Bis zur Mitte des Jahrhunderts wollen die meisten Industrieländer klimaneutral werden. Doch nicht alle Branchen lassen sich einfach so auf CO2-freie Verfahren umstellen. Besonders schwer dürfte es bei der Stahlindustrie werden. Zwar entwickeln auch deutsche Hersteller Ideen für weniger klimaschädlichen Stahl. Doch ohne Hilfe aus der Politik dürfte der es schwer haben.
Von Adriano D’Adamo
Die Menschheit ist auf Stahl angewiesen. In jedem Haushalt finden sich Objekte aus Stahl. Autos, Kühlschränke, selbst in den Wänden steckt er. Nur leider belastet die Stahlproduktion das Klima.
Stahlherstellung, da zeichnen sich in unseren Köpfen sofort Bilder von Hochöfen und rauchenden Schloten ab. Es braucht Temperaturen von über 1.400 Grad, um aus Eisenerz mithilfe von Koks Stahl zu gewinnen. Zwar ist der Prozess über die letzten Jahrzehnte effizienter geworden. Doch gleichzeitig wurden auch die Klimaschutzvorgaben für die Industrie immer strenger.
Über 40 Millionen Tonnen CO2-Emissionen verursachte die deutsche Stahlindustrie im Jahr 2018. Der gesamte CO2-Ausstoß Deutschlands betrug damals rund 866 Millionen Tonnen. Die Stahlindustrie war also für 4,6 Prozent der deutschen Emissionen verantwortlich. Die zwei größten deutschen Stahlkonzerne wollen dieses Problem lösen – und klimaneutralen, „grünen“ Stahl herstellen.
Hoffnungs(stahl)träger Wasserstoff
In einem Pilotprojekt namens SALCOS will der Hersteller Salzgitter das Koks – und damit den Kohlenstoff – durch Wasserstoff ersetzen, der nicht mit Wasser zu verwechseln ist. Je mehr Wasserstoff zum Einsatz kommt, desto weniger CO2 gelangt am Ende in die Luft. Stattdessen bleibt am Ende einfach nur Wasser übrig, das weiterverwendet werden kann.
So erklärt die Firma Salzgitter ihr SALCOS-Projekt.
Das neue Verfahren kann die Entstehung klimaschädlicher Gase nur dann um bis zu 95 Prozent senken – und das ist das Ziel von SALCOS bis 2050 –, wenn der dafür notwendige Wasserstoff „grün“ ist, also selbst klimaneutral gewonnen wurde. Momentan ist grüner Wasserstoff allerdings rar und teuer, weshalb auch Salzgitter bisher vor allem auf „grauen“ Wasserstoff setzt, der aus Erdgas erzeugt wird.
Grüner Wasserstoff kann durch Elektrolyse produziert werden, wobei Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff geteilt wird. Der hohe Stromverbrauch muss dabei allerdings klimaneutral gedeckt werden. Mit Partnern wie Siemens, E.ON, Linde und Avacon hat Salzgitter daher für ein Pilotprojekt auf dem Firmengelände sieben Windkraftanlagen errichten lassen, die Energie für ebenfalls neue Elektrolyse-Einheiten liefern sollen. In einer weiteren Anlage nutzt ein Elektrolyseur von Sunfire den Dampf aus der Abwärme der Stahlherstellung, um Wasserstoff zu gewinnen.
Ähnliche Ziele wie Salzgitter verfolgt die Konkurrenz. Auch Thyssenkrupp will auf grünen Stahl umstellen. „Bis 2050 wollen wir vollständig klimaneutral Stahl herstellen“, teilt ein Pressesprecher des Unternehmens auf 1E9-Anfrage mit. Dafür setzt das Unternehmen auf unterschiedliche Verfahren. In einem Schritt ersetzt Thyssenkrupp im klassischen Hochofen die Kohle, die eingeblasen wird, durch Wasserstoff – wodurch Wasserdampf entsteht. Bis zu 20 Prozent CO2 soll dadurch eingespart werden.
Ein weiterer Ansatz heißt Carbon2Chem und ist in einem Pilotprojekt bereits seit 2016 im Einsatz. Dabei sollen die klimaschädlichen Hüttengase, anstatt in die Luft geblasen zu werden, in werthaltige Chemikalien umgewandelt werden, zum Beispiel für Dünger, Kunststoffe oder Treibstoffe.
Thyssenkrupp hat sich vorgenommen seine CO2-Emissionen bis 2030 um 30 Prozent zu verringern, was jährlich sechs Millionen Tonnen CO2 entspricht. Um bis 2050 völlig klimaneutral zu werden, bräuchte es Investitionen von zehn Milliarden Euro. Hintergrund des Ziels dürfte auch sein, dass die Europäische Union bis 2050 komplett klimaneutral werden möchte.
Machbar, aber teuer – daher soll die Politik mitzahlen
Technisch scheint klimafreundlicher Stahl also machbar. Der Bedarf besteht. Allerdings ist die Umrüstung der Fabrik teuer, weswegen sich Unternehmen wie Salzgitter und Thyssenkrupp finanzielle Unterstützung wünschen – und zwar von der Politik.
Thyssenkrupp, zum Beispiel, hat bereits Fördermittel von der Bundesregierung erhalten. Diese unterstützte 2016 die erste Phase von Carbon2Chem mit 60 Millionen Euro. Die 2020 begonnene zweite Phase erhielt 75 Millionen Euro aus Steuermitteln. Doch das sind kleine Summe. Die komplette Umstellung der Produktion auf grünen Stahl dürfte die besagten Milliarden kosten – Geld, das die Branche derzeit nicht hat.
Thyssenkrupp schreibt rote Zahlen. Die Bilanz für das Jahr 2020 ergab ein Minus von 1,6 Milliarden Euro. Der Geschäftsbereich Stahl hatte daran einen Anteil von 946 Millionen Euro. Tausende Mitarbeiter:innen verlieren ihre Arbeit – oder werden sie noch verlieren.
Ausgeschlossen ist mehr politische Unterstützung daher nicht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will die Entwicklung von grünem Wasserstoff mit 15 Milliarden Euro fördern – gerade auch mit Blick auf die Stahlindustrie. „Der Schlüssel, um die Stahlbranche in Deutschland zu halten, ist der Einsatz von grünem Wasserstoff“, sagte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek bei einem Besuch in Salzgitter.
Grüner Stahl als rettende Nische?
„Wir sehen grünen Stahl nicht als Bedrohung, sondern als Chance“, sagte auch Axel Eggert, der Direktor des europäischen Verbands der Stahlindustrie, im Deutschlandfunk . „Voraussetzung ist allerdings, dass wir Zugang zu wettbewerbsfähigen Energieträgern bekommen, wie eben Wasserstoff, erneuerbarer Strom natürlich, aus dem Wasserstoff hergestellt wird.“
Eine Chance könnte der grüne Stahl auch deshalb sein, weil europäische Hersteller bei konventionellem Stahl einen zunehmend schlechten Stand haben. Sie leiden unter der Überkapazität der Branche – und vor allem unten den günstigen Preisen der chinesischen Konkurrenten. China verzehnfachte die eigene Stahlproduktion in den vergangenen 25 Jahren und exportiert längst in die ganze Welt hinaus.
Derzeit kann sich die europäische Stahlindustrie sich wegen ihrer Nähe zur Automobilindustrie behaupten. Und weil sie zuverlässiger und in höherer Qualität liefern kann. Die Hoffnung der Europäer ist nun, dass die Nische des grünen Stahls ihr Überleben auch langfristig sichern kann – und sie mit politischer Rückendeckung vor billigen Wettbewerbern aus Asien schützt. Eine „CO2-Grenzsteuer“ soll ihnen dabei helfen. Die EU überlegt, „schmutzigen Stahl“ aus dem Ausland, der klimaschädlich hergestellt wurde, damit teurer zu machen – und eine Abwanderung von Unternehmen zu verhindern.
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Jetzt Mitglied werden!Doch auch bei grünem – oder zumindest „grünerem“ – Stahl könnte Europa Konkurrenz bekommen. Denn andere Länder sehen hier ebenfalls einen lukrativen Markt. Das japanische Unternehmen Kobelco, zum Beispiel, führte im Oktober 2020 einen Monat lang erfolgreiche Tests für ein neues Stahlherstellungsverfahren. Es sieht vor, dass Erdgas als Reduktionsmittel und Pellets aus Eisenerz als Eisenquelle genutzt werden. Die Umstellung darauf soll den CO2-Ausstoss bei der Stahlherstellung um 20 bis 40 Prozent senken können.
Mehr als 70 Hochöfen stehen in der EU. Sie alle blasen durch ihre Schlote klimaschädliche Abgase in die Luft. Ihre teure Umrüstung wird wohl nicht ohne politische Unterstützung gelingen. Immerhin ist die Herstellung von klimafreundlichem Stahl keine Zukunftsvision mehr, sondern realisierbar. Und Stahl braucht schließlich jeder Haushalt.
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Titelbild: Getty Images