Ethereum World soll ein unzensierbares Anti-Facebook werden, das von den Nutzern regiert wird

Facebook, Instagram, TikTok und Twitter beherrschen das Internet, wenn es um soziale Netzwerke geht. Dadurch haben sie Macht über das, was die Nutzer tun können, sehen und schreiben dürfen. Das ist zu viel Macht, wenn es nach einigen Entwicklern geht. Sie arbeiten daher an Alternativen. Eine davon ist Ethereum World, ein soziales Netzwerk, das auf der Technologie der Kryptowährung Ethereum aufbaut.

Von Michael Förtsch

Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich zu entziehen. Wer durch das Internet surft, der gerät unweigerlich in die Fangnetze der großen Internetgiganten. Sei es Facebook, das Menschen mit Kommentarspalten für die eigene Website, Auf-Facebook-teilen-Knöpfen oder dem Facebook-Pixel auch jenseits der eigenen Plattform durch das Internet verfolgt. Oder Google, das durch seine Suchmaschinen und Werbenetzwerke wie AdSense und DoubleClick gefühlt mehr über das eigene Leben weiß als man selbst. Auch dem langen Arm von Amazon kann sich kaum einer entziehen. Denn auf den Servern der Amazon-Web-Services-Sparte sind einige der größten und wichtigsten Dienste im Internet zu Hause: Twitch, Netflix, Facebook, Twitter, Flickr, und viele mehr. Hat AWS Schluckauf, kann das verheerend sein, wie Ende 2020 zu sehen war.

All das gibt diesen Internetgiganten viel Macht. Zuviel Macht, wie selbst Abgeordnete des US-Repräsentantenhauses feststellten. Bürgerrechtler, Netz- und Datenschutzaktivisten mahnen zudem, dass Facebook, Twitter und Co. die Redefreiheit gefährden und mit Dependancen und Ablegern in Ländern wie China auch zu Zensurmaschinen verkommen könnten – ob nun gewollt oder nicht. Zahlreiche Entwickler und Start-ups sind daher der Ansicht, dass sich etwas ändern muss. Dass es neue und alternative Plattformen braucht – und auch eine Art neues Internet, das widerstandsfähiger und vor allem dezentraler ist: Das also nicht auf der Infrastruktur eines Anbieters läuft, sondern auf Dutzenden, Hunderten oder sogar Tausenden Computern von Menschen rund um die Welt.

Ein solches Projekt startete vor rund sechs Jahren unter dem kryptischen Namen AKASHA, der im der hinduistischen Philosophie den Raum oder Äther beschreibt, von den Entwicklern selbst mittlerweile jedoch als Abkürzung für Advanced Knowledge Architecture for Social Human Advocacy interpretiert wird. AKASHA war der Versuch, eine Art unzensierbares Facebook zu starten. Der Auslöser dafür war eine sehr eindringliche Begegnung, wie uns Ânderson Quadros von der Stiftung AKASHA Foundation aus dem schweizerischen Zug – dem sogenannten Crypto Valley – wissen lässt. Im Jahr 2015 besuchte demnach ein Journalist aus Südkorea das Schweizer Krypto-Start-up Ethereum Foundation, in dem zu dieser Zeit am Blockchain- und Kryptowährungssystem Ethereum gearbeitet wurde, das eine modernere Iteration von Bitcoin werden sollte – und heute eines der wichtigsten Blockchain-Ökosysteme darstellt.

„[Der Journalist] erzählte, wie ein großes Unternehmen nahezu alle Medien in Südkorea in der Hand hat, in dem es mit Werbeboykotts droht, wenn etwas berichtet würde, das ihm nicht gefällt“, so das Mitglied des Entwickler-Teams. Das habe den Ethereum-Co-Gründer Mihai Alisie und einige weitere Entwickler ziemlich schockiert und auf den Gedanken gebracht, dass es doch machbar sein müsste, eine Plattform zu bauen, die nicht so einfach angreifbar oder gar abschaltbar ist. Eben mit der Blockchain-Technologie von Ethereum, aber auch dem sogenannten InterPlanetary File System, einem Peer-to-Peer-Internetprotokoll, durch das jeder daran teilnehmende Rechner zu einem Web-Server werden kann. Damit kann im Internet eine Art riesige und nicht abschaltbare Cloud entstehen, in der die Inhalte dieser Plattform gespeichert werden.

Die Entwickler fackelten nicht lange. Unmittelbar nach dem die Ethereum-Blockchain gestartet war, begannen sie im zweiten Halbjahr 2015 einen ersten Prototyp von AKASHA zu bauen. Vorgestellt wurde der im Mai des Folgejahres auf dem World Press Day und wenig später konnten erste Freiwillige eine frühe Fassung testen, die zunächst nicht im Browser, sondern als App für den PC kam. Sie funktionierte. Jedes Konto war an eine Ethereum-Adresse gekoppelt. Über 10.000 Nutzer konnten in einem Facebook-artigen Social Network schreiben, kommentieren und Freundeslisten erstellen. Aber sonderlich gut lief es nicht – wie der Autor dieses Artikels selbst bestätigen kann. AKASHA war langsam, umständlich und, wie die Entwickler einsehen mussten,… eher ein technischer Machbarkeitsbeweis als ein Social Network.

Neustart

Für die AKASHA-Macher war klar, so wie AKASHA war, konnte es nicht bleiben und kündigten im Mai 2017 an, alles zu überarbeiten. Das ist nun fünf Jahre her, in denen wenig von AKASHA zu hören gewesen war – und zwar weil sehr viel passierte. Das Team habe vier Male versucht, AKASHA auf eine jeweils andere Weise neu zu entwickeln. „Und jedes Experiment hat unser Verständnis von dem, was möglich ist, auf die nächste Stufe gehoben“, sagt uns wiederum AKASHA-Mitgründer Mihai Alisie. „Mit jedem Sprung begannen wir, die Dinge anders zu sehen.“ Unter anderem entschied das Team, AKASHA selbst nicht länger als ein Social Network aufzubauen, sondern als ein Framework – also eine technische Basis –, die irgendwann jeder nutzen können soll, um ein eigenes Social Network zu entwickeln.

Mit jedem Sprung begannen wir, die Dinge anders zu sehen.

Mihai Alisie

Doch um zu zeigen, dass das geht, braucht es natürlich trotzdem weiterhin ein erstes Social Network auf Basis des AKASHA-Frameworks. Und das trägt mittlerweile den Namen Ethereum World und kann seit April von ersten Nutzern ausprobiert werden. Einfach im Browser. Die Anmeldung erfolgt nicht über eine E-Mail, sondern über eine Ethereum-Wallet wie Metamask. Private Daten hinterlassen? Muss niemand. Viel machen kann man auf Ethereum World jedoch auch noch nicht. Es können Texte und Bilder gepostet werden. Es lassen sich über Hashtags verschiedene Themen und die Feeds von anderen Nutzern abonnieren. Eben wie bei einem normalen Social Network mit klassischer Server-Struktur. „Das ist ein Grund zum Feiern“, so Quadros, der für die Ausarbeitung und das Design mitverantwortlich ist. „Denn die Kluft zwischen einer dezentralen und zentralen Erfahrung beginnt sich zu schließen!“

Dennoch soll Ethereum World im Grundsatz anders funktionieren – viel mehr können und möglich machen. Da Ethereum World auf der Blockchain-Technologie von Ethereum aufsetzt, soll es in späteren Versionen möglich werden, in dem Social Network nahezu alle dezentralen Applikationen einzubinden und zu nutzen, die mit Ethereum oder kompatiblen Protokollen funktionieren. Beispielsweise könnte ein Nutzer in einem Post eine Wette auf dem Vorhersagemarktplatz Augur anlegen, um darüber abstimmen zu lassen, ob 2024 tatsächlich wieder ein US-Amerikaner seinen Fuß den Mond setzen wird. Er könne auf Ethereum World die davon unabhängige Chat-App Status nutzen, um mit Freunden zu quatschen.

Ebenso könnte er direkt aus einem Post heraus zu einem gemeinsamen Abenteuer in einem Blockchain-basierten Spiel einladen, in das andere ohne gesonderte Anmeldung einsteigen können. Er könnte direkt danach eine wertvolle Fantasy-Waffe auf einem NFT-Markplatz auf Ethereum World gegen eine Kryptowährung verkaufen und vieles mehr, glauben die Macher. „Wir denken, dass das eine der größten Stärken von Ethereum World sein wird – und potenziell von allen anderen sozialen Netzwerken, die auf unserem Framework basieren“, meint Mihai Alisie. Dadurch könne Ethereum World zu einer Art Metaversum und Schaufenster für dezentrale Applikationen werden – eine Art Super-App, die alle anderen Blockchain-Apps in einem sozialen Umfeld zusammenführt.

Die Nutzer sind die Regierung

Auch was die Verwaltung angeht, soll Ethereum World anders als traditionelle Social Networks funktionieren. Denn gelenkt und kontrolliert werden soll es nicht in erster Linie von seinen Entwicklern, sondern von den Nutzern. „Uns allen liegt die Freiheit am Herzen und wir mögen es nicht, uns auf eine zentrale Autorität zu verlassen“, beschreibt Ânderson Quadros die Einstellung des Teams. Momentan würden die Inhalte noch von Moderatoren kontrolliert. In Zukunft sollen jedoch die Nutzer über Governance- und Konsenssysteme selbst über Regularien abstimmen und Protokolle zur Moderation beschließen. Wie genau das funktionieren wird, das ist noch offen. Es gibt aber erste Entwürfe für eine Moderationsstruktur und Pläne für eine Arbeitsgruppe, in der erste Regularien und Visionen ausgebreitet werden sollen.

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Auch darüber wie Ethereum World etwa mit Verschwörungstheorien, Hassrede oder auch der Leugnung des Holocaust umgehen könnte, die in Deutschland eine Straftat darstellt, ist sich das Team noch nicht sicher. Es seien „wichtige Fragen“ und der Komplex eine „große Herausforderung“, bei der Technologie selbst nicht als Lösung genügt, meinen die Entwickler. Allerdings wären diese Fragen momentan noch nicht akut. Denn derzeit befindet sich Ethereum World gerade einmal in einer sehr frühen Alpha-Phase, für die zunächst nur einige wenige Nutzer die Plattform erkunden können, um Erfahrungen zu sammeln, Rückmeldungen zu geben und Fehler zu melden. Nach und nach sollen aber neue Module und Funktionalitäten hinzukommen, die aus der noch sehr mageren Plattform einen Facebook-Konkurrenten formen.

Du kannst dir Ethereum World als die Saat vorstellen, aus der die neue Welt von Ethereum heraus erwachsen wird.

Mihai Alisie

„Du kannst dir Ethereum World als die Saat vorstellen, aus der die neue Welt von Ethereum heraus erwachsen wird“, beschreibt der AKASHA-Mitgründer Mihai Alisie seine Vision. „Eine Welt, in der wir alle zusammenkommen und die wir zur neuen Heimat der Ethereum-Gemeinschaft aufbauen können!“ Denn Ethereum World soll letztlich auch dabei helfen, die für viele Menschen immer noch sehr kryptische und abstrakte Technologie der Blockchain zugänglicher zu machen – und insbesondere, die Welt an Möglichkeiten, die dahinter existiert. Wie nämlich Quadros im Namen des AKASHA-Teams zugesteht, gäbe es Abertausende von Programmen und Diensten, die mit der Ethereum-Blockchain arbeiten, aber selbst für Hardcore-Ethereaner eine Herausforderung sind. Daher gehe es bei Ethereum World nicht nur darum, ein Social Network aufzubauen, sondern auch Barrieren zu reduzieren und Menschen eine sichere Treppe in die Blockchain-Welt zu bauen.

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Fred Wilson, einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Venture Capital Investoren hat gerade diese Woche etwas zu „decentralized Media“ geschrieben:

Kennt ihr Mirror oder Bitclout, als dezentrales WordPress oder Twitter?

Finde die Einsicht von Fred W. interessant:

Back in the early 2000s, it was exciting to blog and use social networks to create our own media and move away from the traditional media outlets. That was the pull that got me into blogging and got me investing in Twitter. It was a powerful feeling.
But a decade and a half later, it is obvious that we just replaced one type of media company for another and that we don’t really control our own media yet. I have a bit more control over this blog because I run it on my own domain using open source WordPress software, but most people are blogging on Medium or Substack or some other centralized service these days.

Und dass er substack / Medium für einfach eine andere Art Konzentration kritisch sieht. Was gerade rund um die Creator Economy passiert beschleunigt diese Konzentration: volle Automatisierung der content Distribution auf existierenden Social Media Plattformen und Optimierung auf audiences und reach.

Wie seht ihr bei 1E9 die Zukunft dieser Plattform ?

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Dezentrale Social media find ich jut. Ich stelle mir das grad wie die guten, alten analogen Poesie Alben vor. In denen man Leute reinschreiben lässt, die einem Nahe stehen., dass Ding aber in seiner Hand hat. Also die Knallchargen die mit Neonstift dutzende Seiten durchprinten., weil sie ein riesiges Herz in rosa Neonstift reingemalt haben… Oder die mit der Ecke umgeknickt: „bitte nicht gucken., erst wenn du 80 Jahre alt bist“… Mmh…, mir fehlt etwas der Charme an Sozialen Netzwerken… Viell. Kann man das noch mit Wacom koppeln., damit man bissi drin rumschmieren kann…Das hat mir am meisten Spaß gemacht.

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Da erinnere ich mich doch direkt mal an Tay … und bekomme das Schaudern.

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