Die Corona-Pandemie bringt aktuell (bzw. perspektivisch, je nach Standort) die Gesundheitssysteme an oder über ihre Belastungsgrenze. Und dies obwohl die Ausbreitung einer neuartigen Krankheit doch bereits sei Jahren zu den bekannten Bedrohungsszenarien einer hochgradig globalisierten und beschleunigten Gesellschaft gehört.
Obwohl unsere Gesellschaft unglaubliche Produktivität erreicht hat, sind für diesen Fall nicht genügend Schutzmasken, Desinfektionsmittel, Respiratoren etc. oder Pläne für eine kurzfristige Produktion derselben vorhanden.
Nach Eintritt der Krise werden nun ungeahnte wirtschaftliche und innovative Kräfte frei (siehe z.B.: Dyson hat binnen 10 Tagen ein Beatmungsgerät entworfen oder https://www.kma-online.de/aktuelles/medizintechnik/detail/vw-will-teile-fuer-beatmungsgeraete-fertigen-a-42892). Man könnte sagen: Es entstehen neue Märkte und die Marktwirtschaft sorgt per Nachfrage und Angebot, Konkurrenz etc. dafür, dass Lösungen gefunden werden und dabei am Ende wahrscheinlich auch noch Wachstum entsteht. Großartig.
Man kann sich aber auch die Frage stellen, warum wir einem Gesellschaftssystem anhängen, in dem es erst den Eintritt der Krise und den Tod tausender Menschen braucht, um die Produktivkraft auf überlebenswichtige Bereiche zu fokussieren, während ansonsten ein bedeutender Teil der menschlichen Kreativität und Arbeit in Produktionszweige fließen, die nicht einmal der Unterhaltung, sondern der puren Gewinnmaximierung und Aufrechterhaltung der „Arbeitsgesellschaft“ dienen. Ich erinnere mich leider nicht an den Titel einer Dokumentation, in der gigantische Lagerhallen voll mit originalverpackten Elektronik-Geräten überholter Generationen (also wohl 12 Monate und älter?) zur Verschrottung gezeigt wurden… Herbert Marcuse sprach von „parasitärer Produktion“.
In den vergangenen Jahren (oder Jahrzehnten) ist es zunehmend schwieriger geworden, die herrschenden Produktionsverhältnisse zu kritisieren. Trotz offensichtlicher Widersprüche erscheint die kapitalistische Ideologie im Kern unangreifbar, wer Alternativen jenseits von Lohnarbeit und Marktwirtschaft anspricht, disqualifiziert sich als radikal oder utopisch, Sachzwänge diktieren ein ewiges „Weiter so“, Kapitalismus als Ende der Geschichte.
Die aktuelle Krise ist aber nur eine besonders akute Bedrohung - abstrakter, aber in der jüngeren Vergangenheit medial (und faktisch) zunehmend präsent ist der Klimawandel. Denkbar sind auch Bedrohungen durch neue Krankheiten mit höherer Letalität. Alltäglich sind für Millionen von Menschen die Belastungen durch entfremdete, ausbeuterische Arbeit - die zu einem großen Teil objektiv unnötig und/oder vermeid- bzw. erleichterbar wäre.
Die Menschheit hat schon lange „das Zeug“ - die Produktivität, die Kreativität - dazu, etwas aufzubauen, was lange Utopie war und leider heute als solche diffamiert wird. Was fehlt, ist die soziale Entwicklung - was hemmt, ist die Ideologie.
Was bewirkt die Corona-Krise bei Menschen, die in technologischen Arbeitsfeldern arbeiten? Wie fühlt es sich an, plötzlich innerhalb kürzester Zeit ein Beatmungsgerät zu entwickeln, nachdem man sich vorher vielleicht damit beschäftigt hat, wie ein Staubsauger dann doch lieber 3 Monate früher kaputt gehen könnte?
An welche Erfahrungen aus alternativen Modellen kann man anknüpfen? Ich erinnere mich an einen lieben, leider schon länger verstorbenen Kollegen aus der Nähe von Magdeburg, der mir erzählte, wie in der DDR so geplant wurde, dass die gleichen Teile für die Reparatur eines Trabis, einer Waschmaschine oder eines Panzers benutzt werden konnten. Auch ließen sich viele Geräte leicht zerlegen und reparieren - sicher nicht das schlechteste, wenn Amazon oder DHL wegen Corona die Lieferung einstellen sollten… Heute könnte man die Ersatzteile vielleicht drucken - statt des 3D-Druckers für alle haben wir aber lieber halbjährlich ein neues Handy mit allerlei Daddelei für Zwischendurch?
Welche Impulse lassen sich aus der Corona-Krise gewinnen? Nicht für Märkte, sondern für Menschen!
Wird die Corona-Krise dazu führen, dass erste oder vielleicht sogar große Schritte in Richtung einer tatsächlich anderen Gesellschaft gegangen werden oder gibt es einfach nur ein „Back to Business“ und das Warten auf die nächste Krise?
Das ist neben vielen alltäglicheren Problemen (Klopapier!!! Könnte das vielleicht auch der 3D-Drucker?), etwas, das mich dieser Tage beschäftigt…