Können wir uns bald aussuchen, welcher Algorithmus uns in sozialen Netzwerken die Beiträge und Videos sortiert? Das ist zumindest die Hoffnung von Twitter-Chef Jack Dorsey. Geschehen soll das aber nicht bei Twitter, sondern einem dezentralen Social Network, das erst noch entwickelt werden muss.
Von Michael Förtsch
Nicht nur bei Suchmaschinen, sondern auch bei so ziemlich allen erfolgreichen sozialen Netzwerken sind es Algorithmen und Maschinen-Lern-Modelle, die lenken wie und was wir sehen. Bei Facebook bestimmen sie, ob wir eher den Beitragen von Freunden und Bekannten auf den vorderen Plätzen der Timeline begegnen oder doch Nachrichten und hitzigen Debatten. Bei Twitter stellt ein Algorithmus die für uns möglicherweise interessantesten „Top Tweets“ zusammen und bei YouTube die Videos, die bei aktiviertem Auto-Play folgen. Sie wirken dadurch wie ein Filter zwischen der Informationsflut und den Nutzern. Das macht diese Algorithmen sehr einflussreich. Denn sie können dadurch, was sie den Nutzern präsentieren, deren Weltsicht und Wahrnehmung beeinflussen – und sie aus Sicht von Medien- und Gesellschaftsforschern sogar radikalisieren. Das tun sie, ohne die Gründe für ihre Entscheidungen offen zu legen oder sich bemerkbar zu machen.
Der Twitter-Chef Jack Dorsey möchte das Schritt für Schritt ändern – und dadurch auch die Social-Media-Landschaft umkrempeln. Bei einer Telefonkonferenz mit Investoren stellte er seinen Plan für eine neue Art von Social-Media-Strategie vor. Aus seiner Sicht soll es in Zukunft möglich gemacht werden, dass Nutzer sich aussuchen, welcher Algorithmus ihre Timeline oder ihre Empfehlungen sortiert, kuratiert und ihnen präsentiert. Dadurch soll nicht nur die Gefahr beschränkt werden, dass Nutzer in einer allzu homogenen Weltsicht gefangen werden, sondern auch die Macht von großen Tech-Unternehmen beschränkt werden.
Die Nutzer könnten sich ihre Algorithmen ähnlich wie in einem Online-Shop wählen, in dem sie und ihre Eigenschaften und Präferenzen beschrieben sind. Mit wenigen Klicks könnte ein Algorithmus gegen einen andere ausgetauscht werden. Die Idee ist auch Teil eines Plans von Jack Dorsey zu einer neuen Art von dezentralem Social Network, das nicht unter der Kontrolle eines einzigen Unternehmens steht. Stattdessen könnten Nutzer etwa selbst wie bei der freien Twitter-Alternative Mastodon mit eigenen Servern Knoten- und Zugangspunkte betreiben, die sie selbst kontrollieren, die aber mit dem gesamten Netzwerk verbunden sind. „Das ist etwas, das wir nicht nur selbst hosten können, sondern an dem wir auch teilnehmen können“, so Dorsey.
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Jetzt Mitglied werden!Bislang haben dezentrale Netzwerke eher mäßigen Erfolg
Laut dem Twitter-Chef ginge es bei einem solchen sozialen Netzwerk darum, den Nutzern mehr Freiheit und „ultimative Flexibilität“ dabei zu geben, was sie sehen und wie sie eine Plattform nutzen. Twitter als Unternehmen könnte dafür – genau wie andere – Algorithmen aber auch Apps, Schnittstellen und Zusatzfunktionen entwickeln und bereitstellen. Dazu könne es von „einem viel größeren Korpus von Konversationen“ profitieren, den es den Nutzern darbieten kann. Das würde „nicht nur dem Geschäft helfen, sondern auch mehr Leute dazu bringen, überhaupt an sozialen Medien teilzunehmen“, sagt Dorsey.
Twitter selbst hat bereits vor über einem Jahr mit der Arbeit an einem Projekt namens Bluesky begonnen, das in ein dezentrales soziales Netzwerk münden soll. Jedoch soll sich die Entwicklung laut TechCrunch immer noch in einer frühen Forschungs- und Findungsphase befinden, weshalb das Unternehmen derzeit nach einem Projektmanager sucht, der die Entwicklung vorantreibt.
Nebst Mastodon existieren derzeit durchaus schon andere dezentralisierte Social-Network-Dienste, die jedoch allesamt bislang wenig Erfolg haben. Darunter die Instagram-Alternative Pixelfed, die Youtube-Alternativen PeerTube, BitChute und Odysee, das Reddit-artige Aether und das vor Jahren als möglicher Facebook-Ersatz gefeierte Diaspora, das jedoch nur noch bedingt weiterentwickelt und genutzt wird. SteemIt ist hingegen ein durchaus aktiv genutzter Social-News-Dienst, der auf Blockchain-Basis funktioniert. Und mit Akasha arbeitet ein kleines Team derzeit an einer Social-Network-Plattform, die mit der Ethereum-Blockchain funktionieren und in naher Zukunft starten soll.
Dieser Artikel ist Teil des 1E9-Themenspecials „KI, Verantwortung und Wir“. Darin wollen wir herausfinden, wie wir Künstliche Intelligenz so einsetzen, dass die Gesellschaft wirklich davon profitiert. Alle Inhalte des Specials findest du hier.
Teaser-Bild: Twitter