Wenn nicht bald Unterstützung kommt, geht vielen Start-ups das Geld aus. Das fürchtet auch 1E9-Mitgründerin Daria. Die Politik hat zwar Milliarden in Aussicht gestellt. Wann und für wen die kommen, ist aber noch unklar. Über offene Fragen, seine Wünsche und Hoffnungen hat Daria mit dem gesprochen, der maßgeblich daran beteiligt war, dass es den Fonds geben wird: mit Christian Miele, dem Präsidenten des Bundesverbands Deutscher Startups.
Eine Kolumne (und ein Interview) von Daria Saharova
In meiner letzten Kolumne habe ich mich und euch gefragt, ob man auch in der Pandemie, die wir gerade erleben können, positiv denken kann. Und worüber. Und ich habe für mutige Entscheidungen plädiert. Das tue ich heute auch – in Richtung der Bundesregierung. Denn die Corona-Krise trifft viele Branchen – und insbesondere viele Start-ups.
Die spüren nicht nur die allgemein schwierige Lage auf dem Markt, sondern stehen vor einer weiteren überlebensnotwendigen Herausforderung: Sie müssen ihre Liquidität sichern. Und das nicht, weil sie “unnötig Geld verbrennen”, wie manche behaupten, sondern weil die meisten Start-ups ihre Mittel in Wachstum oder Forschung und Entwicklung investieren. Oft sammeln sie das dafür benötigte Kapital bei Venture-Capital-Investoren ein, kurz: VCs. Bei den Finanzierungsrunden wird meistens Kapital für die nächsten 18 Monate geraised. Nach einem Jahr muss deswegen eine neue Finanzierungsrunde vorbereitet werden. Und die dauert in der Regel, also in Nicht-Corona-Zeiten, bis zu sechs Monaten.
Aufgrund der aktuellen Situation beobachte ich, dass viele VCs und private Investoren die Entscheidung getroffen haben, pauschal in den nächsten sechs bis zwölf Monaten keine neuen Investments zu tätigen. Das führt dazu, dass viele Startups, die nicht das Glück hatten, kurz vor Corona neues Kapital eingesammelt zu haben, sterben könnten, weil ihnen das Kapital ausgeht. Vor allem die jungen Firmen, die gerade erst mit den Planungen für ihre erste Finanzierungsrunde begonnen haben, sind gefährdet. Denn sie haben nicht einmal Bestandsinvestoren, von denen sie bereits Geld erhalten hatten und die jetzt “einspringen” könnten. Auch die Companies, die kürzlich geraised haben, müssen ihre Planungen so anpassen, dass ihre Mittel für die nächsten zwölf bis 24 Monate reichen. Sie müssen ihre Burn Rate also deutlich senken.
Die Politik sieht das Problem – sollte sich jetzt aber beeilen
Der Politik ist dieses Problem nicht entgangen. Vor etwa einem Monat kündigten Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier ein Hilfspaket in Höhe von zwei Milliarden Euro für Start-ups an. Das klang gut! Doch danach wurde es erstmal ziemlich still um den Fonds. Inzwischen wurden zwar einige Details bekannt gegeben. Doch die Zeit drängt immer noch. Sie entscheidet über Leben und Sterben von Start-ups.
Der Bundesverband Deutsche Startups e.V. hat unter der neuen Führung von Christian Miele einen enormen Aufwand betrieben, um diesen Fonds überhaupt möglich zu machen. Ohne dieses Engagement wäre der Fonds wohl noch nicht in greifbarer Nähe.
Christian und ich kennen uns schon lange, so dass ich ihm trotz seines crazy Terminkalenders ein paar Fragen stellen durfte, wie es um den Fonds steht, wie die Zusammenarbeit mit der Regierung läuft, und was ihm Mut macht, weiterzumachen! Er ist übrigens nicht nur der Präsident des Verbands, sondern auch Partner bei dem Venture Capital Fonds e.ventures und Seriengründer. Vielen Dank für deine Zeit, lieber Christian!
Daria: Warum sind Start-ups aus deiner Sicht systemrelevant?
Christian Miele: Start-ups sind der wirtschaftliche und technologische Jungbrunnen unserer Volkswirtschaft. Sie bringen Innovation in den Markt, schaffen in kürzester Zeit – wenn es gut läuft – immense Werte und Arbeitsplätze und tragen so dazu bei, unseren zukünftigen Wohlstand zu sichern.
Wie empfindest du bisher die Zusammenarbeit mit der Regierung? Und was hat dich daran vielleicht überrascht?
Christian Miele: Die bisherige Zusammenarbeit war überwiegend gut. Insbesondere mit unseren direkten Ansprechpartnern im Bundeswirtschaftsministerium oder der Kreditanstalt für Wiederaufbau, der kfw, haben wir gute Erfahrungen gemacht. Dort versteht man das Thema und die Herausforderungen unserer Szene. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten. Manchmal scheint alles still zu stehen, aber man weiß nicht wieso und bekommt auch keine Antworten. Politik erscheint dann wie eine Blackbox. Das kann von Zeit zu Zeit zu Frustration führen.
Fest steht: Der sogenannte Matching-Fonds wird aus zwei Säulen bestehen. Ein Teil soll sich an VC-finanzierte Start-ups richten. Hier wird der Staat über die KfW und den Europäischen Investitionsfonds EIF bei einer Finanzierungsrunde 70 Prozent in Form von Wandeldarlehen aufbringen. Die restlichen 30 Prozent müssen von privaten Investoren kommen. Für beide Parteien sollen die gleichen Konditionen gelten, auch wenn es um die Rendite geht. Die zweite Säule soll sich an Start-ups ohne VC-Finanzierung richten. Dafür wird die KfW Globaldarlehen an lokale Förderinstitutionen geben.
Wie genau soll nun der Zwei-Milliarden-Fonds aussehen und vorgehen? Und wann können wir damit rechnen?
Christian Miele: Wie genau er aussehen wird, kann ich nicht sagen. Wir haben detaillierte Vorschläge gemacht, die sich auch intensiv angeschaut wurden, aber das wird so leider nicht 1 zu 1 umgesetzt werden. Beispielsweise ist es dringend notwendig, dass auch Corporate VCs, Family Offices und andere Wagniskapital-Investoren gematcht werden können – und nicht nur „klassische“ VCs. Ich hoffe, dass noch im Mai die ersten Gelder bei den Start-ups ankommen werden, um die Gehälter zahlen zu können. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass das passiert, kann ich leider nicht sagen.
Was machen die Start-ups, die keinen Matching-Investor finden?
Christian Miele: Start-ups, die keinen Wagniskapital-Investor haben, bzw. deren Investoren nicht investieren wollen, können von dem Teil der zwei Milliarden profitieren, die über die einzelnen Landesförderinstitute gechannelt werden. Jedes Start-up in jeder Phase und jeder Finanzierungsform hat so hoffentlich die Chance, die Krise zu überstehen.
Was macht dir in der jetzigen Phase der Krise noch Mut?
Christian Miele: Zu sehen, wie viele Start-ups Verantwortung übernehmen, alles versuchen, um ihre Mitarbeiter zu halten, mutig ihre Geschäftsmodelle umschmeißen, um die aktuelle Situation zu überstehen, und wie sehr die Szene zusammenhält. Trotz der schwierigen Lage wird über den Tellerrand hinausgeschaut und mit vielen kreativen Wegen versucht, sich selbst, seinen Kunden, seinen Partnern, aber auch der gesamten Bevölkerung zu helfen.
Wann glaubst du, dass es vorbei ist?
Christian Miele: Die Frage ist, was du mit „es“ meinst. Bestimmte Social-Distancing-Maßnahmen werden noch ins Jahr 2021 hineinreichen. Normales Wirtschaften – unter Beachtung der Gegebenheiten – wird hoffentlich eher möglich sein. Das wirtschaftliche Niveau von vor der Krise werden wir vermutlich erst 2022 wieder erreichen. Da wir aber unter vielen unbekannten Variablen leiden, sind das alles nur Mutmaßungen.
Wie sieht die Start-up-Welt nach der Corona-Krise aus?
Christian Miele: Ich bin kein Hellseher. Klar ist aber, dass wir kurz- bis mittelfristig etwas mehr Wert auf die Liquidität und auf fokussierte Geschäftsmodelle legen müssen.
Worauf kommt es für dich in Krisen an?
Christian Miele: Wenn es um Companies geht, dann sicherlich auf Execution Excellence, strategische Intelligenz, Entscheidungsstärke und Verantwortungsbewusstsein.
Investiert ihr mit e.ventures weiter?
Christian Miele: Ganz klar: ja. Der Fonds ist ja nach wie vor vorhanden und gute Geschäftsmodelle und Teams gibt es jetzt genauso wie vor der Krise. Lediglich die gesamtwirtschaftliche Lage hat sich eingetrübt. Das bringt aber unser Geschäft nicht zum Erliegen. Wir reagieren natürlich auf Marktverschiebungen, die durch Corona und die Beschränkungen hervorgerufen worden sind, aber das führt nicht dazu, dass wir die nächsten zwölf oder 18 Monate die Hände in den Schoß legen. Im Gegenteil: Manche sagen, dass in Krisen die erfolgreichsten Unternehmer zum Vorschein kommen.
Was ist deine Empfehlung an die VC-Branche in Zeiten von Corona?
Christian Miele: Angst und Panik sind keine guten Berater. Es gibt weiterhin gute Teams, es gibt weiterhin gute Geschäftsmodelle. Vielleicht kann man jetzt sogar noch besser die herausragenden Teams und Geschäftsmodelle von den guten oder durchschnittlichen unterscheiden. Klar ist es akut erst einmal wichtig, das Portfolio zu sortieren und entsprechend durch die Krise zu bringen. Wer jetzt aber seinen Jagdinstinkt nicht durch Angst oder Nervosität beeinträchtigen lässt, der kann als VC ein paar interessante Monate haben.
Danke, Christian!
Ich bedanke mich hier nochmals bei Christian für das aufschlussreiche Gespräch und drück die Daumen! Ich freue mich sehr, dass unsere Branche als systemrelevant wahrgenommen wird und die Regierung die notwendigen Schritte macht. Doch es muss jetzt schnell gehen, denn es geht hier tatsächlich um Leben und Tod.
Daria Saharova ist nicht nur Mitgründerin von 1E9, sondern auch Partnerin beim Venture Capital Fonds Vito ONE.
Titelbild: Getty Images