Es klingt etwas nach H. G. Wells’ Roman Die Insel des Dr. Moreau. Aber tatsächlich ist es das Wissenschaftsfachblatt New Scientist, das kürzlich berichtete, dass in einem Labor in China Ferkel zur Welt gekommen sind, die Primaten-Gene in sich tragen. Auch an Mensch-Tier-Hybriden wird geforscht. Das Ziel: Spenderorgane für Menschen gewinnen.
Von Michael Förtsch
Die zwei kleinen Ferkel gleichen nicht irgendwelchen verstörenden Mutantenwesen, wie es manche bei einer solchen Schlagzeile erwarten würden. Sie sehen aus, wie kleine Ferkel eben aussehen. Nichtsdestotrotz sollen sie eine Sensation sein. „Das ist der erste Bericht über vollendete Schweine-Primaten-Chimären“, zitiert New Scientist den Genetiker Tang Hai vom State Key Laboratory of Stem Cell and Reproductive Biology in Peking. Das bedeutet: Die Tiere tragen die Erbanlagen der zwei Säugetiere in sich, die dem Menschen genetisch mit am nächsten stehen.
Um sie zu erschaffen, kultivierten Tang Hai und seine Mitarbeiter Zellkulturen mit Proben von Langschwanzmakaken, die auch Javaneraffen genannt werden, und veränderten diese so, dass die Zellen ein fluoreszierendes Protein namens GFP produzierten. Dadurch war es den Wissenschaftlern möglich die veränderten Zellen gezielt zu vervielfältigen und samt ihrer Nachkommen in den wachsenden Proben zu verfolgen. Letztlich leiteten sie aus diesen dann embryonale Stammzellen aus und injizierten sie in Schweineembryos nach dem fünften Tag ihrer Befruchtung.
4.000 Versuche waren nötig, um zwei Chimären zu erschaffen
Insgesamt wurde der Injektionseingriff an über 4.000 Embryonen vorgenommen. In der Folge wurden aber nur zehn Tiere erfolgreich geboren. Nur zwei davon kamen als Chimären zu Welt. Die Primatenzellen waren bei ihnen unter anderem im Gewebe des Herzens, der Lunge und der Haut auffindbar – wenn auch nur in einem Verhältnis von einer Affenzelle auf 1.000 bis 10.000 Schweinzellen. Die Ferkel lebten zunächst ohne erkennbare Beeinträchtigungen, starben dann aber spontan rund eine Woche nach der Geburt. Noch ist unklar, wieso. Insbesondere da offenkundig auch die Nicht-Chimären aus den Versuchsreihen eine derart kurze Lebenspanne hatten.
Für die Wissenschaftler ist die Erzeugung der Chimären dennoch ein großer Erfolg. Daher sollen die Versuche fortgesetzt werden, damit als nächstes eine gesunde Chimäre mit größerer Primatenzellenzahl und längerer Lebensspanne geschaffen werden kann. Die Hoffnung ist, irgendwann in den Schweinen gänzlich aus Fremdzellen bestehende Primatenorgane heranzüchten zu können. Dadurch wäre der Weg geebnet, in Schweinen gesunde menschliche Organe wachsen zu lassen – zur Implantation bei erkrankten Menschen, für die es viel zu wenig menschliche Spenderorgane gibt.
In Japan sind jetzt Mensch-Tier-Hybriden möglich
Der Erfolg des chinesischen Teams dürfte Forschern aus Japan durchaus Hoffnung machen. Dort wurden von einem wissenschaftlichen Komitee in Tokio schon jetzt weitaus umstrittenere Experimente genehmigt. Einem Team um den Genetiker Hiromitsu Nakauchi, tätig an der University of Tokyo und der Stanford University, wurde im Juli gestattet, menschliches Erbgut in Mäuse einzubringen und heranwachsen zu lassen. Das sorgte weltweit für heftige Debatten – denn es gab solche Experimente mit Menschenzellen zwar schon im Ansatz, doch die Embryonen wurden nach einem Monat abgetötet. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach bezeichnete einen Versuch, wie er nun in Japan angegangen wird, als „ethischen Megaverstoß“, da das Vermischen menschlichen mit tierischen Erbguts „eine Grenze überschreitet, die wir als Menschen nicht überschreiten dürfen.“
Erst am 23. Dezember 2019 wurde Hiroshi Nagashima von der japanischen Meiji University eine ähnlich strittige Versuchsreihe genehmigt, die in Kooperation mit dem Team von Nakauchi stattfinden soll. Wie beim chinesischen Experiment sollen auch hier Schweineembryonen als Testobjekte herhalten, die dann allerdings mit menschlichen Stammzellen infiziert werden. Das konkrete Ziel ist es, in den Embryonen, die in der ersten Phase 30 Tage nach der Befruchtung aus dem Mutterleib entnommen werden sollen, eine menschliche Bauchspeicheldrüse wachsen zu lassen. Sollten diese ersten Versuche gelingen, sollen anschließend erste Föten bis zur Geburt reifen und ausgetragen werden.
Ethische Zwickmühlen
So groß der Wissenschaftliche Erfolg wäre, die Versorgung mit menschlichen Spenderorganen irgendwann drastisch zu verbessern, so kompliziert sind die ethischen und moralischen Implikationen der Experimente. Vor allem von jenen mit menschlichem Erbgut. Eines der Bedenken ist, dass das menschliche Erbgut über die gewollt menschlichen Organe hinaus streuen könnte und sich ein Tier mit einem teilweise menschlichen Gehirn entwickelt. Das könnte, glauben einige Wissenschaftler und Philosophen, den Status des Versuchstieres in Frage stellen: Ist es noch gänzlich Tier oder im Sinne seines Verstandes- und Wahrnehmungsapparates vielleicht schon menschlich?
Zumindest laut dem Genetiker Hiromitsu Nakauchi selbst, ist es aber eher unwahrscheinlich, dass „wir ein Schwein mit menschlichem Gehirn schaffen“. Zumindest nicht aus einem reinen Versehen oder Unglücksfall heraus. Und auch andere Forscher gehen davon aus, dass eine solch zufällige Entwicklung ziemlich ausgeschlossen sei. Aber auch abseits derartiger Vermenschlichungsängste existieren ethische Fragestellungen. Unter anderem danach, ob es prinzipiell vertretbar ist, solche Chimären, wie von den Forschern versprochen, als reine Organspender zu züchten.
Was denkt ihr: Ist es ethisch vertretbar, Tiere zu erschaffen, um Spenderorgane für Menschen zu züchten?
Teaser-Bild: Getty Images / Andrew Brookes