Wird saubere Luft zum Luxusgut? Auf der Technologiemesse CES 2020 in Las Vegas hat ein Start-up eine Atemmaske vorgestellt. Die soll nicht nur Giftstoffe aus der Luft filtern, sondern auch als trendiges und stylisches Gadget taugen. Das hat natürlich seinen Preis – und zeigt, wie dystopisch unsere Gegenwart schon ist.
Von Michael Förtsch
Die Glücksspielstadt Las Vegas ist in diesen Tagen die Welthauptstadt der Technik. Denn dort werden neue Technologien, innovative Wege der Mobilität aber auch jede Menge schräger Gadgets vorgestellt. Eines davon kommt von einem Start-up namens Aō Air und lässt auf den ersten Blick an eine Taucherbrille denken, die versehentlich von den Augen über den Mund gerutscht ist. Tatsächlich handelt es sich aber bei dem Atmōs getauften Gerät um einen High-Tech-Luftfilter. Kleine Düsen, die an den Halsseiten unter den Ohren sitzen, ziehen die Luft durch kompakte Filter, pusten sie nach vorne und sorgen so für eine Tasche aus frischer Luft, die mit Mund und Nase eingeatmet wird.
Die Entwickler von Aō Air versprechen, dass das Gerät unter anderem Feinstaub, Rus, Zigarettenrauch, Asche, Pollen und zahlreiche weitere Partikel aus der Luft herausfiltert. Dadurch würde die Atmōs unter anderem Erkrankungen wie Asthma und Lungenkrebs vorbeugen. In einem Werbevideo tragen es junge und aktive Menschen. Sie radeln auf dem Fahrrad, besprühen Wände mit Graffiti, gehen durch einen Nachtclub oder stehen in einem gut sitzenden Anzug auf einem Balkon – und checken in einer App, wie groß der Qualitätsunterschied zwischen der echten und ihrer gefilterten Luft ist.
Der Werbeclip von Aō Air könnte gut und gerne auf einer Werbetafel im Hintergrund eines dystopischen Science-Fiction- und Cyberpunk-Streifens laufen. Denn die Macher erklären in dem kurzen Filmchen in dicken Lettern „Luft ist unser fundamentalstes Bedürfnis“, vermarkten ihre private Schutzmaske aber nicht als ein Gerät für Notfälle oder Katastrophen, sondern als trendiges Konsumprodukt. „Unser transparentes Design“, heißt es in der Pressemitteilung von Aō Air, „erlaubt anderen dein Gesicht zu sehen – und dein Lächeln.“
Der Werbeclip von Aō Air könnte gut und gerne auf einer Werbetafel im Hintergrund eines dystopischen Science-Fiction- und Cyberpunk-Streifens laufen.
Teure Luft
Tatsächlich sind in vielen Teilen der Welt Atemmasken mittlerweile Gang und Gäbe für Menschen, die im Freien arbeiten oder einen langen Arbeitsweg vor sich haben. Der Smog im chinesischen Peking verursacht Jahr für Jahr schwerwiegende Lungenkrankheit, heftige Atembeschwerden und soll auch für eine steigende Zahl an Fehlgeburten verantwortlich sein. In Neu-Delhi und anderen indischen Großstädten wurde wegen der besorgniserregenden Luftverschmutzung in den vergangenen Jahren immer wieder ein Gesundheitsnotstand ausgerufen – zusammen mit tagelangen Fahrverboten für Privatfahrzeuge.
Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge ist giftige Luft pro Jahr weltweit für bis zu sieben Millionen Todesopfer verantwortlich. Die Zahl dürfte steigen. Denn an immer mehr Orten wird die Luft zur Gefahr. Zahlreiche aufstrebende Industriestädte in Asien aber auch Afrika haben mit massiver Luftverschmutzung zu kämpfen. Dazu kommt eine Zunahme von durch den Klimawandel bedingten Umwelt- und Naturkatastrophen. Dazu zählen gigantische Brände wie im vergangenen Jahr in Kalifornien oder gerade aktuell in Australien, die toxische Rauchschwaden über Millionen von Quadratkilometern verteilen. Aber auch die Häufigkeit von Sand- und Staubstürmen nimmt zu.
Die Masken, die viele Menschen an diesen Orten, tragen sind günstige Chirurgie- oder Staubschutzmasken für fünf bis 15 Euro, die eigentlich nur bedingt gegen die Verschmutzung helfen. Andere Masken mit wirksamen Luftfiltern sind mit Preisen ab 30 Euro aufwärts vergleichsweise kostspielig und erschweren das Atmen, da die Luft mit der Kraft der Lunge durch die Filter hindurch gesaugt werden muss. Dazu sind sie eigentlich nicht für einen langen Arbeitstag oder allzu anstrengende Tätigkeiten entworfen. Die Atmōs-Maske hingegen soll durch ihre aktiv saugenden Luftfilter ein natürliches und anstrengungsfreies Amten ermöglichen. Für einen Preis von 350 US-Dollar.
Stylisch in die Klimaapokalypse?
Der Großteil von denen, die schon jetzt dauerhaft unter Smog und Feinstaub zu leiden haben, die sich der giftigen Luft nicht entziehen können, werden sich die Atmōs-Maske kaum leisten können. Viele weitere, die bald auf künstlich gereinigte Luft angewiesen sein werden, ebenso. Für nicht wenige sind schon die günstigen Alternativen nur schwer oder sogar unbezahlbar. Der Schutz vor menschengemachten Gesundheitsgefahren wird dadurch zum Luxus, der Atemschutz zum Designobjekt und das freie Atmen von sauberer Luft zum teuren Lifestyle erhoben.
Wirklich neu ist dieser Trend jedoch nicht. In ihrem Buch The Shock Doctrine hatte die Autorin und Analystin Naomi Klein bereits 2007 den Begriff des Katastrophenkapitalismus gesetzt. Sie beschreibt damit die Tendenz, dass Unternehmen gezielt natürliche wie menschengemachte Katastrophen auszunutzen, um überteuerte Produkte speziell an Betroffene und Verängstige zu vermarkten – seien es Schutzbunker, Waffen oder auch Notvorräte. Schon im vergangenen Jahr berichtete Vox darüber, dass Hersteller wie Vogmask beginnen, einfache Atemschutzmasken mit Aufdrucken zum Fashion-Accessoire zu verklären. Die Atmōs-Maske von Aō Air scheint der derzeitige Höhepunkt dieses Trends.