Irgendwie wissen wir doch alle, dass wir Mobilität neu denken müssen. Und dass es nichts bringt, immer nur zu schimpfen. Aber wie schaffen wir es, tatsächlich etwas zu ändern? Und das sogar gemeinsam? In seiner freifahrt-Kolumne plädiert Sebastian Hofer für mehr Experimente, mehr gemeinsame Ideen und mehr Zuhören. Außerdem hat er diesmal sogar ein Lob für Andreas Scheuer übrig.
Eine Kolumne von Sebastian Hofer
Wir streiten immerzu. Wir reden uns in unseren Echokammern in Rage. Wir finde uns alle gegenseitig doof und sind uns nicht mal bei so banalen und nachweislich lebensrettenden Maßnahmen wie bei der Reform für Tempo 30 in Innenstädten einig. Autofahrer:innen fahren absichtlich nah an Fahrradfahrer:innen vorbei – und umgekehrt wollte ich, ich gebe es zu, inspiriert durch den Film Line of Sight von Lucas Brunelle schon mal hier und da meine Empörung mit dem Kettenschloss an dem einen oder anderen Außenspiegel auslassen. Die AFD klagt neuerdings gegen Pop-Up-Bikelanes und die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, Hildegard Müller, bezeichnet Einschränkungen des Autoverkehrs als „politisches Theater“. Die erste Blüte des zivilen Protests gegen das Ungleichgewicht in der Verkehrspolitik, in Form von anfassbaren Projekten auf deutschen Straßen, muss gerade hart einstecken.
Wer das zu aggressiv findet und immerhin aus Solidarität mit allen Aktivist:innen gut erzogen die Nase rümpft, der oder die frönt der digitalen Komfortzone, welche sich hervorragend mit einem Daumen, einem Smartphone und dem erstaunlich wirkungsvollen Weiterleitenwohlfühlboost aufrechthalten lässt. Leider passiert vieles davon, ohne zu merken, dass die eigentliche Zielgruppe nicht viel davon mitbekommt. Und, ohne zu realisieren, dass damit höchstens Reaktanz ausgelöst wird – nicht aber die benötigte Veränderungsbereitschaft. Wie man diese Bereitschaft befeuert ist jedoch die große Gretchenfrage.
Eva Fraedrich, Leiterin der Verkehrsforschung bei MOIA, dem Ridepooling Dienst von Volkswagen, sagt dazu in Folge 43 meines Podcasts freifahrt: „Die Mobilitätsrevolution ist noch nicht passiert. Der wirkliche Wandel weg vom Privat-PKW ist noch nicht vollzogen.“ Gleichzeitig betont sie jedoch, dass es eine unglaublich große Herausforderung sei, den notwendigen Verhaltensshift für diesen soziotechnischen Transformationsprozess der Mobilitätswende hinzubekommen, „weil Mobilitätsverhalten so ein unglaublich routinisiertes Verhalten ist".
Hier könnt ihr Folge 43 des Freifahrt-Podcasts mit Eva Fraedrich und Sascha Meyer von MOIA nachhören, die im November 2020 erschienen ist.
Fakt ist, dass es eine Menge Unmut und Uneinigkeit gibt. Fakt ist aber auch, dass eine Menge Mobilitätsanbieter und auch Pioniere aus Journalismus, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Politik an Produkten, Dienstleistungen und allerlei Artefakten ihrer Arbeit basteln, um das wirkungsvollste WIE dieses Wandels zu entdecken. So fällt auf, dass dieses ominöse Thema der Mobilität näher ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit rückt. Sei es durch das Zebrastreifen-Cover der ZEIT zum Thema Stadt ohne Autos (liebe Grüße an die Beatles) oder zu sehen an dem niedlich und gleichzeitig riesig daherkommenden Globus als Symbol einer neuen Mobilitätswelt auf dem Titel der GEO. Die Fahrertür wurde geöffnet. Das Aussteigen jedoch entpuppt sich als kräftezehrender Verlustschmerz. Und das, obwohl diese sich damit auftuende Welt der Mobilitätsoptionen keinen Verlust, sondern einen Zugewinn bedeutet.
Gemeinsame Sache – mit blauen Augen
Yuval Noah Harrari, einer der bekanntesten Historiker der Neuzeit, erklärt, dass die Fähigkeit zusammenzuarbeiten, auch von Gruppen, die sich nicht persönlich kennen, eine der Fähigkeiten der Menschheit ist, welche sie so einzigartig macht. „Jede menschliche Zusammenarbeit auf einer großen Skala – sei es ein moderner Staat, eine mittelalterliche Kirche, eine antike Stadt oder ein archaischer Stamm – wurzelt in gemeinsamen Mythen, die nur in deren kollektiver Vorstellung existieren.” Wenn das kein wirkungsvolles WIE des Mobilitätswandels ist?!
Wenn das unser menschlicher Masterskill ist, wieso moniert dann fast jeder meiner Gäste immer wieder eine mangelnde Zusammenarbeit über Silos hinweg? Rutger Bregman, der niederländische Historiker, Denker und Autor des Buchs „Humandkind“ erklärt das folgendermaßen:„Das ist das große Paradoxon meines Buches: Auf der einen Seite haben wir uns dazu entwickelt, freundlich zu sein und zusammenzuarbeiten, aber diese Fähigkeit hat auch eine dunkle Seite. Unser Gruppendasein kann sich [auch] in ein Stammesverhalten verwandeln.“
Man kennt das: In Küchen verderben viele Köche den Brei. Der „Brei“ ist jedoch kein Grundbedürfnis sondern ein Konsumgut und da ist es vielleicht noch ok, wenn es den einen Breikönig gibt. Beim Thema Mobilität ist es jedoch Zeit, sich von den konsumistischen, automobil geprägten Freiheitsverheißungen zu lösen und Kochlöffel, Zutaten und Gewürze in eine möglichst diverse Gruppe zu verteilen und dann gemeinsam tätig zu werden.
Eine der wohl wirkungsvollsten Arten zur Anwendung dieses Prinzips sind die sogenannten Reallabore oder auch Living Labs. Denn dort geht es im kooperativen Kern darum, für und mit den Nutzenden herauszufinden, wie ein neues Zusammenleben und auch -bewegen aussehen kann. Das Bundeswirtschaftsministerium definiert Reallabore als „Testräume für Innovation und Regulierung, welche dazu dienen, unter realen Bedingungen Erfahrungen mit digitalen Innovation zu sammeln. In solchen zeitlich und räumlich begrenzten Experimentierräumen sollen neue Technologien und Geschäftsmodelle erprobt werden, die mit dem bestehenden Rechts- und Regulierungsrahmen nur bedingt vereinbar sind.“
Beispiele für solche Reallabore gibt es viele. Interessant ist, dass laut dem Deutschen Institut für Urbanistik dabei einer der zentralen Erfolgsfaktoren, überhaupt bis zur Startlinie zu kommen, die Bürgerbeteiligung ist. Wenn man etwas in unserem routinisierten Alltag ändern will, heißt es also erstmal Zuhören. So kam es im Rahmen des groß angelegten EU-Projekts Cities4People, welches in fünf europäischen Städten das Ziel verfolgt, den Zusammenhang aus Mobilität und Lebensqualität in urbanen und suburbanen Zentren zu untersuchen, genau in solchen Beteiligungsveranstaltungen in Hamburg zu spannenden Erkenntnissen: Deutlich wurde der Wunsch nach Flächenumverteilung zugunsten des nicht-motorisierten Verkehrs und nach Erhöhung der Aufenthaltsqualität sowie nach Straßensperrungen geäußert. Als Ergebnis daraus ist das Hamburger Stadtteilprojekt „Ottensen macht Platz“ entstanden, bei dem von September 2019 bis Februar 2020 in einem abgesteckten Gebiet und weitestgehend ohne private PKW Mobilitätspraktiken, Nutzungsszenarien und die Neuverteilung des Straßenraums erprobt wurden.
Die Evaluation des Projekts hat gezeigt, dass gut zwei Drittel sowohl der Passant:innen als auch der Bewohner:innen des Quartiers eine Verbesserung von Wohnqualität und Sicherheitsgefühl erlebt haben. Darüber hinaus hat es zu einer veränderten Nutzung und Bewegungscharakteristik in Form von Spaziergängen, Einkäufen und sozialer Interaktion geführt. Lediglich bei der Erreichbarkeit der Wohnung gab es für den Großteil keinen relevanten Einfluss. Die restlichen circa 40 Prozent waren entweder entzückt oder entrüstet. Eine ähnliche, wenngleich stärker ausgeprägte Lagerbildung gab es bei den befragten Gewerbetreibenden. Letztlich gab es auch in dieser Gruppe eine deutliche Mehrheit für eine Weiterführung des Projekts, jedoch mit der Prämisse der einen oder anderen Änderung.
Leider haben zwei besonders entrüstete Gewerbetreibende im Dezember 2019 im Eilverfahren dafür gesorgt, dass das Projekt vorzeitig beendet werden musste. Mit der Begründung, dass die sogenannte „Erprobungsklausel“ der StVO eine konkrete Gefahrenlage erfordere, welche in Ottensen nicht vorlag.
Sobald man die in Beton und Straßenverkehrsordnung gegossene Lebensqualität nicht ausschließlich „denen da oben“ überlassen will, muss man so etwas wohl aushalten. Auf Augenhöhe kann man sich halt schneller ein blaues Auge einfangen. Das Deutsche Institut für Urbanistik fasst das in seinem Bericht schön zusammen: „Alle diese Projekte haben vor Ort oft heftige Kontroversen ausgelöst – und dennoch erfuhren sie in der Mehrzahl der Fälle, in denen es zu einer Umsetzung gekommen ist, schlussendlich mehrheitliche Zustimmung. Es wird aber wohl selten (vielleicht auch nie) ein Projekt dieser Art geben, bei dem sich alle Auseinandersetzungen vermeiden und jegliche Bedenken im Vorhinein auflösen lassen.“
Hallo, ich bin Stefan und ich mache die Friedrichstraße autofrei.
„Jede zivilisatorische Errungenschaft war irgendwann eine utopische Fantasie“. Von dieser Wahrheit eben jenes Rutger Bregmann hat sich vermutlich auch Stefan Lehmkühler vom Changing Cities e.V. und Initiator des Verkehrsversuch „Autofreie Friedrichstraße" inspirieren lassen. Während meiner Recherche hat er mir erzählt, wie er sich 2016 bei einem Treffen für den Volksentscheid Fahrrad folgendermaßen vorstellte: „Hallo ich bin Stefan und ich mache die Friedrichstraße autofrei.“ Ziemlich genau vier Jahre später hat er es zusammen mit Alexandra Meyer und vielen weiteren Mitstreiter:innen unter dem Vereinsdach von Changing Cities geschafft: Vom 29. August 2020 bis zum 31. Januar 2021 will der Bezirk Berlin-Mitte aus der Friedrichstraße eine Flaniermeile auf Probe machen. Besuchen, Shoppen, Leute-Gucken ohne Autos, dafür aber mit einer sogenannten „Safety Lane“ in der Mitte für den Fahrradverkehr.
Als Stadtplaner kennt sich Stefan Lehmkühler damit aus, wie man solch einen Raum ordnungsgemäß neu konstruiert. Von Logistikzonen für die Gewerbetreibenden über die blau-grüne Infrastruktur in Form von Bäumen und Wasserversorgung bis zur Vorbereitung der notwendigen Formulare für die Straßenverkehrsbehörde. In weiser Voraussicht klapperte er darüber hinaus nach eigener Aussage auch noch sämtliche Einzelhändler bis hin zur einflussreichen Galeries Lafayette ab, um diese rechtzeitig als Partner zu gewinnen.
Als ich ihn gefragt habe, was ihn antreibt, antwortet er ohne große Umschweife: „Ist doch klar, das kann doch so nicht bleiben! Es muss sich massiv etwas ändern, um die Klimaziele von Paris zu erreichen.“ Von Zweifel und Überforderung keine Spur. Er sprüht vor Entschlussfreudigkeit und Machermentalität.
Auf die Frage, wie er mit der Kritik bezüglich möglicherweise sinkender Umsätze und einer Gefahr durch rasende Radfahrer:innen umgeht und was er von der Klage der AFD gegen die Pop-Up Bikelanes hält, entgegnet er „die Presse arbeite konfliktbasiert. Es gebe keine polizeilichen Berichte, die Galeries Lafayette unterstütze das Projekt weiterhin und laut TomTom sei keine nennenswerte Verschlechterung des Verkehrsflusses festzustellen“.
So angemessen, zeitgemäß und gerecht Bürgerbeteiligung und Reallabore auch klingen mögen. Es ist auch ein Balanceakt. Als Visionär kann man es nicht allen recht machen.
Begrenzte Vorstellungskraft
Modelle, Simulationen und Bilder sind klasse und sicherlich ein wichtiger erster Schritt im Diskurs. Sie kratzen aber letztlich nur an der oberflächlichen Vorstellungskraft eines jeden. Knifflig wird es gerade dann, wenn man wieder nur aus dem Kopf heraus argumentiert und auf Basis des Gelernten, des Alten heraus verhandelt. Anschaulich zeigt das eine Bewohnerbefragung im Berliner Stadtteil Pankow. Diese hat ergeben, dass quasi eine Pattsituation besteht zwischen denen, die das zugrundeliegende Problem des Verkehrs mit mehr Parkplätzen lösen wollen und jenen, die es mit weniger Stellplätzen für Autos lösen wollen.
Frag niemals deine Kund:innen, das wussten sowohl Henry Ford als auch Steve Jobs. Gut so, denn sonst würden wir womöglich heute noch auf sehr schnellen Pferden reitend mit klobigen Handys hantieren – die immerhin sehr große Tasten hätten.
Was also ist der entscheidende Unterschied solcher Reallabore im Vergleich zum üblichen Vorgehen der Verantwortungsdelegation an behördliche Strukturen? Wie können diese dabei helfen, diese Pattsituation zu beheben? „Reallabore können als Plattform dienen und co-kreative Prozesse generieren, indem sie Akteur:innen zusammenbringen. Durch das Aufbrechen von Barrieren und indem man die verschiedenen Expertisen verbindet erreicht man bessere Lösungen, die aufgrund dieses bottom-up Ansatzes und der absolut notwendigen, transparenten Evaluation auch mehr Akzeptanz mit sich bringen“, erklärt Astrid Großmann von urbanista, dem Hamburger Büro für Stadtentwicklung und urbanen Zukunftsstrategien als ich sie nach Vorteilen und Stolpersteinen fragte.
Simon Höher vom Berliner Designstudio Hybrid City Lab wiederum argumentiert aus der Systemtheorie heraus und kritisiert unter anderem die eingangs erwähnte Silologik bei der Stadtplanung. „Ich erlebe selten das nötige Umsetzungsverantwortungsgefühl. Viele Probleme hängen eben gerade zwischen einzelnen Silos und somit hat nicht eine Person die Verantwortung zu tragen. Wir alle haben blinde Flecken, daher ist das gemeinsame Aushandeln so essentiell.“
In solch einem komplexen System aus wirtschaftlichen Interessen, politischen Agenden und ökologischer Notwendigkeit ist es leicht, aus Überforderung auf andere zu zeigen. Das führt uns jedoch nicht heraus aus der städtebaulichen Einbahnstraße. Vielmehr sind Erlebnisräume unerlässlich, um uns sehen und spüren zu lassen, was eine neue Mobilitätskultur alles Neues ermöglichen kann. Und das, obwohl viele in ihrem Kopf durchaus begriffen haben, dass Handlungsbedarf besteht. Denn: Gefühle kann man nicht antizipieren.
„Sicher ist das Bewusstsein anders als vor 30 Jahren“, sagt Burkhard Horn, Stadtplaner, freiberuflicher Berater und einer meiner nächsten Podcast-Gäste. „Die Mehrheit weiß, dass sich etwas ändern muss beim Mobilitätsverhalten. Meist sind das aber abstrakte Erkenntnisse. Je näher man dem konkreten Lebensalltag kommt, desto umfassender zerbröseln die Einsichten.“
Die Forderung, die eigenen Mobilitätsroutinen zu überdenken und das geliebte Lenkrad des Lebensalltags loszulassen ist bei vielen mit Ängsten verbunden. Denn der Wunsch nach einer klimafreundlichen, preiswerten, individuellen, jederzeit verfügbaren, sicheren, sauberen, spaßigen, zweckmäßigen und schillernden Mobilität in Form eines einzelnen Angebots entspricht in etwa der Quadratur des Kreises. Es ist schlichtweg nicht möglich. Außer womöglich mit vier geschenkten Elektroautos, eigener Werkstatt, Tiefgarage und einem Biomassekraftwerk pro Haushalt.
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Wenn es darum geht, nicht aus dem Alten, dem Gelernten, sondern aus solch einem kollektiven Zielbild und aus dem Herzen heraus zu handeln, ist Otto Scharmer einer der inspirierendsten Persönlichkeiten dieser Tage. Der Aktionsforscher, Transformationsexperte und Gründer des Presencing Institutes hat mit seiner Theory-U einen systemischen Veränderungsprozess zur Lösung komplexer gesellschaftlicher Probleme entwickelt. Wesentlich ist dabei, durch eine achtsamere Haltung gegenüber sich selbst und letztlich der Gemeinschaft in Co-Kreation einen Systemwandel herbeiführen zu können. So könne man bestehende Denkmuster auflösen und eine ganzheitliche, systemische Denkweise verinnerlichen.
„Zuhören ist wahrscheinlich die am meisten unterschätzte Führungsqualifikation. Die Art und Weise, wie Sie zuhören, kann das Leben verändern, nicht nur das Geschäft oder die Branche.“ Ähnlich wie das DIfU misst auch Otto Scharmer dem Zuhören einen sagenhaften Stellenwert bei und unterteilt die Art der Qualität des Zuhörens auf vier Ebenen: Downloading, Factual Listening, Empathic Listening und Generative Listening. Wer kennt solche Gespräche nicht, bei denen man sich nur jene Fetzen herauszieht, welche die eigene Sichtweise bestätigen? Man wartet ungeduldig auf die nächste Gesprächspause, um sein eigenes wohl überlegtes Argument zu platzieren. Im Gegenzug sind Gespräche mit einer emphatischen Offenheit und der Intention, die Welt des Gegenübers erleben und verstehen zu wollen, selten. Genau diese gelebte Entfremdung aufgrund verschlossener Herzen und Hirne, welche anhand der besorgniserregenden, populistischen Entwicklungen weltweit und im Kleinen eben an dieser mobilitätskulturellen Spaltung zu sehen sind, bringt uns nicht nur sprichwörtlich in die nächste Sackgasse.
Hier könnt ihr Folge 12 des Resilient Futures-Podcasts mit Otto Scharmer vom Presencing Institute nachhören, die im Oktober 2020 erschienen ist.
Zusammenarbeit hat uns als Menschheit so erfolgreich gemacht. Paradoxerweise haben wir auf dem Weg unsere Menschlichkeit gegen ein glitzerndes Wachstumsparadigma des Wirtschaftens eingetauscht, welches individuelle Privilegien wie Reichtum, Macht und Ressourcen höher stellt als ein kollektives Gerechtigkeitsgefühl. Aber wann war Glitzer schon jemals nachhaltig?
„Man ändert die Dinge nie, indem man die bestehende Realität bekämpft. Um etwas zu ändern, muss man ein neues Modell entwickeln, welches das bestehende Modell überflüssig macht.“ Wenn man dem US-amerikanischen Architekten, Visionär und Philosophen R. Buckminster Fuller Glauben schenken mag, ist es nun echt mal an der Zeit, dass wir uns ein neues Ökosystem schaffen, welches in der Lage ist, mit den richtigen Incentives diese ungesunde Silologik zu durchbrechen. Welches die Natur respektiert und auf Basis des Ansatzes regenerativen Kulturen eine lang vergessene Beziehung zur Natur wiederherstellt. Welches unangenehme Kosten nicht einfach externalisiert, sondern nur solche Produkte und Dienstleistungen ermöglicht, welche im Rahmen der planetaren Grenzen herstellbar sind. Welches Werte über Profit stellt. Welches einen Diskurs über die tief verwurzelten, systematischen Probleme unsere Gesellschaft erlaubt. Welches Empathie und Zuhören in einem Problemraum mehr wertschätzt als Aktionismus. Und, um mit den Worten von Simon Vogt, dem Mitgründer und Chief Sales Officer von &charge, einer Art Bonuspunktesystem für Mobilität zu sprechen, „Freude anstatt Verzicht vermittelt“.
Hier könnt ihr Folge 33 des Freifahrt-Podcasts mit Simon Vogt, Mitgründer und CSO von &charge nachhören, die im September 2020 erschienen ist.
Und da diese Kolumne nun zur Zitat-Kolumne geworden ist, schließe ich mit der italienisch-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftlerin Mariana Mazzucato: „Don’t let a good crisis go to waste.“
Lasst uns also mehr ausprobieren.
PS: Dies wäre im Übrigen keine Kolumne über Reallabore, wenn ich nicht auch das vom Bundeswirtschaftsministerium geförderte Reallabor Digitale Mobilität erwähnen würde. Dieses in den Startlöchern stehende Projekt bringt die Idee der Reallabore auf ein neues politisches und Investitions-Level und soll, wieder mal in Hamburg, untersuchen, „wie die Digitalisierung die Mobilität in den kommenden Jahren im städtischen und ländlichen Raum beeinflusst“. Unser Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer macht ja vieles falsch. In diesem Fall jedoch bekommt er ein Sternchen von mir ins Klassenheft. „Hamburg wird zum Reallabor. Mit rund 21 Millionen Euro fördern wir zehn Mobilitätsangebote – von Mikrohubs zur Entlastung von Logistiklieferverkehren über eine Mobilitäts-App für alle Verkehrsmittel bis hin zu Mobilitätsbudgets anstelle von Dienstwagen. Das ist Mobilität – vernetzt, individuell und simpel.“
PPS: Wenn ihr noch mehr über die Wichtigkeit von Labs und innovationsfördernden Orten im ländlichen Raum wissen wollt, dann hört unbedingt morgen am 18. November in die klickfrische Folge 44 rein. Denn da spreche ich mit Sophia Gross-Fengels, einer Verkehrswissenschaftlerin der RWTH Aachen genau über dieses Thema.
PPPS: Wer die richtige Anzahl der verwendeten Zitate mit einem passenden weiteren Zitat an podcast@freifahrt.org schickt bekommt von mir eine Überraschung als Geschenk.