Studierende der TU-München haben diese clevere Lieferdrohne gebaut

Ein Team an der Technischen Universität München hat eine Transport-Drohne entwickelt, die sowohl ein Multikopter als auch ein Flugzeug ist. Innerhalb von zehn Monaten wurde sie von Studierenden gebaut – trotz Corona-Krise. Sie könnte irgendwann Blutkonserven, Medikamente und andere eilige Güter transportieren.

Von Michael Förtsch

Als dieses Video läuft muss Balazs Nagy selbst lachen. Zu sehen ist ein kleines Flugzeugmodell, das mit Schwung von einem Studenten in die Luft geworfen wird. Mit surrendem Motor steigt es steil in den Himmel auf und zieht einen großen Bogen. Dann kracht es mit einem knirschenden Knacken frontal auf eine Wiese. Nicht einmal drei Sekunden hat der Flug gedauert. „Wir sind nicht nur einmal abgestürzt“, sagt Nagy dazu. „Und einige der Abstürze waren deutlich teuer als der hier.“ Der Luft- und Raumfahrtstudent ist der Initiator von Horyzn, einer studentischen Organisation an der Technischen Universität München. Die hat mit der Silencio Gamma in nur zehn Monaten eine Flugzeug-artige Drohne entwickelt, die vertikal starten und landen kann.

Die Motivation war, wie Balazs Nagy im Gespräch mit 1E9 sagt, „eine studentische Gruppe aufzubauen, die sich mit dieser Technik befasst – einfach, um zu schauen, ob wir so ein Fluggerät bauen und was wir dabei erreichen können“. Denn solche unbemannten Drohnen könnten im Luft- und vor allem Lieferverkehr der Zukunft eine große Rolle spielen – Google, Amazon, das US-Militär und zahlreiche Start-ups arbeiten daran. Die Hilfe der Universität zu bekommen, war nicht schwer. Nagy, der das Projekt zunächst alleine vorwärtstrieb, konnte in Vorlesungen um Co-Forscher- und Entwicklerinnen werben. Ebenso sicherten Professoren und Doktoranden am Lehrstuhl für Luftfahrsysteme ihre Unterstützung zu.

Wir sind nicht nur einmal abgestürzt.

Balazs Nagy

Zu verdanken war das auch der Hyperloop-Gruppe der TU München. Sie hatte gezeigt, was eine studentische Initiative alles erreichen kann. „Dazu hat das Thema Urban Air Mobility besonders in Bayern einen hohen Stellenwert, es ist sehr beliebt“, sagt Nagy mit Bezug auf die Förder- und Innovationsprogramme, die die bayerische Staatsregierung über die vergangenen Jahre angeschoben hat. Bald schon versammelte Nagy daher rund 30 andere Studierende aus allen möglichen Fachrichtungen und Nationalitäten an seiner Seite. „Wir sind ein wirklich buntes und diverses Team“, sagt er. „Wir haben dann auch gemeinsam alles entschieden, was unsere Ziele sind und wie wir sie angehen.“

Eine etwas andere Drohne

Das Team von Horyzn entschied früh, dass es, gerade weil bereits viele Unternehmen an Drohnen werkeln, etwas anders machen wollte: Also keine Drohne bauen, die bereits andere „erfunden“ haben, sondern eine, die eine „neue Konfiguration“ ausprobiert. Konkret nahm das Team sich vor, das Konzept eines Segelfliegers mit langen Tragflächen mit einem Multikopter zu verbinden. Je ein kleiner, nach vorne gerichteter Propeller an den Flügelspitzen sorgt für den Vortrieb. Dazu kommen insgesamt vier über kleine Streben abgesetzte Horizontal-Propeller nahe dem Zentrum des Fliegers, die ihn nach oben heben.

Im Vorwärtsflug soll die zwei Meter lange und rund dreieinhalb Meter breite Drohne die vier Vertikalrotoren abschalten und damit besonders flink und insbesondere über lange Strecken energieeffizient sein. Bei 70 Kilometern pro Stunde liegt die ideale Fluggeschwindigkeit – bei einer Reichweite von knapp über 51 Kilometern. Da die beiden Vorwärtspropeller direkt angesteuert werden können, kann auf ein Seitenruder verzichtet werden. Selbst wenn andere Entwickler wie etwa Volansi mit der Voly-M20-Drone ähnliches versuchen, sagt Nagy, „ist dieses Konzept neu, das gab es so noch nicht“.

Nachforschungen eines kleines Businessteams in der Gruppe hätten ergeben, dass es für diese Drohne auch durchaus Anwendungsfälle gäbe: für schnelle Lieferungen von kritischen Gütern. Mit der Silencio Gamma ließen sich unter anderem bis zu zwei Kilogramm an Blutkonserven, Defibrillatoren, Arzneimittel und Impfstoffe transportieren. Auch für Organspenden oder wichtige Ersatzteile könnte die Drohne von A nach B sausen, so lange die Fracht in den rund ein Meter langen und 25 Zentimeter breiten Laderaum passt. „Wofür man so eine Drohne dann wirklich einsetzt“, sagt Nagy lachend, „das hängt dann immer von dem ab, der sie benutzt.“

Erstmal musste die Drohne abheben

Die Drohne zu entwerfen war für die Studierendengruppe nur ein kleiner Teil der Herausforderung. Deutlich komplizierter war es, sie dann auch in die Luft zu kriegen. „Viele von uns studieren Luft- und Raumfahrt“, erklärt Balazs Nagy. „Aber es ist eine Sache, Dinge in einer Vorlesung zu lernen. Sie dann auch umzusetzen, mit dem Gelernten wirklich etwas zu bauen, das ist nochmal etwas komplett anderes.“ Das sei eine der größten und wichtigsten Lehren und Erfahrungswerte gewesen, die ihnen die Horyzn-Initiative gebracht hat.

Viele von uns studieren Luft- und Raumfahrt. Aber es ist eine Sache, Dinge in einer Vorlesung zu lernen. Sie dann auch umzusetzen, mit dem Gelernten wirklich etwas zu bauen, das ist nochmal etwas komplett anderes.
Balazs Nagy

„Wir haben schnell gemerkt, dass wir keine Ahnung haben“, meint der Student. „Uns war klar, dass wir uns alles daher in kleinen Schritten erarbeiten müssen.“ Deshalb fing das Team recht bescheiden an – mit einem Flugzeugmodell, das „wir uns beim Nachbarlehrstuhl zusammengeklaut haben“, scherzt Nagy. „Andere Teile haben wir hier und da gefunden und eingebaut.“ Die Basistechnologien für das horizontale und vertikale Flugsystem, Regler, Autopilotfunktion und anderes konnte das Team mit dem Frankenstein getauften Vor-Prototypen testen.

Bei den ersten Versuchen sei aber einiges gehörig schief gegangen – wie eben der direkte Sturzflug aus dem anfangs beschriebenen Video. Ganz nach dem Motto: Build fast, fail early. „Aber wir konnten dadurch vieles lernen und erkennen, was wir besser machen müssen“, so Nagy. Neben den Tests mit Frankenstein werkelte das Team an einem eigenen Rumpf für die eigentlich geplante Drohne, in den dann die Systeme und Antriebe nach und nach eingebaut wurden. Wobei es auch hier immer neue Herausforderungen gab.

Zunächst sei der erste Prototyp mit eigenem Body nicht abgehoben, sondern einfach umgekippt. Als er das erst mal abhob, tat er das alles andere als stabil. Er schlingerte zu allen Seiten. Außerdem entdeckte das Team irgendwann ein seltsames Vibrieren an den Streben, auf denen die Propeller für den Vertikalstart montiert waren. Erst mit Slow-Motion-Aufnahmen kam das Team dem Problem auf die Spur. „Es war immer was Neues, nie war es einfach fertig“, sagt Nagy. „Aber so ist das halt.“ Es sei ein aufreibender, aber auch spannender Prozess aus Tests, Untersuchungen, Verbesserungen und weiteren Tests gewesen.

Weitermachen!

Insgesamt 20 Abstürze verzeichnete das Horyzn-Team. Drei Mal „erfand“ das Team seine Silencio-Drohne quasi neu. „Daher das Gamma im Namen des aktuellen Modells“, sagt Horyzn-Gründer Nagy. Um die 25.000 Euro kostete das Projekt, weil viele Leichtbaumaterialien und hocheffiziente Bauelemente integriert werden mussten. Das Geld kam unter anderem von Sponsoren wie dem Flugautobauer Lilium, dem Drohnen-Start-up Quantum Systems und Camilo Dornier, dem Enkel des Flugzeugpioniers Claude Dornier.

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Nach den ersten Monaten wurde auch die Logistik immer fordernder. Denn das Projekt fiel mitten in die beginnende Corona-Krise – und damit in die Zeit von Kontakteinschränkungen und Abstandhalten. „Wir haben die Drohne eigentlich zwischen zwei Lockdowns gebaut“, sagt Nagy daher. „Das war durchaus schwierig, aber wir hatten uns Wege gesucht, damit umzugehen.“ Statt, wie einst die Kommilitonen des Hyperloop-Teams, gemeinsam in einem Büro zu planen und mit einem großen Team in der Werkstatt zu arbeiten, wurden viele Besprechungen im Videochat abgehalten und Planungen mit Online-Tools geregelt. Für den eigentlichen Bau wurde mit kleinen Gruppen gearbeitet, die jeweils für einen Teil der Drohne verantwortlich waren.

Doch als dann eine Katastrophe passiert, waren alle gemeinsam dabei. Das Team hatte sich für einen Flugwettbewerb in Hamburg am 22. Oktober angemeldet, die New Flying Competition 2020. „Wir wollten dafür am Donnerstag nach Hamburg fahren“, sagt Nagy. Am Montag der selben Woche sollte die Drohne nochmal ausführlich erprobt werden – und stürzte ab. „Und zwar so, dass das komplette Flugzeug zerstört war“, sagt Nagy. Zusammen wurde entschieden, nicht aufzugeben, sondern die Drohne mit verbliebenen Teilen neu zu bauen. Das gelang dann auch innerhalb von nur drei Tagen – und Nächten.

Bei der New Flying Competition 2020 belegte das Team dann den zweiten Platz. Andere Teams konnten oder wollten teils aufgrund der Corona-Krise nicht anreisen. Wieder andere waren mit ihren Projekten nicht rechtzeitig fertig geworden. Dennoch war es für die Münchner ein Erfolg. „Für ein Team, das zuvor noch nie etwas gebaut hat, das keine Erfahrung im Prototypenbau hat oder ein Flugzeug konzipiert hat, waren wir sehr zufrieden“, sagt Nagy. „Ich glaube der schönste Moment war, als das Flugzeug nach den Testflügen wieder gelandet ist. Viele von uns waren da schon sehr ergriffen.“

Auch aus diesem Grund wolle die Gruppe weitermachen, sagt Nagy. Dafür soll zunächst das jetzige Projekt rekapituliert und aufbereitet werden. Außerdem soll die Silencio Gamma für weitere Forschungszwecke eingesetzt werden – unter anderem, was Automatisierung und Modularisierung angeht. Denn bisher ist es schwierig, Flügel oder Motoren zu tauschen. Danach könnte „was Größeres“ kommen, wie Nagy sagt. Was genau das sein könnte, darüber soll erst noch debattiert werden. Ein weiteres und größeres Fluggerät, aber auch die Ausgründung eines Start-ups wäre denkbar, glaubt der Student und bestärkt: „Wir wollen auf jeden Fall weiterfliegen.“

Teaser-Bild: Horyzn

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