Deutschland braucht einen eigenen Raketenbahnhof. Zumindest wird das jetzt von der deutschen Industrie gefordert. Auf einer Plattform in der Nordsee soll er entstehen. Bereits in diesem Herbst könnte eine Entscheidung dazu fallen.
Von Michael Förtsch
Waren Raketenstarts bis vor einigen Jahren noch eine ziemliche Besonderheit, werden sie allmählich zum Regelfall. Denn immer nachhaltiger, besser wiederverwendbar und vor allem zuverlässiger lassen sich Raketen ins All starten. Allen voran SpaceX feuert inzwischen mehrere Falcon-9-Raketen pro Monat in die Höhe. Und auch RocketLab steuert trotz eines kürzlichen Fehlschlags auf immer engere Taktraten bei seinen Starts zu. Der Grund: Satelliten, Experimente und Equipment für Raumfahrtagenturen, Privatunternehmen und andere Institutionen ins All zu transportieren, ist ein gigantischer Markt. Schätzungen zufolge hat der ein Volumen von 339 Milliarden US-Dollar – und könnte binnen 25 Jahren um das Achtfache anwachsen.
Daher argumentiert der Bundesverband der Deutschen Industrie jetzt, dass Deutschland einen eigenen Raketenbahnhof braucht. Zumindest für kleinere Raketen, sogenannte Micro-Launcher, die Cubesats und andere Kleinsatelliten ins All transportieren können. Als den passenden Ort dafür sieht der Interessenverband eine mobile Offshore-Plattform in der Nordsee. „Die Auflagen für einen Raketenstartplatz an Land wären immens. Fraglich ist, ob Deutschland sie erfüllen würde“, sagte der beim BDI für Raumfahrtthemen zuständige Matthias Wachter der WELT. „Deshalb spricht viel für eine Offshore-Lösung in der Nordsee.“
Diese Option wäre weder neu noch sonderlich exotisch. Das strauchelnde Raumfahrtunternehmen Sea Launch setzt bereits seit mehreren Jahren auf genau diese Option. Es nutzt eine umgerüstete Ölbohrplattform namens Odyssey als Startrampe, die sich auf das Meer hinausschleppen lässt und ein Sea Launch Commander getauftes Schiff als Leitstelle. Auch China experimentiert mit solchen Startoptionen, nachdem bei Starts auf dem Festland immer wieder Raketenteile wie Treibstofftanks über belebtem Gebiet niedergegangen sind und Menschen verletzten. Erst Mitte 2019 hatte China eine Rakete von einer Schwimmplattform im Gelben Meer gestartet, die mehrere Satelliten in den Orbit trug.
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Geht es nach dem Bundesverband der Deutschen Industrie muss ein solcher Weltraumbahnhof möglichst schnell her – auch um der europäischen Konkurrenz zuvor zukommen. Denn sowohl in Schottland, Skandinavien als auch Italien gibt es Pläne. „Ziel sollte es sein, die erste Rakete bereits in zwei Jahren von einer deutschen Plattform aus zu starten“, sagt Matthias Wachter. „Ein Startplatz für Trägerraketen wäre wichtiger Bestandteil einer strategischen Infrastruktur.“ Realisiert werden solle ein solches Projekt möglichst wie in den USA. Also: Die Bundesregierung soll für die Infrastruktur und Einrichtungen sorgen und diese dann an Unternehmen vermieten, die diese nutzen wollen. Möglichst bis Herbst sollten die Regierung und die Unternehmen eine Ansage machen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein deutscher Raketenbahnhof im Gespräch ist. Bereits im vergangenen Jahr wurden Prüfungen angestoßen, ob beispielsweise die Flughäfen Rostock-Laage oder in Nordholz bei Cuxhaven geeignete Umgebungen wären. Auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hatte im letzten Oktober angekündigt, die Möglichkeit, den Bedarf und wirtschaftlichen Nutzen eines deutschen Raketenbahnhofes durchkalkulieren zu lassen – bisher aber ohne abschließendes Ergebnis.
Mögliche Nutzer für einen deutschen Raketenbahnhof gäbe es durchaus. Denn auch wenn Deutschland bisher kein Gegenstück zu SpaceX hervorgebracht hat, so existieren doch mehrere junge Unternehmen, die zumindest Launch Providern wie Rocket Lab kräftig Konkurrenz machen wollen. Unter anderem wäre da das Münchner Unternehmen Isar Aerospace, das im kommenden Jahr seine erste Rakete starten und zukünftig für Airbus Telekommunikations-, Erdbeobachtungs- und Radarsatelliten in die Erdumlaufbahn hieven soll. Auch die Rocket Factory Augsburg will 2021 seine erste Rakete starten und dann 2022 kommerzielle Flüge unternehmen. Hyimpulse aus Neuenstadt am Kocher will ebenso seine erste Rakete 2022 marktreif haben.
Teaser-Bild: Rocket Lab