Von Daria Saharova
Wer erahnen will, wohin sich die Tech-Welt in der näheren Zukunft entwickelt, ist dabei in Las Vegas. Große Hersteller, Journalisten, Start-ups und Investoren. Wie schön öfter in den vergangenen Jahren steht 2020 ein Produkt im Mittelpunkt, das früher nicht gerade als Unterhaltungselektronik durchgegangen wäre: das Auto.
Fast alle großen Autobauer, aber auch Zulieferer und Tech-Konzerne, die in den Mobilitätsmarkt einsteigen wollen, sind vor Ort. Und immer stärker kristallisiert sich heraus, dass die CES mit ihrem Fokus auf Entertainment genau der richtige Ort für Autos ist. Denn zu den immer wieder auftauchenden Themen ihrer Mobilitätskonzepte, die mir bei meinem ersten Tag auf der Messe aufgefallen sind, gehörte das Auto als Erweiterung des Lebensraums und der Fokus auf Wellness, Luxus, Unterhaltung und Ruhe im Auto. Dafür soll nicht nur das automatisierte und autonome Fahrzeug sorgen, sondern auch riesige Displays und Entertainment-Systeme. Im Auto arbeiten? Dazu habe ich kaum etwas entdeckt.
Andere Themen, die sich in Sachen Auto durch die ganze Messe ziehen: Elektrifizierung, Künstliche Intelligenz und autonomes Fahren, Sprachassistenten innerhalb und außerhalb des Fahrzeugs, 5G, aber auch moderne Sensoren und Sicherheitstechnik.
Sony präsentiert ein eigenes Elektroauto, Mercedes eine recycelbare Batterie
Es ist kaum möglich, alle Neuheiten und Konzepte aus dem Bereich Mobilität vorgestellt. Aber bei einigen wichtigen Herstellern konnte ich vorbeischauen. Überraschenderweise auf der Liste: Sony. Der japanische Elektronikkonzern enthüllte schon am Montag ein eigenes Elektroauto. Vision S heißt der Prototyp, in den 33 verschiedene Sensoren verbaut sein sollen, die für mehr Sicherheit und Komfort sorgen sollen. Wann genau das Auto auf die Straße kommen soll, wurde nicht bekannt. Doch die Botschaft ist klar: Der Gigant der Unterhaltungselektronik will ab sofort auch die Zukunft der Mobilität mitgestalten. Was das Design angeht, ist der Wagen allerdings wenig überraschend. Er vereint viele bekannte Elemente.
Mercedes-Benz hatte schon im Vorfeld angekündigt, dass es auf der CES etwas Spektakuläres zu sehen geben wird. Und tatsächlich wurden die Augen der Messebesucher nicht enttäuscht. Das Unternehmen holte sogar den legendären Hollywood-Regisseur James Cameron auf die Bühne, um das Konzeptauto VISION AVTR vorzustellen. AVTR steht zum einen für Advanced Vehicle Transformation. Zum anderen ist das Auto in die Themenwelt des neuen Avatar-Films integriert – sowohl, was das futuristische Design angeht, als auch, was den Bezug zur Natur betrifft. Ein Lenkrad hat das Fahrzeug nicht, dafür nach Angaben von Daimler viel Nachhaltigkeit. Es soll komplett ohne Emissionen auskommen, verfügt über einen Holzboden und vor allem über eine organische Batterietechnologie, die dem Elektroantrieb die Energie liefert. Die Batterien sollen ohne seltene, giftige und teure Erden und Metalle hergestellt werden und sogar kompostierbar sein.
Im Gegensatz zu den Konzeptmodellen anderer Hersteller versteckte Mercedes den VISION AVTR hinter einem Vorgang. Die Schlange war leider so lang, dass ich über zwei Stunden hätte warten müssen, um das Auto aus der Nähe anzusehen.
Bei BMW wird die Frontscheibe zur „Theaterbühne“
BWM leistete sich in Las Vegas einen eigene Location vor der Messehalle und nutzte die komplette Fassade eines gegenüberliegenden Gebäudes, um den Besuchern klar zu machen, was sie dort erleben können: Wie der BMW der Zukunft von Innen aussehen könnte. Dabei geht es weniger um Science-Fiction und mehr um konkrete Designideen für das Auto als Lebensraum, die schon in naher Zukunft umgesetzt werden konnte. Das Erlebnis im Auto solle sich nicht mehr vom Erlebnis zuhause unterscheiden, sagte BMW-Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich bei seiner Präsentation.
„Wichtige Elemente, die wir dargestellt haben, sind sowohl, dass wir eine luxuriöse Wellness-Möglichkeit geben mit dem ZeroG Lounger, damit sich der Kunde maximal entspannen kann“, erklärte mir Ernst Fricke, der Vice President Interior Concepts and Integration der BMW Group. „Zum anderen ging es darum, wo wir zukünftig Informationen darstellen. Und die Frage, die sich da natürlich stellte war: Warum nutzen wir nicht die gesamte Windschutzscheibe? Weil das ist die Theaterbühne.“
Was das konkret bedeutet? Der ZeroG Lounger ist ein neuer Komfortsitz, der bereits in wenigen Jahren in Serie gehen soll, und auf der CES im X7 getestet werden konnte. Er kann sehr stark geneigt werden und soll sogar gesundes und gechilltes Sitzen (bzw. fast schon Liegen) in Embryostellung möglich machen. In Verbindung mit dem Entertainment-System soll der Sitz sogar vor Übelkeit schützen.
Die neue Art der Informations- und Entertainment-Darstellung – und die Windschutzscheibe, die zur Theaterbühne wird – zeigte das Konzept BMW i Interaction EASE. Das verfügt über eine KI, die erkennt, worauf der Fahrer jenseits der Scheibe blickt und blendet ihm in Augmented Reality dazu passende Informationen ein. Wenn er das denn möchte. Fährt das Auto automatisiert oder autonom, kann die Windschutzscheibe nämlich auch zum riesigen Entertainment-Display umfunktioniert werden, während die übrigen Scheiben abgedunkelt werden. Ein Konzept, das aus meiner Sicht großes Vertrauen des Nutzers voraussetzt, weil der Innenraum dadurch komplett von der Außenwelt distanziert wird. Gesteuert wird bei Interaction EASE mit einer Mischung aus Sprache, Gestik und Haptik.
Mit dem AI:ME, der schon im vergangenen Jahr in Shanghai vorgestellt wurde, hat übrigens auch Audi ein Konzeptauto dabei, bei dem das autonome Fahren quasi als selbstverständlich vorausgesetzt wird und eher der Innenraum entscheidend ist. Ähnlich wie bei Mercedes und BMW soll der sich langsam aber sicher dem Wohnzimmer annähern.
UBER lässt sein Flugtaxi von Hyundai bauen und Alexa fährt mit
Hyundai hat sich die Demokratisierung des Luftraums auf die Fahne geschrieben. Und meint damit: fliegende Autos. Der auf der CES gezeigte Prototyp beeindruckt tatsächlich und mit einer VR-Brille konnte man bereits einen Flug erleben. Hyundai hat sich übrigens mit niemand geringerm als UBER zusammengetan, um die Mobilitätsplattform zu den Flugtaxis aufzubauen. Branchen-Insider munkeln, dass UBERs eigene Bemühungen, Autos zu konstruieren, möglicherweise auf Skalierungsproblem stossen. Dann muss Hyundai eben liefern. Offiziell ist das fliegende Auto für 2023 geplant. Aus den Gesprächen auf der CES habe ich aber herausgehört, dass manche eher von 2030 ausgehen.
Für mich persönlich die größte Überraschung war, dass auch Amazon ein Konzept für Autos vorstellte. Allein die Größe des Stands und die Menge an Partnern, die der Riesenkonzern aus Seattle integriert hat, deuten für mich darauf hin, dass das Thema Mobilität für Amazon wichtig ist. Mit dem E-Autobauer Rivian zeigt Amazon auf der Messe sowohl die konkrete Use Cases der eigenen Lösungen für Hersteller, bietet den Besuchern aber auch die Möglichkeit, die Steuerung mit Alexa zu testen. Dabei reicht die Authentifizierung per Gesichtserkennung, damit Alexa auf den individuellen Fahrer abgestimmt loslegen kann. Gedacht sind Funktionen wie die Steuerung des Smart Homes während der Fahrt. Alexa checkt für dich beispielsweise, ob die Tür wirklich zu ist.
Natürlich kann Alexa die Kaffeebestellung Kaffee auf dem Weg ins Büro übernehmen, die auf Basis von gelernten Präferenzen und der Verkehrslage geplant wird. Funktionen innerhalb des Autos können ebenfalls mit Alexa bedient werden. Und auch hier wird via Fire TV das Entertainment groß geschrieben. Lamborghini hat übrigens einen extravaganten orangenen Wagen mit nach Vegas gebracht, der das erste Fahrzeug mit Alexa-Integration sein wird. Elektrisch? Nicht unbedingt.
Weniger überraschend bietet Google eine ähnliche Sprachsteuerung des Autos auf Android an und präsentiert diese auf der CES komplett in das Infotainment des BMW 5x integriert. Im Gegensatz zu vielen Dingen, die auf der Messe gezeigt werden, kommt dieses Produkt wohl bereits dieses Jahr in Handel kommt.
Der Konsument steht auf der CES im Mittelpunkt
Im Auto der Zukunft, das autonom und elektrisch fährt, soll der Mensch entspannen, genießen und sich unterhalten lassen können. Das vermittelt zumindest die CES. Das Auto wirkt dadurch nicht unbedingt als Innovationstreiber für ganz neue Verkehrskonzepte. Am Ende bleibt die CES eben, was sie ist: eine Show.
Daria Saharova ist nicht nur Mitgründerin von 1E9, sondern auch Partnerin bein Venture Capital Fonds Vito ONE. Wer laufend mitverfolgen will, was sie auf der CES erlebt, kann dies in den Storys unseres Instagram-Kanals.
Disclaimer: Darias Reise fand auf Einladung der BMW Group statt.
Titelbild: Mercedes-Benz-VISION AVTR, Mercedes-Benz