Konferenzen in Virtual Reality funktionieren, wenn ihr diese Ratschläge befolgt

Events, bei denen sich Menschen physisch begegnen, sind gecancelt. Doch es gibt für Meetings, Workshops und Konferenzen auch Alternativen jenseits von Zoom & Co.: Veranstaltungen in Virtual Reality, für die man nicht einmal eine VR-Brille braucht. Für unseren neuen Podcast hat Wolfgang Kerler genau darüber mit zwei Experten gesprochen und erklärt euch, ob das funktioniert – und was ihr beachten solltet, wenn ihr selbst ein VR-Event starten wollt.

Von Wolfgang Kerler

Bevor wir auf die Tipps und Tricks für eine gelungene Veranstaltung in Virtual Reality eingehen, sollten wir klären, ob VR-Konferenzen überhaupt funktionieren. Die kurze Antwort lautet: ja. Die lange Version habe ich für die erste Folge unseres Podcasts New Realities, den wir mit dem XR HUB Bavaria produzieren, von Lukas Karwan bekommen.


Hier kannst du Folge 1 unseres Podcasts direkt anhören. Alternativ kannst du ihn bei Podigee, Spotify, Deezer und bei Apple Music hören und abonnieren.

Lukas hat Erfahrung als Filmemacher, Autor und Medienpädagoge und konzipiert nun als Head of Content Bildungserlebnisse in VR beim Augsburger Start-up Lumium. Vor allem hat Lukas – anders als wahrscheinlich die meisten von uns – bereits an einer Konferenz teilgenommen, die komplett in virtueller Realität stattfand: Er war beim Educators in VR International Summit dabei, der Mitte Februar 2020 unter anderem bei AltspaceVR veranstaltet wurde. Und er fand’s richtig gut. Vor allem, weil man – besser als bei reinen Video-Veranstaltungen – spontan mit Speakern oder anderen Besuchern in Kontakt kommen kann. „Das hat mich wirklich umgehauen“, erinnert sich Lukas.

Optisch sieht AltspaceVR, eine SocialVR-Plattform für kostenlose soziale Events, wie der Games-Klassiker Die Sims aus. Das heißt, alle Teilnehmer bewegen sich mit individuell gestalteten Avataren in der virtuellen Welt. Bei der Konferenz, die Lukas besuchte, gab es einen großen Veranstaltungsraum mit Bühne und Leinwand, auf der Präsentationen zu sehen waren, zu denen die Avatare von Speakern Vorträge hielten. Davor war die Tribüne, auf der sich die Teilnehmer setzen konnten. Außerhalb des Saals war der Bereich für Networking und Unterhaltungen, wo Lukas Bekanntschaft mit Leuten aus der ganzen Welt machen konnte. Der Kristallisationspunkt dafür waren oft die Speaker, die sich nach ihren Vorträgen dort aufhielten.


In diesem Video gibt das Team von Educators in VR einen Einblick in die Organisation der VR-Konferenz.

„Es werden relativ wenig Bewegungen getrackt in AltSpaceVR“, erzählt Lukas. „Also nur Handbewegung, Armbewegung, Bewegung im Raum und die Kopfbewegung – und das reicht schon aus, um einem eine Offenheit oder Geschlossenheit für ein Gespräch zu zeigen.“ Lukas Erfahrung zeigt: Veranstaltungen in VR sind eine echte Alternative zu den – gerade reihenweise abgesagten oder verschobenen – physischen Konferenzen. Bleibt die Frage, wie man selbst ein gutes VR-Event veranstalten kann.

So gelingt dein VR-Event!

In der zweiten Folge unseres Podcasts New Realities habe ich mit Duc Anh Le genau darüber gesprochen. Für seine Masterarbeit an der Georgia Tech hat er zusammen mit seinem Professor Blair MacIntyre erforscht, wie man die soziale Interaktion bei VR-Events verbessern kann – und hat dafür auch selbst eine virtuelle Event-Location gebaut. Dafür nutzte er das kostenlose Tool Mozilla Hubs. Sowohl Duc Anh als auch Lukas haben einige Tipps, wie eure VR-Events zum Erfolg werden.


Hier kannst du Folge 2 unseres Podcasts direkt anhören. Alternativ kannst du ihn bei Podigee, Spotify, Deezer und bei Apple Music hören und abonnieren.

Die richtige Plattform wählen

Je einfacher und niederschwelliger euer Event ist, umso größer ist die Chance, dass es voll wird. Und umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ihr auch VR-Neulinge erreicht, die sich bisher ausschließlich in der physischen Welt herumgetrieben haben.

Lukas Karwan hat bei einer Veranstaltung in AltspaceVR mitgemacht, das inzwischen zu Microsoft gehört. Und AltspaceVR ist auf jeden Fall eine Option, um selbst große VR-Events zu besuchen oder zu veranstalten, da sie kostenfrei sind und auf Brillen wie der Oculus Rift, Quest, und Go oder der HTC Vive sowie am PC ohne VR-Hardware funktionieren. Allerdings müssen die Teilnehmer die AltspaceVR-App herunterladen. Und die setzt durchaus Rechenpower voraus, da die 3D-Welt bunt und liebevoll gestaltet ist. Nicht jeder Laptop schafft das.

Noch unkomplizierter ist deshalb Mozilla Hubs, auf das Duc Anh Le setzt. Hubs funktioniert nämlich direkt im Browser – und das am Smartphone, Laptop oder PC sowie mit VR-Brillen. Wer Internet hat und ein Mikrofon, sei es direkt im Gerät oder im Headset, kann also unkompliziert einem Hubs-Event beitreten. Innerhalb weniger Klicks kann man auch ein eigenes Event in einem der vorgefertigten Räume starten. „Leute können sich mit diesen Räumen verbinden, wenn sie einen Link dafür haben“, erklärt Duc Anh. „Das heißt, man tritt über einen Link bei.“ Mehr braucht es nicht. Wie immer bei Mozilla sollen die persönlichen Daten der Teilnehmer gut geschützt werden.

Die Grafik bei Hubs ist ähnlich bunt und fröhlich wie bei AltspaceVR, aber rudimentärer. Das heißt, die Avatare sind etwas grobschlächtiger modelliert und auch sonst erinnert die Umgebung eher an ein 90er-Jahre-3D-Game mit flächigen Texturen und eher kantigen Modellen. Das ist wohl der Preis für die leichtere Zugänglichkeit.

Mozilla Hubs ScreenshotBei Mozilla Hubs könnt ihr auch als Roboter herumlaufen. Bild: Mozilla

Gelegenheiten für Networking und Austausch einplanen

Für seine Masterarbeit hat Duc Anh Le ein VR-Event gestaltet, das im Rahmen der ACM UIST 2019 stattfand. Zum einen gab es dabei einen zentralen Raum mit einer großen Leinwand, auf der die physisch gehaltenen Keynotes und Talks per Twitch-Videostream eingebunden wurden. Dort gab es allerdings nur wenig Austausch zwischen den Besuchern, die sich das Programm gemeinsam anschauten. „Der Stream läuft, man hört Ton“, sagt Duc Anh. „Da möchte man andere nicht stören.“

Deswegen braucht es sowohl Zeitslots als auch Bereiche und Formate, in denen Networking stattfinden kann. Das sind zum einen Pausen, zum anderen private Räume für Gespräche. Und im Fall von Duc Anhs Veranstaltung waren das zusätzlich virtuelle Postersessions – also Ecken, in denen Speaker an einem Poster etwas über ihre Arbeit oder Expertise berichten und direkt Fragen der Besucher beantworten. Es kommt dabei fast schon zwangsläufig zu Interaktion.

Kleiner Tipp von Duc Anh: Die Poster sollten in entfernten Ecken der Räume hängen, damit sich die Stimmen der User nicht überlagern.

Spielereien und Interaktionsmöglichkeiten

Gute Rückmeldung gab es auch für die kleinen interaktiven Gimmicks, die sowohl AltspaceVR als auch Mozilla Hubs und andere Plattformen bieten: das physische Klatschen lässt sich durch Klatsch-Emojis ersetzen, auch andere nette Symbole lassen sich in die virtuelle Welt aussenden. Eine integrierte VR-Selfie-Cam wurde bei Duc Anhs Event ebenfalls häufig genutzt. Dort konnten die Avatare auch fliegen, was mehr Spaß macht als einfach nur herumzulaufen. Weniger spielerisch, dafür nützlich sind auch Chat-Funktionen.

Alternativen für VR-Muffel anbieten.

Egal, wie gut euer VR-Event gestaltet ist. Wer nur einen Talk hören möchte, wird sich vielleicht lieber ein Video anschauen. Daher stellt die Vorträge, wenn möglich, per Stream oder Aufzeichnung auch auf Twitch, YouTube oder anderen Plattformen zur Verfügung.

Eigene Räume schön, aber minimalistisch gestalten

Eine VR-Konferenz hat den Vorteil, dass sie nicht an eine real existierende Location gebunden ist. „Deswegen haben wir uns überlegt, dass wir weg von grauen Wänden gehen, die man gewöhnt ist von Konferenz-Settings“, berichtet Duc Anh, der die Location für seine Mozilla-Hubs-Veranstaltung ja selbst designet hat – und zwar in einer Wild-West-Landschaft. Das geht mit Spoke, der ebenfalls von Mozilla bereitgestellten, webbasierten Entwicklungsumgebung, die ganz ähnlich funktioniert wie Unity. Allzu große Vorkenntnisse braucht man aber nicht, sagt Duc Anh. „Spoke bietet auch ein kurzes Tutorial, in dem alle Features gezeigt werden, die man benötigt, da kommt man sehr schnell rein.“

Aber: Verkünstelt euch nicht zu sehr. Denn je mehr 3D-Objekte in euren virtuellen Raum kommen, desto mehr Rechenpower brauchen die späteren Teilnehmer, um ruckelfrei dabei sein zu können. „Es gibt aber einen Workaround“, sagt Duc Anh. „Man kann beispielsweise mit Blender nur ein einziges 3D-Modell erzeugen, in dem alle Modelle enthalten sind. Dann muss Hubs nur ein Modell laden.“

Auf die Größe kommt es an

Solltet ihr euch für Hubs entscheiden, müsst ihr beachten, dass maximal 25 Leute in einen VR-Raum können. Für interaktive Formate wie Workshops oder Postersessions solltet ihr also mit dieser Größe kalkulieren. Streams von Keynotes oder Diskussionen könnt ihr dennoch einem größeren virtuellen Publikum zeigen, indem ihr die Räume dupliziert. So hat das gerade auch die IEEE VR 2020 gemacht.

Eine bequeme VR-Brille tragen

Zum Schluss noch eine Erfahrung von Lukas, der die VR-Konferenz mit der Oculus Quest besucht hat. „Die ist technisch mega cool“, sagt Lukas, „aber diese Halterung ist mega unbequem.“ Für alle, denen das auch so geht, hat Lukas einen Tipp: Bastler haben eine Möglichkeit entwickelt, das zu ändern: FrankenQuest. Dafür braucht man den Audio Deluxe Strap der HTC Vive und ein paar Sachen aus dem 3D-Drucker, die man im Netz bestellen kann. Und schon sitzt die Brille bequem.

Habt ihr auch schon Erfahrungen mit VR-Events gemacht? Dann lasst uns gerne wissen, wie es war!

New Realities ist ein gemeinsames Projekt von 1E9 und dem XR HUB Bavaria und wird gefördert durch das Bayerische Staatsministerium für Digitales. Den dazugehörigen Podcast kannst du bei bei Podigee, Spotify, Deezer und bei Apple Music hören und abonnieren.

Titelbild: Screenshot der Educators in VR Konferenz 2020

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Wir arbeiten seit vorletzter Woche mit VR. Erst aus Neugier, jetzt weil es tatsächlich durch das immersive Element eine tiefere kognitive Wirkung entfaltet als rein audiovisuelle Erlebnisse - ja sogar bestimmte Settings nochmal auf ein völlig neues Level hebt.

„Eindrücklich“ im wahrsten Sinne des Wortes… Aufmerksamkeit extrem hoch, kreatives Arbeiten wird total leicht, Gruppen legen sofort los, Moderation ist technisch super easy,…
Unilehrgänge nutzen es jetzt auch schon. Super Feedback von den Lektoren und Studenten.

Uns selbst hat es dann so richtig angefeuert, als wir Designthinking und Co-Creation Workshops gemacht haben.
Setzen wir sicher über diese Lockdown-Phase hinaus ein und entwickeln schon neue Formate mit unseren Kunden, zB Prozessdesigns gestalten uvm…

Man muss es selbst erleben, um das Potential zu erkennen…

Prediction: Ein Ding das bleiben wird.
Ich wage sogar zu prognostizieren, dass VR durch die aktuelle Situation zum Durchbruch gelangt.
Zumindest unsere Kunden sind voll überzeugt und werden in Zukunft eher auf VR setzen als interkontinentale Businessclassflüge für 2 Stunden-Management-Meetings freigeben.

3 „Gefällt mir“

Das klingt super, darüber denken wir auch schon nach. Hast du da noch nähere Infos, wie genau ihr die Zusammenarbeit in VR dabei organisiert habt? Habt ihr noch andere Tools parallel genutzt? Und welche Plattform habt ihr für den VR-Raum genutzt.

Danke dir :slight_smile:

1 „Gefällt mir“

Hi Wolfgang,
wir haben jetzt mit der Plattform von https://arthur.digital/ gearbeitet. Es gibt da aber auch noch ein paar andere, die hier sehr gute Plattformen anbieten… Weitere Tools sind dafür nicht notwendig, das Workshop-Design läuft genauso wie analog ab.
Die Logistik ist momentan die größte Herausforderung: VR-Brillen sind am Markt kaum erhältlich, sie müssen an die WS-Teilnehmer versandt werden.
Das Onboarding dauert 30 min… Wenn Du Interesse hast, melde Dich gerne - wir haben das in unser Portfolio aufgenommen und freuen uns darüber weitere Formate zu entwickeln.
Bin überzeugt davon, dass „Serious VR“ auch nach COVID bleibt. Sehen auch unsere Kunden so…

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