So hilft die Grafik von Computerspielen der Klimaforschung

Neue Technologien werden häufig zunächst in Computerspielen erprobt, sei es VR, AR oder Künstliche Intelligenz. Auch das sogenannte Raytracing wird von der Games-Industrie vorangetrieben, weil es Spielen eine bessere Grafik verleiht. Wir erklären die Fortschritte dabei – und zeigen, wie die Technologie der Klimaforschung hilft.

Von Achim Fehrenbach

Control ist ein Fest der Illusionen. Das Action-Adventure, das in vielen Jahresbestenlisten auftaucht, narrt seine Nutzer auf Schritt und Tritt. Räume wandern, Türen verschwinden, allenthalben walten übernatürliche Kräfte. Zugleich wirkt dieses Labyrinth aus Hallen und Korridoren verblüffend echt. Licht spiegelt sich in Wasserpfützen, Möbelstücke werfen bizarre Schatten – und in den gläsernen Wänden abgedunkelter Lagerräume spiegelt sich das Geschehen in allen Details.


Raytracing macht das Videospiel Control zu einem optischen Meisterwerk.

Etliche Rezensenten sehen Control als Meilenstein der Computerspielgrafik. Die technische Basis dieses Effektfeuerwerks nennt sich Raytracing, zu Deutsch: „Strahlenverfolgung“. Die Technologie kommt nicht nur in Computerspielen zum Einsatz, sondern auch in Wissenschaft und Forschung. Doch was genau ist unter Raytracing zu verstehen?

Ganz grundsätzlich wird unser Sehen durch die Art und Weise bestimmt, wie Licht auf bestimmte Objekte trifft – ob es absorbiert, reflektiert oder gebrochen wird. Raytracing ist eine Methode, diesen Prozess im Computer zu simulieren. Denn hierbei werden 3D-Umgebungen mit virtuelle Lichtstrahlen gefüllt. Vom gedachten Auge des Betrachters aus werden die sichtbaren Strahlen zurückverfolgt. Es wird berechnet, welchen Weg sie genommen haben, ob sie beispielsweise von einer farbigen Oberfläche gespiegelt oder ob sie von einer Glasfläche verbogen wurden. Auf diese Weise lassen sich Umgebungen wie in Control atemberaubend realistisch darstellen. Denn Licht verhält sich dadurch so, wie es das auch in der Wirklichkeit tun würde.


Dieses Video erklärt, was Raytracing ist.

Raytracing selbst ist keineswegs neu. Die Technologie existiert schon seit Jahrzehnten. Ursprünglich wurde sie vor allem von Herstellern von Kameraobjektiven und Teleskopen genutzt. In Computerspielen kam sie bisher allerdings kaum zum Einsatz, weil Raytracing-Grafik sehr rechenaufwendig ist, wenn sie in Echtzeit berechnet werden soll, also beim Spielen selbst. Seit aber eine neue Generation von Grafikkarten auf dem Markt ist, setzen immer mehr Spielehersteller auf Raytracing. Die Technologie war eines der großen Themen der Gamescom 2019. Denn der Hersteller Nvidia präsentierte dort seine RTX-Grafikkarten, die Raytracing zehn- bis zwanzigmal schneller machen.

„So langsam kristallisiert sich heraus, dass Raytracing das große Thema für die Spiele von 2020 werden wird“, sagt Lars Weinand, Senior Product Manager Central Europe von Nvidia. „Alle kommenden Blockbuster und auch die nächste Konsolengeneration werden Raytracing unterstützen.“ Sony (Playstation) und Microsoft (Xbox) haben das bereits bestätigt. Zu den wichtigsten Raytracing-Titeln des Jahres 2020 zählt das mit viel Spannung erwartete Science-Fiction-Abenteuer Cyberpunk 2077.

Games nutzen einen hybriden Ansatz

Viele Games nutzen derzeit einen hybriden Ansatz. Dabei werden bestimmte grafische Effekte durch Raytracing-Effekte ersetzt. „Bisher wurden zum Beispiel Spiegelungen auf glänzenden Flächen mit sogenannten Shadern berechnet“, sagt Weinand. Diese Vorberechnung wird auch als Baking bezeichnet. „Beim hybriden Ansatz wird Raytracing auf ganz bestimmte Objekte angewandt, etwa spiegelnde Oberflächen. So wurde das zum Beispiel in Battlefield 5 gemacht.“

Ohne Raytracing mussten auch Schatten in Games üblicherweise vorberechnet werden. „Sogenannte Shadow Maps oder Soft Shadows generieren Flächen, die dann den Schatten eines Objekts zeigen. Diese Schatten reagieren aber nicht wirklich auf Veränderungen der Szene in Echtzeit. Außerdem muss der 3D-Artist des Spiels viel Vorarbeit leisten“, erläutert Weinand. Der Blockbuster-Titel Shadow of the Tomb Raider ergänzte bereits 2018 seinen Schatten-Algorithmus mit einem Raytracing-Schattengenerator. Die Entwickler von Metro: Exodus (2019) nutzten Raytracing derweil bereits für die komplette Lichtberechnung in Echtzeit. Die PC-Fassung von Control nutzt Raytracing im bislang umfassendsten Maße.

Ausgerechnet das Klötzchen-Spiel Minecraft soll nun mittels Raytracing aufgehübscht werden – das kündigte Microsoft bereits auf der Gamescom an. „ Minecraft ist ein ganz besonderer Fall“, sagt Weinand. „Es nutzt nicht den hybriden Ansatz, sondern komplettes Pathtracing. Das bedeutet, dass die komplette Szene mit Raytracing erstellt wird. Das umfasst Licht, Reflektionen und Schatten.“ Der Hintergrund ist, dass Spieler die Minecraft -Welt komplett selbst gestalten können – was bedeutet, dass sich die Inhalte nicht „vorbacken“ lassen. „Der große Vorteil von Raytracing ist, dass es solche Spiele ohne großen Aufwand grafisch vollständig modernisieren kann“, sagt Weinand. Zu Weihnachten hat Nvidia Raytracing für sechs weitere Games angekündigt.


Auch Minecraft läuft zukünftig mit Raytracing.

Raytracing für Filme, Stadtplanung und Akustik

Computerspiele sind aber längst nicht das einzige Einsatzgebiet von Raytracing. Film- und Fernsehstudios nutzen es für computergenerierte Szenen – allerdings nicht in Echtzeit, sondern in oft tagelangen Berechnungen an Großcomputern. Raytracing kommt auch in der Forschung und in wissenschaftlich-technischen Berufen zum Einsatz. Stadtplaner etwa untersuchen per Raytracing, wie sich der Schattenwurf von Gebäuden auf das städtische Mikroklima auswirkt. Mit Raytracing lässt sich auch die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen berechnen, bevor Antennen auf Flugzeugen oder Autos angebracht werden. Genauso lässt sich simulieren, wie bestimmte Teilchen – zum Beispiel Neutronen – im Raum transportiert werden. Auch Raumakustik lässt sich per Schallwellen-Simulation verbessern.

Die Klimaforschung nutzt Raytracing, um Klimadaten besser zu visualisieren – was sowohl der Forschung selbst als auch der Öffentlichkeitsarbeit zugutekommt. „Wir profitieren von der Entwicklung im Spielebereich, weil wir diese Technologien jetzt auch selbst nutzen können“, sagt Niklas Röber, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Deutschen Klimarechenzentrums (DKRZ) in Hamburg. Dort steht der Großrechner Mistral, in dem auch Nvidia-Grafikkarten verbaut sind. „Das DKRZ unterstützt die deutsche Klimawissenschaft in der Durchführung von Experimenten“, sagt Röber. „Wir werten Datensätze von Wissenschaftlern aus und erstellen auch Grafiken.“ Raytracing kann helfen, diese Grafiken anschaulicher zu machen. Bei extrem großen Datenmengen bringt es zudem einen Geschwindigkeitsvorteil.

Komplexe Strömungen lassen sich simulieren

Röber nennt ein Beispiel. „An der Südspitze von Afrika gibt es eine sehr markante ozeanische Strömung, den Agulhasstrom. Er bringt warmes, salzhaltiges Wasser aus dem Indischen Ozean in den Atlantik.“ Für Forscher sind solche Strömungen besonders interessant, weil ihre Zusammensetzung durch die globale Klimaerwärmung beeinflusst wird – und weil sie ihrerseits Auswirkungen auf Meerestemperatur und Klima haben.

Den Agulhasstrom hat Röber mit der Software Paraview visualisiert, die Raytracing unterstützt. Mit der Software lässt sich Tiefenunschärfe darstellen, wie man sie von herkömmlichen Fotokameras kennt. „Gerade bei Strömungslinien ist die Tiefenwahrnehmung durch die große Anzahl an Objekten schwierig“, sagt Röber. „Man kann zwar ungefähr erkennen, wo vorne und hinten ist, aber mit realistischen Schatten ist die Tiefenwahrnehmung viel einfacher.“ Genau diese Schattenberechnung ist eine der Fähigkeiten von Raytracing. Die Simulation des Agulhasstroms, die ihr in der Grafik oben seht, zeigt die Landzunge Kap Agulhas als grüne Fläche und die Strömungslinien als farbige „Schnüre“, wobei schnelle Strömungen rot und langsame Strömungen blau gekennzeichnet sind.

Niklas Röber erläutert das Modell, mit dem die der Grafik zugrundeliegenden Daten berechnet werden: „Es heißt Icon und besteht aus verschiedenen Komponenten: dem Teil für den Ozean und dem Teil für die Atmosphäre. Dazwischen sitzt ein Koppler. Die einzelnen Modelle tauschen über den Koppler Energie und Masse – also Partikel – aus. Aus der Atmosphäre regnet es zum Beispiel in den Ozean, aus dem Ozean verdunstet Wasser und Salz in die Atmosphäre. Dann gibt es noch eine Landkomponente – und sowohl für die Atmosphäre als auch für den Ozean eine Chemiekomponente. Das Ganze nennt man dann Erdsystemmodell.“

Bessere Aufklärung über das Klima

Dank Raytracing bleiben selbst derart komplexe Simulationen sehr anschaulich. Sie können die Aufmerksamkeit des Betrachters auf bestimmte Aspekte lenken – und lassen sich schneller berechnen als mit der bisher üblichen Rastergrafik-Methode. Die Raytracing-Visualisierungen sind übrigens nicht nur für die Forschung bestimmt: Auch Laien können klimatische Zusammenhänge dadurch besser verstehen lernen. Das DKRZ bereitet die Ergebnisse der Klimaforschung denn auch für die Öffentlichkeit auf – um sie bei Events wie der Hamburger Klimawoche zu präsentieren.

Game-Designer und Wissenschaftler nutzen Raytracing letztlich auf ganz unterschiedliche Weise. Games verwenden Echtzeit-Raytracing, damit die Spielwelt aus dem ständig wechselnden Blickwinkel des Spielers möglichst realistisch aussieht. Die Wissenschaft nutzt Raytracing, um Bilder komplett mit sämtlichen Strahlen zu berechnen – und Forschungsergebnisse dadurch anschaulicher zu machen. Ob nun zu Forschungs- oder Unterhaltungszwecken: Mit fortschreitender Hard- und Software wird Raytracing in immer mehr Bereichen zum Einsatz kommen. „Raytracing ist der Heilige Gral der Computergrafik“, sagt Niklas Röber. „Aber es gibt noch viel zu tun.“

Titelbild: Spielszene aus Control, 505 Games

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Vielen Dank @achim.fehrenbach für diesen wirklich tollen Artikel zum Thema Ray Tracing!

Bisher war mir der Begriff nur aus der von dir erwähnten Funkplanung bekannt, da ich mich damit beruflich ein wenig auseinandersetze.

Umso bemerkenswerter finde ich, wie sich nun ganz aktuell Forschung und Wissenschaft auf der einen sowie Unterhaltungbranche und Spieleindustrie auf der anderen Seiten gegenseitig bei diesem Thema stimulieren. Vor allem das Beispiel der exzellenten Visualisierung vom DZKR zum besseren Verständnis von Strömungs für Experten UND Laien ist klasse :+1:

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