Ein Schweizer Start-up hat einen Radschnellweg auf Stelzen entwickelt, der sich gleich einer Bahn für Spielzeugautos zusammensetzen lässt. Der Radweg soll zudem als Solarkraftwerk funktionieren. Das ambitionierte Konzept könnte bald erprobt werden – in Deutschland.
Von Michael Förtsch
Viele Städte wollen mehr Menschen aufs Fahrrad bringen. Dadurch sollen der Autoverkehr, der CO2-Ausstoß sowie der Feinstaub reduziert und der Nahverkehr entlastet werden. Außerdem ist Radfahren gesund – für Körper und Psyche. Allerdings mangelt es oft an der passenden Infrastruktur, um den Umstieg aufs Zweirad attraktiv, komfortabel und sicher zu machen. Vor allem die Radwege schneiden in zahlreichen Städten eher schlecht ab. Nicht nur mangelt es an dedizierten Passagen für Radfahrer. Die, die es gibt, sind oft nicht durchgängig und meist nicht klar vom Autoverkehr separiert – was für die Radfahrer nachweislich gefährlich sein kann. Für neue und attraktive Radwege fehlt es in urbanen Gefilden jedoch oft am Platz. Denn der wird eben von Straßen für den Automobilverkehr und von Fußgängerwegen eingenommen.
Das Schweizer Start-up URB-X verspricht aber eine Lösung. Statt für Radstreifen einen Teil der asphaltierten Straßen oder Fußgängerwege abzuknapsen, will es die Radler einfach in die Höhe verlagern. Und zwar mit schlanken Pfeilern auf die einfach ein in beide Richtungen zweispuriger Radschnellweg aufgesetzt wird. Bike Highways nennt URB-X das Konzept. Die Idee von hochgestellten Radschnellwegen oder auch Velo-Hochbahnen ist an sich nicht neu. In den Niederlanden ziehen sich bereits seit Jahren Fahrradwege auf Pfeilern über Autobahnen, Flüsse und Straßen hinweg. Was das Konzept von URB-X besonders macht, ist wie es umgesetzt wird – und sein versprochener Mehrwert über die Infrastruktur für Radfahrer hinaus.
Wie Bálint Csontos von URB-X zu 1E9 sagt, sind die Bike Highways ein „modulares Baukastensystem“. Die Fahrbahnen bestehen aus einzelnen Segmenten, die gleich einer Carrera-Rennbahn an- und aufeinander gesteckt werden. Die Basis bildet dabei eine 20 Meter lange Energieschiene auf die dann Fahrspuren, Begrenzungen und alles andere aufgesetzt wird. Das gehe schnell und mit vergleichsweise wenig Aufwand. Gefertigt werden die Module zudem nicht aus Stahl, Blech, Plastik oder Beton, sondern aus einheimischem Holz. Die Idee dazu kam den Schweizer Entwicklern nach ihren eigenen Erfahrungen als Radler in der Stadt und auf dem Land.
Die Radwege, die es gibt „sind wichtig und bringen viel, man kann es aber nicht dabei belassen“, sagt Csontos. Radler bräuchten eine Hochleistungsinfrastruktur. Und genau die sollen die Bike Highways darstellen. Heißt: Die Fahrbahnen sollen beispielsweise mit Heizelementen versehen sein, die sie im Winter eis- und schneefrei halten. Jedes Segment ist von vornherein mit einer Beleuchtung ausgestattet, die sich aber nur aktiviert, wenn die Fahrbahn genutzt wird. Das soll über Sensoren festgestellt werden, die in die Böden integriert sind. Dazu kommt bei längeren Strecken auch ein Verkehrsleitsystem mit kleinen Ampeln, die etwa vor Unfällen warnen, Spurwechsel und Sperrungen angeben können. Auch eine begrünte Überdachung soll möglich sein, die Radler vor der direkten Sonneneinstrahlung und Regen schützt – und dazu auch noch nett aussieht.
Keine schnelle Idee
„Das Konzept war an einem Tag geboren“, sagt Bálint Csontos. Denn viele Anforderungen seien einfach naheliegend gewesen. Deutlich länger habe es aber gedauert, die Bike Highways auch so zu gestalten, dass sie in großen Stückzahlen gefertigt und verbaut werden können. Der Aufbau von Verkehrsinfrastruktur sei eigentlich eine Industrie, bei der alles eine Sonderanfertigung darstellt. Zwei Jahre Forschung und Entwicklung habe es daher gebraucht, um das Konzept auszutarieren und die vorgefertigten Elemente zu perfektionieren. Auch da die Bike Highways nicht nur als Radschnellwege funktionieren, sondern darüber hinaus einen Mehrwert liefern sollen.
Die Seitenbegrenzungen der Radwege sollen beispielsweise mit Solarpaneelen verkleidet werden. Dadurch soll jede Strecke gleichzeitig ein Kraftwerk darstellen, das einerseits die Strecke selbst, aber auch Haushalte mit Strom versorgen kann. Wie gut und effektiv die Strecken als Kraftwerk funktionieren, das soll sich bald zeigen. „Wir bauen aktuell unsere Teststrecke von knapp 200 Meter in Basel und werden dann die [Energie-]Produktion im Jahresverlauf real beobachten können“, sagt Csontos. Ziemlich sicher sei sich das Start-up aber, dass eine Strecke ein „ein Mehrfaches der benötigten Heizenergie“ für den Winter liefern kann.
Wir bauen aktuell unsere Teststrecke von knapp 200 Meter in Basel und werden dann die [Energie-]Produktion im Jahresverlauf real beobachten können.
Bálint Csontos
Ebenso sollen die Radwege auch als Kabelschächte taugen. Statt unter die Erde könnten beispielsweise Glasfaserkabel einfach durch den hohlen Holzboden der Radstrecken hindurchgeführt werden. Laut URB-X sei das Interesse an den Radschnellwegen aufgrund all dessen ziemlich groß. Sowohl bei Städten und Gemeinden in Europa als auch bei Immobilienentwicklern und Betreibern von Industriearealen. Unter den Interessenten befinden sich auch Winfried Hermann, der Verkehrsminister von Baden-Württemberg, und Winfried Kretschmann, der Ministerpräsident des Bundeslandes. Beide wollen das Schweizer Radl-System testen.
Eine Hochbahn für Baden-Württemberg
In der Region Stuttgart soll einer der ersten URB-X-Radschnellwege entstehen. „Sowas genau brauchen wir“, sagte Winfried Kretschmann dem TV-Sender SWR. Zunächst soll es nur eine Pilotstrecke geben. Wo genau, das steht noch aus. Sicher ist aber, dass der Test-Radschnellweg mindestens einen Kilometer lang werden soll. Die Kosten für eine Strecke liegen laut URB-X bei rund zwei Millionen Euro pro Kilometer – plus 300.000 bis 500.000 pro Kilometer für die Stützkonstruktion. Rampen zur Auf- und Abfahrt stellen separate Kosten dar. Zum Vergleich: Ein Kilometer Asphaltstraße kostet durchschnittlich zwischen sechs Millionen und 20 Millionen Euro – in Ausnahmefällen auch bis zu 100 Millionen Euro.
Das Pilotprojekt, teilt URB-X mit, sei infolge eines Besuchs von Winfried Hermann in der Schweiz zustande gekommen. Der Verkehrsminister sei vom Steckkasten-Radweg sehr angetan gewesen. Völlig ohne Kritik ist das System von URB-X aber nicht ganz. Da die Strecke aus Holz gefertigt ist, wirkt die Bahn zwar als CO2-Dauerspeicher. Aber natürlich ist Holz auch ein Werkstoff, der durch Wind und Wetter angegriffen wird. Das Risiko, das manche Infrastrukturplaner sehen, ist daher, dass deshalb Segmente bereits nach wenigen Jahren ersetzt oder Streckenteile neu gebaut werden müssten.
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Jetzt Mitglied werden!„Holz wird immer noch stark in seiner Leistungsfähigkeit und Haltbarkeit unterschätzt“, sagt jedoch Bálint Csontos von URB-X. „Gehen sie davon aus, dass wir unseren Werkstoff kennen und wir den Vergleich zu Stahl, Beton und Asphalt nicht scheuen müssen.“ Tatsächlich setzten immer mehr Planer und Architekten auf Holz – auch für Hochhäuser und andere kritiksche Infrastruktur. Richtig ver- und bearbeitet, kann es stabil, widerstandsfähig und langlebig sein.
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Titelbild: URB-X