Warum fällt es den Menschen im Westen oft so schwer, Roboter ins Herz zu schließen? Vermutlich liegt das nicht nur an der Angst vor den Jobverlusten durch Automatisierung oder Künstliche Intelligenz. Nein, der Grusel vor Robotern ist aus Sicht einer australischen Wissenschaftlerin tief in der westlichen Kultur verankert. In Japan ist das ganz anders.
Von Wilson da Silva
Während Roboter und ihre Vorläufer in westlichen Ländern wie Deutschland eher der Stoff für Gruselgeschichten waren und sind, werden sie von vielen Menschen in Japan fast schon verehrt. „Sie sind so sehr Teil ihrer Geschichte, dass sie sie nie in dem negativen Licht gesehen haben, in dem die Menschen im Westen sie sehen“, sagt Professor Angela Ndalianis. Sie ist die Direktorin des Zentrums für Transformative Medientechnologien an der Swinburne University in Melbourne, Australien. „[Roboter] gehören zu ihrer Theatertradition, ihrer Kunsttradition und sind sehr stark in der Gesellschaft verankert.”
Sie begründet das mit Japans langer Tradition von Karakuri, also mechanischen Marionetten und Uhrwerkautomaten, die im 17. Jahrhundert populär wurden – obwohl ihre Vorläufer sogar bis in die 1420er Jahre zurückreichen. Schon damals wurden Karakuri, was wörtlich so viel wie „Mechanismus“ oder „Trick“ bedeutet, in den Wagen von Festumzügen verwendet. Sie tanzten darauf oder läuteten mit Glocken. Ab den 1820er Jahren waren sie dann sogar bei religiösen Feierlichkeiten weit verbreitet. Mit Karakuri wurden traditionelle Mythen nachgestellt und Legenden aufgeführt, was wiederum das japanische Theater stark beeinflusste.
Ein Karakuri aus dem 19. Jahrhundert, das Tee serviert, mit enthülltem Mechanismus. Bild: Nationales Museum für Natur und Wissenschaft, Tokio
Im Westen: Frankenstein und Replikanten, in Japan: AIBO
Im Westen sieht die Sache ganz anders aus. Dort hat die Furcht vor „verbotenem Wissen“ eine lange Tradition. Vor den Gefahren menschlicher Hybris, die oft zum Untergang der Großen führt, wird seit Jahrtausenden gewarnt. Von griechischen Mythen wie Prometheus und Ödipus bis hin zur Bibel ist die jüdisch-christliche Tradition mit Beispielen dafür geradezu übersät.
Für den Durchbruch des unheimlichen, vom Menschen geschaffenen Wesens sorgte dann Mary Shelleys Frankenstein im 19. Jahrhundert. Dem Klassiker folgten Tausende von ähnlichen Handlungssträngen in Literatur und Kino. Von den schurkischen Replikanten in Blade Runner bis hin zu den Hausangestellten in I, Robot, die schließlich die Welt übernehmen sollen.
Ironischerweise, so Ndalianis, sei es allerdings die Einführung mechanischer Uhren durch europäische Missionare im 16. Jahrhundert gewesen, die Japans Faszination für alles, was mit Robotern zu tun hat, beschleunigt habe. Mithilfe der neuen Techniken wurden Karakuri immer komplizierter, meist aus Walknochen und Holz, aber auch aus Metallteilen gefertigt. „Doch sie wurden immer als etwas Positives gesehen, weil sie ein Teil der Kultur waren“, sagt die Forscherin.
Heute gibt es in Japan eine Fülle von Robotern: humanoide Unterhaltungsroboter wie Hondas ASIMO und Sonys QRIO, tierähnliche Haustierroboter wie Sonys AIBO, Hanako-Androiden für die Ausbildung von Zahnärzten, Wachroboter wie Sanyos Banryu oder automatisierte Rollstühle wie Toyotas dreirädriger i-REAL-Roboter, der auch Menschen mit Einschränkungen persönliche Mobilität ermöglicht.
Da ist es wenig überraschend, dass mehr als die Hälfte aller Industrieroboter der Welt in Japan hergestellt werden. Japan exportiert mehr Roboter als die fünf nächstgrößten Roboter-Nationen zusammen – Deutschland, Frankreich, Italien, die Vereinigten Staaten und Südkorea.
Von Astro Boy zu sozialen Robotern
Schon seit den 1930er Jahren spielen Roboter auch in der japanischen Popkultur eine Rolle. Vor allem in den 1950ern bekam ihre Popularität einen gewaltigen Push – durch ihre Inkarnation in den Manga-Klassikern Mighty Atom, außerhalb Japans bekannt als Astro Boy, und in Tetsujin-28-Go beziehungsweise Iron Man #28.
Astro Boy war dabei die Roboter-Version der Pinocchio-Erzählung: ein Androidenjunge mit Emotionen, der geschaffen wurde, um einen toten Sohn zu ersetzen. Iron Man #28 wiederum drehte sich um die Abenteuer eines kleinen Jungen, der einen von seinem verstorbenen Vater gebauten Riesenroboter steuert. Dadurch entstand sogar ein ganzes Anime-Genre über solche gigantischen Maschinen.
Der Riesenroboter Tetsujin 28 hat in Kobe, Japan, sogar eine Statue bekommen. Bild: Laruse Junior/Flickr
Doch es sind Japans soziale Roboter – also solche, die für die Interaktion mit Menschen konzipiert sind –, die Angela Ndalianis besonders faszinieren. Sie geben außerdem Einblicke, wie wir im Westen lernen könnten, mit der wachsenden Präsenz der Roboter umzugehen.
Die meisten Sozialroboter sind so konstruiert, dass sie niedlich sind: entweder angenehm humanoid wie Pepper, der mit Senioren in Pflegeheimen spricht und dort durch Gruppenspiele und Übungen führt; oder sie bekommen tierische Merkmale verpasst wie Paro, der sprechende, falauschige Robbenbaby-Bot.
Ambitioniert war und ist Toyotas Palette von fünf Partner Robots, allesamt Humanoide, die bei der Hausarbeit helfen oder einfach nur nette Gesellschaft bieten sollen. Dafür steigt der Bedarf in Japans alternder Bevölkerung, in der ein Viertel der Menschen über 65 Jahre alt ist und Millionen von Rentnern allein leben.
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Einige der Partner Robots haben zwei Füße, andere bewegen sich mit Segway-ähnliche Rädern. Das jüngste Modell ist der T-HR3, der 2017 auf den Markt gebracht wurde, ein humanoider Roboter, der flexible Bewegungen ausführen kann, die die Handlungen seines entfernten menschlichen Operators widerspiegeln, und der die Kraft, die von und auf den Roboter ausgeübt wird, mit dem Operator über Kraftrückkopplung teilt. Die offiziellen Maskottchen der Olympischen Sommerspiele in Tokio, deren Start nun für 2021 geplant ist, werden auf dem T-HR3 basieren.
Der T-HR3 Partnerroboter von Toyota (rechts) ermöglicht es Benutzern (links) über eine ganze Reihe an Steuerungselementen aus der Perspektive des Roboters zu sehen Bild: Toyota
„Soziale Roboter bringen neue Herausforderungen mit sich, die tiefgreifende Auswirkungen auf den Menschen haben werden, manche beabsichtigt und manche unbeabsichtigt. Es gibt also viel, was wir aus den japanischen Erfahrungen lernen können“, sagt Angela Ndalianis. „Sie können uns zeigen, welche Beziehung Menschen in Zukunft zu Robotern haben werden.“
Ihr wollt einen noch tieferen Einblick in die japanische Tech-Welt, die oft ganz anders funktioniert als im Rest der Welt? Dann empfehlen wir euch diesen Artikel von uns: Warum Japan immer noch ein Technologie-Pionier ist – und wir davon wenig mitbekommen.
Von Wilson da Silva via The Story Market
Titelbild: Die Lovot Roboter des japanischen Start-ups Groove X. Sein einziger Zweck: positive Emotionen auslösen. Getty Images