Bei den renommierten Sony World Photography Awards hat ein Bild gewonnen, das eigentlich kein Foto ist. Es wurde von einem Künstler aus Berlin mit KI-Werkzeugen generiert. Er wollte prüfen, ob solche Wettbewerbe auf die Revolution vorbereitet sind.
Von Michael Förtsch
Ein gutes Foto zu schießen ist eine Kunst. Es braucht ein geschultes Auge, ein Gefühl für Komposition, das Timing muss stimmen – und manchmal gehört auch etwas Glück dazu. Bei einem Fotografiewettbewerb zu siegen ist daher eine besondere Auszeichnung. Und einer der renommiertesten Wettbewerbe ist der Sony World Photography Awards, der jedes Jahr aus unzähligen Einreichungen die besten Fotografien in Kategorien wie Architektur & Design, Umwelt, Landschaft, Sport und Portrait auszeichnet. Ein Gewinner sorgte in diesem Jahr jedoch für ziemlichen Aufruhr, eine Kontroverse sogar. Der deutsche Künstler Boris Eldagsen hatte in der Kategorie ‚Kreativ‘ gewonnen, aber seinen Preis angelehnt. Er ging während der Zeremonie in London auf die Bühne und überrumpelte die Moderatorin, um seine Absage zu erklären. Der Grund? Das von ihm eingereichte Bild The Electrician hatter nicht selbst fotografiert. Es wurde mit KI-Werkzeugen generiert.
Ich wollte sehen ob die großen Wettbewerbe darauf vorbereitet sind, dass KI-generierte Bilder eingereicht werden", sagt der in Berlin lebende und arbeitende Boris Eldagsen, der sich selbst als Photomedia Artist beschreibt, gegenüber 1E9. Der von Sony gesponserte und von der Agentur CREO ausgerichtete Wettbewerb sei es nicht gewesen. Die Regeln seien „schwammig“ und in der Kategorie ‚Kreativ‘ „any device“ – sprich: jedes Gerät – für die Arbeit zulässig. Also eigentlich auch ein Computer samt KI-Software. Auch sei seine Aktion nicht von langer Hand geplant gewesen. Dass es zur Kontroverse kam, wäre vor allem auf die schlechte Kommunikation des Veranstalters zurückzuführen. Er selbst sei sehr überrascht, dass er nicht disqualifiziert wurde.
Der Künstler hatte ursprünglich drei Bilder eingereicht, allesamt aufgrund von KI-typischen Artefakten wie den berüchtigten verformten Händen sehr offensichtlich als KI-Kreationen zu erkennen. Außerdem lieferte der Künstler verschiedene Angaben zur Ausstellungsgeschichte sowie ein Link zu seinem Instagram-Account mit, wo die Bilder samt ihrem Entstehungsprozess aufgeführt und erklärt sind. „All das habe ich geliefert, aber es scheint sich niemand angeschaut zu haben“, so Eldagsen. Als er im Februar die Mitteilung erhielt, dass er ein Preisträger sei, habe er die Veranstalter nochmals ausdrücklich auf seine Arbeitsweisen hingewiesen. "CREOs Antwort: Alles okay, du bekommst den Preis“, erzählt Eldagsen. Das änderte sich erst, als die Gewinner öffentlich bekannt wurden.
Kunstwerk mit DALL-E 2 erstellt
Eldagsens Bild The Electrician zeigt eine eindringliche Szene: Eine junge Frau mit einem Kleid steht in einem Raum und schaut über den Bildrand hinaus. Hinter ihr steht eine ältere Frau mit gesenktem Kopf und hat ihr eine Hand auf die Schulter gelegt. Von der rechten Seite ragen zwei deformierte Hände hinein, die die junge Frau ebenso berühren. Die Optik erinnert an frühe Nassplatten-Fotografien aus dem 19. Jahrhundert. Aber für geschulte Augen ist sofort ersichtlich, dass es sich nicht um eine echte Fotografie handelt. CREO erreichten nun zahlreiche Anfragen. Daraufhin schickte Boris Eldagsen dem Veranstalter ein Statement und schlug vor, eine öffentliche Debatte zu seinem Fall zu organisieren. Seine Vorschläge wurden jedoch ignoriert, in einem Fall sogar nur mit einem Smiley beantwortet, wie er bemängelt.
“Mir wurde klar, dass CREO nicht [an der Offenlegung interessiert] ist und Sony wohl gar keine Ahnung hatte, was CREO macht“, so Eldagsen. Selbst nach seinem Auftritt auf der Bühne und der öffentlichen Ablehnung des Preises sei nichts weiter geschehen. „Als ich fertig war, ging es weiter im Programm, niemand hat das Gespräch mit mir gesucht, obwohl ich bis zum Ende blieb“, erklärt der Künstler. Dabei wollte er sehr gerne darüber sprechen, wie das Gewinnerfoto entstand und welche Motivation dahinter steckte. Anders als in etlichen Berichten dargestellt sei es nicht mit Midjourney, sondern über DALL-E 2 generiert worden.
The Electrician war eines seiner ersten Werke, für das Eldagsen die In- und Out-Painting-Option des OpenAI-Bildgenerators nutzte. Damit lassen sich Bildelemente gezielt manipulieren und ganze Szenen über den vorherigen Rahmen hinaus erweitern. „Midjourney hat bis heute keine In- und Out-Painting-Option“, erkärt Eldagsen. Erst seit dem Sprung auf Version 5 sei Midjourney für ihn interessant geworden, weil sich nun fotorealistische Szenen erstellen lassen, deren Ästhetik nicht mehr so stark an Illustration und Grafik erinnern.
KI ist keine Gefahr
„Was ich heute produzieren kann, ist kaum noch als KI identifizierbar“, sagt Boris Eldagsen. Auch daher sei für ihn eine Debatte über Fotografie im Kontext von Künstlicher Intelligenz wichtig – etwa hinsichtlich einer einheitlichen Kennzeichnung von KI-Bildern in den Medien. Schließlich seien „authentische Bilder eine Grundstütze unserer Demokratie“. Aber grundsätzlich halte er KI-Werkzeuge keinesfalls für eine Bedrohung oder Gefahr. Sicher würden durch diese Werkzeuge manche Jobs verloren gehen, aber „jede vorhergehende industrielle Revolution hat Berufe ausgelöscht und neue geschaffen“.
Auch sieht der Künstler in Bildgeneratoren keine „Plagiatsmaschinen“, wie sie manche seiner Kollegen bezeichnen. Vielmehr seien sie revolutionäre Werkzeuge, die Künstlern neue Möglichkeiten eröffnen. „Sie befreien mich von bisherigen materiellen Beschränkungen“, stellt Eldagsen fest. „Auf Budget, Location, Ausrüstung, Modelle oder Requisiten muss ich keine Rücksicht mehr nehmen.“ Für ihn – als langjährigen Fotografen – würde durch die KI nun sein Wissen zum primäre Arbeitsmittel. Denn bei der Nutzung der neuen Werkzeuge könne er auf 30 Jahre an praktischer Erfahrung zurückgreifen, was Gestaltung und Inszenierung von Bildern angeht. „Zum ersten Mal in einer technischen Revolution sind die Alten im klaren Vorteil“, sagt der Künstler. Das mache einen „echten Unterschied“.