Mit Mini-Spiegeln will ein deutsches Start-up die Augmented-Reality-Revolution ermöglichen

Technologie aus der Kleinstadt Itzehoe könnte der Welt schicke, leichte und leistungsfähige Augmented-Reality-Brillen bescheren. Das norddeutsche Start-up OQmented hat einen winzigen Spiegel entwickelt, der die Schwächen bisheriger Geräte ausbügeln soll. Sogar eine komplette Brille würden sich die Gründer zutrauen – wäre da nicht das Software-Problem.

Von Wolfgang Kerler

Wer braucht einen Bildschirm, wenn er alle digitalen Informationen mitten in der echten Welt um ihn herum eingeblendet sehen kann? Die neueste Text-Message. Die Wegbeschreibung des Navis. Realistische Avatare der Kolleginnen, mit denen er eine virtuelle Konferenz abhält. Oder gleich ein virtuelles Computerterminal inklusive Tastatur.

Verschmelzen die physische und die digitale Welt erst miteinander, werden wir keine Smartphones oder Computer mehr brauchen, sondern nur noch Augmented-Reality-Brillen. Das glauben jedenfalls die großen Tech-Unternehmen – und gehen sogar davon aus, dass AR-Brillen noch in diesem Jahrzehnt zum nächsten Personal Computer avancieren könnten. In den USA stecken Apple und Facebook, Google und Microsoft längst Milliarden in die Entwicklung besserer Hardware. Auch chinesische Firmen wollen den Zukunftsmarkt besetzen. Firmen wie Nreal oder RealX preschen mit eigenen Geräten vor.

Doch was passiert in Sachen AR-Hardware in Deutschland? Nichts. Könnte man meinen. Stimmt aber nicht. Tatsächlich stehen die Chancen gar nicht so schlecht, dass in den Brillen, die Millionen von Menschen demnächst im Gesicht tragen, Technologie von deutschen Unternehmen stecken wird. Nicht nur, weil Konzerne wie Bosch schon jetzt wesentliche Bestandteile für smarte Brillen liefern können. Sondern auch, weil sich ein selbstbewusstes Start-up aus Schleswig-Holstein aus der Deckung wagt.

Es heißt OQmented und verhandelt nach Aussage der Gründer mit den ganz großen Playern. „Wir sind tatsächlich mit den namhaftesten Firmen dieser Welt in Kontakt“, sagt Co-Geschäftsführer Ulrich Hofmann im Podcast New Realities von 1E9 und dem XR HUB Bavaria. „Aber wir verraten keine Namen.“ Das verbieten Verschwiegenheitserklärungen. Zusammen mit Thomas von Wantoch gründete Ulrich Hofmann das Start-up vor drei Jahren. Die beiden sind sich sicher, die Kinderkrankheiten bisheriger AR-Geräte beseitigen zu können.


Hier gibt’s die Podcast-Folge mit Ulrich und Thomas von OQmented zum Hören. Abonnieren kannst du den New Realities Podcast von 1E9 und dem XR HUB Bavaria bei Podigee, Spotify, Deezer und bei Apple Music

Ein winziger Spiegel im Vakuum – und ein Laserstrahl

„Die Brillen, die schon auf dem Markt sind, sind aus unserer Sicht alle noch recht klobig. Ihre Batterie hält meist nur zwei Stunden. Sie haben außerdem ein zu kleines Sichtfeld, in dem tatsächlich Augmented Reality stattfindet, und bieten zu wenig Kontrast“, sagt Thomas von Wantoch. „Bei vollem Tageslicht kann man sie daher nicht richtig nutzen.“ Solche Kritikpunkte bestätigten auch die Reviews vieler Fachmedien. Egal, ob es dabei um die HoloLens 2, die Magic Leap One oder die Nreal Light ging.

Besser machen will es OQmented mit einem winzigen Spiegel aus Silizium, einem MEMS-Spiegel, wobei MEMS für Micro-Electro-Mechanical-Systems steht. Der Spiegel bildet – eingebettet in ein Gehäuse, in dem ein Vakuum herrscht – das Herzstück eines Miniatur-Projektors. Der wirft die Bildinformationen auf die Gläser einer Datenbrille. „Unser Spiegel kann bis zu 100.000-mal pro Sekunde hin- und herschwingen“, erklärt Ulrich Hofmann. „Dabei lenkt er einen Laserstrahl ab.“

Genau genommen wandert dadurch ein winziger Laserpunkt über die Projektionsfläche. Das geschieht so schnell, dass für das menschliche Auge ein komplettes Bild entsteht. Im Prinzip funktioniere die Technologie also wie ein alter Röhrenfernseher, meint Ulrich Hofmann. Bei dem wird das Bild durch einen Elektronenstrahl erzeugt, der von hinten auf die Mattscheibe geworfen wird.

Bisher in AR-Brillen verwendete Technologien soll der OQmented-Spiegel in mehrfacher Hinsicht übertreffen. Im Vergleich zu LED-Beleuchtung soll er, so die Gründer, für einen deutlich geringeren Energieverbrauch sorgen und gleichzeitig ein helleres und kontrastreicheres Bild liefern. Auch im Vergleich zu Systemen, die ebenfalls auf MEMS-Spiegel setzen, sieht sich OQmented im Vorteil. Denn die Konkurrenz verwende meist zwei Spiegel, die hintereinandergeschaltet werden. OQmented brauche aber nur einen. Das spare Platz.

Vom medizinischen Mikroskop bis zum LIDAR für Autos

An ihrer Technologie arbeiten Ulrich Hofmann und Thomas von Wantoch schon lange – bis vor zwei Jahren allerdings als Ingenieure im Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie ISIT. „Dort hat das Ganze eigentlich schon 1995 begonnen“, erinnert sich Ulrich Hofmann. Damals wurden die ersten Spiegel entwickelt. Zunächst für einen ganz anderen Zweck. Es ging um ein möglichst kleines Lasermikroskop, mit dem sich Tumorgewebe besser untersuchen lassen sollte. Ende der 1990er wurden dann Spiegelvarianten entworfen, die beim Ausbau der Glasfasernetze zum Einsatz kommen sollten. Dann folgte ein Projekt mit Siemens Mobile, dem längst verschwundenen Handyhersteller.

Damals hatten Mobiltelefone noch winzige, pixelige Displays. „Die Firma wünschte sich also einen Laser-Videoprojektor, mit dem man großformatige, hochauflösende Bilder aus dem kleinen Handy heraus projizieren kann“, sagt Ulrich Hofmann. Und tatsächlich wurden interne Prototypen, die funktionierten, fertig. „Doch dann hielt die Displaytechnologie heutiger Smartphones Einzug. Das hat solche Projektoren überflüssig gemacht.“

Schon bei Fraunhofer arbeiteten die beiden dann sowohl am Thema Augmented Reality, an 3D-Kameras und an LIDAR-Sensoren für die Automobilindustrie. „Und dann war für uns der Zeitpunkt gekommen, zu sagen: Wir wollen aus unserer Technologie auch wirklich Produkte machen“, sagt Thomas von Wantoch. „Das ist bei Fraunhofer nicht möglich.“ Also gründeten sie OQmented und kündigten ihre sicheren Jobs.

Auch jetzt wollen sie ihre Spiegel nicht nur für die Bildprojektion in Smart Glasses vermarkten, sondern auch, um damit leistungsfähige Laserscanner zu ermöglichen. Sei es in Form von 3D-Kameras, die ebenfalls in AR-Brillen zum Einsatz kommen könnten. Schließlich müssen diese den physischen Raum um die Nutzer herum genau erfassen können, um digitale Objekte richtig darin zu platzieren. Oder sei es für die LIDAR-Systeme in selbstfahrenden Autos.

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Eine komplette Brille? Ja. Aber die Software? Nein.

Erste, noch etwas simple Datenbrillen, die sich in Form und Größe von normalen Brillen kaum noch unterscheiden lassen und mit einer Akkuladung den ganzen Tag funktionieren, erwarten die OQmented-Gründer schon in etwa zwei Jahren. „Die werden eher die Aufgaben eines persönlichen Assistenten übernehmen“, meint Ulrich Hofmann. Doch dann werde die Entwicklung Stück für Stück weitergehen, so dass die Brillen bis zum Ende des Jahrzehnts tatsächlich ein ganz neuer Personal Computer werden könnten.


In diesem Video zeigt OQmented, wie die eigene Technologie unsere Zukunft mit AR mitgestalten könnte.

Im Grunde würde sich OQmented sogar zutrauen, eine komplette AR-Brille herzustellen – und nicht nur Zulieferer zu sein. „Allerdings wäre der Kapitalbedarf dafür viel höher“, sagt Thomas von Wantoch. „Und es muss natürlich auch die Software dazu kommen.“ Und zwar nicht nur ein paar nette Anwendungen, sondern ein ganzes Ökosystem. Allein könnte OQmented das nicht stemmen. „Aber vielleicht mit einem anderen Unternehmen, das die Software-Komponenten mitbringt.“ Eine AR-Brille made in Germany ist also nicht ausgeschlossen.

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Titelbild: OQmented

7 „Gefällt mir“

Wie geil ist das denn was Siemens da hatte. Schade, dass man das nicht anderweitig für irgendwas genutzt hat… Klingt nach Sci-Fi made in Germany :slight_smile:

Das ist vermutlich leider die Seltenheit und nicht die Regel. Ich glaube Fraunhofer macht unglaublich viele Tolle Sachen. Die Sequenz an Projekten mit Industriepartnern und Technologien, die fast bis zum Produkt entwickelt wurden zeigen das. Nichts oder viel zu wenig kommt aber in den Markt. Große Industriepartner sind vielleicht nicht unbedingt die besten Partner um neue Produkte zu kommerzialisieren und mit der Unsicherheit im Markt effizient umzugehen.

Es ist irgendwie schade, dass Fraunhofer „outsourced“ F&E ist, wenn man die Möglichkeit hätte mit etwas Kapitalisierung und selbstständig neue Personal Computer Plattformen und mehr aus Deutschland heraus zu bauen.

Das ist doch was man ständig aus der Politik hört und die Frage warum sowas denn nicht in der Vergangenheit der letzten 20 Jahre hier passiert ist… Well, beispielhaft ist das hier beschrieben.

Cool, dass die beiden ins kalte Wasser gesprungen sind und etwas Glück!

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