Ist die Erde intelligent? Cambridge-Forscher:innen haben die evolutionären Entwicklungen von Biosphäre und Technospäre auf planetarer Ebene untersucht – und bescheinigen unserem Planeten noch Luft nach oben. Ist das nur wissenschaftliche Spielerei? Oder können uns ein planetares Intelligenzmodell und ganzheitliche Sichtweisen wie die Gaia-Theorie Wege aus dem Schlamassel zeigen?
Von Roman Maas
Sprechen wir von Intelligenz, ist damit oft die Denkfähigkeit einzelner Menschen gemeint. Wir bezeichnen uns selber als intelligent, wissen, dass es Individuen gibt, deren Scharfsinn wir nie erreichen werden, und glauben gerne, dass wir dennoch Millionen von anderen Menschen geistig weit überlegen sind. Neben dieser individuellen Intelligenz gibt es auch die kollektive Intelligenz. Menschen können sich zusammentun, in einer Gemeinschaft neue Ideen entwickeln, Probleme analysieren und Lösungswege finden. Über die Zeit entwickeln sich diese weiter, so dass die Menschen auf den geistigen Errungenschaften vergangener Generationen aufbauen können. In der Natur finden wir diese kollektive Intelligenz zum Beispiel, wenn wir Schwärme von Insekten, Fischen oder Vögeln betrachten. Und auch das Zusammenspiel größerer Ökosysteme, wie Wälder, die mit Wurzel- und Pilz-Systemen kommunizieren und Nährstoffe austauschen, werden von Forschern teilweise als intelligente Netzwerke angesehen.
Aber lässt sich der Begriff der Intelligenz auch auf ganze Planeten ausweiten? Kann ein Planet intelligent sein? Und wenn ja, wie steht es um die irdische Intelligenz?
In der Studie Intelligence as a planetary scale process haben sich Forscher:innen um David Frank, einem Astrophysikprofessor an der Cambridge University, mit diesen Fragen beschäftigt und ein Modell entwickelt, das Planetenintelligenz in verschiedenen Stufen darstellt. Mit dem Modell könnten anhand atmosphärischer Hinweise andere Planeten im Kosmos finden, die uns geistig ebenbürtig oder überlegen sind. Das Modell könnte außerdem hilfreich für die Geowissenschaften sein, besonders für die Frage, wie die evolutionäre Zukunft unseres Planeten aussehen könnte.
Vier Evolutionsstufen planetarer Intelligenz
Die Theorie der planetaren Intelligenz beinhaltet ein Vier-Stufen-Modell, das die Evolutionsschritte von Planeten skizziert, die mit einer natürlich entstandenen Biosphäre und einer künstlich entwickelten Technosphäre ausgestattet sind.
Stufe 1 ist die der unreifen Biosphäre. Als Biosphäre bezeichnet man die kollektive Aktivität aller Lebewesen auf der Erde – Mikroben, Pflanzen, Pilze und Tiere –, die in einem komplexen Geflecht mit den geologischen Systemen –Atmosphäre, Gewässer und Landmassen –interagiert. Man kann also sagen, dass ein Planet, der eine Biosphäre besitzt, ein dynamisches Eigenleben entwickelt hat. Bei einer unreifen Biosphäre ist davon aber noch nicht viel zu sehen. Die Astrobiologen vergleichen einen Planeten auf Stufe 1 mit der Erde, wie sie im Archaikum gewesen ist, vor etwa 3,5 Milliarden Jahren. Leben auf dem Planeten ist zwar vorhanden, aber noch nicht so weit entwickelt, dass es signifikante Auswirkungen auf die geologischen Systeme hat.
In Stufe 2 gilt die Biosphäre als reif. Hier üben die Gesamtheit der Lebensformen und deren komplexe Beziehungen untereinander einen großen Einfluss auf den geophysischen Zustand des Planeten aus. Bezogen auf das Erdalter ist hier die Phase nach dem Proterozoikum gemeint, die 541 Millionen Jahren begann, als sich eine sauerstoffreiche Atmosphäre gebildet hatte, die höheres Leben gedeihen ließ. Die Lebewesen interagieren untereinander und mit der Umwelt, was ein natürliches Gleichgewicht entstehen lässt, dass über Millionen von Sonnenumrundungen gedeiht und sich selbst erhält.
In Stufe 3 bekommt die Biosphäre nach Millionen Jahren Evolution Gesellschaft von einer Technosphäre. Diese wird definiert als Netzwerk aus Kommunikation, Transportwesen, Bürokratie und anderen Systeme, die Energieressourcen umwandeln. Die innovativen Lebensformen kommen so besser durch die Gegend, können sich austauschen und verwalten, aber wenn dies alles zu Lasten des gesamten Planeten geht, ist das alles nicht wirklich zu Ende gedacht. Wir stecken derzeit in genau dieser unreifen Technosphäre, deren Auswirkungen der Biosphäre schaden. Atmosphärisch ist die Stufe geprägt von erhöhten CO2-Werten und künstlichen Schadstoffen wie FCKW.
Stufe 4 ist die Phase der reifen Technosphäre. Die künstlichen Technologie-Systeme wurden so angepasst, dass sie mit der Biosphäre harmonieren, stabil und produktiv sind. Die atmosphärischen Komponenten sind so austariert, dass der Planet noch lange Zeit durch den Kosmos reisen kann.
Für uns stellt Stufe 4 ein Modell einer erstrebenswerten Zukunft dar: Die heutige Menschheit wäre Ausgangspunkt einer Zivilisation, die auch in kosmischen Maßstäben langlebig ist, weil sie die planetaren Ressourcen intelligent genutzt hat und sich selbst erhalten kann.
Gaia – das Erwachen des Weltengeistes?
Ist mit der Bezeichnung planetare Intelligenz etwa gemeint, dass die Erde ein Lebewesen mit eigenem Bewusstsein ist? Die Cambridge-Forscher stellen klar, dass Kognition nicht mit Bewusstsein gleichzusetzen ist.
Dennoch nehmen sie in ihrer Arbeit konkret auf die Gaia-Hypothese Bezug. Diese Theorie, die ihren Ursprung in den 1970ern hat, vertritt die Sichtweise, dass die Erde ein selbstregulierendes, evolvierendes System ist, bestehend aus der Gesamtheit der auf ihr verorteten Organismen und geologischen Systeme. James Lovelock, Vordenker dieser Idee, bezeichnet die Erde in seinem Buch Gaias Rache zwar als „größtes Lebewesen in unserem Sonnensystem”, glaubt aber dennoch nicht an ihr Selbst-Bewusstsein. Die Gaia-Theorie geht davon aus, dass die Selbstregulation der Erde, unter anderem durch die exakte Austarierung von Sauerstoff und Kohlendioxid, das Ziel hat, das Überleben der Organismen auf ihr zu sichern. Reduktionistische Wissenschaftler werten dies als teleologisch, also zielbezogen, ab und somit als unvereinbar mit der genzentrierten, zufallsbestimmten Interpretation der Evolution. Gleichzeitig wurde die nach der mythischen Erdmutter benannte Gaia-Theorie von esoterischen Denker:innen aufgegriffen und teilweise neu-heidnisch interpretiert.
Sowohl das Modell der planetaren Intelligenz vom Team um Frank David als auch die Gaia-Theorie gehen von der Erde als eigenständige Entität aus, die sich durch und mit ihren Organismen weiterentwickelt – wenn nichts dazwischenkommt zu einem komplexen Superorganismus, der über die Jahrmilliarden selbst erhaltend ist.
Können wir Stufe 4 überhaupt erreichen?
Haben diese Hypothesen, die auf unvorstellbar großen Zeitskalen spielen, irgendeinen Nutzen über ein Gedankenexperiment hinaus?
Angesichts aktueller globaler Krisen kann es einem so vorkommen, als ob die Menschheit ihren Planeten gerade kollektiv vor die Wand fährt: eine weltweite Pandemie, die sich trotz fortschrittlicher Pharmakologie nicht richtig bewältigen lässt, ein Kriegsausbruch, der im Worst Case die globale, thermonukleare Vernichtung zur Folge hat, und eine Klimakatastrophe, die große Teile der Welt noch nicht begreifen können oder wollen.
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Jetzt Mitglied werden!Wie wollen wir da je die vierte Stufe der planetaren Intelligenz erreichen?
Frank und seine Ko-Autor:innen. schreiben, dass ihr Konzept keine Sofortlösung für unsere Klimaprobleme bietet, uns aber bei der langfristigen Zielsetzung helfen kann. Allein die Beschäftigung mit der Definition von planetarer Intelligenz zwinge uns dazu, die Frage zu stellen: „Was muss in Sachen Evolution auf Planeten mit stabiler Bio- und Technosphäre passieren, damit das Leben darauf bestehen bleibt?“
Immerhin kann man beobachten, dass sich durch die globale Vernetzung immer mehr ein gemeinsames, menschliches Bewusstsein für weltbewegende Ereignisse herausbildet. Sowohl die Corona-Pandemie als auch die russische Invasion in der Ukraine treten global-gesellschaftliche Entwicklungen los, die noch vor einigen Jahrzehnten in ihren Ausmaßen undenkbar gewesen wären. Auch gemeinschaftliche Anstrengungen für eine weltweite Energiewende sind immer deutlicher zu spüren. Hoffen wir mal, dass dies zumindest ein paar kleine Schritte auf dem Weg zu einer ausgereiften planetaren Intelligenz sind.
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Titelbild: Getty Images