Solarpunk ist ein Science-Fiction-Genre aber auch eine Bewegung. Ihre Anhänger vertiefen sich in grüne Technologien, erneuerbare Energien und auch nachhaltige Landwirtschaft. Selbst zum Solarpunk zu werden ist nicht schwer.
Von Michael Förtsch
Es war an einem Abend im Juni dieses Jahres. Ich saß an meinem Rechner und scrollte durch jede Menge futuristischer Bilder. Es waren aber keine Bilder von düsteren Cyberpunk-Metropolen oder Weltraumstädten, sondern von glänzenden Glasstädten, die mit saftigen Wiesen, sattgrünen Terrassen und funkelnden Solarmodulen durchzogen sind. Das Resultat: Wenig später schrieb ich diesen Artikel. In dem Text versuchte ich lange und möglichst verständlich zu erklären, was Solarpunk eigentlich ist und warum dieses bislang wenig bekannte Science-Fiction-Genre so wichtig für unsere Zeit und unsere Zukunft werden könnte.
Um es nochmal kurz zusammenzufassen: Solarpunk propagiert – im Gegensatz zum Cyberpunk – keine zynisch verzerrte Zukunftsvision der Welt, in der die Erde zerstört ist und die Menschen durch Konzerne unterdrückt werden. Stattdessen zeichnet das Genre eine positive oder zumindest hoffnungsfroh gefärbte Aussicht auf die kommenden Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte; eine in der die Menschheit versucht, im Einklang mit der Umwelt zu existieren – und das auch dank Technologien wie Solar- und Windkraft, dank Batteriespeichern, Hydrokultur und nachhaltiger Architektur. Noch fehlen diesem Genre die wegweisenden Leuchtturmgeschichten. Aber auch so lebt es: Vor allem in Form von Bildern, Debatten und Diskussionen im Internet. Und das reicht, um zu verfangen und zu inspirieren.
Ja tatsächlich, so sehr ich die finsteren Cyberpunk-Welten aus Blade Runner , Altered Carbon und Matrix liebe, so viel kann ich mittlerweile dem optimistischen, progressiven und auch leicht radikalen Geist des Solarpunk abgewinnen. Vor allem dem utopischen „mit sauberer Technik könnten wir das Ruder noch herumreißen“-Gedanken – aber auch dem You-can-do-it-yourself -Geist, der in einigen Illustrationen und Kurzgeschichten mitschwingt. Oder anders gesagt: der Inspiration selbst etwas zu tun – und der Vision etwas näher zu kommen. Etwas, das anders als bei anderen Science-Fiction-Genres vergleichsweise einfach machbar und möglich ist. Denn die Technologien des Solarpunk sind vielfach schon da. Und auch Ansatzpunkte für Aktivismus sind reichlich vorhanden.
Mein Experiment
Mich selbst reizte vor allem die Technologie. Und da insbesondere die Möglichkeit, die saubere und zudem kostenfreie Sonnenenergie zu nutzen. Viele tun das schon. Zahlreiche neue Einfamilienhäuser kommen ganz selbstverständlich mit einer Photovoltaikanlage auf dem Dach. Ist so eine gut ausgerichtet und optimiert, kann sie 6.000 bis 9.000 Kilowattstunden an Strom umsetzen – bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 4.500 Kilowattstunden, den ein Drei-Personenhaushalt im Jahr hat. Mit einer Batteriespeichereinheit im Keller ist man so nahezu autark. Aber natürlich existiert diese Möglichkeit für viele, die in einem Appartement in der Stadt oder einem Vorort wohnen, leider nicht.
Dennoch lässt sich auch dort mit Solarstrom experimentieren und die Stromrechnung ein wenig drücken – das dachte ich mir zumindest und habe es einfach ausprobiert. Zum Experimentierfeld machte ich ein hohes Balkonfester, das gut von der Mittagssonne beschienen und Innen ohnehin weitestgehend vom Fernseher verdeckt wird. Dort brachte ich sogenannte Dünnschichtmodule an: ein 100-Watt- und ein 50-Watt-Modul, die das Fenster nun nahezu komplett einnehmen und mich zusammen rund 200 Euro kosteten. Der gewonnene Strom fließt derzeit in einen kleinen Solarstromgenerator mit eingebauter 154-Wattstunden- und bald 400-Wattstunden-Batterie, die je nach Hersteller um die 125 respektive 500 Euro günstig sind.
Die Ausbeute? Die schwankt natürlich je nach Wetterlage. An lauen Wolkentagen generiert die kleine Anlage im Durchschnitt 80 bis 125 Wattstunden. An einem hellen Sommertag mit direkter Einstrahlung können hingegen 300 bis 550 Wattstunden umgesetzt werden. An einem diesigen Regentag wiederum kann es sein, dass lediglich 5 bis 30 Wattstunden aus den Zellen tröpfeln. Das ist nicht mit einer Photovoltaikanlage auf einem Dach vergleichbar. Jedoch genügt es selbst mit Ladeverlust um den Batteriespeicher stets geladen zu halten, der sowohl eine Soundbar und eine Nintendo Switch mit Strom versorgt und zusätzlich Smartphones, Videospiel-Controller, einen iPod und ein iPad in Betrieb hält.
Es ist eine simple Installation – aber sie funktioniert. Und wer einmal eine solche Kleinanlage hat, kann mit effizienteren Zellen und einem größeren Speicher optimieren und weiter auf- und ausbauen. Wer zudem mehr Fensterfläche, Platz und Bastelwillen aufbringt, der kann sogar mehrere Solarzellen über mehrere Räume zusammenschließen, und mit einem Solarladeregler, einem großen Akkumulator und Spannungswandler ein unabhängiges Stromnetz zum Eigenverbrauch aufbauen, das durchaus den heimischen Computer oder den Fernseher samt Medienanlage befeuern könnte. Das ist machbar – und durchaus einen Versuch wert.
Dazu locken im Internet auf Reddit und spezialisierten Foren große wie kleine Communities, die einen Hort an verständlichen Anleitungen, coolen Ideen, schrägen Experimenten und nützlichen Wissen darstellen. Die Solarszene ist offen, nerdig, bereit für Debatten und beantwortet gerne selbst dumme Fragen von Einsteigern.
Was macht den Solarpunker aus?
Aber bin ich mit meinem Solar-Experiment oder so einer Bastelanlage eigentlich ein Solarpunk? Wenn es nach Andrew Dana Hudson geht, dann irgendwie schon – zumindest ein bisschen. Und der sollte es wissen: Denn der Autor und Mitarbeiter des Center for Science and the Imagination der Arizona State University ist einer der Vordenker und mit seinem Blog so etwas wie der Chronist des Solarpunk. Auch wenn er sich selbst „nicht einmal so sehr als Solarpunk“, sondern vielmehr als „Mitglied der literarischen Bewegung“ rund um das Genre versteht.
„Ich versuche, wie viele von uns, so oft wie möglich mit dem Rad zu fahren, nachhaltig zu essen, einen kleinen Garten zu unterhalten und mich aktiv um den Umweltschutz zu bemühen“, sagt Hudson im Gespräch. Aber während seiner Arbeit und Forschung habe er einige „total echte Solarpunks“ getroffen; nämlich Leute, wie er meint, „die sich sehr in die Technologie vertiefen und die menschliche Beziehung zur materiellen Realität verbessern wollen“. Menschen also, die wissen wollen, wo ihre Nahrungsmittel, ihr Wasser, ihr Strom herkommen und wie sie die verfügbaren Ressourcen möglichst clever nutzen, adaptieren oder auch umfunktionieren können. Es geht beim Solarpunk nämlich auch um das „Hacken“ im weitesten und vor allem besten Sinne.
Solarpunk sein heißt auch, Hacker sein
„Menschen, die Solarpunks werden wollen, sollten – meiner Meinung nach – mal ein Auge auf die Permakultur-Bewegung werfen“, sagt Hudson. Dahinter stand vor fast fünf Dekaden zunächst einmal die große Idee einer möglichst nachhaltigen Land- und Gartenwirtschaft samt ökologischer Lebensphilosophie – mit 12 einfachen Grundsätzen aber durchaus vielschichtigen Anwedungsmodellen. Wer einen Garten oder Bauernhof betreibt, soll nach systemischen Abläufen vorgehen, den natürlichen Reichtum des Bodens nutzen, Abfall vermeiden, Pflanzzonen ausarbeiten und flexibel auf Probleme reagieren. Deutschlandfunk Kultur hat hier einen guten Umriss um das Thema geschafft.
Immer mehr Menschen interessieren sich für den Pflanzenanbau mit Permakultur, besonders in den Städten. Aber auch Bauern wirtschaften bereits erfolgreich mit der Methode, die auf Artenreichtum, Mischkultur und Humus setzt – ganz ohne Chemie.
Die Permakultur-Bewegung hat sich in den vergangenen Jahren stark weiterentwickelt. Nämlich in ein auf Effizienz und Praktikabilität getrimmtes Konzept, das selbst funktionale und ertragreiche Gärten in Großstädten und unwirtlichen Umgebungen ermöglicht. Nämlich in dem Wasser- und Wärmespeicher und immer öfter digitale Überwachungs-, Automatisierung, Versorgungssysteme und 3D-Druck integriert werden, die helfen den Prinzipien dieser nachhaltigen und behutsamen Landwirtschaftsform komfortabel und unter erschwerten Voraussetzungen gerecht zu werden.
Daher sollten sich Möchtegern-Solarpunker, wie Hudson anrät, auch mit Mini-Rechnern und Plattformen wie Raspberry Pi und Arduino auseinandersetzen. Die ermöglichen es nämlich mit wenig Energie und vielen Freiheiten eigene digitale Werkzeuge zu konstruieren. Beispielsweise um die Qualität von Böden und Luft zu überwachen, automatisch zu wässern oder die Temperatur in Gewächshäusern zu regulieren.
Ebenso lassen sich derartigen Werkzeugen aber auch deutlich komplexere Herausforderungen meistern. Sie taugen, um Smog-, Flut- und Wetterwarnsysteme aufzubauen. Oder es könnten automatisiert Verläufe von Sonnen-, und Regenzeiten oder der Luftfeuchtigkeit gemessen werden, die sich dann auf lokalen aber auch globalen Plattformen zusammentragen lassen. Diese können dann dabei helfen, zu bestimmen, welche Pflanzen am besten an welchen Orten angebaut werden müssten. Sogar Erträge ließen sich so prognostizieren. Das sind Ideen und Praktiken, die sogar das World Economic Forum wahrnimmt und unterstützt. Verschiedenste Quellen und Ressourcen dazu gibt es mittlerweile zu Hauff.
Solarpunk ist coole Technik
Aber auch sonst ist das technologische Querdenken und Vorantreiben von Innovation ein essentieller Gedanke des Solarpunk. Denn nur auf diese Weise lassen sich effizientere Möglichkeiten zur Erzeugung von Strom und anderen Ressourcen ausmachen – und die Notwendigkeit von fossilen Energieträgern und Ausbeutung der Natur bescheiden.
Mit Sonnenenergie betankbare Autos, ob selbst umgerüstet oder fertig aus der Fabrik wie der Sion; Hydropanele wie von Zero Mass Water oder Do-It-Yourself-Wassergeneratoren, die sauberes und sofort trinkbares Wasser aus der Luft ziehen; Schiffe, die mit riesigen Segelbaken, die sowohl Wind- als auch Sonnenenergie ziehen; automatisierte Vertikalfarmen mit Hydrokulturen oder in der Luft schwebende Windkraftanlagen: Das alles ist total Solarpunk.
Die Welt und Technologie des Solarpunk ist also da. Die Möglichkeiten, Dinge im Großen wie im Kleinen zu tun und auszuprobieren, ein Solarpunk zu werden, vielfältig. Es geht nicht gleich darum, die ganze Welt zu retten oder das eigene Heim in ein autarkes und CO2-neutrales Utopia umzurüsten. Viel mehr geht es darum, einfach mal anzufangen, zu lernen und sich mit anderen zu vernetzen, die die Welt auch ein Stück grüner machen wollen. „Die echten Proto-Solarpunks in der heutigen Welt schreiben keine Geschichten oder entwerfen begrünten Gebäude“, sagt Hudson auch etwas selbstkritisch. „Sie machen diese Dinge da oben.“
Teaserbild: Marc Moritz / EyeEm / Getty Images