2019-07-22T22:00:00Z
Es ist frustrierend zu sehen, welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Potenziale gerade verschenkt werden. Wir haben da eine neue Technologie Namens Künstlicher Intelligenz (KI), die wahre Wunder bewirken kann, wenn sie sinnvoll und verantwortungsvoll eingesetzt wird: KI hilft unsere Kreativität zu steigern, Krebs zu bekämpfen und sogar das Klima zu retten. Aber die zivilgesellschaftliche Euphorie hält sich in Grenzen. Das World Economic Forum ermittelte in einer globalen Umfrage, dass 41% der Befragten Bedenken gegenüber KI haben. Das ist kaum verwunderlich, da unser aktuelles Bild von KI geprägt ist von Szenarien staatlicher Überwachung, unternehmerischer Ausbeutung und sozialer Spaltung. Was läuft da gerade schief? Und was fehlt, damit KI tatsächlich das Allgemeinwohl fördert und auch so wahrgenommen wird? Die Lösung ist simpel: Kunst und Kultur.
Kunst und Kultur: das Immunsystem der Gesellschaft
Kunst und Kultur reflektierten immer schon technologische Entwicklungen, wie z. B. bei diesem handgeknüpften afghanischen Teppich in der Münchner Botschaft der Republik Užupis . Seit Jahrhunderten zeigen diese Teppiche Motive, die die Menschen in der Region beschäftigen. Früher waren es malerische Landschaften mit Blumen und Tieren. Seit einigen Jahren sind es immer häufiger autonome Drohnen, die am Himmel patrouillieren. Bild: Max Haarich
Mit Kunst und Kultur wird alles gut. Kunst und Kultur ermöglichen technologischen Fortschritt in gesellschaftlichen Fortschritt zu verwandeln. Kunst und Kultur sind das Immunsystem unserer Gesellschaft, dass in der Geschichte schön öfter zum Einsatz kam: Den radikalen Umwälzungen der Industrialisierung folgte die globale Arts-and-Crafts-Bewegung, die der Technologie wieder menschliche Züge verlieh. Der schrecklichen Bedrohung durch Nukleartechnologie traten u.a. die Experiments in Arts and Tech (E.A.T) entgegen, um die Dramatik der Situation zu verdeutlichen und positive Anwendungsmöglichkeiten zukünftiger Technologie vorzuleben. Im Kontext der voranschreitenden KI-Revolution entwickeln sich ebenfalls künstlerisch-kulturelle Aktivitäten, die von folgender Überzeugung angeleitet sind: Die Integration von Kunst und Kultur in den Prozess der Technologie-Entwicklung fördert Innovationen, die inspirierter, zugänglicher und ethischer sind.
- Inspiriertere KI : Seit Anbeginn der Menschheit sind Kunst und Kultur der Motor der Innovation. Technologische Innovationen waren oft zufällige Nebeneffekte künstlerisch-kultureller Praktiken wie z. B. die Erfindung des Metallgusses. Die ersten Vorstellungen von künstlicher Intelligenz verdanken wir vermutlich der Figur des „Golem“ im mittelalterlichen Talmud. Auch moderne KI-Anwendungen sind in den meisten Fällen schon in Science-Fiction-Werken vorgedacht und diskutiert worden. Welche technischen Innovationen und gesellschaftlichen Utopien wären zukünftig möglich, wenn wir heute gezielt Kunst und Kultur entwickeln?
- Zugänglichere KI : KI ist eine vollständig unsichtbare Technologie; im Prinzip nur simple Mathematik. Alle unsere Vorstellungen von KI basieren auf künstlerisch-kulturellen Darstellungen. Solche Bilder erlauben uns nicht nur KI inklusive ihrer gesellschaftlichen Konsequenzen zu verstehen, sondern diese auch mitzugestalten. Die Estländische Regierung nutzt z. B. die mythische Figur des „Kratt“, um die Bevölkerung an der Gesetzesdebatte zu beteiligen. In Italien wird die Digitalisierung eines Stadtviertels durch ein Künstlerkollektiv begleitet. Dies sind vorbildliche Beispiele, um KI wirklich im Sinne genau der Menschen zu gestalten, die nachher tatsächlich betroffen sind.
- Ethischere KI : Die Ermittlung und Einschätzung ethischer Standards für KI ist nicht nur gesellschaftlich dringend erforderlich, sondern auch aus wirtschaftlicher Perspektive unabdinglich. KI-Investitionen können nur mit Zustimmung der Bevölkerung zu Erfolgen führen. Aus diesem Grund treibt die EU Kommission die Entwicklung von „trustworthy AI“ voran. Insbesondere Kunst und Kultur könnten der Technologie hier einen „human touch“ verleihen. Der STARTS-Prize der EU zeichnete jüngst ein Kreation aus, die die Privatsphäre beim Einsatz künstlich intelligenter Smart-Home-Assistants wiederherstellt. Die United Nations haben dieses Potenzial ebenfalls erkannt und die deutsche Bundesregierung scheint sich auch zunehmend für solche Initiativen zu öffnen.
Die spannende Frage ist, wie diese Verbindung von Kunst- und Technologiewelt als Ganzes systematisch gefördert werden kann? Zum einen braucht die Welt mehr Arts&Tech-Labs nach dem Vorbild des MIT Media Labs und des Ars Electronica Futurelabs. In solchen Einrichtungen kommen Künstler und Kulturschaffende sowie Ingenieure und Wissenschaftler zusammen, um gemeinsam und auf Augenhöhe gesellschaftlich erwünschte Zukunftsszenarien zu erforschen und die dafür notwendigen Innovationen zu entwickeln. Zum anderen muss das Potenzial von Kunst und Kultur endlich in Governance-Strukturen wie z.B. der nationalen KI-Strategie oder den AI Commons genutzt werden. Solche Frameworks sollen eine ethisch und wirtschaftlich nachhaltige KI-Revolution sichern. Insbesondere die AI Commons sind eine Ergänzung klassischer Regulierung mittels Gesetzen, durch die sich kleine Unternehmen bisher oft überfordert und manche Großkonzerne höchstens inspiriert fühlten.
Neben staatlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren gibt es auch einige nicht-staatliche und zivilgesellschaftlich Initiativen, die die Verbindung von Kunst- und Technologiewelt vorantreiben. Eine solche Initiative ist die Münchner Botschaft der Republik Užupis.
Die Münchner Botschaft der Republik Užupis
Die Statue des Erzengel Gabriel auf dem Marktplatz von Užupis als Symbol für die Freiheit der Kunst. Bild: Wikipedia
Die 1997 selbsternannte Republik Užupis ist Litauens größte Kunstbewegung und ein internationales Vorbild für friedliches und tolerantes Gemeinschaftsleben. Das weniger als ein Quadratkilometer große Areal in der Altstadt von Vilnius gehört zum UNESCO Weltkulturerbe und beherbergt ca. 7.000 Einwohner, davon ein Großteil Künstler. Užupis hat über 500 Botschafter und Ehrenbürger weltweit wie z. B. seine Heiligkeit den 14. Dalai Lama. Jeder Botschafter hat die Aufgabe Brücken zwischen Menschen zu bauen.
Die Münchner Botschaft der Republik Užupis hat seit 2017 die Aufgabe Brücken zwischen Kunst und Technologie zu bauen mit aktuellem Fokus auf KI. In München ist dies besonders wichtig und wertvoll: München hat erstklassige Forschungseinrichtungen, hervorragende Industriepartner und hochqualifizierte Arbeitskräfte und stärkt zunehmend seine Bedeutung als landes- und weltweiter Innovationsmotor. Die Botschaft von Užupis versteht die Integration von Kunst als Turbolader für diesen Innovationsmotor. Mit humorvollen Workshops, Diskussionen, Ausstellungen und Partys bringt die Botschaft namhafte KI-Experten, rebellische Künstler und hochrangige politische Entscheidungsträger zusammen, um bisher undenkbare Innovationen anzustoßen.
Neben dem Botschafter S.E. Max Haarich arbeiten sechs Konsuln für die Initiative, darunter der Humanoide ROBOY, der Kinderbücher schreibt und sich um Einbürgerungen kümmert. Damit ist er der erste künstlich intelligente Diplomat der Welt. Die Užupis-Botschaft ist die einzige kunstbezogene Initiative, die sich aktiv an der internationalen Politikgestaltung für KI beteiligt. Durch Vorträge und Publikationen gibt die Botschaft gezielte Impulse zur Einbindung von Kunst und Kultur in der KI-Industrie und Politik. Zu solchen Impulsen zählen z. B. das Münchner Manifest für Kunst und Technologie, der Münchner Zusatzartikel für die Verfassung von Užupis oder die Užupis Principles for Trustworthy AI Design.
Standbild aus Konsul ROBOYs Appell an die Menschheit . Bild: Max Haarich
Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser
Das aktuelle vorherrschende Vorgehen zur Sicherung ethischer KI, basiert meist auf der Kontrolle und Bestrafung von KI-Firmen oder -Designern. Dieser altmodische Kontroll-Ansatz ist immer weniger geeignet, um mit der Dynamik des KI-Bereichs mitzuhalten, so dass sich der nicht-regulierte Graubereich bedenklicher KI-Anwendungen unaufhaltsam vergrößert. Als Ergänzung zum Kontroll-Ansatz verbreitet die Botschaft der Republik Užupis mit Hilfe ihrer Publikationen ein positives Menschenbild und fördert die Verantwortung jedes Einzelnen sowie das Vertrauen auf den guten Willen der Menschheit. Denn wie die zweifache Nobelpreis-Trägerin Marie Curie betonte: " You cannot hope to build a better world without improving the individuals. To that end, each of us must work for our own improvement. " Diese Denkweise stellt definitiv nicht den Mainstream und wird allzu gern als naiv abgetan. Aber die Zeichen mehren sich, dass angesichts der großen Herausforderung durch KI ein Sinneswandel im Gange ist. Diesen Juni formulierte sogar Barry O’Sullivan, der Vize-Vorsitzende der Europäischen High Level Expert Group, bei einer EU-Konferenz in Brüssel „trust is the new gold.“ Vielleicht ist Vertrauen die einzig effiziente Möglichkeit, um eine gemeinwohlorientierte KI-Revolution zu sichern und deren gesellschaftliche und wirtschaftliche Potenziale voll auszuschöpfen. Kunst und Kultur können helfen, dieses Vertrauen wieder herzustellen.