Dieser Artikel soll eine Ergänzung für Hans Ley’s eher faktenbasierten Artikel Demokratische Unternehmen am Beispiel Mondragón sein. Er ist zu lesen als eine erste und kurzgehaltene Notwendigkeitserklärung für die Demokratisierung unserer Märkte.
Es ist kaum noch kontrovers zu sagen, dass ein Kollaps unserer Zivilisation eine realistische Möglichkeit ist, sofern wir nicht herausfinden, wie wir die Unmenge an genisteten Krisen - manchmal „Meta-Krise“ genannt - bewältigen. Von allen Lösungsansätzen in den Weiten des Internets halte ich die Transformation des Marktes für die vermutlich sinnvollste. Die Politik von innen heraus zu verändern oder das Bildungssystem als Außenstehender zu transformieren mögen notwendige zu tätigende Schritte sein. Doch die Einstiegsbarrieren in jene Bereiche erscheinen utopisch zu überwinden. Doch Kooperativen kann im Prinzip jeder gründen und ich wage zu behaupten, dass hiermit die beiden vorangestellten Ansätze ebenfalls zumindest in der Theorie zu lösen wären. Zu möglichen Strategien ein anderes mal mehr. Gesagt sei lediglich, dass diese bereits in Gang gebrachte Entwicklung gefördert werden muss und wir alle dazu beitragen können. Dem ist dieser Artikel gewidmet.
Wir leben in einer Umbruchphase, welche immer mehr Menschen bewusst wird. Manches wird exponentiell besser, während anderes klar in die entgegengesetzte Richtung driftet. Das ist nicht nur ein Zeichen für Instabilität, sondern erfordert auch die Beobachtung, dass der Grat zwischen Utopie und Dystopie ein sehr schmaler ist. Wohin die Reise geht, ist nach wie vor unklar, doch Bewegungen lassen sich klar abzeichnen. Kräfte steigen empor, die das System in eine andere Richtung zu zerren versuchen, während andere mit Eifer dagegenhalten, um sich ihre bestehenden Vorteile zu bewahren.
Wenn wir durch das Dickicht des Informationsdschungels blicken, zeichnet sich prominent ab, dass etwas mit der Wirtschaft ganz und gar nicht stimmt.
Selbst Marktfundamentalisten scheinen langsam durch den ideologischen Nebel in ihrem Sichtfeld blicken zu können.
Der Markt kann nicht nur definitionsgemäß Probleme nur marktorientiert lösen, sondern produziert jede Menge sich anhäufende negative Externalitäten, welche teils schwer zu beziffern sind und sich nahezu unentdeckt wie ein Krebsgeschwür in immer essentiellere Domänen der Gesellschaft fressen. Zumal die wachsende Anzahl an „wicked problems“, deren Lösungen sich nicht oder nur schwer monetarisieren lassen, vollständig auf der Strecke bleiben. Der Markt, der keine Weitsicht kennt, zerstört langsam aber sicher seine eigene Lebensgrundlage.
Die Politik versucht dieses Problem mit den herkömmlichen Methoden zu bekämpfen. „Quick fixes“ in Form von Regulationen, die sich wie ein Klebeband über die Innenwände eines leckenden Schiffes schmiegen. Doch klar ist auch, dass ein Schiff, dass von immer mehr Lecks geplagt ist, an struktureller Integrität verliert. Immer mehr undichte Stellen an immer unscheinbareren Orten überfordern die mit Klebeband ausgestatteten Politikerhände, welche sich des anbahnenden Sturms nicht bewusst sind oder sich gekonnt mittels populistischer Phrasendrescherei aus der Affäre zu ziehen versuchen.
Auch, wenn diese Schiffs-Metapher natürlich nicht im Ansatz ausreicht, um unser Problem zu beschreiben, so lässt es sich doch recht leicht auf Handlungen diverser Marktentitäten zurückführen. Eine in Kernproblematiken untätige, hoffnungslos mit der Komplexität des Informationszeitalters überforderte Politik steuert ebenfalls kein brauchbares Gegenmittel bei. Vor Allem da kaputte Anreize wiederum in die Hände derer Marktentitäten spielen, die sich Vorteile zu Lasten aller Anderen erwerben.
Die Politik und die Wirtschaft stecken zu sehr unter einer Decke, während machtorientierte Fesselspielchen dieses Paradigma vor seiner Auflösung bewahren.
Vielversprechende Karrierechancen erwarten diejenigen Politiker, die während ihrer im Prinzip nicht beschränkten Amtszeit Vorteile für diverse Wirtschaftsakteure einräumen. Selbst kleinste Zugeständnisse in der Lobbyarbeit kumulieren sich somit auf Dauer zu einem verzerrten Bild dessen, was nachhaltig und fair sein sollte. Transparenz geht verloren, einst geteilte Gewalten verschmelzen und verbünden sich wissentlich oder unwissentlich gegen den Willen der Bevölkerung, ohne, dass diese davon Wind bekommt.
Die Lösung scheint auf der Hand zu liegen. Wenn politisch kaum Einfluss genommen werden kann, muss destruktiver Wettbewerb zu Gunsten synergetischer Kooperation weichen. Wo das für viele nach purer idealistischer Fantasie klingt, ist genau dies für andere bereits gängige Praxis.
Mondragón ist nicht nur ein interessantes Experiment, sondern auch unumstößlicher Beweis dafür, dass kooperative, demokratische Strukturen auf großen Skalen, transnational, über Finanzkrisen hinweg, erfolgreich am Markt Fuß fassen und wachsen können. Zugleich scheinen demokratische Strukturen die Eigenschaft mit sich zu bringen, keinen strikten Gesetzgeber zu benötigen, um ethischer und nachhaltiger zu handeln. Am Ende wollen die meisten Menschen doch Gutes für ihre (Welt-)gemeinschaft tun, anstatt sich nur selbst zu bereichern. Doch der Wille allein reicht nicht aus; die Strukturen müssen dies auch zulassen, oder besser sogar anreizen.
Wenn eine Gemeinschaft gemeinsam richtungsweisende Entscheidungen treffen kann, bedeutet dies zwar noch nicht, dass sie notwendigerweise die richtigen sind. Doch in der Tendenz wird unethisches Verhalten weniger toleriert und Handlungen, die zu negativen Externalitäten für das Gemeingut und die Bevölkerung führen, werden iterativ aussortiert, da die Gemeinschaft „skin in the game" hat. Verhalten, die den Wenigen Vorteile verschaffen und den Vielen Nachteile, können nicht etabliert werden, wenn die Vielen aktiv mitbestimmen können.
Könnten soziale Medien ihre suchterzeugenden Mechanismen aufrechterhalten, wenn die Nutzer selbst den Werdegang der Plattformen steuern würden? Könnte die Kleidungsindustrie Kinder beschäftigen? Könnten Lebensmittelkonzerne unkontrolliert Regenwälder roden, ohne zumindest genauso viel zu regenerieren? Diese Fragen sollte man sich zumindest gestellt haben.
Selbst, wenn nur die Möglichkeit besteht, dass genossenschaftliche Strukturen diese Probleme minimieren können, bedingt dies in Anbetracht der Immensität unserer Probleme zumindest eine Evaluation dieses Ansatzes.
Genau daher ist es von enormer Wichtigkeit, Mondragón und andere funktionierende Genossenschaften genau unter die Lupe zu nehmen, von ihnen zu lernen und Iterationen ihrer Modelle in die Praxis umzusetzen.
Es gibt unzählige Gründe, weshalb kooperativere Märkte zu einer besseren Welt führen würden. Einige davon sind höhere Zufriedenheit und Mitwirkungsmöglichkeit der Arbeiter, weniger Ungleichheit, ethischeres und weitsichtigeres Handeln, risikoärmere Unternehmensgründungen, solide hilfsbereite Netzwerke für kleine und mittelständische Unternehmen und damit eine Chance gegen die wachsende Marktmacht diverser Oligopole.
Genau dahin scheint das Schiff zu treiben, wobei machtbesessene Akteure entschlossen versuchen, diese notwendige Entwicklung zu verhindern. Die Rufe nach Gemeinschaft und Zusammenarbeit werden lauter und mit ein wenig Glück sind wir nicht mehr auf Quick Fixes angewiesen, sondern passen das Design des Schiffes so an, dass Lecks immer unwahrscheinlicher werden.