Immer mehr Satelliten umkreisen die Erde. Wenn sie ihr Nutzungs- und Lebensende erreicht haben, werden sie in die Erdatmosphäre gezogen. Dabei verglühen kostbare Rohstoffe. Aber oft nicht vollständig. Nicht selten hinterlassen die Satelliten sogar Rückstände, die giftig sein können. Daher sollen Satelliten nachhaltiger werden – und zwar mit Holz. Ob das funktioniert, will die ESA bereits Ende dieses Jahres testen.
Von Michael Förtsch
Momentan umkreisen mehr als 6.500 Satelliten unseren Heimatplaneten. Geht es nach Plänen wie jenen von SpaceX, OneWeb, Amazon und anderen Unternehmen und Staaten sollen es in wenigen Jahren bereits Zehntausende sein. Denn dichte Netze aus den künstlichen Trabanten sollen die ganze Erde mit Internet und Mobilfunk versorgen. Außerdem wird es immer einfacher und günstiger, kleine Satelliten ins All zu schießen. Für einige Tausend Euro können sich selbst mittelständische Unternehmen, Universitäten und Schulen einen Platz im Orbit sichern – sei es um die Erde zu beobachten, eigene Funknetzwerke aufzubauen oder Experimente durchzuführen. Wie eine Zwiebelschale könnten all diese Satelliten irgendwann die Erde einfassen. Allerdings schwebt ein Satellit nicht ewig im Erdorbit. Manche haben eine Dienstzeit von vielen Jahren. Andere nur von wenigen Monaten.
Damit Satelliten nicht zu Weltraumschrott verkommen und dadurch womöglich andere Satelliten gefährden, werden sie so positioniert, dass sie irgendwann in die Erdatmosphäre gezogen werden. Oder sie werden gezielt in die Atmosphäre gelenkt, um dort zu verglühen. Aber das klappt nicht immer problemlos. Nicht selten überstehen Teile geschützt von den Metall- und Kunststoffhüllen die Reibungshitze und stürzen auf die Erde. Ebenso kommt es dazu, dass sich Treibstoffreste der Navigationstriebwerke und Partikel von Kälteschutzanstrichen in der Atmosphäre verteilen, die für Tiere und Pflanzen schädlich sein können. Daher suchen Forscher bereits seit Jahren nach Möglichkeiten, um Satelliten zu konstruieren, die sich leichter entsorgen lassen und auch nachhaltiger konstruiert werden können. Eine Option? Die Satelliten nicht mit Hüllen aus Metall und Plastik zu konstruieren, sondern einfach mit Holz. Ob das tatsächlich eine gute Idee ist, wollen die Europäische Raumfahrtagentur ESA und das finnische Start-up Arctic Astronautics nun testen.
Als Raumfahrt-Geek habe ich mir schon eine ganze Weile Gedanken gemacht, wie Holz in der Raumfahrt verwendet werden könnte.
Jari Mäkinen
„Holz ist für mich ein sehr vertrautes Material. Ich habe damit bereits Flugzeugmodelle gebaut und fliegen lassen“, sagt Jari Mäkinen zu 1E9. Er ist Astronom, ein ehemaliger Wissenschaftsjournalist, ein passionierter Bastler und der Gründer von Arctic Astronautics, das für Bildungs- und Forschungszwecke sogenannte CubeSat-Mini-Satelliten namens KitSat fertigt. „Als Raumfahrt-Geek habe ich mir schon eine ganze Weile Gedanken gemacht, wie Holz in der Raumfahrt verwendet werden könnte. Zunächst als eine Art Witz, aber dann durchaus mit einer gewissen Ernsthaftigkeit.“
Klein, aber fein?
Vor sieben Jahren nahm Mäkinen an einer ESA-Veranstaltung zum Thema Raumfahrtmaterialien teil, bei der auch Holz zur Sprache kam. Oder genauer gesagt: die Frage, wieso Holz trotz seiner Widerstandsfähigkeit nicht öfter in der Raumfahrt genutzt wird. Schließlich werden daraus mittlerweile auch ganze Hochhäuser gebaut. Zwei Jahre darauf versah Mäkinen dann mit einem kleinen Team einen CubeSat mit einer Hülle aus Holz aus einem Baumarkt und schickte ihn an einem Ballon in die Stratosphäre, um zu testen, ob Holz bei den extremen Temperaturen und der niedrigen Luftdichte wirklich so gut funktioniert. Und: „Es funktionierte echt gut“, sagt Mäkinen. „Daher dachte ich nun ernsthaft darüber nach, einen Satelliten mit Holz in den Orbit zu bringen.“
Mäkinen war mit diesem Gedanken aber alles andere als alleine. Forscher und eine Holzverarbeitungsfirma in Japan kündigten 2020 an, einen Satelliten mit Holzhülle 2023 ins All zu bringen. „Als ich die Nachricht über dieses japanische Projekt sah, dachte ich sofort daran, eine modifizierte Fassung unseres KitSat zu bauen“, sagt Mäkinen. So könne er den Japanern noch zuvorkommen. Ein solcher Mini-Satellit ist mit 10 Zentimetern Kantenlänge kaum größer als ein Zauberwürfel und kostet weniger als 2.000 Euro. Aber er ist eigentlich nicht für das Weltall gedacht. „Er ist eher für Stratosphärenflüge ausgelegt“, sagt Mäkinen. „Er kommt mit einem kleinen Empfänger und mit Software und kann schon wie ein echter Satellit genutzt werden – aber eben in einer vereinfachten Weise.“
Mit einige Anpassungen allerdings wäre ein solcher KitSat durchaus für das Weltall gerüstet. Elektronik, Abschirmung und eben die Hülle, die sowieso neu gestaltet werden musste, wurden also angepasst. „Das funktionierte schnell, einfach und ohne allzu hohe Kosten“, erinnert sich der finnische Bastler – schränkt aber ein, dass es letztlich nicht so einfach und günstig war, wie ursprünglich gedacht. „Und dann ging alles plötzlich ganz zackig.“ Denn die ESA, die bereits seit Jahren an der Nutzbarmachung von Biomaterialien für die Raumfahrt forscht, schaltete sich in das Projekt ein. „Es ist eine gute Möglichkeit für sie, zu zeigen, dass das machbar ist“, sagt der finnische Astronom. „Im Gegenzug helfen sie uns mit Equipment, der Datenanalyse und den Tests.“
Auf dem Holzweg
Die große Frage für Arctic Astronautics und die ESA war natürlich: Holz, klar, aber welches Holz? Jede Holzart hat ihre Vor- und Nachteile und kann auf bestimmte Weisen behandelt werden. „Wir haben uns Balsa, Mahagoni, Sitka-Fichte und Wacholderholz angeschaut“, sagt Mäkinen. Die hätten alle sehr gute Eigenschaften. Aber Balsa habe sich als zu brüchig erwiesen, andere Sorten als zu schwer und unflexibel. Daher sei das Team letztlich bei ganz normalem Birkenholz angekommen, das vom Unternehmen UPM Plywood in mehreren dünnen Schichten zu Sperrholz verklebt wird. Dazu wird es bei 120 Grad Celsius in einem Vakuum getrocknet, um Lufteinschlüsse zu vermeiden. „Aber ansonsten ist es ganz normales Sperrholz“, meint Mäkinen.
Erst im Juni 2021 erprobte das Team von Arctic Astronautics eine solche Sperrholzhülle mit einem ersten Satellitenexemplar bei einem Stratosphärenflug und einer Testreihe im Europäisches Weltraumforschungs- und Technologiezentrum. Alle Versuche deuten darauf hin, dass der nun WISA WoodSat getaufte Satellit gut für den Weltraum gewappnet ist. Die Vibrationen eines Raketenstarts stecke das Holz ohne Probleme weg. Und im Weltraum dürfte das Material nur minimal „ausgasen“, also Luft freisetzen, die noch im Holz eingeschlossen ist und zu kleinen Rissen führen könnte. Ein spezieller Lack soll da zusätzlich Abhilfe schaffen und auch gegen die natürliche Strahlung im Kosmos schützen.
Die extreme Kälte im All schade dem Holz auch nicht übermäßig, sagt der Gründer. Da sich im mehrheitlich leeren Raum des Erdorbits keine Stoffe befinden, die das Holz angreifen könnten, werde sich die Haltbarkeit kaum von der von Kunststoff unterscheiden. Aber einige Fragezeichen gibt es trotzdem. „Es könnte eventuell Probleme damit geben, dass UV-Strahlung die Zellulosefasern zersetzt“, gibt Mäkinen zu bedenken. „Nach den Tests, die wir durchgeführten haben, ist das kein Problem, aber das ist eines der interessantesten Dinge, die wir gerne im Weltraum sehen würden.“ Und genau dazu soll es bald Gelegenheit geben.
Start im November
Im November 2021 soll der WISA WoodSat an der Spitze einer Electron-Rakete von Neuseeland aus in den Weltraum starten und dann in einem polaren Orbit die Erde umkreisen. Fast alles sei dafür bereit. Der Satellit ist von der ESA abgenommen und freigegeben. Nur noch einige kleine Änderungen an der Software müssten durchgeführt werden. Ist der kleine Satellit dann über der Erde angekommen, soll er vor allem eines tun: viele Fotos von sich selbst schießen. Und zwar mit einer Kamera, die an einer Art Selfie-Stick aus einem 3D-Drucker befestigt ist. Damit sollen Veränderungen der Holzstruktur dokumentiert werden. Von der ESA bereitgestellte Sensoren sollen außerdem den Druck in den Hohlräumen messen und feststellen, ob aus dem Holz möglicherweise Restwasser und andere Stoffe austreten, die der Technik gefährlich werden könnten. Zusätzlich soll die Sensorik dokumentieren, was passiert, wenn der Satellit wieder in die Erdatmosphäre eintritt.
„Das sind die wichtigsten Teile dieser Mission“, sagt Mäkinen. Der gesamte Lebenszyklus soll aufgezeichnet und mit dem eines normalen Satelliten verglichen werden. Und da noch etwas Platz in der kleinen Holzkiste war, hat der Satellit gleich noch ein 4D-Druck-Experiment der ESA an Bord, also ein thermoadaptives Material, das durch Änderungen der Temperatur seine Form und Dichte verändern kann. Daneben trägt er eine sogenannte LoRa-Antenne an der Innenseite, über die jeder mit einer entsprechenden Funkausrüstung mit dem Satelliten in Kontakt treten kann. „Satellitenkommunikation ist nicht so schwierig“, sagt Mäkinen „Aber das hat nichts mit dem Holz zu tun.“
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Jetzt Mitglied werden!Das kleine Team von Arctic Astronautics geht schon jetzt davon aus, dass der Test mit WISA WoodSat ein Erfolg sein wird. Verhält sich das Holz nicht ganz so wie geplant, sei das eine wichtige Erkenntnis. Sei es so robust und widerstandsfähig wie erhofft, umso besser. „Ich gehe zwar nicht davon aus, dass dann wir sofort überall Holz in der Raumfahrt sehen werden, aber bei bestimmten Anwendungsfällen bestimmt“, sagt Mäkinen. Für viele wissenschaftliche Sonden und Satelliten wäre Holz ideal, da es Messungen und Funk weniger beeinflusst. Langfristig könnte es aber vor allem dabei helfen, Satelliten besser und sauberer entsorgen zu können. Und das sei für die Zukunft wichtig.
Wir sollten Sperrholz ohne Vorurteile begegnen.
Jari Mäkinen
Besteht der WISA WoodSat seinen Ausflug in den Kosmos ohne allzu große Probleme, will Arctic Astronautics schnell den nächsten Schritt machen. „Klar werden wir (der ESA) vorschlagen, einen größeren Satelliten mit mehr Holz zu bauen, um die Möglichkeiten von Holz noch ausführlicher studieren zu können“, meint der finnische Forscher Jari Mäkinen. Mit Sperrholz sei es wohl ein bisschen wie mit rostfreiem Stahl gewesen, der in der Raumfahrt lange gemieden wurde, bis SpaceX begann, damit das Starship damit zu bauen. „Wir sollten Sperrholz ohne Vorurteile begegnen“, scherzt Mäkinen. „Vielleicht können wir dadurch die Raumfahrttechnologie nachhaltiger und besser für die Umwelt machen.“
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Teaser-Bild: Arctic Astronautics