Warum die ganze Chipindustrie auf QuantumDiamonds aus München schaut

Das Münchner Start-up QuantumDiamonds hat mit Quantentechnologie ein „Röntgengerät für Magnetfelder“ entwickelt, für das sich derzeit fast alle Chiphersteller interessieren. Denn damit lassen sich auf den immer komplexeren Halbleitern frühzeitig kleinste Fehler erkennen. Die erste Maschine wird an Fraunhofer ausgeliefert, auch die Marktführer aus Taiwan und den USA wollen bestellen.

Von Wolfgang Kerler

Immer größer, immer leistungsfähiger, immer teurer. Bei Künstlicher Intelligenz liefern sich Tech-Konzerne und Start-ups ein Wettrennen. Ihre Algorithmen unterscheiden sich zwar – eines haben jedoch alle gemeinsam: Sie sind abhängig von Nvidia. Ohne die neuesten Grafikprozessoren, kurz GPUs, des amerikanischen Chipherstellers lassen sich konkurrenzfähige KI-Modelle kaum entwickeln. Nvidia hat in diesem Bereich fast ein Monopol. Das heißt: Probleme bei Nvidia erschüttern die ganze KI-Welt.

Aktuell warten Microsoft, Google und Meta auf Lieferungen der im März angekündigte neueste Generation von Nvidia-GPUs namens Blackwell. Zigtausende Chips haben sie bestellt – allesamt Milliardenaufträge. Doch wie es aussieht, wird Nvidia nicht alle Kunden pünktlich bedienen können. Seit August wird über Produktionsprobleme beim taiwanesischen Auftragsfertiger TSMC berichtet, der seit Jahrzehnten die Herstellung für Nvidia übernimmt. Offenbar wurden Fehler an den Chips zu spät im Fertigungsprozess bemerkt. Der Schaden dürfte in dreistelliger Millionenhöhe liegen.

Möglich, dass die immer komplexere Architektur moderner Halbleiter zu den Problemen beigetragen hat. Denn sie bringt traditionelle Messgeräte, um Fehler auf winzigen Chips zu finden, an ihre Grenzen. Genau hier kommt das Münchner Start-up QuantumDiamonds ins Spiel, das – so der Claim – „Unsichtbares sichtbar macht“.

Vom Online-Pitch zu Meetings bei Taiwans Chip-Giganten

Anfang des Jahres pitchten die Gründer des Unternehmens bei einer von Taiwans Regierung organisierten Online-Veranstaltung für internationale Start-ups. „Und unser Pitch kam so gut an, dass sie gesagt haben: Bitte kommt her!“, erinnert sich QuantumDiamonds-Geschäftsführer und -Mitgründer Kevin Berghoff im Gespräch mit 1E9.

Flüge und Hotelzimmer wurden ihnen spendiert, Meetings organisiert – und schon sprachen die Münchner vor Ort mit den Fehleranalyse-Spezialisten der „führenden Halbleiterhersteller Taiwans“, die gleichzeitig weltweit führend sind. Denn nirgendwo sonst werden so viele moderne Chips produziert wie in Taiwan.

Auf den ersten Besuch folgte ein zweiter sowie ein Trip in die USA. Jedes Mal war das Feedback ermutigend. „Wenn ihr eine Lösung habt, die wir in unsere Fertigungslinie integrieren können, würden wir sie euch abkaufen“, hörten sie laut Kevin Berghoff immer wieder.

Was genau diese „Lösung“ von QuantumDiamonds ist, lässt sich so zusammenfassen: Das Start-up entwickelt Messgeräte, die mit Hilfe von Quantentechnologie selbst kleinste Fehler in den verschiedenen Schichten komplexer Chips erkennen können. In hoher Auflösung, innerhalb von Sekunden und besser als bisherige Standardgeräte. Das ist die simple Version. Die Technologie dahinter ist komplex.

Empfindliche Qubits: Für Quantencomputer ein Problem, für Quantensensoren ideal

Fleming Bruckmaier, Technikchef und ebenfalls Mitgründer des Unternehmens, entwickelte bei seiner Promotion an der Technischen Universität München neue Messmethoden – basierend auf hochreinen Industriediamanten, die gleichmäßig mit winzigen „Fehlern“ versehen werden, sogenannten NV-Zentren, was für „Stickstoff-Fehlstellen-Zentren“ steht.

Eigentlich bestehen perfekte Diamanten nur aus Kohlenstoffatomen, die in einem regelmäßigen Gitter angeordnet sind. Für NV-Zentren werden einzelne Kohlenstoffatome im Gitter durch Stickstoffatome (N) ersetzt – daneben entstehen leere Stellen, die als „V“ für „Vacancy“ bezeichnet werden. Interessant sind diese NV-Zentren, weil sie Elektronen in ihrer Nähe einfangen, die in verschiedene quantenmechanische Zustände versetzt werden können. Vereinfacht gesagt funktionieren sie wie winzige Schalter. Damit können sie Informationen speichern und eignen sich als Quantenbits, kurz: Qubits.

Theoretisch könnte man die NV-Stellen-Qubits für Quantencomputer nutzen. In der Praxis ist das jedoch schwierig, weil die Qubits extrem empfindlich sind. Schon kleinste Einflüsse aus der Umgebung können ihren Zustand zerstören. „Beim Quantencomputing tust du deswegen alles, um die Qubits von der Umgebung zu entkoppeln“, erklärt Fleming Bruckmaier. „Wir drehen den Spieß um.“ Denn QuantumDiamonds baut keine Quantencomputer, sondern Quantensensoren. Und die sind darauf ausgelegt, Einflüsse wahrzunehmen – insbesondere Magnetfelder.

Um Messungen durchzuführen, wird der Diamant auf einen Halbleiterchip gesetzt und unter ein speziell entwickeltes Mikroskop gelegt. Dann wird der Diamant mit grünem Laserlicht bestrahlt. Das Laserlicht bringt die Qubits im Diamanten in einen angeregten Zustand. Sie beginnen rot zu leuchten – der Diamant fluoresziert. Wird der Chip, auf dem der Diamant sitzt, an eine Stromquelle angeschlossen, entstehen Magnetfelder, die sich je nach Stärke und Richtung des Stroms verändern. Die Qubits reagieren empfindlich auf die Magnetfelder und ihre Leuchtintensität ändert sich.

Jetzt kommt eine Mikrowelle ins Spiel. Trifft diese auf ein Qubit und hat dabei die richtige Frequenz, hört das Qubit auf zu leuchten. Dieser Effekt kann mit dem Mikroskop beobachtet werden. Aus der Frequenz, bei der das passiert, lässt sich das Magnetfeld bestimmen – und damit auch die Stromdichte an der jeweiligen Position im Chip, im Mikro- oder sogar Nanometerbereich.

QuantumDiamonds analysiert dabei nicht jedes einzelne Qubit – das wären viele Milliarden pro Diamant –, sondern fasst mehrere tausend Qubits zu einem Pixel zusammen. In Sekundenschnelle erstellt die Software des Start-ups aus allen Messungen ein hochauflösendes Bild, das den Stromfluss darstellt.

Kevin Berghoff vergleicht die QuantumDiamonds-Technologie gerne mit einem „Röntgen für Magnetfelder“. „Wenn ein Chip funktioniert, sieht man eine sehr gleichmäßige Stromdichte. Einen Kurzschluss oder Defekt erkenne ich an der Ungleichmäßigkeit.“

Das erste Gerät QD m.0 geht an ein Fraunhofer-Institut

Gegründet wurde QuantumDiamonds 2022, als sich Kevin Berghoff, der bei McKinsey gekündigt hatte – „zu viel Excel und PowerPoint“ –, und Fleming Bruckmaier trafen, der an der TU München NV-Stellen als Quantensensoren erforschte und damit mehr machen wollte als „super Physik-Experimente“. „Es war wieder mal eines der Themen, bei denen Deutschland zwar in der Forschung führend ist, aber es kein Mensch kommerzialisiert“, erinnert sich Kevin Berghoff. Das wollten sie ändern.

Sie beantragten erfolgreich Gründungsförderung und veröffentlichten ein Whitepaper, in dem sie verschiedene Anwendungsmöglichkeiten der Quantensensoren beschrieben. Denn auch in Medizin, Chemie, Batterieentwicklung, Navigation oder Raumfahrt könnten die NV-Stellen-Diamanten Vorteile bringen. Die größte Resonanz kam allerdings aus der Halbleiterindustrie, unter anderem von Intel.

Das Team absolvierte daraufhin nicht nur das Accelerator-Programm von Intel, sondern fokussierte sich fortan darauf, ein Messgerät für Chipentwickler und -hersteller zu entwickeln – anstatt „nur“ Diamanten als Sensoren zu verkaufen. Mit sieben Millionen Euro, die Wagniskapitalfonds wie IQ Capital und Earlybird sowie öffentliche Förderer bei einer ersten Finanzierungsrunde ins Unternehmen steckten, konnte das Start-up sein Team auf zwanzig Leute aufstocken und einen funktionierenden Prototypen bauen. Sein Name: QD m.0.

Ende Oktober wurde das 1,70 Meter hohe und 70 Zentimeter breite Gerät zusammen mit dem bayerischen Digitalminister enthüllt. „Das erste kommerzielle Quanten-Gerät der Welt, das den Quantenvorteil nutzt“, sagen die Gründer nicht ohne Stolz. Jetzt steht es in einem der Räume, die QuantumDiamonds im Münchner Start-up-Zentrum WERK 1 bezogen hat, und wartet auf den Abtransport zum ersten Kunden: Fraunhofer EMFT. Wieviel das Institut bezahlt, wollen die Gründer nicht verraten. Der Preis für vergleichbares Mikroskopie-Equipment liegt jedoch im niedrigen siebenstelligen Bereich.

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Bei QD m.0 handelt es sich um ein Messgerät für Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, das Halbleiterunternehmen in der Designphase einsetzen können. Schon das ist ein lukrativer Markt. Die nächsten zwei Exemplare sind bereits im Bau, bei einem oberbayerischen Maschinenbauer, der im Auftrag von QuantumDiamonds bis zu hundert Stück pro Jahr produzieren könnte.

Der nächste Schritt: Vom Prototypen zum Weltmarkt

Doch seit ihrem ersten Ausflug nach Taiwan steht für Kevin Berghoff und Fleming Bruckmaier fest, dass das eigentliche Ziel die Entwicklung von Hard- und Software für den Einsatz in Chipfabriken ist. Direkt in der Fertigungslinie. Nächstes Jahr soll – idealerweise mit staatlicher Förderung – ein Demonstrator entstehen, dann die nächste, deutlich größere Finanzierungsrunde mit Investoren stattfinden, um schnellstmöglich die großen Chipkonzerne in Asien, den USA und Europa beliefern zu können.

„Wir haben hier wirklich die Chance, ein weltweit erfolgreiches High-Tech-Unternehmen aufzubauen. Aber spätestens nächstes oder übernächstes Jahr müssen wir Büros in Taiwan und den USA haben“, sagt Kevin Berghoff. „Mit Vertriebsfirmen haben wir schon Gespräche gehabt.“

Wenn sie sich nochmal aussuchen könnten, wo sie ihre Firma gründen, würden sie vermutlich Taiwan wählen. „Das ist einfach der beste Standort für Halbleiterei“, sagt der Geschäftsführer. Doch auch München sei sehr gut, um ihr Unternehmen groß rauszubringen: eine starke Forschungslandschaft in Süddeutschland, führende Unternehmen im Bereich synthetischer Diamanten, der starke Maschinenbau – „und Infineon um die Ecke“.

„Zumal die Wahrscheinlichkeit, dass diese Technologie in Taiwan aufgepoppt wäre, sehr klein ist“, meint Fleming Bruckmaier. „Dort gibt es einfach niemanden, der daran forscht.“

Titelbild: QuantumDiamonds

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