es für die Zukunft des Journalismus bedeuten, wenn KI den Userstrom von Suchmaschinen versiegen lässt?
Von Wolfgang Kerler
Wie bist du auf diesen Artikel aufmerksam geworden? Bist du selbst auf die Startseite von 1E9 gesurft und hast ihn dort entdeckt? Kommst du von News-Aggregatoren wie Flipboard oder Google News zu uns? Über eine klassische Internetsuche? Oder über einen Post bei Social Media?
Für dich mag das keine große Rolle spielen, für uns schon – und anderen Redaktionen geht es nicht anders. Denn der beste Journalismus nützt nichts, wenn Leserinnen und Leser ihn nirgends entdecken. Medienhäuser müssen mit ihren Inhalten überall präsent sein: Sie posten sie bei Facebook, LinkedIn und Instagram, sie optimieren sie für die klassische Google-Suche, sie beliefern mit ihren Feeds Dienste wie Flipboard, Pocket oder Google News. Und warum? Weil ihnen kaum eine andere Wahl bleibt.
Egal, welches Geschäftsmodell digitale Medien verfolgen – ob sie eher auf den Verkauf digitaler Abos beziehungsweise Mitgliedschaften setzen oder auf Werbeerlöse –, sie brauchen eine gewisse Reichweite: Wer nicht auf ihre Inhalte stößt, kann kein Abo abschließen. Und Unternehmen zahlen nicht für Werbeanzeigen, die niemand sieht. Selbst öffentlich-rechtliche Angebote, die über Gebühren finanziert werden, wollen möglichst viele Menschen erreichen: Die Öffentlichkeit hat die Inhalte bezahlt, sollte sie also bequem überall finden und nutzen können.
In den 2010er-Jahren war es kein Problem, übers Internet immer mehr Menschen zu erreichen. Im Gegenteil. Traditionsmedien, die in der Ära gedruckter Zeitungen und Magazine ordentliche Auflagen erzielten, konnten ihre Reichweite im Web vervielfachen. Vor allem Facebook und Google bescherten Medien ein Millionenpublikum – und konnten ihren Usern im Gegenzug interessante Inhalte anbieten. Doch diese Zeiten scheinen vorbei.
Auf Facebook ist schon lange kein Verlass mehr. Folgt jetzt Google?
Vor allem Meta, der Konzern hinter Facebook und Instagram, verlor in den vergangenen Jahren das Interesse an journalistischen Inhalten. Wer auf Links zu Artikel klickt, verlässt die Meta-Plattformen. Das ist schlecht fürs eigene Geschäft mit Aufmerksamkeit und Werbung. Außerdem dreht sich Journalismus oft um Politik. Und politische Debatten auf Facebook… schwierig.
Wurden Medienhäuser anfangs von Meta auf die eigenen Plattformen gelockt, werden ihre Inhalte inzwischen von den Algorithmen des Internetkonzerns stiefmütterlich behandelt. Sie bekommen weniger Sichtbarkeit in den Timelines der User als private Fotos oder Videos. Auf das Geschäft von Medienanbietern, die sich auf möglichst virale Inhalte für Social Media spezialisierten, hatte das dramatische Auswirkungen. So musste BuzzFeed auch deshalb viel Personal entlassen, Vice gar Insolvenz anmelden.
Google erschien dagegen als Fels in der Brandung – und entwickelte sich zur wichtigsten Traffic-Quelle der Medien. Je nach Erhebung und Region wird Google für etwa 30 bis 60 Prozent ihrer Reichweite verantwortlich gemacht. Und trotz der immer wieder aufkommenden Streitigkeiten um Ausgleichszahlungen für die paar Zeilen Vorschautext, die Google unter den Links zu Artikeln oder Webseiten anzeigt, – Stichwort: Leistungsschutzrecht – profitierten beide Seiten lange von der Kooperation.
Nun bekommt es Google allerdings mit neuen Konkurrenten zu tun – und reagiert. Mit dem Aufkommen generativer Künstlicher Intelligenz auf Basis großer Sprachmodelle wurden nicht nur KI-Chatbots wie ChatGPT oder Googles eigener Dienst Gemini möglich. Es entstand auch eine neue Generation von KI-Suchmaschinen, mit Perplexity als bekanntestem Newcomer.
Wer bei Perplexity, You.com oder PHIND eine Suchanfrage stellt, bekommt nicht etwa einen kurzen Infokasten mit Auszügen aus Wikipedia und darunter eine Liste von Links wie bei Google, sondern eine konkrete Antwort in Form eines KI-generierten Texts. Quellen werden meist verlinkt, Nachfragen sind möglich und die KI-Suchmaschinen können Antworten auf Wunsch ausführlicher oder einfacher formulieren. Dadurch ergeben sich für User praktische Möglichkeiten, um Informationen zu erhalten oder Themen zu erschließen.
Um keine Nutzer an aufstrebende Mitbewerber zu verlieren, zog Google inzwischen nach. Im Mai wurde Googles klassische Internetsuche um eine Funktion namens AI Overviews erweitert, zunächst in den USA. Andere Regionen folgen. Bei einigen Suchanfragen wird seitdem – wie bei Perplexity und Co. – eine konkrete Antwort in Form eines Textes generiert, der vor den herkömmlichen Suchergebnissen eingeblendet wird. Dahinter steckt Googles eigene Sprach-KI Gemini.
Schon die Testphase der AI Overviews, damals noch unter dem Arbeitstitel Search Generative Experience, sorgte in Teilen der Medienbranche für Entsetzen. In einem Artikel des Wall Street Journals vom Dezember 2023 war vom „Traffic-ruinierenden Albtraum“ die Rede. Im Mai 2024, als die AI Overviews in den USA ausgerollt wurden, sagte Danielle Coffey, die Präsidentin des US-Verlegerverbands News/Media Alliance: „Das wird sich katastrophal auf unseren Traffic auswirken.“ Sind die Sorgen berechtigt?
KI könnte zu noch mehr Zero Click Searches führen
Schon jetzt führt mehr als die Hälfte der Google-Suchanfragen nicht zu einem Klick auf einen Link, weil die Frage, zum Beispiel durch die bekannten Infokästen, bereits beantwortet ist. Durch die AI Overviews – beziehungsweise generell durch die neuen KI-Suchmaschinen – könnte der Anteil dieser „Zero-Click-Searches“ weiter zunehmen. Das Marktforschungsunternehmen Gartner erwartet bis 2025 einen Einbruch des gesamten SEO-Traffics zu externen Webseiten um 25 Prozent. In der Medienwelt selbst wird laut Wall Street Journal mit 20 bis 40 Prozent weniger Klicks von Google gerechnet.
Weniger Traffic heißt für die finanziell ohnehin angeschlagene Medienbranche weniger Geld, da Werbeeinnahmen sinken und weniger mögliche Abonnenten erreicht werden. Die Frage ist allerdings, wie dramatisch der Einbruch tatsächlich ausfallen wird. Google selbst hält Panik für übertrieben. In einem Interview mit The Verge sprach Google-Chef Sundar Pichai von einem „symbiotischen Ökosystem“ aus den Produzenten einzigartiger und nützlicher Inhalte sowie Google. Nach Liebesentzug klang das nicht.
Der zusätzliche Kontext, den die AI Overviews lieferten, führte laut Pinchai dazu, dass sich User verstärkt mit dem zugrundeliegenden Content beschäftigten. „Platziert man Inhalte und Links innerhalb der AI Overviews, erhalten sie höhere Klickraten, als wenn diese außerhalb der AI Overviews platziert werden“, so Pinchai.
Die deutsche Medienbranche denkt bislang ebenfalls noch nicht in Untergangsszenarien. Bei einer Gesprächsrunde des Mediennetzwerks Bayern, die ich Ende Juli 2024 moderieren durfte, wollte ich von den Rednern wissen, wie beunruhigt sie angesichts neuer KI-Suchmaschinen auf einer Skala von 1 bis 10 – entspannt bis panisch – sind. Dabei waren Speaker von drei großen Medienhäusern, Ippen, Funke und BR, sowie einer Agentur, die auf Suchmaschinenoptimierung spezialisiert ist. Ihr Mittelwert: 4, also eher gelassen.
Warum? Einerseits weil die klassische Google-Suche längst nur noch einen Teil des Traffics von Google ausmacht. In den vergangenen Jahren hat Google Discover für Medien an Bedeutung gewonnen. Dabei handelt es sich um einen personalisierten Nachrichten-Feed, den Nutzer per App auf ihr Smartphone bekommen. Mit der Suchmaschine hat das nur am Rande zu tun.
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Jetzt Mitglied werden!Andererseits kommt die Gelassenheit auch daher, dass noch nicht absehbar ist, in welchem Umfang Google seine AI Overviews tatsächlich in die klassische Suche integriert. Wirklich bei allen Anfragen? Schon kurz nach dem US-Start der Overviews schien Google deren Integration wieder zurückzuschrauben, da das KI-Tool mit denselben Problemen zu kämpfen hat wie Mitbewerber und KI-Chatbots wie ChatGPT: Halluzinationen und die Weitergabe von Falschinformationen.
So übernahmen die AI Overviews fast wortwörtlich teils amüsante, teils gefährliche Passagen von Reddit, in denen scherzhaft geraten wurde, Klebstoff in Pizzasoße zu geben oder täglich einen Stein zu verschlucken. Einem Start-up werden solche Fehler eher verziehen als einem Weltmarktführer wie Google.
KI-Unternehmen brauchen gute Inhalte von Medienhäusern
Dennoch müssen sich Medienhäuser auf Veränderungen einstellen – denn KI wird die Internetsuche umkrempeln. Der alte Deal, kurze Vorschautexte aus Artikeln, die in den Suchergebnissen angezeigt werden können, gegen Traffic von Google, wird nicht mehr für alle aufgehen.
„Wenn Suchmaschinen [per KI] immer längere Antworten oder ganze Artikel produzieren, bricht dieses Modell zusammen“, meint Ole Reissmann, Head of AI des Spiegel, der als Redner beim Festival der Zukunft von 1E9 und Deutschem Museum dabei war. „Für manche Website-Betreiber und Publisher könnte es keinen Anreiz mehr geben, ihre Inhalte von Suchmaschinen indexieren zu lassen oder Bots Zugriff zu gewähren.“ Für andere könnte die Entwicklung sogar das Aus bedeuten.
Dennoch sieht Ole Reissmann die Chance neuer Partnerschaften und Übereinkommen, um auch zukünftig hochwertige Inhalte im Netz anbieten zu können. Schließlich stehen die Medienhäuser nicht mit leeren Händen da.
Denn die Anbieter von KI-Chatbots und KI-Suchmaschinen sind auf hochwertige und korrekte Inhalte angewiesen, um ihre Modelle zu trainieren und Nutzern aktuelle Informationen liefern zu können. Eine der wichtigsten Quellen dafür? Der urheberrechtlich geschützte Content von Medienhäusern. In der Vergangenheit wurden diese Inhalte womöglich ungefragt – und ohne Vergütung – genutzt, um große Sprachmodelle zu entwickeln.
Die New York Times wirft OpenAI und Microsoft vor, unerlaubt auf Millionen von Artikeln zugegriffen zu haben, und reichte daher Ende 2023 Klage gegen die Tech-Unternehmen ein. Später zogen weitere Medien vor Gericht. Die Urteile in diesen Prozessen dürften für das künftige Kräfteverhältnis zwischen KI-Unternehmen und Verlagen entscheidend sein.
In der Zwischenzeit haben Medien – und andere Webseitenbetreiber – bereits technische Möglichkeiten, um KI-Chatbots oder -Suchmaschinen anbieten den Zugriff auf ihre Inhalte zu verwehren: Über einen entsprechenden Eintrag in der Datei „robots.txt“, die im Hauptverzeichnis einer Webseite liegt, kann Crawlern von OpenAI, Google oder Perplexity verboten werden, auf bestimmte Bereiche oder die ganze Seite zuzugreifen. Medienhäuser wie Süddeutsche Zeitung, FAZ oder Die Zeit machten von dieser Möglichkeit in Bezug auf OpenAI früh Gebrauch.
Medien können also den Zugriff auf ihre Inhalte bis zu einem gewissen Grad kontrollieren – was ihre Position gegenüber KI-Unternehmen stärkt. Daraus lassen sich neue Erlöse generieren, zum Beispiel über Partnerschaften. Als Vorreiter positionierte sich hier der deutsche Axel Springer Verlag, der Ende 2023 eine Partnerschaft mit OpenAI verkündete.
Springer darf seitdem OpenAI-Technolgie nutzen und erhalt wohl mehrere Millionen Euro pro Jahr, dafür darf OpenAI Inhalte von Politico, Business Insider, BILD oder Welt nutzen, um KI-Modelle zu trainieren und User mit aktuellen Informationen zu versorgen. Andere Medien folgten diesem Beispiel. KI-Suchmaschinen können also zu neuen Einnahmequellen führen.
Der direkte Draht zum Publikum wird wichtiger
Wie viel Geld mit solchen Partnerschaften verdient werden kann und wie sehr sich das Nutzerverhalten durch KI-Suchmaschinen verändert, lässt sich noch nicht absehen. Sollten Medienhäuser also erstmal abwarten? Eher nicht.
Wollen sie unabhängiger von Google, OpenAI, aber auch Meta werden, sollten sie aus Sicht von Experten wie dem Medienanalysten Thomas Baekdal ohnehin ihre Strategie ändern: Anstatt primär auf maximale Reichweiten über große Plattformen, die sie kaum beeinflussen können, zu setzen, sollten sie direkte Verbindungen zur eigenen Zielgruppe aufbauen. Und wie? Mit relevanteren Inhalten, besseren eigenen Webseiten, Newslettern, Podcasts und anderen Kanälen, die sie selbst kontrollieren können.
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