Ein Interview von Wolfgang Kerler
Heba Aguib sucht nach Zebras, nicht nach Einhörnern. Damit meint sie Start-ups, die sich nicht ausschließlich auf Wachstum konzentrieren. Die aber auch nicht nur auf positive soziale oder ökologische Wirkung aus sind. Zebras wollen beides miteinander verbinden: Profit und Impact. Und Heba Aguib möchte junge Tech-Firmen, die in diese Kategorie fallen, unterstützen. Denn sie ist Chief Executive des RESPOND Accelerators, den die gemeinnützige BMW Foundation gerade mit Unterstützung der unternehmerTUM gestartet hat.
Schon die Auswahl der 10 Teams aus Deutschland, Österreich, Belgien Frankreich und Nigeria, die in der ersten Runde gefördert werden, fiel mitten in die Corona-Krise. Ob die erste gemeinsame Workshop-Phase in München im Juni physisch oder nur virtuell stattfinden kann, ist auch unklar. Doch Heba macht bei unserem Gespräch trotzdem einen sehr gelassenen Eindruck. Sie hat Projekte schon unter deutlich widrigeren Umständen umsetzen müssen.
1E9: Die Corona-Krise ist für viele Menschen in Deutschland und Europa eine völlig neue Erfahrung. Plötzlich ist unklar, wie die Welt in wenigen Wochen oder Monaten aussehen wird. Manche Unternehmen reagieren, indem sie Projekte pausieren, Investitionen stoppen – und erst einmal verunsichert abwarten. Woran könnte das liegen?
Heba Aguib: Vor COVID-19 waren wir es gewohnt, dass manche Menschen in Deutschland sich schon aufregen, wenn die U-Bahn zwei Minuten zu spät kommt. Das klingt plakativ, war aber wirklich so. Ich habe mich da manchmal gefragt, was in Deutschland los wäre, wenn alle Ampeln für eine Woche ausfallen. Oder die Stromversorgung mehrmals am Tag für mehrere Stunden zusammenbricht. Viele Menschen, aber auch Firmen in Deutschland konnten sich bisher darauf verlassen, dass alles reibungslos funktioniert. Dass sich Rahmenbedingungen plötzlich verschlechtern, war gar nicht eingeplant. Jetzt beweisen die Menschen und das System, dass sie sich an unerwartete Krisen anpassen können.
Für dich ruft die aktuelle Lage eher Erinnerungen an Erfahrungen wach, die du 2011 in Ägypten gesammelt hast. Wie würdest du die dortige Situation damals beschreiben?
Heba Aguib: Es herrschte Revolution. Der Alltag war oft chaotisch. An manchen Tagen gab es nur fünf Stunden ununterbrochen Strom. Bankautomaten spuckten kein Geld mehr aus. Das Internet war für ein paar Tage weg. Und Wasser gab es manchmal auch keins mehr. Staatliche Institutionen existierten schon, aber die Menschen und die Strukturen, die sie ausfüllten, waren weg.
Trotzdem musstest du in genau dieser Lage ein großes Projekt vorantreiben. Worum ging es dabei?
Heba Aguib: Ich war als Teil der Geschäftsführung für den Aufbau eines neuen, in non-profit Public-Private-Partnership betriebenen Campus der Technischen Universität Berlin in Ägypten mitverantwortlich: eine High-Tech-Anlage, wo zu Themen wie erneuerbare Energien, Wassermanagement, aber auch Stadtentwicklung geforscht und gelehrt werden sollte. Wir mussten nicht nur ein akademisches Konzept entwickeln, sondern auch die Fertigstellung eines 10.000 Quadratmeter großen Areals mit mehreren Laboren überwachen.
Und mit welchen Schwierigkeiten hattest du zu kämpfen?
Heba Aguib: Als ich auf der Baustelle ankam, war alles komplett hinter den Zeitplan zurückgefallen. Irgendwie mussten wir zwischen der ägyptischen Regierung, die mehrfach wechselte, und dem Berliner Senat vermitteln. Labormaterial, das aus Deutschland eingeflogen wurde, wurde vom Zoll zurückgehalten, weil dort niemand mehr war, der Entscheidungen treffen konnte. Arbeitsgenehmigungen für die TU-Mitarbeiter aus Berlin waren auch nicht mehr zu bekommen. Dazu kamen die Strom-, Gas- und Internetausfälle und die schwere Wirtschaftskrise, die in Ägypten damals herrschte. Auch unser Budget wurde gekürzt. Ich musste unglaublich viel telefonieren, um jemanden zu finden, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt. Und auch meine Eltern habe ich oft angerufen. Die sind Bauingenieure. Ich habe Maschinenbau studiert.
War das Projekt trotzdem ein Erfolg?
Heba Aguib: Erfolg ist immer daran zu messen, was man im Rahmen des Möglichen geschafft hat. Und insofern war es ein Erfolg, ja. Wir haben den Campus pünktlich eröffnet und Studierende aus verschiedenen Ländern haben dort ihr Studium begonnen. Es waren zwar weniger als ursprünglich geplant und die Gebäude waren nicht die Musterbeispiele für nachhaltiges Bauen, die sie hätten werden sollen, aber immer noch ein High-Tech-Gelände nach neuestem Standard. Wir haben also einen Weg gefunden, den Campus rechtzeitig in Betrieb zu nehmen und internationale Projekte zu starten.
Was sind die Lehren, die du aus dieser Zeit gezogen hast – und die sich vielleicht auf die aktuelle Krisensituation übertragen lassen? Wie kann man trotz großer Unsicherheit und Rahmenbedingungen, die alles andere als perfekt sind, Projekte voranbringen?
Heba Aguib: Es ist wichtig, sich auf die eigenen Stärken und Fähigkeiten, aber auch die Stärken und Fähigkeiten im eigenen Team zu verlassen – und diese gezielt einzusetzen. Außerdem sollte man akzeptieren, dass unter den gegebenen Umständen bestimmte Dinge eben nicht machbar sind. Nicht alles ist kalkulierbar, deshalb muss man flexibel und anpassungsfähig bleiben. Und eine Planänderung ist ja keine Niederlage. Optimismus und Energie gewinnt man, indem man sich auf die kleinen Meilensteine konzentriert, die man trotzdem erreichen kann, und somit der Vision immer näherkommt. Außerdem ist es wichtig, von vornherein darauf eingestellt zu sein, dass alternative Szenarien eintreten können.
Unterscheiden sich Innovationen, die in stabilen Zeiten entstehen, und Innovationen, die in Krisenzeiten aus deiner Sicht?
Heba Aguib: Innovationen in ruhigen Zeiten entstehen aus meiner Sicht eher dadurch, dass man um denkt. In Krisenzeiten entstehen sie dadurch, dass man neu denkt. Eine Krise provoziert also viel tiefgreifendere Innovationen. Oder um es mit einem Sprichwort zu sagen, das es sowohl in Ägypten als auch in Deutschland gibt: Not macht erfinderisch. Dafür sehen wir auch jetzt Beispiele. Wir erleben, wie innerhalb kürzester Zeit digitale Services von bisher analogen Geschäften gestartet werden oder wie neue Wege entwickelt werden, um Gesundheitsdaten zu sammeln, auszuwerten und anzuwenden.
Immer wieder wird die aktuelle Krise mit der Klimakrise in Verbindung gebracht. Siehst du auch Parallelen?
Heba Aguib: Eine Parallele zwischen der Pandemie und dem Klimawandel ist, dass sie zwar von der Öffentlichkeit als akute Katastrophen empfunden werden, Experten aber schon lange davor warnen. Die aktuelle Krise ist insofern ein schwacher Vorgeschmack darauf, was passiert, wenn wir nicht jetzt handeln, um die Klimakrise abzumildern und uns auf sie vorzubereiten. Außerdem wird durch die Pandemie noch klarer, dass unser Wirtschaftssystem nicht nachhaltig und nicht inklusiv genug ist.
Wenn wir schon vom Klimawandel sprechen – und von den Herausforderungen, mit denen die globale Gesellschaft konfrontiert ist: Mit dem gerade gestarteten RESPOND Accelerator der BMW Foundation wollt ihr Start-ups fördern, die an Lösungen für ein nachhaltigeres und inklusiveres System arbeiten. Welche Firmen stehen dabei im Fokus?
Heba Aguib: Es sind Technologie-Start-ups, die mit ihren Geschäftsmodellen eine Balance zwischen Profit und positivem Impact finden wollen. Die Gründerteams wollen sich für eine nachhaltige Wirtschaft, eine faire Gesellschaft und den Schutz der Umwelt einsetzen und arbeiten deshalb an Lösungen, die zum Beispiel zur Infrastruktur von nachhaltigen Städten und Gemeinden beitragen oder der Industrie dabei helfen, Ressourcen zu sparen. Uns ist wichtig, dass die geförderten Start-ups einerseits zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen beitragen. Und andererseits dennoch über skalierbare Geschäftsmodelle verfügen. Es klingt wie ein Gegensatz, ist aber sehr gut vereinbar!
Uns steht eine Wirtschaftskrise bevor. Haben es Start-ups, die auch soziale Ziele verfolgen, dadurch noch schwerer, Investoren zu gewinnen? Oder rechnest du eher damit, dass die Finanzwelt die Notwendigkeit solcher Unternehmen jetzt stärker erkennt?
Heba Aguib: Viele Start-ups, denen Kunden abspringen, oder die auf eine Finanzierungsrunde in diesem Jahr gesetzt haben, leiden schon jetzt. Trotzdem erwarte ich, dass die Krise der Transformation des Wirtschaftssystems einen Schub geben wird. Ich sehe deswegen jetzt noch mehr Chancen für Entrepreneure und Innovatoren, die neue Technologien und Geschäftsmodelle entwickeln, die CO2-Emissionen reduzieren und den Systemwandel vorantreiben.
Titelbild: BMW Foundation