Fracking for Plastic: Aktivisten kämpfen gegen neue Plastikfabriken


Strohhalme und Einwegtüten aus Plastik werden verboten, doch die petrochemische Industrie will die Produktion von fabrikneuem Plastik massiv steigern. Auch in Europa werden Milliardensummen investiert. In Antwerpen nehmen Aktivisten den Kampf gegen eine geplante Fabrik auf, in der ein Grundstoff für Plastik hergestellt werden soll. Der Rohstoff, der dort zum Einsatz kommen soll: billiges Gas, das in den USA durch das umstrittene Fracking gewonnen wird.

Von Wolfgang Kerler

Antwerpen ist Ground Zero im Kampf ums Klima. Jedenfalls aus Sicht von Thomas Goorden. Für ihn symbolisieren die Pläne des britischen Chemie- und Plastikkonzerns INEOS alles, was die Welt nicht braucht. „Wir erleben ein hyperkapitalistisches Unternehmen, das mit Schulden ein riskantes Geschäft finanzieren will“, sagt er im Gespräch mit 1E9. „Dabei liegt der Fokus komplett auf fossilen Brennstoffen. Die werden ausgerechnet durch Fracking gewonnen. Und damit soll Plastik hergestellt werden, das irgendwann in den Weltmeeren landet oder verbrannt wird. Alles, was man falsch machen kann, wird hier falsch gemacht.“

Mit dieser Ansicht ist Thomas Goorden, der als Koordinator für die belgische Bürgerbewegung StRaten-Generaal arbeitet, nicht allein. Kurz nachdem INEOS im Januar 2019 ankündigte, in Antwerpen drei Milliarden Euro in eine neue Produktionsanlage von Plastikgrundstoffen zu investieren, starteten er und seine Mitstreiter die Kampagne Antwerpen Schaliegasvrij. Auf Deutsch: Antwerpen ohne Schiefergas. Der Name der Kampagne scheint dabei zunächst erklärungsbedürftig. Was sollen Schiefergas und Fracking mit Plastik zu tun haben?

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Mit Schiefergas ist das Erdgas gemeint, das durch Fracking – vor allem in den USA – gewonnen wird. Dabei wird ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in Schichten von Schiefergestein gepresst, wodurch Risse entstehen. Durch diese können Gas, aber auch Öl, an die Oberfläche befördert werden. Der INEOS-Konzern wiederum importiert so gewonnenes Schiefergas aus den USA nach Europa, um es als Brenn- und Rohstoff für die Kunststoffproduktion einzusetzen – in Zukunft auch in der nun in Antwerpen geplanten Anlage, gegen die Antwerpen Schaliegasvrij mobil macht. Fracking liefert also Schiefergas, das wiederum die Produktion von fabrikneuem Plastik ermöglicht.

Seit einigen Wochen hat der Protest gegen diese Pläne weiter an Fahrt aufgenommen. Neben Antwerpen Schaliegasvrij kämpfen nun auch Gruppen wie Youth 4 Climate Belgium oder Extinction Rebellion gegen INEOS. Ihr Slogan lautet: „INEOS Will Fall“. Der taucht nicht nur im Netz immer häufiger als Hashtag auf, sondern auch auf Demos in Antwerpen und in anderen belgischen Städten. „Alle sind sich einige, dass wir nicht nur versuchen müssen, dieses Projekt zu stoppen“, sagt Thomas Goorden. „Wir müssen es unbedingt aufhalten.“ Das „Project One“ genannte Vorhaben müsse „fallen“, um ein weltweites Zeichen zu setzen.

Der Fracking-Boom könnte in einen Plastik-Boom münden

Die von INEOS geplanten Investitionen in Antwerpen sind schließlich nur der europäische Ausläufer einer größeren Entwicklung: der Renaissance der petrochemischen Industrie, zu der auch die Plastikhersteller gehören. Sie begann in den USA. Dort wurden seit 2010 nach Angaben der Industrieorganisation American Chemistry Council 340 Projekte angekündigt, in die internationale Unternehmen 204 Milliarden Dollar stecken wollen. Dabei geht es um den Bau oder die Erweiterung von Plastik- und Chemiefabriken sowie um die zugehörige Infrastruktur, Pipelines zum Beispiel. Getrieben wird der Boom vom Fracking.

Denn in der Produktion von frischem Plastik sieht die amerikanische Öl- und Gasindustrie eine Chance, zukünftige Gewinne zu sichern. Konzerne wie Chevron oder Exxon Mobil investierten Milliarden, um bisher unerreichbare Öl- und Gasvorkommen im Boden von Texas oder Pennsylvania zu erschließen – per Fracking. Doch Fracking steht auch deshalb in der Kritik, weil es mit der Verunreinigung von Grundwasser und einem Anstieg der klimaschädlichen Methan-Emissionen in Verbindung gebracht wird.

Bisher stand die Gewinnung von Erdöl und Erdgas zur Energiegewinnung im Mittelpunkt. Doch die Nachfrage nach Öl als Treibstoff könnte durch den Umstieg auf Elektro- oder Wasserstoffautos deutlich sinken, prognostiziert die Internationale Energieagentur. Und die Nachfrage nach Erdgas zur Stromgewinnung kann mit den gestiegenen Fördermengen schon jetzt nicht mehr mithalten, was die Preise fallen lässt. Viele Förderanlagen waren nicht mehr rentabel und wurden bereits dicht gemacht.

Die Hoffnung der Industrie ruht deshalb auch auf einem Hochfahren der Plastikherstellung. Für die war Erdöl schon immer ein wichtiger Rohstoff. Und auch ein bisher eher wertloses Nebenprodukt, das beim Erdgas-Fracking zusätzlich zum Hauptbestandteil Methan gefördert wird, verspricht neue Umsätze: Ethan, das zu den nassen Gasen gehört. In Ethan-Crackern werden die molekularen Bindungen im Ethan unter großer Hitze „geknackt“, um daraus Ethylen zu produzieren, einem Grundstoff von Plastik. Die notwendige Hitze wird dabei durch die Verbrennung von Erdgas erzeugt.

Einen solchen Ethan-Cracker will INEOS in Antwerpen bauen. Es wäre die erste neue Anlage dieser Art in Europa seit 20 Jahren. Das Ethan, das dort verarbeitet werden soll, kritisiert der „Plastikatlas“ der Heinrich-Böll-Stiftung und des Bunds für Umwelt und Naturschutz, soll durch amerikanisches Fracking gewonnen werden. Auch an einem INEOS-Standort in Köln soll demnach US-Fracking-Gas zu Petrochemie-Produkten verarbeitet werden. Für den Ethantransport über den Atlantik entwickelte INEOS sogar einen eigenen Schiffstypus: die Dragon Ships.

Plastik wird zum Klimaproblem

„Bei dieser unheiligen Allianz zwischen Fracking-Industrie und petrochemischer Industrie geht es zwar nicht nur um Plastik“, sagt der hessische Umweltaktivist Andy Gheorghiu von der Nichtregierungsorganisation Food & Water Europe zu 1E9. „Aber Plastik spielt dabei eine große Rolle – insbesondere für Verpackungen.“ In Europa macht Plastik für Verpackungen 40 Prozent des Marktes aus, gefolgt von Plastik für die Bau- und die Automobilbranche.

Im August verfasste Andy Gheorghiu eine Stellungnahme zu den INEOS-Plänen für Antwerpen, die von einer ganzen Reihe von Umweltorganisationen unterzeichnet wurden – von #BreakFreeFromPlastic über Greenpeace bis zu Earthworks. Darin forderte er die belgischen Behörden dazu auf, die gesamten Umwelt- und Klimaauswirkungen des Projekts zu untersuchen. Von der Gasgewinnung in den USA bis zur Plastikverschmutzung der Umwelt.

Denn Andy Gheorghiu unterstützt die #IneosWillFall-Kampagne nicht nur wegen ihrer großen Symbolkraft. Er will Öffentlichkeit und Politik auch dafür sensibilisieren, dass Plastik nicht nur deshalb problematisch ist, weil es als Abfall in Meer und Umwelt landet – sondern auch, weil es den Klimawandel „pusht“. So formulierte er es schon 2018 in einem Blogpost.

Tatsächlich könnten die jährlichen CO2-Emmissionen durch die energieintensive Produktion und die Verbrennung von Plastik in den kommenden Jahren massiv ansteigen, wie das Center for International Environmental Law schätzt: Von etwa 860 Millionen Tonnen im Jahr 2010 auf über 1,3 Milliarden Tonnen im Jahr 2030. Das entspräche dem Ausstoß von fast 300 Kohlekraftwerken. Bis 2050 könnte sich der Wert nochmal mehr als verdoppeln. Damit würde sich ein seit Jahren anhaltender Trend fortsetzen: Trotz aller Kampagnen gegen Plastikmüll steigt der weltweite Plastikverbrauch – auch, weil Plastik billig, leicht und vielseitig einsetzbar ist.

Die Befürchtung von Klima- und Umweltschützern wie Andy Gheorghiu und Thomas Goorden: Frisches Plastik aus billigem Fracking-Ethan könnte die weltweite Plastikflut noch verstärken. Denn: „Plastik wird billiger werden als je zuvor – der Druck wird also steigen, noch stärker auf Plastik zu setzen“, sagt Thomas Goorden.

INEOS nennt die neuen Anlagen „umweltfreundlich“

Auf die Anfrage von 1E9 antwortete INEOS nicht. Bisher wies die Firma die Kritik am Projekt in Antwerpen aber stets zurück. In einer Pressemitteilung führte INEOS aus, dass die geplanten Anlagen „wesentlich weniger CO2 ausstoßen als die derzeit vergleichbaren Anlagen in Europa“. Umweltschädlichere Produktionsstätten würden durch sie langfristig verschwinden. An anderer Stelle argumentiert INEOS, dass leichtgewichtige Kunststoffe in Flugzeugen oder Autos zu weniger Kraftstoffverbrauch – und damit weniger Emissionen – beitragen können. Außerdem würden moderne Gebäude durch Isolierung aus Kunststoff energieeffizienter.

Thomas Goorden überzeugen diese Argument allerdings nicht von der Notwendigkeit dieses neuen Crackers. „Es stimmt, der Cracker wäre der effizienteste seiner Art“, sagt er. „Aber er wäre auch der letzte seiner Art, weil andere Firmen längst an einer ganz neuen Generation von Crackern arbeiten.“ Als Beispiel dafür nennt er das Cracker-of-the-Future-Consortium, dem sechs Unternehmen angehören, darunter auch BASF aus Deutschland. Dessen Ziel ist die Entwicklung neuartiger Cracker, die nicht mehr mit fossilen Brennstoffen, sondern mit erneuerbaren Energien betrieben werden, und bis zu 90 Prozent weniger CO2 ausstoßen.

„INEOS will quasi das letzte Dieselfahrzeug bauen“, sagt Thomas Goorden. „Klar wird das effizienter sein als alte Modelle, aber es bleibt ein Dieselfahrzeug, das sich nicht mit seinen Nachfolgern – den Elektroautos – vergleichen lässt.“ Unabhängig davon hofft er, dass die Welt in Zukunft mit deutlich weniger Plastik auskommt – auch weil die Politik entsprechende Weichen stellt. Das Plastik allerdings, das weiterhin produziert werden muss, sollte aus seiner Sicht so umweltverträglich wie möglich gewonnen werden. Umso wichtiger ist für ihn die #IneosWillFall-Kampagne.

„Wenn es uns gelingt, dieses Projekt zu stoppen“, sagt er. „Könnte das wirklich ein Umdenken in der ganzen Industrie auslösen. Denn damit würden wir zeigen, dass diese Art von Fabriken einfach nicht mehr ins 21. Jahrhundert passen.“

Mit Eingaben, Beschwerden und juristischen Schritten auf lokaler, nationaler und EU-Ebene wollen die Aktivisten die notwendige Waldrodung und den Baubeginn verzögern sowie eine Klimaverträglichkeitsprüfung des an sich bereits genehmigten Projekts erreichen. Die Proteste sollen außerdem einen politischen Prozess anstoßen. „Je länger wir Widerstand leisten können, je länger INEOS dieses Investment nicht realisieren kann, desto wahrscheinlicher wird der ganze Plan Risse bekommen“, sagt Andy Gheorghiu. Noch hat INEOS vor, den Ethan-Cracker 2024 in Betrieb zu nehmen.

Titelbild: Getty Images

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Interessante Aussage! Bin gespannt wie lange es braucht bis man auch diesen Protest ausgesessen hat, oder ob sich tatsächlich eine Dynamik entwickelt, die zu „Rissen“ führt.

Wünsche mir sehr, dass die Protestler erfolgreich sind. Und hoffe, dass damit der Impact von solchen und anderen (zB FFF) Bewegungen auf die Politik endlich stärker durchschlägt. Das wäre ein Novum. Die Frustration, sollte nichts passieren, denke ich enorm und bin mir nicht sicher was das als Konsequenz mit sich brächte.

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Und wieder und wieder…zwei Schritte vor, drei zurück.
Es bleibt letztendlich doch nur die Hoffnung auf Techniken, die aktiv CO2 aus der Atmosphäre entziehen.

Siehe z.B.

[Diese stylische Kiste soll die Luft von CO2 befreien]

[Wissenschaftler aus Linz können CO2 in Alkohol verwandeln]

Man darf gespannt sein, wann die ersten Schlaumeier auf die Idee kommen, die Einsparung von CO2 sei aufgrund solcher „vielversprechender“ Techniken überflüssig.

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Empfehle den Dokumentarfilm „Dark Eden – der Alptraum“ von Johanna Herold und Michael David Beamish über das Fracking in Kanada und Fort McMurray: Sehr persönlich schildern die Autoren darin, warum Menschen wegsehen bei Umweltverschmutzung und selbst Gefahren verdrängen. Eindrucksvoll. Vorgeschmack? https://www.youtube.com/watch?v=4gvoMQYY0rU

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