Heilendes Psilocybin: Was hinter den Millionen-Investitionen in Magic Mushrooms steckt

Dass der Konsum von Zauberpilzen zur spirituellen Erleuchtung führen kann, gilt in vielen Kreisen seit Jahrzehnten als Tatsache. Dass Pilze, die Psilocybin enthalten, bei der Therapie von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen wesentlich wirksamer sein könnten als klassische Medikamente, ist neu. Auch deshalb entdecken Pharmakonzerne und Investor:innen Psychedelika als möglichen Zukunftsmarkt. Was ist dran an der Kraft der Pilze?

Von Roman Maas

Was passiert mit jemandem, der ein paar Gramm Zauberpilze konsumiert? Auf diese Frage bekommt man oft unglaubliche, vor allem aber ziemlich verschiedene Antworten: Ein indigener Mesoamerikaner, dessen Volk Pilze mit Psilocybin seit Jahrhunderten rituell konsumiert, würde wohl berichten, dass er damit in die Geisterwelt eintaucht. Eine spirituell veranlagte Freundin könnte davon erzählen, wie sie vorübergehend Eins mit dem Kosmos geworden sei. Auf Reddit würde jemand vielleicht schreiben, wie sein Ego zersplittert wurde, während er oder sie Himmel und Hölle durchreiste. Man selbst würde wahrscheinlich wieder andere Worte für die eigene Erfahrung wählen.

Über eine Sache sind sich dennoch viele einig: Eine tüchtige Dosis Psilocybin trägt dazu bei, dass man sich selbst und die Umwelt nach dem Konsum in einem ganz neuen Licht betrachtet.

Berichte über psychedelische Trips und fantastische Spekulationen helfen jedoch nur bedingt weiter, wenn man wirklich verstehen will, was hinter der Wirkung dieser rätselhaften Fungi steckt. Hinzu kommt, dass die wissenschaftliche Informationslage über Jahrzehnte nur aus Nischenforschung und einzelnen Berichten bestand. Die Arbeit mit Psilocybin und anderen Psychedelika war schlichtweg illegal oder nur unter schwierigen Rahmenbedingungen durchzuführen. Inzwischen hat sich das geändert. Ständig kommen neue wissenschaftliche Erkenntnisse hinzu.

Eine kurze Geschichte der Magic Mushrooms

Pilzarten, die Psilocybin produzieren, das sich an die Serotonin-Rezeptoren von Säugetieren bindet, existieren bereits seit Millionen von Jahren. Möglicherweise kannten schon unsere Primaten-Vorfahren die berauschende Wirkung dieser Pilze. Es gibt sogar Mutmaßungen, dass sie eine Rolle bei der Evolution des Gehirns gespielt haben könnten. Auf jeden Fall werden viele verschiedene psychoaktive und psychedelische Pflanzen und Pilze über Jahrtausende in Ritualen von Naturvölkern und in frühen Hochkulturen verwendet.

In der westlichen Zivilisation der Moderne war es ausgerechnet ein Wall-Street-Banker von J.P. Morgan, der erste Erfahrungen mit Psilocybin-Pilzen machte. Aus Neugier nahm Gordon Wasson 1955 an der Pilzzeremonie einer mexikanischen Schamanin teil. Wassons tiefgreifende Erfahrung, bei der „seine Seele durch das Universum schwebte“, traf auf großes Interesse bei psychologischen Fachleuten. In der Folge wurde Psilocybin von 1960 bis 1966 als Medikament vertrieben. Über Psilocybin und das ebenfalls aus einem Pilz synthetisierten LSD gab es tausende Studien und viele Berichte über therapeutische Erfolge. Die Forschungsergebnisse von damals werden heutigen wissenschaftlichen Standards allerdings oft nicht mehr gerecht.

Stoffe wie Psilocybin, LSD und Cannabis hatten einen großen Einfluss auf die Gegenkultur der späten 1960er Jahre. Die Hippiebewegung lehnte sich gegen den konservativen Status Quo und den Vietnamkrieg auf. Die psychedelischen Pioniere Dennis und Terence McKenna entdeckten eine Methode, wie man Psilocybe cubensis mit Haushaltsmitteln selber züchten kann. LSD wiederum gelangte von therapeutischen Praxen massenhaft auf den Schwarzmarkt und wurde unkontrolliert eingenommen. 1971 setzen die USA allerdings die Convention on Psychotropic Substances durch, wonach Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen sämtliche psychedelische Substanzen als gefährlich und ohne medizinischen Nutzen einstuften und verboten.

Neue Erkenntnisse führen zur „psychedelischen Renaissance“

Seit einigen Jahren werden wieder vermehrt Studien mit Psilocybin durchgeführt. 2019 klassifizierte die US-Behörde für Lebens- und Arzneimittel, die FDA, die Verabreichung von Psilocybin sogar als Durchbruch-Therapie, der US-Bundesstaat Oregon entkriminalisierte Magic Mushrooms erst kürzlich. Und in Ländern wie Jamaika und den Niederlanden, wo psilocybinhaltige Pilze bzw. Trüffel nicht illegal sind, werden immer mehr Retreats angeboten, in denen die Pilze unter kontrollierten Bedingungen verabreicht werden.

Studien mit positiven Ergebnissen einer Psilocybin-Behandlung gibt es unter anderem zu:

Auch in Deutschland läuft derzeit am ZI Mannheim eine große klinische Studie zur Behandlung therapieresistenter Depressionen mit Psilocybin. Erste Ergebnisse werden 2023 erwartet. All diese Entwicklungen im 21. Jahrhundert werden auch als „psychedelische Renaissance“ bezeichnet.

Besonders die Arbeiten der psychiatrischen Fakultät der Johns Hopkins University und des extra eingerichteten Centre for Psychedelic Research am Imperial College London unter Leitung von Robin Carhart-Harris taten sich dabei hervor, ein wissenschaftliches Fundament für das Verständnis des Pilzwirkstoffs zu legen. Zusätzlich gibt es einige nicht-kommerzielle Forschungszentren, die seit Jahrzehnten multidisziplinär und am Rande der gesellschaftlichen Akzeptanz die Wirkung von Psychedelika untersuchen: Darunter MAPS, gegründet 1986 von Rick Doblin, und das Heffter Research Institute, das 1993 unter anderem von Dennis McKenna gestartet wurde.

Pilze führen zur Vernetzung von Hirnregionen – und sind offenbar wirksamer als Antidepressiva

Am Imperial College in London veröffentlichten Forscher im April 2022 die Ergebnisse zweier parallel durchgeführter klinischer Studien mit schwer therapierbaren depressiven Patient:innen. Dabei wurde die antidepressive Wirkung von Psilocybin mit dem pharmazeutischen Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)-Antidepressivum Escitalopram verglichen. Die Wirkung in den Gehirnen der Versuchspersonen wurde dabei mit dem bildgebenden Verfahren fMRI aufgezeichnet.

Psilocybin zeigte hier eine schnelle antidepressive Wirkung, deutlich ausgeprägter als bei SSRI, und nach einmaliger Anwendung auch noch Wochen später anhielt. Diese Erkenntnisse waren umso relevanter, da an anderer Stelle die Zweifel wachsen, dass die oft bei Depressionen verschriebenen Tabletten zu einer Verbesserung der Lebensqualität beitragen.

Durch die Hirnscans konnten die Forscher:innen erkennen, dass das Psilocybin die Arbeit der neuronalen Netzwerke im Gehirn beeinflusst. Systeme, die für kognitive Kontrolle verantwortlich sind, werden geschwächt. Das bewirkt, dass Areale, die im Normalzustand getrennt voneinander funktionieren, unter Psilocybin-Einfluss besser miteinander kommunizieren. Bereits in früheren Studien konnte gezeigt werden, dass es Psilocybin erlaubt, Bereiche des Gehirns miteinander zu verknüpfen, die sonst nicht viel miteinander zu tun haben. Es befördert die Neuroplastizität, sorgt also für also mehr Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn.

Dies könnte erklären, warum viele Zauberpilz-Konsument:innen von neuen Eingebungen und Erweiterung ihres Bewusstseins berichten. Psychedelika scheinen gedankliche Schranken aufzulösen, die für Phänomene wie Tunneldenken oder Starrköpfigkeit verantwortlich sind.

Psychedelika werden zum Wirtschaftsfaktor

Längst haben Pharmaunternehmen Wind vom Pilz-Potenzial bekommen und sind dabei, Medikamente und synthetische Varianten von Psilocybin zu entwickeln.

Einflussreiche Geldgeber unterstützen boomende Psilocybin- und Psychedelika-Start-ups mit Millionen-Summen. Darunter ist auch der deutsche Investor Christian Angermeyer, der sehr offen von seinen eigenen Psilocybin-Erfahrungen berichtet. Er steckte mindestens 40 Millionen Dollar in das Pharma-Start-up Atai, das Mental-Health-Forschung und -Entwicklung mit psychoaktiven Substanzen wie Psilocybin, LSD, dem Ayahuasca-Wirkstoff DMT, Ketamin und MDMA befördern will.

Ein weiteres bekanntes Projekt ist Compass Pathways, das vom US-Milliardär Peter Thiel gefördert wird und sich die Psilocybin-Forschung und das Training von Therapeut:innen auf die Fahnen geschrieben hat. Zudem wird ständig an neuen Verbindungen geforscht, die ähnlich wie klassische Psychedelika wirken sollen.

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Diese Kommerzialisierung wird nicht nur mit Wohlwollen beobachtet. Kritisiert wird vor allem die Patentierung von natürlich vorkommenden Substanzen. Die Befürchtung ist, dass Pharma-Monopole auf Psychedelika entstehen, die darüber bestimmen, wer Zugriff auf welche Substanzen hat.

Um eine große und weltweite Nachfrage zu bedienen, ist eine industrielle Herstellung sicher sinnvoll, aber notwendig wäre sie nicht unbedingt. Viele der über 200 Arten von psilocybinhaltigen Pilzen sind bekannt dafür, auf dem Dung von Rindern und anderen großen Pflanzenfressern zu sprießen. Im Gegensatz zum DMT-haltigen Pflanzensud Ayahuasca, dessen Ingredienzen nur im Amazonas wachsen, kommen Pilze praktisch überall vor und können leicht gezüchtet werden. Und im Vergleich zu synthetischen Psychedelika wie LSD ist die Extraktion des chemischen Wirkstoffes unkompliziert.

Werden Magic Mushrooms legalisiert?

In Deutschland fällt alles, was Psilocybin enthält, unter das Betäubungsmittelgesetz. Der Umgang damit ist also verboten. Sollte sich die Drogengesetzgebung weg von einer Verbotspolitik und hin zu einer Entkriminalisierung bewegen, die Aufklärung und Selbstbestimmung in den Vordergrund stellt, könnte auch hier eine regulierte Abgabe möglich sein. Einige Expert:innen befürworten die Einrichtung psychedelischer Zentren, bei denen man sich in die Hände geschulter Therapeut:innen begibt und unter sicheren, kontrollierten Bedingungen entsprechende Substanzen erhalten kann.

Visionen, spirituelle Erleuchtungen, mystische Erfahrungen, religiöse Erweckungserlebnisse: Zauberpilze haben ihren Namen nicht umsonst. Während derzeit die psychotherapeutische Heilwirkung im Vordergrund der Berichterstattung steht, wird die mystische Seite eines Trips in der öffentlichen Diskussion gerne belächelt. Bei vielen Pilz-Befürworter:innen gelten jedoch gerade solche universellen Einsichten als wichtige Faktoren für die positive Langzeitwirkung dieser Substanzen.

Das Versprechen einer Cannabis-Legalisierung der Ampelkoalition hat bei vielen Hoffnungen für einen offeneren Umgang mit psychoaktiven Substanzen und der Anerkennung ihrer Heilwirkungen geweckt. Allerdings liegt der Fokus der Regierung derzeit auf Pandemie, Krieg und Klimakatastrophe. Das ist verständlich – doch Depressionen, Ängste und Isolation können nicht nur Folgen solcher globaler Krisen sein, sondern sie auch verstärken.

Viele berichten, dass Psychedelika sorgen, die Wahrnehmung des bewussten Ichs kurzzeitig schwinden zu lassen und dafür die Bedeutung von Verbindungen zu unseren Mitmenschen, der Natur und unserem Planeten deutlicher machen. Und das sind doch Erkenntnisse, die wir in diesen Zeiten gut gebrauchen könnten.

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Titelbild: Shutterstock

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Danke für die Intro in das Thema aus verschiedenen Perspektiven. Ich habe mich etwas gestoßen an der Kombination mit Cannabis, da es sich dabei ja nicht um eine psychoaktive Substanz handelt und wenn man das Nutt Chart zugrunde legt dann ist Cannabis auch mit mehr Vorsicht zu genießen. Ähnlich zu Alkohol de facto und beides ist bisher ja deutlich akzeptierter in der Gesellschaft. Ob die Cannabis Legalisierung ein strategischer Schritt ist, bevor man Pilze dekriminalisiert?

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Danke fürs Feedback! Naja psychoaktiv sind diese Substanzen alle, inklusive Alkohol. Wahrscheinlich meinst Du psychedelisch - auch Cannabis kann psychedelische Wirkungen haben, besonders, wenn es gegessen wird.

Der Nutt Chart kategorisiert ja rein nach Gefahr, also wie viele Menschen wegen des Konsums etwa ins Krankenhaus mussten. Da sind die Pilze ganz weit unten und Alkohol ganz weit oben. So eine Gefahreneinteilung rein nach Substanzen sagt aber nichts darüber aus, ob jemand z.B. auf einer Handvoll Pilze ungefährlicher hinter dem Steuer unterwegs ist, als nach einem Glas Wein. Alle Substanzen können gefährlich sein und missbraucht werden, es hängt eben von Dosis, Set und Setting ab - deshalb braucht es auch bessere Aufklärung abseits von „Sag Nein zu Drogen“.

Die Cannabis-Legalisierung ist ja nur ein Teil des Wandels der Drogenpolitik. Es wird ja ein Umdenken bei all diesen Substanzen gefordert, weg von der Kriminalisierung von Usern und hin zu Aufklärung, wozu auch Drug checking gehört, also dass man seine Pillchen und Pülverchen auf Streckmittel testen lassen kann, ohne befürchten zu müssen, hoch genommen zu werden.

Für die Dekriminalisierung von Psychedelika gibt es mehrere Ansätze, manche sind nur im therapeutischen Kontext dafür, andere Vorschläge sind etwa eine Art „Führerschein“, bei dem man einen Kurs mit Beratungsgespräch absolviert, bevor man Zugang dazu bekommt. In Holland sind sie frei in Smart Shops erhältlich und die Opfer durch missbräuchlichen Konsum halten sich, glaube ich, sehr in Grenzen.

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Es kann noch spannend werden.

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Danke für den definitionsgemäßen Hinweis mit psychoaktiv. Für mich war Cannabis das nicht aber jetzt habe ich nochmal nachgelesen.

Beim Nutt Chart stimme ich dir nicht zu, denn es kategorisiert doch gerade nach der Gefahr für einen selbst und für andere. Wie dort gemessen wird, vor allem wenn du das Beispiel am Steuer aufführst weiß ich nicht. Autofahren sollte man wohl in beiden Fällen nicht. Allerdings ist ja zum Beispiel Alkohol deutlich gefährlicher weil es zur Selbstüberschätzung und oft auch zu Aggressivität führt.

Und ja, Dosis, Set und Setting ist super wichtig und das hast du toll herausgestellt.

Ich finde jedenfalls die öffentliche Debatte dazu sehr relevant und habe selber versucht dazu beizutragen mit einer Fotoreihe die ich als freiberuflicher Fotograf erarbeitet habe.

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