Europäische Städte könnten in naher Zukunft eine neue Art von Straßenbahnen bekommen. Sie sollen mit Wasserstoff angetrieben werden und Gebiete versorgen, in denen keine Oberleitungen gebaut werden können. Aus der Politik kommt Unterstützung – doch es gibt auch Skepsis, ob das Konzept hierzulande gebraucht wird.
Von Adriano D’Adamo
Busse, U-Bahn oder Tram, ein Mix aus öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine feste Instanz in jeder deutschen Großstadt. Das Leipziger Unternehmen HeiterBlick will ihn nun um ein neues Gefährt erweitern. Die Vision: Europas erste mit Wasserstoff betriebene Straßenbahnen. Bisher existieren sie nur auf dem Papier bzw. dem Bildschirm, die ersten Prototypen sollen in vier Jahren durch die Straßen rollen. Wie das finale Design aussehen soll und welche Städte die Straßenbahnen erhalten werden, ist auch noch unbekannt.
Was jedoch schon feststeht, ist das Konzept des Antriebs. Auf dem Dach der Tram sollen ein Wasserstofftank, eine Batterie und eine Brennstoffzelle mit Kühlung angebracht werden. Die Stromabnehmer, die normalerweise auf Straßenbahnen zu finden sind, fehlen. Die Wasserstoff-Tram braucht auch keinen Strom aus der Oberleitung.
Die Umstellung auf Wasserstoff könnte Städten dabei helfen, die Stadtteile und -gebiete zu erschließen, in denen aus ökologischen oder verkehrstechnischen Gründen bisher keine Oberleitungen gebaut werden und deshalb keine Straßenbahnen fahren können, wie die Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, kurz: NOW GmbH, erklärt. NOW ist eine bundeseigene GmbH zur Forschungsförderung, finanziert von Bundesumweltministerium und Bundesverkehrsministerium. Das Verkehrsministerium unterstützt über NOW auch die Entwicklung der Wasserstoff-Tram von Heiterblick mit 2,1 Millionen Euro. Es gibt jedoch auch Zweifel an dem Vorhaben.
Geringer Wirkungsgrad, aber trotzdem Bedarf?
Michael Sterner, Ingenieur und Professor für Energiespeicher und -systeme an der Ostbayerischen Technischen Hochschule, steht dem Konzept skeptisch gegenüber. Auf Anfrage von 1E9 erläuterte er Kritikpunkte, die er vorher bereits im MDR geäußert hatte. Aus seiner Sicht lohnen sich Wasserstoff-Straßenbahnen in deutschen Innenstädten nicht, weil der Wirkungsgrad des Antriebs zu gering sei.
Denn Wasserstoff wird meist durch Elektrolyse gewonnen, wobei Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff geteilt wird. Um später Energie aus Wasserstoff zu gewinnen, muss also erstmal Energie, genauer: Strom, eingesetzt werden. Und von dem blieben schlussendlich weniger als 40 Prozent übrig, um damit, zum Beispiel, eine Tram anzutreiben. Zwar hebt Sterner hervor, dass die Wasserstoff-Straßenbahnen leise seien und keine Emissionen verursachten, damit bieten sie aus seiner Sicht aber keinen Mehrwert gegenüber herkömmlichen Trams. In deutschen Großstädten sieht er daher keinen Platz für Wasserstoff-Straßenbahnen und schlägt vor, die Technologie eher für Regionalzüge in entlegeneren Teilen Deutschlands zu nutzen.
Der HeiterBlick-Geschäftsführer, Samuel Kermelk, ist anderer Meinung und verweist im Interview mit dem MDR darauf, dass in Ostdeutschland durchaus ein Bedarf an Wasserstoff-Straßenbahnen besteht. Diesen Bedarf will Kermelk mit seinem Unternehmen erfüllen, da sonst ein chinesischer Hersteller die Nachfrage aus Deutschland mit seinen Bahnen bedienen würde. Dennoch fügt er an, dass wasserstoffbetriebene Straßenbahnen nicht die konventionellen Verkehrsmittel ersetzen sollen – nur ergänzen.
In China dagegen sollen Wasserstoff-Straßenbahnen schon länger dabei helfen, in Städten weniger Smog zu produzieren. Denn in vielen chinesischen Metropolen hat die Smogdichte ein ungesundes Level erreicht. Die erste Wasserstoff-Tram Chinas fährt bereits seit 2015, kann eine Spitzengeschwindigkeit von 70 Stundenkilometern erreichen und schafft mit einem Tank eine Distanz von 100 Kilometern, wobei die durchschnittliche Länge von chinesischen Straßenbahnlinien nur 15 Kilometer beträgt.
Die Politik setzt auf Wasserstoff
Das Unterfangen, Wasserstoff als Energieträger zu benutzen, erhält auch Unterstützung aus der Politik. Die Bundesregierung will insgesamt neun Milliarden Euro ausgeben, um Wasserstoff marktfähig zu machen. Auch einzelne Bundesländer wie Niedersachsen wollen mehr auf die Nutzung von Wasserstoff setzen und sich so einen Technologievorsprung zu sichern. In Bayern wiederum haben sich Unternehmen dem H2.B angeschlossen, dem bayerischen Wasserstoffbündnis, darunter auch Industriekonzerne wie Bosch, Siemens und MAN.
Verstehe, was die Zukunft bringt!
Als Mitglied von 1E9 bekommst Du unabhängigen, zukunftsgerichteten Tech-Journalismus, der für und mit einer Community aus Idealisten, Gründerinnen, Nerds, Wissenschaftlerinnen und Kreativen entsteht. Außerdem erhältst Du vollen Zugang zur 1E9-Community, exklusive Newsletter und kannst bei 1E9-Events dabei sein. Schon ab 2,50 Euro im Monat!
Jetzt Mitglied werden!Doch zurück zur Wasserstoff-Straßenbahn. Innerhalb der nächsten vier Jahre sollen die ersten Wasserstoff-Straßenbahnen von HeiterBlick in Betrieb genommen werden. Andere Branchen haben bereits Pilotprojekte mit Wasserstoff laufen. Er wird für die Wärmeversorgung von Gebäuden genutzt, soll die Stahlindustrie klimafreundlich machen, nachhaltigeres Fliegen ermöglichen oder im Langstreckentransport per LKW genutzt werden. Gemeinsam ist allen Branchen: Sie fordern staatliche Hilfe – und mehr Infrastruktur.
Hat dir der Artikel gefallen? Dann freuen wir uns über deine Unterstützung! Werde Mitglied bei 1E9 oder folge uns bei Twitter, Facebook oder LinkedIn und verbreite unsere Inhalte weiter. Danke!
Titelbild: Getty Images