Open Source auf dem Acker: Diesen Landwirtschafts-Roboter soll jeder nachbauen können

Auf einer Farm nahe dem Silicon Valley arbeitet ein kleines Team an einem Landwirtschaftsroboter. Der soll jedoch nicht teuer verkauft, sondern als Open-Source-Projekt freigegeben werden. Jeder soll ihn nachbauen, verbessern und nachrüsten können. Denn nahezu jedes Bauteil kann einfach im Internet bestellt und im Baumarkt gekauft werden.

Von Michael Förtsch

Ein Landwirt hat es nicht leicht. Er muss früh aus dem Bett, muss sich ständig um das Wetter sorgen, zur Aussaat und Erntezeit rund um die Uhr mit dem Traktor auf den Acker fahren. Denn die Felder wollen bestellt, die Ernte eingebracht und die neue Saat ausgebracht werden. Dazwischen muss ein Landwirt ständig im Auge behalten, ob und wie gut Weizen, Mais oder Salatpflanzen gedeihen und ob irgendwelches Unkraut wuchert, das Platz und Nährstoffe kostet. Da wundert es wenig, dass die Landwirtschaft zu den heimlichen Vorreitern von Digitalisierung und Automatisierung gehört. Moderne Traktoren sind oft selbstverständlich mit GPS, Bordcomputern und Fahrautomatiksystemen ausgestattet. Immer öfter werden Äcker mit Drohnen kartografiert und über Luftbilder die Erträge der Saison prognostiziert. In wenigen Jahren sollen Roboter ganz selbstverständlich über die Felder rollen und den Landwirten allzu kleinteilige und zeitraubende Arbeit abnehmen – und helfen, mit Herausforderung wie dem Klimawandel klarzukommen.

Das zur Google-Mutter Alphabet gehörende Forschungsunternehmen X arbeitet mit seinem Projekt Mineral beispielsweise an Robotern, die über die Felder ziehen, die Gesundheit von Pflanzen bewerten und präzise ermitteln, was sie brauchen, um ideal zu wachsen. Ein ehemaliger X-Mitarbeiter hat inzwischen auch das darauf spezialisierte Start-up Neatleaf mitgegründet. Naïo Technologies wiederum entwickelt mit dem Dino eine automatisierte Fahrmaschine, der mittels Künstlicher Intelligenz große Gemüseäcker bestellen, Unkraut jäten und jede einzelne Pflanze registrieren kann. Diese Landwirtschaftsroboter sind durchdacht, clever und können helfen, Erträge zu steigern, die Äcker zu schonen und Landwirte zu entlasten. Aber: Sie sind auch teuer und damit für kleinere Landwirte wohl wenig erschwinglich. Funktionieren sie nicht, wie sie sollen, sind Bauern zudem auf Reparatur- und Service-Dienste der Unternehmen angewiesen. Warum also nicht einfach selbst einen Landwirtschaftsroboter bauen – und den als Open-Source-Projekt freigeben? Damit andere ihn nachbauen, verbessern und an ihre eigenen Bedürfnisse anpassen können?

Die Automatisierung der Landwirtschaft ist eine echte Herausforderung.

Taylor Alexander

Genau daran arbeitet Taylor Alexander auf einer Farm namens Twisted Fields in San Gregorio – unweit des Silicon Valley. Sie werkelt seit nunmehr über zwei Jahren an einem Roboter namens Acorn, der letztlich von einer weltweiten Gemeinschaft zu einem vollwertigen Landwirtschaftshelfer ausentwickelt werden soll. „Die Automatisierung der Landwirtschaft ist eine echte Herausforderung. Aber die Robotik hat rasante Entwicklungen erlebt“, sagt Alexander. „Außerdem ist das eine Herausforderung, die ich gerne annehme – und die ich nicht alleine bewältigen muss. Es ist etwas, zu dem jeder einen wertvollen Beitrag leisten kann.“

Acorn besteht momentan aus einem einfachen Aluminiumgestänge, das auf vier schmalen Rädern sitzt. Das ist von acht Solar-Panelen überdacht. Unter denen hängen und kleben jede Menge Kabel, die zu etlichen Instrumentenkästen, Elektromotoren und kleinen Kameras führen. Momentan kann Acorn noch nicht allzu viel. „Es ist derzeit nur ein Fahrzeug – vier Räder, die von Sonnenlicht angetrieben werden und selbstständig durch die Fahrrinnen der Farm rollen können“, sagt Alexander. Doch das ist schon eine Menge – und eine der wichtigsten Fähigkeiten, die ein Landwirtschaftsroboter braucht. Und Acorn soll schnell dazu lernen und schon bald deutlich mehr können.

Hinter dem Bot steht auch eine Robotikgröße

Die Idee zu Acorn stammt nicht von Taylor Alexander alleine. Sondern auch vom Gründer der Farm Twisted Fields. Denn das ist kein normaler Bauernhof, sondern ein gemeinschaftlich organisierter Forschungsbetrieb für ökologische und digitalisierte Landwirtschaft. „Twisted Fields gehört Daniel Theobald“, erklärt Alexander. Theobald ist kein Unbekannter, sondern eine der heimlichen Größen des Silicon Valley. Er studierte einst am Massachusetts Institute of Technology und gründete dann hintereinander zwei namhafte Robotik-Start-ups: Vecna Robotics und MassRobotics. Deren Lager- und Transportroboter werden in mehreren Logistikzentren und Fabriken in Nordamerika eingesetzt.

„[Mit Twisted Fields] will er nun erforschen, wie sich die Landwirtschaft automatisieren lässt“, führt Alexander aus. Zu den Projekten der Gemeinschaft gehören auch günstige GPS-Halsbänder für Ziegen und andere Herdentiere. Oder auch Vertikal-Farmen, die im nicht-industriellen Maßstab günstig zu nutzen sind. „Aber Daniel hat auch schon eine ganze Zeit von einem Solar-getrieben Landwirtschaftsroboter geträumt – und auch schon selbst mit Solar-Elektrofahrzeugen experimentiert“, so Alexander weiter, die bereits seit ihrer Jugend von Robotern fasziniert ist und mit Elektromechanik und 3D-Druck experimentiert. „Einige Monate, nachdem ich bei Twisted Fields angefangen hatte, zeigte mir Daniel die Pläne. Ich liebte die Idee.“

Umgesetzt hat Alexander das Konzept auf eine Weise, die den Acorn leicht nachbaubar und im höchsten Maße modifizier- und anpassbar machen soll. Die Front, das Heck und beide Seiten sind identisch gestaltet. Zur Motorsteuerung wird ein Modul namens Odrive genutzt, das günstig und mit Open-Source-Software bestückt ist. Als zentrale Steuereinheit dient ein günstiger Raspberry Pi 4 mit einem Linux-System. Der steckt wiederum auf einem eigens gestalteten Mainboard. „Das steuert die Stromverteilung, bietet zusätzliche Anschlüsse für die Motorkontrollen, empfängt Not-Stopp-Signale und einiges mehr“, sagt Alexander. Dieses Mainboard soll später in einzelne Module aufgeteilt werden, deren Pläne frei verfügbar sein sollen.

Ein Neuronales Netz betrachtet sie und identifiziert etwa Unkraut und steuert irgendwann die Werkzeuge.

Taylor Alexander

Dazu kommen noch ein günstiges GPS-Modul, Batterien und momentan zwei Kameras, deren „Signale in einen Nvidia Jetson laufen“, wie Alexander erklärt. Der Nvidia Jetson ist eine kleine Platine, die speziell für KI- und Robotik-Entwicklung konzipiert wurde, aber dennoch sehr günstig ist. „Maschinensehen ist eine sehr aufwendige Sache, die viel Rechenkraft braucht“, erläutert Alexander. Daher sei die Wahrnehmung des Landwirtschaftsroboters als eigenständiges System aufgebaut. „Das System schaut direkt unter das Fahrzeug und auf die Pflanzen“, so Alexander. „Ein Neuronales Netz betrachtet sie und identifiziert etwa Unkraut und steuert irgendwann die Werkzeuge.“

Der Roboter ist durch diese modulare Konstruktion auch äußerst resilient. Geht ein Teil kaputt, soll es sich günstig und ohne große Anstrengungen und hohe Kosten ersetzen lassen. Das soll auch für die Werkzeuge gelten, die sich einfach an dem Gestänge montieren lassen sollen. „Da arbeiten wir gerade an den ersten Prototypen“, sagt Alexander. Darunter ist eine kleine Pflugschar, um Rinnen für die Saat in die Äcker zu ziehen. Wo die genau verlaufen sollen, wurde schon mit dem Acorn bestimmt. Denn Alexander schickte ihn auf eine Tour durch die hügeligen Felder, um mittels GPS die Farm zu kartografieren. „Ich schrieb dann ein Programm, das den perfekten Rinnenverlauf ermittelt hat“, sagt sie. Dadurch lasse sich sowohl Wasser einsparen als auch Erosion vermindern.

Ein Projekt für die Welt Welche Werkzeuge es letztlich für den Acorn geben wird, was der Roboter alles können und leisten wird, das kann Taylor Alexander noch nicht sagen. Der Roboter werde wohl noch sehr lange Zeit und vielleicht sogar ewig work in progress sein. Sie selbst werde, wenn alles nach Plan verläuft, dann auch nur ein Teil einer globalen Community darstellen, die Acorn zu einem echten Landwirtschaftshelfer macht. Aber: „Wir wünschen uns, dass Acorn zum gesamten Landwirtschaftsbetrieb beitragen kann“, meint Alexander. „Vom Vorbereiten des Bodens über das Ausbringen von Kompost und Samen oder das Abtöten von Unkraut bis hin zum Ernten. Und ich bin mir sicher, es gibt noch viel mehr.“

Tatsächlich soll Acorn schon in Kürze für die Community freigegeben werden. „Wir planen gerade die initiale Veröffentlichung des Fahrzeugs“, sagt Alexander. Blaupausen, Software und eine Liste aller Teile werden gerade vorbereitet und Dokumentationen dazu erstellt. Ebenso wollen Alexander und ihre Helfer zumindest eine kleine Serie an Selbstbau-Kits in die Produktion bringen, verkaufen und „den Roboter damit in die Hände der Community-Mitglieder kriegen, die uns dabei unterstützen wollen, Werkzeuge und Funktionen zu entwickeln – und einfach zum Projekt beitragen wollen.“ Kandidaten dafür gäbe es genug. Bereits jetzt hat sich im Forum von Twisted Fields eine kleine Gemeinschaft aus Ingenieuren, Bastlern und Landwirten gefunden, die das Projekt faszinierend finden, voranbringen oder auch ein kleines Geschäft daraus machen wollen.

„Ich habe viele Nachrichten von Menschen bekommen, die ihre eigene Maschine bauen wollen“, sagt Alexander. „Ich werde auch alle gerne aktiv unterstützen, die das machen und [die Roboter] verkaufen wollen – das ist Teil unserer Strategie.“ Die Open-Source-Herangehensweise, davon sind Alexander und ihre Mitstreiter überzeugt, werde über kurz oder lang zu einem ausgefeilteren und besseren Roboter führen. Und zu einem, der günstiger, vielseitiger und vielleicht sogar robuster und langlebiger ist als die kommerziellen Roboter, die große Firmen fertigen. Einfach weil sehr viele Menschen mit sehr viel Expertise und Erfahrung aus den verschiedensten Bereichen sich einbringen können, um ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.

Ich werde auch alle gerne aktiv unterstützen, die das machen und [die Roboter] verkaufen wollen – das ist Teil unserer Strategie.

Taylor Alexander

Als einen Vergleich zieht Alexander 3D-Drucker heran. Die waren sehr lange sehr teuer und selbst für viele Unternehmen kaum erschwinglich. Erst als eine riesige Gemeinschaft von Interessierten sich dem Thema annahm, im Internet zusammen eigene 3D-Drucker entwickelte, Patente umging, Baupläne und Software freigab, wurde 3D-Druck zu einem globalen Phänomen. „Die 3D-Drucker, die heute in großen Stückzahlen verkauft werden, basieren auf Open-Source-Plänen“, sagt Alexander. „Wir brauchen Open-Source-Entwicklungen und große angelegte Kollaborationen, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.“

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Der Roboter Acorn soll ein solcher Problemlöser werden. Denn er adressiert auch jene Landwirte, die von großen Unternehmen ignoriert werden: kleine Bauern, kleine Verbände, die kleine und mittelgroße Felder bestellen, aber in Summe viele Menschen ernähren. Und auch Bauern in Ländern, in denen der Preis eines professionellen Landwirtschaftsroboters den Verdienst mehrerer Jahrzehnte darstellen würde. Vor allem sie sind wohl zukünftig am meisten auf solche Werkzeuge angewiesen. Denn im Angesicht des Klimawandels braucht es Möglichkeiten wie Roboter und Künstliche Intelligenz, die die Landwirtschaft präziser und intelligenter machen.

Wir brauchen Open-Source-Entwicklungen und große angelegte Kollaborationen, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.

Taylor Alexander

„Wir glauben, dass es [daher] einen Bedarf für eine solche Maschine gibt“, sagt Alexander. „Wir glauben, dass sie das Potential hat, die Prozesse auf kleineren Farmen auf nachhaltige Weise zu automatisieren.“ Das werde natürlich nicht sofort passieren, sondern Zeit, Forschung, Entwicklung und Feedback benötigen. Und auch einiges an Geld in Form von Spenden, wie bei vielen Open-Source-Projekten. Mit einer aktiven Gemeinschaft und etwas Glück, meint Alexander, könnten Open-Source-Roboter wie Acorn aber dann in zehn bis fünfzehn Jahren auch auf kleinen Bauernhöfen und Landwirtschaftsbetrieben zur Normalität gehören.

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Teaser-Bild: Twisted Fields

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