Was kommt eigentlich nach dem Smartphone? Augmented-Reality-Brillen. Das sagen zumindest die Chefs von Facebook und Apple – und investieren große Summen in die Technologie. Auch Microsoft, Google und Amazon setzen auf AR. Tatsächlich spricht einiges dafür, dass sie damit richtig liegen könnten.
Von Wolfgang Kerler
In Science-Fiction-Filmen wie Zurück in die Zukunft 2, Robocop oder Iron Man haben wir eigentlich längst gesehen, welches Potential in Augmented Reality steckt, also der erweiterten Realität. Brille aufsetzen – und schon wird die Welt mit digitalen Informationen erweitert, die wir bisher mühsam über den Bildschirm unseres Smartphones abrufen müssen. Mit AR lassen sich wie bei Pokémon Go (und noch deutlich besser) virtuelle Objekte in die reale Welt platzieren, die dadurch nicht nur verständlicher, sondern auch spannender werden kann. Mit AR könnte das Internet die physische Welt erobern.
AR könnte auch das sogenannte Spatial Computing ermöglichen, bei dem der Austausch zwischen Mensch und Maschine nicht mehr durch eine Tastatur, Maus oder einen Touchscreen stattfinden muss, sondern über den Raum um uns herum – durch die Interaktion mit virtuellen Interfaces. Die Art und Weise wie wir Technologie nutzen, könnte sich dadurch komplett verändern. Grund genug für uns, ein paar Argumente auszuführen, warum Augmented Reality dieses – oder allerspätestens das nächste – Jahrzehnt prägen könnte.
Zwei ganz praktische Beispiele dafür, wie AR uns schon heute weiterhilft, haben wir in diesem Video vorgestellt.
Mark Zuckerberg und Tim Cook sehen in AR „das nächste große Ding“
Das mag etwas platt klingen. Aber wenn die Firmenchefs von zwei der erfolgreichsten und wertvollsten Technologiekonzerne der Welt Augmented Reality als das nächste große Ding benennen, wird wohl was dran sein. Facebook-CEO Mark Zuckerberg schrieb im Januar in seinem Ausblick auf die 2020er-Jahre: „Während ich davon ausgehe, dass Telefone den größten Teil dieses Jahrzehnts noch immer unsere wichtigsten Geräte sein werden, werden wir irgendwann in den 2020er-Jahren eine bahnbrechende Augmented-Reality-Brille bekommen, die unsere Beziehung zu Technologie neu definieren wird.“
Dass der Chef von Apple, Tim Cook, ebenfalls ein Fan von Augmented Reality ist, war schon länger bekannt. Immer wieder schwärmte er über die Möglichkeiten der Technologie. Schon 2018 sagte er, dass ein Leben ohne AR bald „nicht mehr vorstellbar“ sei. Zu Beginn dieses Jahres bezeichnete dann auch er AR als „das nächste große Ding“ – und prophezeite, dass AR unser Leben komplett durchdringen wird.
Die Firmen der beiden lassen diesen Worten auch Taten folgen. Apple hat seitdem nicht nur die neuesten Highend-iPads und -iPhones mit LiDAR-Sensoren ausgestattet, die die Umgebung mithilfe von Laserstrahlen dreidimensional vermessen. Der Konzern hat auch die vierte Generation seines ARKits herausgebracht, mit der AR-Apps für Apple-Geräte entwickelt werden könnten. Beides gemeinsam ermöglicht AR-Anwendungen, bei denen die virtuellen Objekte deutlich besser mit der echten Welt verschmelzen – und nicht einfach platt ins Bild geklatscht werden.
Facebook wiederum kündigte im September sein Projekt Aria an, bei dem es darum geht, ein AR-Headset zu entwickeln. Im Begleitvideo werden sicherlich nicht ganz zufällig Bilder des ersten Flugzeugs oder der Mondlandung kurz eingeblendet.
Apple und Facebook sind im Übrigen nicht die einzigen Tech-Konzerne, die auf AR setzen. Google lässt es zwar etwas langsamer angehen, hat seine Datenbrille Google Glass aber immer noch im Sortiment, stellt auch Entwicklungstools für AR-Programme auf Android zur Verfügung – und hat auch seine Suchmaschine und Google Maps um AR-Elemente erweitert. Außerdem hat Google auch schon in ein sehr prominentes AR-Start-up investiert. Doch dazu kommen wir noch.
Microsoft spricht für seine Produkte lieber von Mixed Reality , also der noch stärkeren Vermischung von realer und virtueller Welt. Andere würden auch diese Art von Anwendungen, bei der virtuelle und physische Welt regelrecht miteinander agieren und wechselwirken können, wohl auch noch als AR bezeichnen. Daher kann man, wenn man die Begrifflichkeiten nicht zu genau nimmt, die HoloLens von Microsoft, die inzwischen in der zweiten Generation auf dem Markt ist, entweder als MR- oder als AR-Brille bezeichnen. Microsoft-Chef Satya Nadella sagte schon 2016: „Der ultimative Computer ist für mich die Welt der Mixed Reality.“
AR-Brillen könnten irgendwann Computer, Fernseher und sogar Smartphones ersetzen
Nadella ist nicht der Einzige, der in AR- oder MR-Headsets den nächsten Personal Computer sieht. Der Wissenschaftler, Gründer und Investor Alexander Ilic, der 2017 sein Computer-Vision-Start-up Dacuda an den AR-Brillen-Pionier Magic Leap verkaufte und dort bis vor wenigen Monaten ein 70-köpfiges Team leitete, sieht das ebenfalls so: „Augmented-Reality-Brillen sind die ersten Personal Computer, die die Welt aus unserer Perspektive sehen.“
Auch er rechnet für die nächsten paar Jahre mit dem Durchbruch von AR-Brillen, allerdings nicht nur wegen der vielen neuen Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben – von virtuellen Wesen, die für ein Videospiel in der Stadt versteckt werden, über dreidimensionale Baupläne auf dem Besprechungstisch bis zu Hologramm-Konferenzen. „Das ist alles cool und wichtig und wird seinen Platz finden, aber die Masse kommt tatsächlich erst, sobald du ein Gerät ersetzt“, sagt Alexander Ilic. Und mit AR-Brillen lässt sich etwas sehr Allgegenwärtiges ersetzen: Bildschirme. Und damit auch Geräte mit Bildschirmen.
Im New Realities Podcast von 1E9 und dem XR HUB Bavaria erzählt Alexander Ilic von seiner Zeit bei Magic Leap und spricht über das Potential von AR. Den Podcast kannst du bei bei Podigee, Spotify, Deezer und bei Apple Music 1 hören und abonnieren.
An deren entscheidende Limitierung, ihre Größe, haben wir uns längst gewöhnt. „Doch wenn man es schafft, das Licht direkt ins Auge zu projizieren, kann man plötzlich die ganzen Limitierungen ausräumen“, meint Alexander. Wenn es durch moderne AR-Brillen in Zukunft möglich wird, in den Augen der Nutzer virtuelle Screens und dazu gleich noch eine virtuelle Tastatur darzustellen, die ohne Wackeln im Raum fixiert und nicht transparent sind – wer braucht dann noch einen Computer oder Laptop mit Bildschirm? Wer braucht dann noch einen Fernseher? Selbst in einem Café oder auf dem Balkon könnte man an riesigen virtuellen Screens arbeiten.
Die längste Überlebensdauer trotz AR-Brillen könnten übrigens Smartphones haben – schon aus dem Grund, weil einige der kommenden Headsets möglicherweise noch auf deren Rechenpower zugreifen werden.
In den nächsten Jahren kommen bessere AR-Brillen auf den Markt
Man kann nicht gerade behaupten, dass AR- (oder MR-)Brillen den Massenmarkt schon erobert haben. Als Magic Leap nach über acht Jahren Entwicklung, die mit 3,5 Milliarden Dollar von Investoren wie Alibaba oder Google finanziert wurden, 2018 endlich sein erstes Gerät auf den Markt brachte, fielen die Kritiken zwar insgesamt positiv aus. „Irgendwie zauberhaft, aber nicht magisch“, schrieb @Michael Förtsch damals noch für WIRED Germany . Allerdings fand die Magic Leap One danach viel zu wenig Käufer. Im ersten Jahr sollen nur 6.000 Exemplare abgesetzt worden sein. Die Firma musste Leute entlassen – und fokussierte sich auf Geschäftskunden. Genau, wie es Microsoft mit seiner HoloLens 2 tut.
Denn gerade in der Industrie gibt es schon handfeste Anwendungsfälle für die aktuellen Geräte: Mit ihnen werden etwa AR-gestützte Schulungen oder Anleitungen für Arbeitskräfte möglich, aber auch Fernwartungen. Dadurch lässt sich Zeit und Geld sparen, was den aktuell noch hohen Preis der Headsets – rund 2.000 Euro für die Magic Leap One, rund 3.500 Euro für die HoloLens 2 – verschmerzbar macht. Auch das immer noch recht hohe Gewicht und das klobige Design spielen in einer Fabrikhalle keine Rolle. Wohl aber für den Massenmarkt.
„Wer soll sich so etwas anziehen?“, fragte der Tech-Blogger und Silicon-Valley-Insider Robert Scoble kürzlich eher rhetorisch bei der XR Conference der Medientage München. „Das ist zu hässlich, zu groß, zu schwer, es kann nicht genug und es ist zu teuer.“ Und trotzdem ist auch er davon überzeugt, dass AR-Brillen noch in diesem Jahrzehnt einen gewaltigen Durchbruch erleben werden. „Ich erinnere mich noch, als mit Steve Wozniak den ersten Farbdrucker in der Silicon Alley zeigte. Er kostete 45.000 Dollar. Heute leistet ein 70-Dollar-Drucker bessere Arbeit.“ Das Beispiel, wie Technologie mit der Zeit immer besser, kleiner und billiger wird.
Das Ziel ist dabei ziemlich klar: AR-Brillen, die sich von normalen Brillen in Größe, Gewicht und Design kaum noch unterscheiden lassen, und die trotzdem größere Sichtbereiche, also Field-of-Views, und mehr Leistung bieten als aktuelle Headsets. Die Frage ist: Wer wird diese Brillen erfolgreich herstellen?
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Jetzt Mitglied werden!Robert Scoble rechnet damit, dass Facebook in den nächsten drei Jahren ein Gerät auf den Markt bringen wird, dass bereits über 5G-Konnektivität, Sensoren zur Wahrnehmung der Umgebung und einen recht guten AR-Sichtbereich verfügen wird. Bis dahin könnte allerdings auch eine Brille von Apple auf den Markt kommen, deren Entwicklung zwar noch nie offiziell bestätigt wurde, über die aber schon lange spekuliert wird. Und natürlich entwickeln auch Magic Leap, Microsoft, Nreal und andere Hersteller ihre Geräte weiter.
Der Tech-Blogger und Buchautor sieht dabei übrigens einen Startvorteil für Apple: Dessen Datenbrille könnte auf die Hardware des damit gekoppelten iPhones zurückgreifen, wie es bereits die Apple Watch tut. Dadurch könnte die Brille schlanker und günstiger sein als bei Konkurrenten, die die gesamte (teure) Technik in einem Headset unterbringen müssen. Die können nur auf den schnellen 5G-Ausbau hoffen, damit sie Rechenprozesse in die Cloud verlagern können.
AR ist längst im Mainstream angekommen
Noch ein Grund, warum es mit der Adaption von AR-Brillen schnell gehen könnte, wenn sie denn in ausreichender Qualität, in schickem Design und zu einem erschwinglichen Preis auf den Markt kommen: Viele von uns benutzen Augmented Reality bereits täglich – sei es bei Pokémon Go , der neuen AR-Anwendung von Amazon, der IKEA-AR-App oder in Form von Filtern bei Instagram oder Snapchat, mit denen wir größere Augen oder Hundeöhrchen bekommen. An die digitale Erweiterung der Realität haben wir uns also längst gewöhnt. Nur findet AR bisher eben meistens auf dem Smartphone statt.
Doch um Lust auf mehr zu bekommen, reicht das vielleicht schon. Mit einem Local Lens genannten Pilotprojekt zeigt Snap gerade, was möglich wird, wenn es in einer AR-Cloud einen digitalen Zwilling der physischen Welt gibt, in der digitale Objekte fest platziert werden können – so dass alle sie genau an derselben Stelle sehen und damit interagieren können. Snap hat nun die Carnaby Street in London digitalisiert – und Snapchat-User können diese mit der City Painter App gemeinsam mit bunter Farbe besprühen. Alle Änderungen bleiben dauerhaft in der digitalen Version der Straße bestehen – zumindest bis andere User neue Farbschichten hinzufügen.
Vielleicht steckt noch ein Grund, warum Augmented Reality eine große Zukunft hat – und viele familiäre Konflikte lösen könnte: Endlich werden wir uns nicht mehr entscheiden müssen, ob wir zuhause auf einen Bildschirm starren, um Computer zu spielen, oder einen Spaziergang machen. Wir können dann einfach beides gleichzeitig tun.
Titelbild: Getty Images