Warum eine japanische Firma die Welt mit flauschigen und niedlichen Robotern versorgen will

Ein pelziger Roboter, der aussieht wie eine Katze ohne Kopf, machte die japanische Firma Yukai Engineering weltweit bekannt. Deren Produkte sind allerdings nicht als Gag gedacht, sondern sollen den Menschen als niedliche Unterstützer zur Seite stehen. Im Interview mit unserem Partner J-BIG verrät Shunsuke Aoki, der CEO und Gründer von Yukai Engineering, wie er sich eine Zukunft vorstellt, in der Menschen und Roboter immer enger zusammenleben.

Von Björn Eichstädt und Nina Blagojevic

Shunsuke Aoki aus Tokio liebt Technik, Plüschtiere und die skurrilen Kreaturen aus den Anime-Filmen von Studio Ghibli, das hierzulande besonders durch Chihiros Reise ins Zauberland oder auch Prinzessin Monokoke bekannt wurde. Kein Wunder also, dass er mit Yukai Engineering die vielleicht ungewöhnlichste Robotikfirma der Welt gründete.

J-BIG: Was ist die Idee hinter Yukai Engineering?

Shunsuke Aoki: „Yukai“ bedeutet wörtlich übersetzt „glücklich“ oder „angenehm“ – und das ist auch der Leitgedanke dieses Unternehmens. Einerseits wollten wir einen Ort schaffen, an dem Ingenieure sich wohl fühlen, sich geistig entfalten und immer wieder die Freude erleben können, die mit dem Erschaffen von etwas Neuem einhergeht. Zugleich ist es uns sehr wichtig, dass die Produkte unseren Kunden Freude bereiten. Wir kreieren niedliche Roboter, die hilfreiche Aufgaben erfüllen und gleichzeitig das Leben der Menschen bereichern.

Wie sind Sie ausgerechnet darauf gekommen?

Shunsuke Aoki: Vor meiner Zeit bei Yukai Engineering gründete ich mit vier meiner Uni-Kollegen das digitale Kunstkollektiv teamLab. Das war vor etwa 20 Jahren. Heute ist teamLab für seine digitalen, kollaborativen Kunstprojekte bekannt. Ich war dort etwa sieben Jahre lang als CTO an Bord.

Ein Schlüsselmoment für die Entstehung von Yukai Engineering war dann der Besuch einer japanischen Messe im Jahr 2005: Mir fielen die vielen ausgestellten innovativen Roboter ins Auge. Von großen Unternehmen wie Sony und Toyota, aber auch von Start-ups, die mir bis dato völlig unbekannt waren. Für mich war das ein echter Augenöffner. Ich hatte immer angenommen, dass nur große Unternehmen Roboter bauen können. Als ich nun diese Start-ups sah, die ihre ganz eigenen Roboter präsentierten, dachte ich: Das ist genau das, was ich auch machen will. Ich hatte zwar keinerlei Hintergrund in Robotik, aber die Projekte, die ich sah, inspirierten mich. Im Jahr 2007 verließ ich teamLab gemeinsam mit einem Kollegen, der damals Robotik studierte, und wir gründeten Yukai Engineering – als Einzelpersonenunternehmen. Zu dieser Zeit entstanden gerade auch einige Open-Source-Hardware- und Software-Projekte, das Timing erschien uns daher besonders günstig. Alles kam irgendwie perfekt zusammen.

Wie hat sich das Unternehmen seitdem entwickelt?

Shunsuke Aoki: Anfangs bekamen wir einige Fördergelder von der Regierung und führten etwa drei Jahre lang Forschungsprojekte durch. Wir hatten zunächst nicht viele Investoren und konzentrierten uns in der Folge auf Beratungsprojekte, um das Geschäft organisch wachsen zu lassen. An unseren eigenen Produkten arbeiteten wir in unserer Freizeit, während wir IoT- oder Robotik-Produkte für Kunden wie BenQ, NTT oder Softbank entwickelten.

Zu Beginn hatten wir noch gar keine klare Vorstellung davon, in welche Richtung wir das Unternehmen entwickeln wollten. Aber wir beide lieben Anime-Filme mit flauschigen Kreaturen, zum Beispiel Mein Nachbar Totoro , und niedliche Dinge im Allgemeinen. Als Kind bin ich mit einer Menge Stofftieren aufgewachsen – ich erinnere mich noch genau an ein wunderschönes Plüsch-Kaninchen, das mein Vater von einer Geschäftsreise nach Westdeutschland mitbrachte. Also beschlossen wir, dass wir in irgendeiner Form niedliche Roboter erschaffen wollten. Das erste Ergebnis war 2011 „Necomimi“, plüschige Katzenohren, die durch die Gehirnwellen des Trägers gesteuert werden.

Warum sollte die Welt niedliche Roboter brauchen?

Shunsuke Aoki: Ich glaube, im Westen werden Roboter oft als etwas Furchteinflößendes dargestellt – man denke nur an Filme wie Terminator oder A.I.: Artificial Intelligence. In Japan haben wir eine andere Tradition. Mangas wie Astro Boy zeigen Roboter als freundliche Kreaturen, die mit den Menschen kooperieren und sie auf ihrem Weg ins Glück unterstützen. Es ist diese Art von Roboter, die uns vorschwebt – ein Roboter, der den Menschen hilft und außerdem putzig und liebenswert ist.

In Zukunft wird es meines Erachtens immer mehr Interaktion zwischen Menschen und Robotern geben. Unsere Roboter, wie der flauschige Qoobo oder der gesprächige BOCCO, haben jeweils unterschiedliche Funktionen, aber sie alle kooperieren mit Menschen und versuchen, deren Leben besser oder glücklicher zu machen. Große Ziele wie Gesundheit oder das Erlernen einer Fremdsprache alleine zu erreichen, ist sehr mühsam. Aber alles wird viel einfacher, wenn man einen Begleiter hat, der einen unterstützt und anleitet.

Wie helfen Ihre Roboter Menschen denn dabei, ihre Ziele zu erreichen?

Shunsuke Aoki: Das hängt vom jeweiligen Produkt ab. Unser erster echter Roboter-Helfer kam 2015 auf den Markt. BOCCO ist dazu gedacht, Familien in ihrem Zuhause zu unterstützen. Familienmitglieder können mit ihm zum Beispiel im Vorfeld aufgezeichnete Nachrichten austauschen oder sich gegenseitig Erinnerungen schicken. Außerdem ist er mit einer Reihe von Bluetooth-Sensoren ausgestattet, die verschiedene Aktivitäten im Haus überwachen – das Öffnen der Haustür, zum Beispiel, oder Bewegungen in bestimmten Bereichen des Hauses.

Wir haben dieses Produkt mit Blick auf vielbeschäftigte Eltern entwickelt; in Japan eine sehr häufige Situation. Aber in Zeiten von Corona, wo wir alle gezwungen sind, zu Hause zu bleiben, sehen wir auch einen anderen Anwendungsfall, mit dem wir gar nicht gerechnet hatten: Viele ältere Japaner werden zu Hause von ihren Kindern gepflegt. Das ist durch die Pandemie sehr schwierig geworden, und gerade Senioren, die vielleicht nicht so gut mit Smartphones umgehen können, sind teilweise stark isoliert. Durch BOCCO können sie trotz allem mit ihren Angehörigen kommunizieren und ihre Kinder können mögliche Probleme im Blick behalten, ohne die Eltern rund um die Uhr kontrollieren zu müssen. Wenn ein Bewegungssensor in der Küche aktiviert wird, bedeutet das wohl, dass Oma auf den Beinen ist und auch nicht vergisst, etwas zu essen. BOCCO kann auch seine Besitzer daran erinnern, ihre Medikamente einzunehmen – eine heikle Aufgabe, die mitunter zu Konflikten führen kann, wenn sie von einer Pflegekraft oder einem Angehörigen übernommen wird.

Einer Ihrer Bestseller ist Qoobo, ein Produkt, das man vielleicht am treffendsten als ein Kissen mit einem flauschigen, beweglichen Schwanz oder als eine kopflose Katze beschreiben könnte. Für viele Europäer ein ziemlich skurriles Konzept – welcher Gedanke steckt dahinter?

Shunsuke Aoki: Wir veranstalten jedes Jahr einen internen Design-Wettbewerb, an dem alle Mitarbeiter teilnehmen – nicht nur Designer und Ingenieure, sondern auch Vertriebsmitarbeiter oder Verwaltungsangestellte. Jedes Team präsentiert eine Produktidee, idealerweise mit einem funktionierenden Prototyp. 2017 war Qoobo das Siegerdesign dieses Wettbewerbs.

Eine weiche und kuschelige Kreatur, bei dem man sich keine Sorgen machen muss, sie allein zu Hause zu lassen.

Die Designerin, von der die Idee stammt, kommt aus Hokkaido und wuchs dort mit mehr als 10 Hunden auf. Als sie nach ihrem Schulabschluss nach Tokyo zog, wurde es jedoch sehr schwierig, einen Hund oder auch ein anderes Haustier zu halten. Es gibt nicht viele Wohnungen, in denen Katzen oder Hunde erlaubt sind, und vor allem Menschen, die alleine leben, finden kaum die Zeit, sich richtig um ein Tier zu kümmern.

Wie diese Designerin wünschen sich viele Menschen aber dennoch etwas, das sie kuscheln und streicheln können, wenn sie von einem langen Arbeitstag nach Hause kommen. Dieses Dilemma wollen wir mit Qoobo lösen: Eine weiche und kuschelige Kreatur, bei dem man sich keine Sorgen machen muss, sie allein zu Hause zu lassen. Es ist im Grunde ein sehr pflegeleichtes Haustier. Dieses Konzept hat viel Anklang gefunden.

Inzwischen gibt es eine zweite Generation des Qoobo, den Petit Qoobo. Wie unterscheidet er sich vom Original?

Shunsuke Aoki: Zunächst einmal ist er kleiner als der erste Qoobo; unsere Kunden haben nun also eine größere Auswahl. Aber wir haben auch den Antriebsmechanismus überarbeitet, damit Petit Qoobo etwas leiser ist, wenn er mit dem Schwanz wedelt. Das neuere Modell verfügt außerdem über ein eingebautes Mikrofon und kann dadurch auf Umgebungsgeräusche reagieren. Und es hat einen leichten Herzschlag, der sehr beruhigend wirkt. Für welche Version man sich entscheidet, ist letztlich eine Frage des persönlichen Geschmacks, aber manche Kunden haben sogar mehrere Qoobos in ihrem Haushalt – eine richtige Familie aus niedlichen Robotern.

Es gibt auch eine zweite Generation von BOCCO, den BOCCO emo. Welche Neuerungen können die Nutzer hier erwarten?

Shunsuke Aoki: Der neue BOCCO sieht ganz anders aus als sein älteres Geschwisterchen – während der erste BOCCO eher eckig und kastenförmig ist, ist die neue Version viel runder und erinnert an einen Schneemann. Er verfügt über Spracherkennung, wodurch man BOCCO zum Beispiel nach dem Wetter fragen kann, und er reagiert stärker auf die Nutzer und ihr Verhalten. Sie können BOCCO bitten, mit seiner Antenne zu wedeln, und wenn er von der Seite oder von hinten angesprochen wird, dreht er sich in die Richtung des Sprechers. BOCCO emo hat außerdem leuchtende Wangen – insgesamt finde ich, dass er sehr niedlichen geworden ist und eine tolle Ergänzung für unsere Yukai-Familie darstellt.

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Sie haben auch einen Robotik-Baukasten für Kinder im Sortiment. Wie passt das zur Idee von niedlichen Robotern?

Shunsuke Aoki: Den Roboter-Baukasten Create-a-Critter Robot Kit haben wir 2019 auf den Markt gebracht. Das Projekt begann als eine Zusammenarbeit mit NHK, der nationalen Rundfunkanstalt in Japan. Sie veranstaltet jedes Jahr einen großen Robotik-Wettbewerb für Schüler und junge Studenten. Er ist sehr populär, und das Finale wird im nationalen Fernsehen übertragen.

Einige unserer Ingenieure haben als Studenten selbst an diesem Wettbewerb teilgenommen und gemeinsam mit NHK die Idee diskutiert, den Wettbewerb auch für Grundschüler auszurichten. Dafür haben wir gemeinsam einen offiziellen Baukasten entwickelt, mit dem die Kinder ihre eigenen kleinen Roboter-Kreaturen bauen können.

Wir wollen, dass die Kinder ihrer Fantasie freien Lauf lassen können.

Ein entscheidender Aspekt ist dabei allerdings, dass es keine Anleitung gibt und keine „richtige“ Art und Weise, die Bestandteilen des Baukastens zu einem Roboter zusammenzubauen. Wir wollen, dass die Kinder ihrer Fantasie freien Lauf lassen können und sich nicht an einen Schritt-für-Schritt-Plan gebunden fühlen. Die Materialen im Critter-Baukasten reichen an sich aus, um einen funktionierenden Roboter zu bauen, aber sie können auch um eine beliebige Anzahl von zusätzlichen Elementen ergänzt werden. So können die Nachwuchs-Ingenieure etwas völlig Neues und Eigenes schaffen, das allein ihrer Fantasie entspringt. Und die Einreichungen, die wir für den Grundschulwettbewerb erhalten, zeigen, dass dieses Konzept aufgeht.

Das ist auch der Grund, warum wir den Bausatz außerhalb des Wettbewerbs zur Verfügung stellen. So können möglichst viele Kinder entdecken, wie viel Freude es machen kann, Neues zu lernen und etwas Eigenes zu erschaffen.

Das Produkt soll also dazu beitragen, die nächste Generation von Ingenieuren zu inspirieren?

Shunsuke Aoki: Ja, das hoffe ich. In den letzten Jahren ist die MINT-Ausbildung in Japan zu einem Schwerpunkt im Bildungswesen geworden und Software-Engineering oder Robotik werden immer mehr zu Pflichtfächern. Aber wir alle wissen, wie qualvoll es ein kann, etwas Neues auf eine sehr eng definierte Art und Weise lernen zu müssen – ich denke immer noch mit Grauen an die Klavierstunden meiner Kindheit zurück.

Unser Critter-Kit ist anders, weil es nicht vorschreibt, wie etwas gelernt oder gebaut werden muss – wir liefern einfach ein paar erste Hilfsmittel und leisten quasi Starthilfe. Es ist erstaunlich, was Kinder erschaffen können, wenn man ihnen ein paar Werkzeuge an die Hand gibt und ihrem Erfindungsgeist freien Lauf lässt.

Sind diese Kreaturen nur in Japan erhältlich oder können auch 1E9-Leser sie in die Hände bekommen?

Shunsuke Aoki: Der originale Qoobo ist derzeit auch in den Vereinigten Staaten, Hongkong, Taiwan und China erhältlich. Für Europa arbeiten wir mit einem Online-Vertriebspartner in der Tschechischen Republik zusammen und wir kooperieren auch mit Amazon UK. Wahrscheinlich werden Sie Qoobo dort recht bald finden können. Insgesamt haben wir bis heute rund 20.000 Exemplare des ursprünglichen Qoobo und rund 5.000 der neuen Generation verkauft – letzteres in nur drei Monaten.

Bei BOCCO sind die Spracheinstellungen nur auf Englisch und Japanisch verfügbar, deshalb ist er derzeit nur in Japan und den Vereinigten Staaten erhältlich. Von der ersten Generation haben wir rund 10.000 Stückausgeliefert, der BOCCO emo wurde bisher rund 2.000-mal verkauft.

Wird Ihrer Roboterfamilie noch weiteren Zuwachs bekommen?

Shunsuke Aoki: In diesem Jahr werden wir uns wahrscheinlich stärker auf Software-Updates und neue Funktionen konzentrieren. Wir planen zum Beispiel eine Funktion, die es BOCCO erlaubt, mit Menschen zu sprechen. Beispielsweise könnte er älteren Menschen einmal im Monat die gleiche Frage stellen und durch die Analyse der Antworten kognitiven Probleme frühzeitig feststellen.

Ergänzungen wie diese sind im Moment unser Hauptaugenmerk, aber ich bin sicher, dass die Yukai-Familie der flauschigen und niedlichen Kreaturen in naher Zukunft neue Mitglieder bekommen wird.

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Titelbild: Yukai Engineering

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