Alzheimer-Forschung auf der ISS, ein Satellit, der Daten über Weltraumschrott an die NASA sendet, ein solar-powered 3D-Drucker, der Infrastruktur auf dem Mond aufbauen soll, ein Aufzug ins Weltall und jede Menge Raketen: Das sind fünf Projekte, mit denen sich die Studierendengruppen der WARR an der Technischen Universität München beschäftigen. Große Ziele – große Erfolge. In diesem Artikel erfahrt ihr, warum es sich lohnt, einen genaueren Blick auf die WARR zu werfen, die bereits zwei bekannte Astronauten zu ihren Alumni zählt.
Von Joanne Arkless
Seit über 60 Jahren basteln Studierende der Wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt, kurz WARR, an Raketen, Satelliten und Rovern. Mittlerweile hat der Verein über 250 Mitglieder. Zu den bekanntesten Alumni zählen der Astronaut und Professor für Raumfahrttechnik Ulrich Walter sowie Samantha Cristoforetti, die bereits zwei Mal auf der Internationalen Raumstation ISS war. Zudem sind aus den Studierendeninitiativen schon einige Start-ups entstanden, darunter Isar Aerospace, OroraTech oder TUM Hyperloop.
Auf dem Festival der Zukunft von 1E9 und Deutschem Museum berichteten vier Gruppen der WARR über ihre Projekte. Ihre Namen: Rocketry, Space Labs, MOVE und Robotics. Mit einer fünften Gruppe hat 1E9 ein Interview geführt. Was genau sie machen, erfahrt ihr jetzt, angefangen mit Rocketry.
Rocketry: Raketenwissenschaft und Höhenrekorde
Von Triebwerken zu Steuerungssystemen: Die älteste und größte Gruppe der WARR namens Rocketry baut bereits seit 1962 an Raketen und hat seitdem davon gelauncht. Zur Zeit arbeiten bei Rocketry über 150 aktive Mitglieder.
1E9 hat mit Kenneth Tagscherer, ehemals Vorstandsmitglied der WARR und früherer Leiter von Rocketry, gesprochen, um mehr über die anhaltende Faszination für Raketenbau zu erfahren. Denn Kenneth erzählt, dass das Interesse, an den Rocketry-Projekten mitzuarbeiten, stetig zunimmt: „Seit dem Start von Projekt Nixus gibt es einen Anstieg von circa 30 Prozent an Teilnehmenden pro Semester.“
Die Nixus-Rakete, eine bipropellante Flüssigkeitsrakete, also einer Rakete mit zwei verschiedenen Flüssigkeiten als Treibstoff, besitzt eine regenerativ gekühlte Brennkammer, die eine effiziente Kühlung und eine längere Lebensdauer der Rakete ermöglichen soll. Die Nixus-Rakete soll so eine längere Brenndauer und eine mehr Effizienz erreichen und in Zukunft Höhenrekorde brechen.
Aktuell arbeitet das Team an der Entwicklung von drei Raketen: Neben Nixus sind das noch Cryosphere und Wesp. Die Cryosphere-Rakete wurde erst vor wenigen Tagen in der kalifornischen Mojave Wüste auf der Startplattform von Friends of Amateur Rocketry bei 51 Grad Celsius Außentemperatur gelauncht. Dass dieser erste Start nicht in Europa stattfand, hat seinen Grund, sagt Kenneth: „Raketenstarts in Europa sind sehr schwierig durch unsere hohe Bevölkerungsdichte und die vielen Flug- und Schiffsrouten, die die Startplätze sehr selten machen.“
Hier geht’s zum Video des Raketenstarts auf Instagram.
Die von WARR gebauten Raketen sollen keinen Müll erzeugen und in Teilen wiederverwendet werden. „Alle Raketen von uns sind recoverable. Nach Erreichen der maximalen Flughöhe geht dann ein kleiner Fallschirm auf, wonach die Rakete dann noch recht schnell mit circa 70 km/h auf circa 500 Meter hinunter segelt. Dort geht dann der Hauptfallschirm auf“, erklärt Kenneth.
Die große Vision der Rocketry-Gruppe ist es, eines Tages die Káráman Linie zu überschreiten, um neue Forschungsfelder an der Technischen Universität München zu erschließen. Die Kármán-Linie ist die Grenze von 100 km über dem Meeresspiegel und wird allgemein als der Beginn des Weltraums definiert.
Die Überschreitung der Kármán-Linie würde viele Vorteile bieten, wie das Erreichen von Mikrogravitation für wissenschaftliche Experimente, die Möglichkeit, neue Technologien im Weltraum zu testen, und die Erforschung des Wiedereintritts im Hyperschallbereich, was wichtig für die Entwicklung von wiederverwendbaren Raumfahrzeugen und effizienteren Raumfahrtmissionen ist.
Space Labs: Alzheimer-Forschung auf der ISS
Erst kürzlich beförderten die Studierenden der WARR-Gruppe Space Labs ihr medizinisches Experiment mit einer SpaceX Rakete auf die Internationale Raumstation ISS. Durch ihre Forschung im Weltraum wollen sie neue Daten für die Medizin, speziell über die Alzheimer-Krankheit gewinnen, um damit zu besseren Diagnosen und Behandlungen beizutragen.
Um Alzheimer besser zu verstehen, werden Gehirnzellen in Laboren gezielt Proteinen ausgesetzt, die mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden. Doch diese Art von Forschung ist langwierig. Um sie zu beschleunigen, hat sich Space Labs das Ziel gesetzt, die Zellen unter Einfluss von Mikrogravitation bzw. Schwerelosigkeit zu untersuchen, denn in der Vergangenheit zeigte sich, dass manche Zellteilungsprozesse in Schwerelosigkeit schneller ablaufen.
Mit dieser Idee hat das interdisziplinäre Team den Überflieger 2 Wettbewerb des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Luxembourg Space Agency gewonnen und durfte daher im März die Mission Aging and Degenerative Diseases of Neurons on the ISS (ADDONISS) am Kennedy Space Center in Cape Canaveral, Florida launchen.
„Das ganze System wird in eine 10 mal 10 mal 20 Zentimeter große Box gebaut, ist also wahnsinnig klein. Im Prinzip wird in diese Box alles eingebaut und in der ISS nur noch angesteckt. Dort haben wir sechs Zellkulturen, ein Nährstoff-Medium, Heatpads, damit alles ungefähr auf 37 Grad gehalten wird, und Sensoren, die das System überwachen. Ein paar Tage nachdem die Zellen auf der ISS angekommen sind, werden drei Zellkulturen mit einem Protein versetzt, um Besonderheiten zu messen und zu vergleichen“, erklärte Fanny Rößler, die Projektleiterin, vor dem Start.
Zu dem einzigartigen Experiment kommt noch ein methodisch innovatives Vorgehen: Das Experiment, das komplett ohne das Zutun von Astronauten funktioniert, kann bereits aus dem Weltall Daten an die Forschenden schicken und muss nicht eingefroren und zurückgesendet werden.
„Wir messen die Zellen, während sie dort sind und nicht erst, wenn sie wieder zurück auf der Erde angekommen sind“, sagt Fanny. Diese Methode sei ein sehr neues Forschungsgebiet, in dem noch kaum wissenschaftliche Publikationen existieren.
Das Experiment ist mittlerweile wieder zurück auf der Erde angekommen und die Studierenden sind im Prozess der Datenauswertung. In ein paar Monaten sollten wir mehr über die Ergebnisse erfahren.
MOVE: ein Satellit, der Daten über Weltraumschrott sammelt
„Ende 2022 wurde eine an die ISS angedockte Soyuz-Kapsel von einem 0,8 Millimeter großem Partikel im Kühlkreislauf getroffen, so dass die Astronauten in der ISS festsaßen, bis eine neue Kapsel für die Rückkehr des Crews eintraf“, sagt Allan Schweinfurth, Assembly Lead bei der Studierendengruppe für Satellitentechnik WARR MOVE.
Derartige Einschläge von Weltraumschrott seien auch bei der ISS selbst und sogar beim James-Webb-Weltraumteleskop zu beobachten. Während Partikel einer Größe von weniger als einem Millimeter nur ein relativ geringes Risiko darstellten, erhöhe die wachsende Zahl von Weltraumschrott das Risiko gefährlicher Einschläge immer weiter.
Das Problem: Bisher lassen sich diese Kollisionen mit Weltraumschrott kaum vorhersagen, erklärt Allan. „Leider sind unsere Modelle von ESA und NASA nicht genau genug in diesem Bereich, um das Risiko für zukünftige Missionen einzuschätzen.“
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Jetzt Mitglied werden!Seit 1957 der erste Satellit Sputnik ins All geschossen wurde, ist einiges passiert. Aktuell werden monatlich über 150 Satelliten in den Erdorbit befördert, Tendenz steigend. Es wird geschätzt, dass seit Beginn der Raumfahrt etwa 12.170 Satelliten gelauncht wurden. Allerdings sind viele dieser Satelliten längst nicht mehr aktiv. Die Zahl aktiver Satelliten beläuft sich schätzungsweise auf lediglich 4.700. Viele andere und ihre Reste kreisen als Weltraumschrott um die Erde. Hinzu kommen kleinste Teile von Raketen oder Raumstationen, die eine Spur der Zerstörung im All hinterlassen haben.
Der Astronom und NASA-Mitarbeiter Donald J. Kessler warnte bereits 1978 vor den aufkommenden Problemen der Vermüllung des Weltraums, die die Raumfahrt stark einschränken oder sogar unmöglich machen könnten. Genau das will WARR MOVE verhindern.
Munich Orbital Verification Experiment, kurz MOVE, ist eine Satellitentechnik-Gruppe der WARR, die seit 15 Jahren an Satelliten bastelt, um damit Daten über den Weltraummüll zu sammeln. Seit der Entstehung von MOVE sind bereits drei Satelliten im Orbit unterwegs und senden Daten, mit denen über 30 Publikationen veröffentlicht werden konnten. Das Ziel der MOVE-Satelliten ist es, Informationen über die allerkleinsten Teilchen zu sammeln und damit Simulationsmodelle der NASA und der europäischen Weltraumorganisation ESA zu füttern.
Das MOVE-Projekt ist also nicht nur eine spannende Weiterbildungsmöglichkeit für die Studierenden der Technischen Universität, sondern will zu echten Lösungen beitragen und durch seine Arbeit auf das Problem Weltraumschrott aufmerksam machen.
Weltraummüll ist ein unsichtbares Problem. Wenn man in den Himmel schaut, sieht man die herumfliegenden Teile nicht einfach mit bloßem Auge, ähnlich wie Abfall in unseren Ozeanen.
Das sagt Greta Heinzelmann von WARR MOVE. Für 2025 ist geplant, den MOVE III Satelliten, einen 6U-CubeSat von etwa Schuhkartongröße, in eine erdnahe Erdumlaufbahn zu bringen, um damit Modelle von ESA und NASA, die die Flugbahnen von Weltraumschrott prognostizieren sollen, mit genaueren Daten zu füttern.
Space Robotics I: Rover für den Aufbau einer Mond-Zivilisation
Ein kleines Dorf auf dem Mond. Menschen spazieren auf den neu errichteten Straßen und bauen sich kleine Häuschen. Klingt nach Science-Fiction, ist aber das utopische Konzept des Moon Village der Europäischen Weltraumorganisation ESA.
Zum Bau von solchen Einrichtungen und Straßen braucht es allerdings eine funktionierende Infrastruktur und jede Menge Materialien, die nicht alle per Rakete zum Mond geliefert werden können. Diesem Problem hat sich das Team von WARR Space Robotics gewidmet. Es setzt sich mit der Erforschung extraterrestrischer Gebiete wie dem Mars und dem Mond auseinander und überlegt, welche Technologien nützlich wären, um solche Gebiete besser erschließen und erforschen zu können.
„Zur Forschung auf dem Mond und später zur Entwicklung des Tourismus gibt es grobe Pläne, wie die Architektur und die Infrastruktur aussehen soll“, erklärt Brendan Mance, Luft- und Raumfahrttechnik-Student und zugleich Projektleiter bei WARR Space Robotics. „Es gibt aber nicht so viel zum Thema Fertigungsprozess. Also haben wir gesagt, wir entwickeln diesen Fertigungsprozess.“
Ganz konkret bauen die Studierenden unter anderem einen Rover, also ein autonomes Mondgefährt, das mithilfe von Sonnenlicht aus Mondstaub festen Straßenbelag herstellen soll. Mit einem Prozess, der Solar-Sintern genannt wird. Am Rover befindet sich dafür eine große Linse, die das Licht der Sonne auf den Mondstaub fokussiert, um dort Hitze zu erzeugen und den Staub zu schmelzen, wodurch dieser eine geschlossene, feste Oberfläche bildet. Es funktioniert also ganz ähnlich wie ein großer 3D-Drucker.
Das Solar-Sintern ist eine Herausforderung. Doch WARR Space Robotics möchte damit beweisen, dass man auch ohne zusätzliche Energiequellen, die zum Beispiel der beim Sintern sonst verwendete Laser brauchen würde, erfolgreich Mondstaub brennen kann.
Bei ersten Tests am Pilatus in der Schweiz entstanden aus vergleichbarem Staub zunächst inhomogene Teile, denn die Linse hatte keinen Autofokus und jede Wolke beeinflusste das Ergebnis. Dieses Problem sei jetzt gelöst. „Jede Wolke, jeder Schatten, hat das ganze optische System verwirrt. Auf dem Mond hat man aber gar keine Wolken, keine Atmosphäre, welche einkommende Sonnenstrahlen schwächen könnten“, sagt Brendan. Daher seien die Bedingungen auf dem Mond besser als auf der Erde.
Mit einem aktualisierten Autofokus und der Hoffnung auf blauen Himmel für neue Experimente auf der Erde startet WARR Space Robotics in das neue Semester.
Space Robotics II: Aufzüge ins Weltall
Das Licht geht an, die Fahrzeugtüren öffnen sich, man tritt ein und fährt ins Weltall. Das wohl utopischste Projekt der WARR ist der Space Elevator, also ein Aufzug, mit dem man ins All fahren kann. Er wird ebenfalls von der Gruppe Space Robotics konzipiert. Seine Planung soll nicht nur die Entwicklung neuer Technologien vorantreiben, der Fahrstuhl soll die Raumfahrt auch effizienter und nachhaltiger machen.
Die Idee: An einem extrem reißfesten Seil fährt ein Fahrstuhl direkt auf eine Höhe von mindestens 36.000 Kilometer, in die Exosphäre, also die äußerste Schicht der Erdatmosphäre, die den Übergang zum Weltraum markiert. Das obere Ende des Seils ist an einer Raumstation oder einem Satelliten befestigt. Wenn sich der Schwerpunkt des Systems im geostationären Orbit befindet, gleichen sich Gravitation und Fliehkraft aus. Das Seil ist dann dauerhaft gespannt.
Wie das funktioniert? Bestimmte (geostationäre) Satelliten, wie Fernsehsatelliten, drehen sich immer gleichmäßig mit der Erdrotation, sodass wir unsere Satellitenschüsseln nicht täglich neu ausrichten müssen. Ist das obere Ende des Seils an einer Raumstation oder einem Satelliten im geostationären Orbit befestigt, bleibt die Raumstation oder der Satellit scheinbar über einem festen Punkt auf der Erdoberfläche „stationär“ – und das Seil ist immer gespannt.
Noch fehlt die eine oder andere Technologie, um diese Vision umsetzen zu können. Die größte Herausforderung ist derzeit die Fertigung eines Seils, welches den enormen Kräften standhält. Das derzeit vielversprechendste Material sind Nanoröhrchen aus Kohlenstoff. Doch auch bevor das perfekte Seil gefunden ist, bereitet das Team den Aufzug selbst immer weiter vor.
Warum der ganze Aufwand? Der Space Elevator könnte Nutzlasten, aber auch Raumfahrzeuge erheblich sicherer und kostengünstiger als bisher in den Weltraum transportieren. Raketen mit ihrem Antrieb, der viel Energie braucht, braucht es nicht mehr. Es muss nur noch ein Träger für Antriebsenergie mitgeführt werden, um zum Beispiel das Raumfahrzeug auf seinen finalen Orbit zu manövrieren. Der Fahrstuhl soll von Elektromotoren bewegt werden.
„Mit Solarpanels können Batterien aufgeladen werden und beim Herunterfahren wieder Energie zurückgewinnen, wie wenn man bei einem Elektroauto bremst. Mit einem recht guten Wirkungsgrad könnte man viel Energie zurückgewinnen und könnte im Prinzip sofort wieder losfahren“, erklärt Julian Sanktjohanser, Projektleiter bei WARR Space Elevator.
In erster Linie wäre der Space Elevator effizienter als Raketen, weil man elektrisch fahren kann.
Die Zukunft der Münchner Raumfahrt
Rocketry, Space Labs, MOVE und Space Robotics – die vier WARR-Gruppen der Technischen Universität München haben viel vor, um zur Weiterentwicklung von Space-Technologien beizutragen. Und die Luft- und Raumfahrttechnik in München wächst, erst kürzlich eröffnete die Fakultät für Luft- und Raumfahrt einen weiteren Standort in Ottobrunn und Taufkirchen mit dem Ziel Europas größte und beste Luft- und Raumfahrt Fakultät zu werden.
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