Forscher an der Universität von Vermont wollen „lebende Roboter“ erschaffen haben. Ihre sogenannten Xenobots bestehen aus Froschzellen. Sie können einfache Bewegungen ausführen und sich selbstständig heilen. Laut dem Forschungsteam handelt es sich bei ihrer Erfindung um eine neue Art von Lebensform.
Von Michael Förtsch
Es scheint, als hole die Wissenschaft die fiktive Zukunft des Science-Fiction-Films Blade Runner ein – wenn auch etwas verspätet. Denn die 35 Jahre alte Ridley-Scott-Produktion spielt seit November 2019 in der Gegenwart und zeichnet eine Welt, in der mit den Replikanten künstliche Robotermenschen aus biologischen Bestandteilen erschaffen werden. Nun verkündete ein Team aus Wissenschaftlern der University of Vermont einen Forschungserfolg. Demnach haben sie lebende Roboter erzeugt. Allerdings nicht aus humanoiden Bestandteilen, sondern aus Hunderten von pluripotenten Stamm- und rudimentären Herzmuskelzellen, die sie aus Froschembryonen entnommen und vermehrt haben. Mit dem Deep Green Supercomputer generierten die Forscher dann verschiedenste Baupläne, die zeigten, wie die Zellen verbunden werden müssten, um eine bestimmte Aufgabe zu erfüllen.
Herzmuskelzellen können pulsieren und so eine Bewegung auslösen. Die Stammzellen bilden wiederum eine Art festigende Hülle. Dadurch können die nur wenige Millimeter breiten Xenobots – benannt nach der Froschart, die als Zellenspender diente: Xenopus laevis – beispielsweise ein Ziel ansteuern und, wie Forscher hoffen, „möglicherweise eine Nutzlast tragen“, die ihnen auf den Rücken geschnallt wird. Ebenso könnten sie Lasten vor sich herschieben und sich nach einem Schnitt selbstständig wieder zusammensetzen. Die Mini-Roboter mussten händisch mit einer Mikropinzette in die vorberechnete Form gebracht und mit Elektroden verknüpft werden.
„Es sind wahre lebende Maschinen“, sagt Joshua Bongard, Informatiker und Roboterexperte von der University of Vermont in einer Pressemitteilung. „Es sind weder traditionelle Roboter noch eine bekannte Tierart. Es ist eine neue Art Lebensform: Ein lebender, programmierbarer Organismus.“ Als Beleg für diese These führen die Forscher unter anderem an, dass die Herzmuskelzellen der Xenobots ganz ohne ein Eingreifen der Wissenschaftler auf biologischer Basis miteinander kommunizieren, um eine Bewegung zu ermöglichen. Bei elektronischen Maschinen sei das nicht denk- und machbar.
Die Bio-Roboter könnten zahlreiche Aufgaben erfüllen
Die Lebensspanne der Xenobots beträgt einige Tage bis mehrere Wochen. Dann sind die natürlichen Energiereserven der Zellen aufgebraucht, die dann auch beginnen, sich allmählich zu zersetzen. Dennoch glauben die Forscher, dass die Xenobots für zahlreiche Tätigkeiten und Aufgaben nützlich sein könnten. Vor allem wenn sich ihre Bauweise und Programmierung noch verfeinern lässt. Denn konkrete Befehle können den Mini-Bio-Robotern noch nicht mitgegeben werden. Ihre Aktionen resultieren stattdessen direkt aus ihrer Bauform. Konnten die Wissenschaftler während der Tests beispielsweise nicht genau den berechneten Konstruktionsvorgaben folgen, liefen die Roboter auf der Stelle statt geradeaus.
Wie das Forscherteam annimmt, könnten sich die Xenobots in mehreren Jahren unter anderem einsetzen lassen, um Medikamente in bestimmte Stellen des menschlichen Körpers zu tragen oder um Verstopfungen in Blutgefäßen zu beseitigen. Ebenso könnten sie aber auch bei der Reinigung der Ozeane oder dem Abbau von giftigen oder sogar radioaktiven Abfällen helfen. Weiter in der Zukunft wäre es sogar vorstellbar, solche biologische Roboter auf die Zerstörung von Krebszellen oder die Behebung von Geburtsfehlern zu trainieren, glaubt Michael Levin, Co-Leiter des Forscherteams. „Wir können uns jede Menge Bereiche vorstellen, wo sie eingesetzt werden können und andere Maschinen nicht.“
„Die Kehrseite lebenden Gewebes ist, dass es meist fragil ist und leicht zerfällt“, schränkt Joshua Bongard jedoch ein. „Daher verwenden wir sonst lieber Stahl [für Roboter].“ Allerdings könnten diese Nachteile auch wieder ein Vorteil sein. Denn Roboter nach dem Vorbild der Xenobots könnten dadurch für Aufgaben eingesetzt werden und dann, wenn ihre Arbeit getan ist, einfach ihre Funktion einstellen und zerfallen – ganz ohne schädliche Überreste. „Sie sind vollends biologisch abbaubar“, sagt Joshua Bongard. „Haben sie ihren Job nach sieben Tagen erledigt, bleiben nur ein paar tote Zellen.“
Ethische Fragen bleiben offen
Für die Forscher geht es mit den Xenobots aber nicht nur darum, biologische Roboter zu erschaffen. Es gehe auch um das Verständnis vom biologischen Leben an sich. „Die große Frage der Biologie ist doch die nach den Algorithmen, die Form und Funktion bestimmen“, sagt Levin. „Das Genom kodiert Proteine. Aber wir müssen noch herausfinden, wie genau das den Zellen ermöglicht miteinander zu kooperieren, um so unter unterschiedlichen Bedingungen funktionierende Anatomien hervorzubringen.“ Erst wenn das geklärt sei, wäre es auch möglich, echte Bioroboter mit „DNA-basierter Hardware“ zu entwickeln, die tatsächlich komplexe Aufgaben bewältigen können.
Dazu wirft die Entwicklung der Forscher, wie auch die Arbeit mit der Gen-Schere CRISPR/Cas, ethische Fragen auf. „Wenn du Leben erschaffst, kannst du nur schwerlich wissen, in welche Richtung es sich entwickelt“, meint beispielsweise die Ethikohilosophin Nita Farahany gegenüber dem Smithsonian Magazine. „Jedes mal, wenn wir mit dem Leben spielen, sollten wir bedenken, dass die Sache echt schief gehen kann.“ Es müsse bedacht werden, ob solche Kunstwesen dem Menschen oder anderen Lebewesen gefährlich werden und wie die Rechte dieses neuen Lebens aussehen könnten.
„Das ethische Gewicht ist alles andere als trivial“, sagt auch Joshua Bongard. „Es ist etwas, dass in die Diskussion darum, was wir mit dieser Technologie tun werden, einfließen muss.“ Aber zunächst hätte das Team vor allem zeigen wollen, „dass das [erschaffen von biologischen Robotern] möglich ist“.