Die Falcon 9-Rakete für die Crew-1 Mission wird am 9. November 2020 zur Startrampe 39A gebracht. Photo Credit: (NASA/Joel Kowsky)
Zu Beginn des Frühjahrs sah es noch nach einem ganz, ganz miesen Raumfahrtjahr aus. Corona schien alles zum Stillstand zu bringen. Am Ende galt das aber nur für Indien und Europa. Dort wurden aus Angst vor dem Virus die Raumfahrteinrichtungen über Monate komplett geschlossen. Dieser Rückstand ließ sich auch in der zweiten Jahreshälfte nicht mehr aufholen. In anderen Nationen kam es zwar auch zunächst zu einer Reduktion der Aktivitäten und zu starken Arbeitseinschränkungen durch Schutzregelungen im Zusammenhang mit dem Virus. Am Ende aber war dennoch ein neues Rekordjahr eingefahren. Was die Anzahl der Starts betraf (es waren 114) lieferte 2020 zusammen mit dem Jahr 2018 das beste Ergebnis seit mehreren Jahrzehnten.
Die meisten Missionen einer einzelnen Nation führte erneut China durch (mit 39 Starts), gefolgt von den USA (38 Missionen) und Russland (17 Flügen). Betrachtet man nur die Nutzlastgewichte, dann führen in diesem Jahr die USA vor China und Russland.
Es kam zu einer ganzen Reihe von Erstflügen neuer Raketen, die sich deutlich auf die Erfolgsstatistik auswirkten. Von den 114 Starts scheiterten nicht weniger als zehn. Man muss schon bis in die Mitte der sechziger Jahre zurückgehen, um auf eine ähnlich schlechte Zahl zu stoßen. Die alte Raumfahrt-Faustregel, dass etwa 50 Prozent aller Erstflüge scheitern, gilt nach wie vor.
Den ersten Rang für Starts eines einzelnen Weltraumbahnhofs nimmt erneut Cape Canaveral ein. Dort begannen 31 Missionen. Die Plätze zwei und drei belegen die chinesischen Startplätze Jiuquan und Xichang mit 14, respektive 13 Missionen.
Doch verlieren wir uns an dieser Stelle nicht in statistischen Details (die können Sie jedes Jahr in SPACE ausführlich nachlesen) sondern sehen wir uns nun die Liste der – in meinen Augen – zehn wichtigsten Raumfahrereignisse des Jahres 2020 an. Sie sind aufsteigend geordnet von Platz 10 bis Platz 1. Jemand anderes mag zu anderen und genauso berechtigten Schlüssen kommen. Schreiben Sie uns in diesem Fall einfach ihre eigene Bewertung in die Kommentare.
10. SpaceX explodiert eine Rakete und alle freuen sich
Der Moment des (künstlich hervorgerufenen) Flugabbruchs. Die Sicherheitssysteme der Kapsel bemerken eine Anomalie und trennen sie von der Rakete. Quelle: NASA
Ausnahmslos alle regulären Missionen von SpaceX im Jahr 2020 verliefen erfolgreich. Auch die einzige, bei der die Trägerrakete explodierte, war ein voller Erfolg. Allerdings sollte sie das auch tun, denn am 19. Januar ging es darum, das Startrettungssystem des Crew Dragon unter den härtesten Bedingungen zu testen: Die Flucht von einer Rakete, die in der Zone der maximalen aerodynamischen Belastung in Schwierigkeiten gerät. Der Crew-Dragon meisterte das Problem exzellent. Die Triebwerke der Rakete wurden abgeschaltet, die Rakete konnte nicht mehr gegen die auf sie einwirkenden Kräfte ansteuern und explodierte. Das Crew-Rettungssystem bemerkte die (künstlich hervorgerufene) Anomalie und brachte den bei diesem Test natürlich unbemannte Crew-Dragon mit der fiktiven Crew in Sicherheit.
9. Christina Koch bleibt fast ein Jahr im Weltraum
Christina Koch – Rekordhalterin im Weltraum. Quelle: NASA
Die US-Astronautin Christina Koch ist die neue Rekordhalterin für Langzeit-Aufenthalte von Frauen im Weltraum. Zwischen dem 14. März 2019 und dem 6. Februar 2020 verbrachte sie insgesamt 328 Tage, 13 Stunden und 58 Minuten im Orbit. Den bisherigen Rekord hielt Peggy Whitson mit 289 Tagen. Insgesamt ist sie damit Nummer zwei unter den westlichen Raumfahrern. Nur Scott Kelly blieb mit 340 Tagen bei einem einzelnen Raumflug länger im Orbit als Koch. Sie unternahm während dieser Mission auch fünf Außenbordmanöver. Im Dezember wurde Christina Koch von der NASA als eine der ARTEMIS-Mondflugkandidatinnen ausgewählt.
8. ISS erstmals mit nominaler Besatzungsstärke
Expeditionscrew 64 – Erstmals mit sieben permanenten Mitgliedern. Quelle: NASA
Es dauerte 20 Jahre bis das Ziel erreicht war, aber am 17. November 2020 war es endlich soweit. Die nominale Besatzungsstärke der ISS für Langzeitaufenthalte konnte von bislang sechs auf sieben Crewmitglieder erhöht werden. Es hatte auch zuvor schon kurzfristig mehr als sechs Personen an Bord der ISS gegeben, wenn etwa ein Crew-Wechsel mit Sojus-Raumschiffen überlappend durchgeführt wurde, oder wenn der Space Shuttle zu Besuch war. Der limitierende Faktor für die Langzeitcrews war aber die insgesamt sechs Plätze an Bord der beiden Sojus-Raumschiffe für den Fall einer Not-Evakuierung der Station. Mit dem Crew-Dragon ist das nun anders. Er kann jetzt für den regulären Flugbetrieb vier Plätze zur Verfügung stellen. Zusammen mit den drei Plätzen der nunmehr einzelnen Sojus sind es somit die erwähnten sieben. Der Crew Dragon könnte sogar im Notfall ganz alleine alle sieben Besatzungsmitglieder der ISS evakuieren. Somit sind gegenwärtig Shannon Walter, Victor Glover, Michael Hopkins und Soichi Noguchi (mit dem Crew-Dragon) und Sergei Ryschikow, Sergei Kud-Swertschkow und Kathleen Rubins (Sojus MS-17) an Bord der ISS. Sieben Personen. Die nominale Besatzungsstärke.
7. Starlink-Konstellation nimmt Gestalt an
Starlinks – grafische Darstellung. Quelle: SpaceX
SpaceX führte im Jahr 2020 nicht weniger als 25 Orbitalmissionen durch. Wäre das Unternehmen ein Land, es würde Platz zwei der weltweiten Startstatistik belegen. Von diesen 25 Flügen waren 14 dem Aufbau der Starlink-Internet-Konstellation gewidmet. Bei jedem einzelnen Flug wurden etwa 60 neue Starlinks in den Orbit gebracht. Sie ist damit schon jetzt (zum großen Missfallen mancher Astronomen) die weltweit größte Satellitenkonstellation im Orbit. Damit hat SpaceX bis heute über 950 Starlink-Satelliten gestartet, von denen noch etwa 900 im Orbit sind. Nur die Raumfahrzeuge der ersten Testserie werden nach und nach aus der Umlaufbahn entnommen.
6. Erstflug des Cargo-Dragon
Der Cargo Dragon sieht dem Crew Dragon recht ähnlich, hat aber dennoch einige gut erkennbare Unterscheidungsmerkmale: Der Trunk (der zylindrische Teil nach der Kapsel) hat nur zwei statt vier Flossen und es gibt in der Kapsel keine Fenster.
Der Cargo-Dragon ist die unbemannte Frachtversion des Dragon 2, besser bekannt unter dem Namen Crew Dragon. Diese SpaceX-Raumschiffe starten ohne Sitze und Cockpit. Ohne Fenster, Lebenserhaltungs- und Rettungssystem. Wie der Crew Dragon sind sie vielfach wiederverwendbar. Die erste Mission des Cargo Dragon (Dragon Kapsel 208) begann am 6. Dezember 2020 und dauert zum Zeitpunkt, an dem diese Zeilen entstehen, noch an.
5. Osiris-Rex entnimmt Bodenproben auf Bennu
Der Moment der Probenentnahme auf dem Asteroiden Bennu
Die Mission der US-Sonde Osiris-Rex ähnelt stark derjenigen der japanischen Raumsonde Hayabusa 2. Mit einem Startgewicht von 2,2 Tonnen ist sie aber viel massiver. Gestartet wurde sie am 5. September 2016 in Cape Canaveral. Im August 2018 erreichte sie ihr Zielobjekt, den nur 500 Meter großen Asteroiden (101955) Bennu. Am 20. Oktober erfolgte die erste von zwei geplanten Probenentnahmen. Doch die zweite Entnahme musste entfallen, denn der Probenbehälter war bereits bei der ersten Entnahme so voll geworden, dass er nicht mehr komplett schloss. Die NASA entschied sich damit, die „Beute“ zu sichern und die Probe in die Rückführkapsel zu transferieren. Nun ist Osiris-Rex eigentlich ein wenig zu früh mit seiner Arbeit fertig und muss bis zum 21. März 2021 warten. Erst dann öffnet sich das Rückflugfenster und das Bahnmanöver für den Heimflug kann beginnen. Am 24. September 2023 wird die Rückkehrkapsel in die Erdatmosphäre eintreten und in Utah landen.
4. Starships erste Testflüge
Start von Starship SN 08. Quelle: inceptivemind.com
Wenn SpaceX neue Raumtransportsysteme testet, dann ist das immer ein Fest für die Fanboys und –girls. Dann erwacht die Zukunft der Raumfahrt zum Leben. So war es bei den Versuchsflügen für das Landesystem der Falcon 9, den Tests für die Dragon-Kapseln und nun für das Raumschiff der Zukunft, das Starship. Musk stößt soweit in Raumfahrt-Neuland vor, dass – wie er es nennt – RUD’s (Rapid unscheduled Disassemblies), also Explosionen, unausweichlich sind. Das garantiert ein Spektakel und so sind ganze Scharen von Amateurbeobachtern dabei, den Fortgang der Arbeiten im texanischen Boca Chica genau zu beobachten. Dazu kommt, dass sich SpaceX – ganz im Gegensatz zu anderen Unternehmen – nicht davor scheut, Tests, die für uninformierte Beobachter wie Misserfolge aussehen, in aller Breite zu veröffentlichen. Sicher ein wesentlicher Aspekt für den Kultstatus des Unternehmens.
2020 fanden drei Testflüge von Starship-Prototypen statt. Zwei gingen bis auf 150 Meter Höhe, der dritte und spektakulärste erfolgte am 9. Dezember. An diesem Tag flog das Starship mit der Seriennummer 08 auf eine Höhe von 12,5 Kilometern und führte dabei eine Reihe von Manövern durch, die für die Missionen der späteren Einheiten notwendig sind. Beispielsweise das Abschalten und Wiederzünden von Triebwerken, das so genannten „Belly-flop“ Abstiegsmanöver und den „Landing flip“, bei dem sich die riesige Rakete kurz vor der Wiederzündung der Raptor-Triebwerke aufrichtet und die Raketenmotoren erneut zünden um die Landung durchzuführen. Die allerdings fiel ein wenig zu hart aus, und SN 08 wurde zerstört. Was Elon Musk nicht davon abhielt, den knapp sieben Minuten langen Flug als vollen Erfolg zu bezeichnen.
3. Hayabusa 2 bringt Bodenproben vom Asteroiden Ryugu zur Erde…
Hayabusa 2 – Grafische Darstellung. Quelle: JAXA
Der japanischen Raumfahrtbehörde JAXA gelang es mit ihrer Raumsonde Hayabusa 2 Material von der Oberfläche des Asteroiden (162173) Ryugu zur Erde zu bringen. Die Mission der 600 Kilogramm schweren Raumsonde hatte am 3. Dezember 2014 begonnen. Im Juni 2018 erreichte das Raumfahrzeug den Himmelskörper. Dort setzte Hayabusa 2 eine Reihe von Landern ab. Einer von ihnen, mit der Bezeichnung MASCOT, war von der deutschen Raumfahrtbehörde DLR beigesteuert worden. Am 22. Februar und am 11. Juli 2019 entnahm die Sonde jeweils Bodenproben von der Oberfläche des Asteroiden. Am 13. November 2019 begann der Rückflug zur Erde. Am 5. Dezember 2020 setzte Hayabusa 2 eine kleine Landekapsel mit den Bodenproben ab, die in Australien in der Woomera-Testrange sicher landete. Die Sonde selbst flog in geringem Abstand an der Erde vorbei und macht sich nun auf den Weg zu ihrem neuen Ziel, dem Asteroiden 1998 KY26, den sie im Jahre 2031 erreichen soll. Das erstaunlich an der an sich recht komplexen Mission war der – für Raumfahrtverhältnisse – mit Gesamtkosten in Höhe von unter 200 Millionen Euro überaus niedrige Projektpreis. Die Proben, es sind 5,5 Gramm grobkörniges Material mit Partikelgrößen von bis zu 0,5 Zentimetern (Zielvorgabe waren 0,1 Gramm), werden nun in Labors auf der Erde analysiert.
2. …und Chang’e 5 Bodenproben vom Mond
Grafische Darstellung von Chang’e 5 auf dem Mond. Hier das Lande- und Aufstiegselement.
Das war vielleicht die komplexeste unbemannte Mission in der Geschichte der Raumfahrt. An sich unnötig kompliziert für eine reine Probenrückführ-Mission vom Mond. Aber genau das hier durchgeführte Szenario ist die Blaupause einer Probenrückführ-Mission zum Mars, und im Prinzip ähnlich dürften auch zukünftige bemannte chinesische Mondlandungen ablaufen. Insofern kann man den Einsatz von Chang’e 5 auch als Testmission für zukünftige Vorhaben betrachten.
Die Mission lief zwischen dem 23. November und dem 16. Dezember und brachte eine Ausbeute von knapp zwei Kilogramm Mondmaterial. Es war die erste automatische Probenrückführ-Mission seit dem August 1976, als Luna 24 insgesamt 170 Gramm Mondmaterial zur Erde brachte. Insgesamt hatten seinerzeit die drei erfolgreichen sowjetischen Probenrückführmissionen (Luna 16, 20 und 24) 300 Gramm Mondmaterial zur Erde gebracht. Chang’e nun bei einem einzigen Flug fast sechs Mal so viel wie seinerseits die Sowjets.
1. SpaceX startet erstmals Astronauten
Doug Hurley (links) und Bob Behnken
Es war der zweite Testflug des neuen Crew Dragons von SpaceX. Der erste war am 2. März 2019 noch unbemannt erfolgt. Für mich war es das Raumfahrt-Topereignis des Jahres 2020.
Erstmals seit dem Jahre 2012 starteten wieder Raumfahrer von einem anderen Startort als dem kasachischen Baikonur in den Orbit. Diese erste bemannte Mission von Cape Canaveral nach neun Jahren ging von derselben Startrampe (39A) auf die Reise wie damals am 10. Juli 2011 der Space Shuttle Atlantis zur Mission STS-135, dem abschließenden Flug des Raumfähren-Programms.
Die Crew-Demomission 2 verlief in allen Phasen perfekt. Zwischen dem 31. Mai und dem 2. August blieben die Astronauten Bob Behnken (der seinerzeit auch Pilot der finalen Shuttle-Mission war) und Doug Hurley insgesamt 62 Tage und 9 Stunden im Orbit.
Anderer Meinung?
Und um die Sache rund zu machen, und um für Ihre eigene Bewertung vielleicht noch Anhaltspunkte zu geben: hier die zehn nächsten Ereignisse, die ebenfalls für die Erstellung dieser Rangliste,in Betracht gezogen wurden, es aber nicht in die Top Ten schafften:
-
China startet die Multifunktionsraumsonde Tianwen-1 zum Mars
-
Die USA starten den Rover Perseverence zum Mars
-
Die Arabischen Emirate starten die Orbitsonde Hope zum Mars
-
SpaceX führt den 100. Falcon 9-Start durch
-
Angara 5 ist beim zweiten Testflug erfolgreich
-
Die NASA beauftragt drei Firmen mit der Entwicklung eines bemannten Mondlanders.
-
One Web aus dem Bankrott gerettet
-
Rocket Lab unternimmt erste Schritte zur Wiederverwendbarkeit
-
Langer Marsch 8 erlebt erfolgreichen Erstflug
-
China startet geheimen Mini-Shuttle
Gutes Neues Jahr!
Stefan von der SPACE-Redaktion