Eine Gruppe von Astronomen will die Zerstörung des Nachthimmels stoppen

Große Schwärme von Satelliten sollen zukünftig Internet in alle Bereiche der Erde bringen. Diese orbitalen Funktürme sind jedoch auf immer mehr Aufnahmen von Teleskopen zu entdecken – und gefährden damit die Forschung. Astronomen wollen mit einem Zentrum für den Schutz des Nachthimmels eine Lösung finden.

Von Michael Förtsch

Der Himmel ist bedroht. Zumindest der Nachthimmel. Das hat im Januar 2022 die Studie einer Gruppe von US-amerikanischen und polnischen Astronomen ergeben. Sogenannte Mega-Konstellationen von Satelliten wie SpaceX’ Starlink und OneWeb tauchen vermehrt in den Bildern des Sternenhimmels auf. Vor allem in Aufnahmen zur Dämmerungszeit sind sie als lange Striche sehr klar auszumachen. 2019 waren auf nur 0,5 Prozent der Fotografien die ausfallenden Linien zu erkennen. Ende 2021 waren sie bereits auf 20 Prozent der Bilder auszumachen. „Wir schätzen, dass, sobald SpaceX etwa 10.000 Satelliten in Betrieb genommen hat, fast alle während der Dämmerung aufgenommenen Bilder betroffen sein werden“, warnte der Astronom Przemek Mróz in einem Gespräch zur Studie. Die Gefahr? Die aufgrund ihrer niedrigen Umlaufbahn auch oft mit bloßem Auge erkennbaren Satelliten könnten die Forschung nachhaltig beeinträchtigen. Dagegen soll nun etwas getan werden. Denn zahlreiche weitere solche Konstellationen sind bereits im Planung.

Im Februar dieses Jahres hat die Internationale Astronomische Union – die weltweit größte Vereinigung von Astronomen – das sogenannte Zentrum für den Schutz des Nachthimmels vor Störungen durch Satellitenkonstellationen ins Leben gerufen. An dessen Gründung sind unter anderem Radioastronomen vom US-amerikanischen NoirLab, dem internationalen Radioastronomieprojekt SKA Observatory und auch vom deutschen Max-Planck-Institut für Radioastronomie beteiligt. Die Mitglieder sollen über die kommenden Jahre Mittel und Wege finden, um zu verhindern, dass es Elon Musk und andere mit ihren riesigen Satellitenschwärmen den Astronomen allzu schwer machen. Und, um dafür zu sorgen, dass auch die Gesellschaft davon weiß, mithilft und mitredet. Am 1. April 2022 nimmt das Zentrum offiziell seine Arbeit auf.

Starlink-Satelliten sind also heller, aber nicht die ganze Nacht über sichtbar. OneWeb-Satelliten sind dunkler, aber viel länger beobachtbar.

Gyula Józsa

Laut Zentrums-Mitglied Gyula I. G. Józsa vom Observatorium Effelsberg „war allen Astronomen mit dem Start von Starlink im Mai 2019 sehr schnell klar, welche Bedrohung diese Konstellationen für den Nachthimmel darstellen“. Bereits in den ersten zwei Jahren sei sehr hitzig darüber debattiert worden, welche Maßnahmen sich ergreifen ließen, um einer „Kontamination“ des Himmels durch solche Satelliten zu begegnen. Denn die Satelliten können nicht nur unschöne Streifen hinterlassen, die einen Teil des Bildes überdecken. „Sind sie zu hell und ist der Empfänger oder der CCD[-Sensor] zu empfindlich, können sie eine ganze Aufnahme zerstören“, sagt Józsa gegenüber 1E9. „Das gleiche gilt, wenn einfach zu viele Satelliten beobachtet werden.“

Die Satelliten können Forschungsarbeit zerstören

Derzeit sind die Satelliten noch „ärgerliche Ereignisse, die sich häufen“, sagt Józsa. Aber wenn Starlink, OneWeb und andere erst ausgebaut sind, würde die „Kontamination durch Satelliten die Regel sein“, wenn nicht gehandelt wird. „Starlink-Satelliten operieren auf einer Höhe von zwischen 300 und 600 Kilometern und für OneWeb ist eine Operationshöhe von 1.200 Kilometer vorgesehen“, erläutert Józsa. „Damit werden Starlink-Satelliten für einen längeren Teil der Nacht durch die Erde abgeschattet, während OneWeb-Satelliten virtuell in der ganzen Nacht sichtbar sind. Starlink-Satelliten sind also heller, aber nicht die ganze Nacht über sichtbar. OneWeb-Satelliten sind dunkler, aber viel länger beobachtbar.“

Trotz des noch laufenden Auf- und Ausbaus der Satellitenkonstellationen gibt es schon Beispiele für verlorene Beobachtungen. So wurde eine Aufnahmereihe des Lowell-Observatoriums in Arizona in den USA durch den Durchzug von 25 Starlink-Satelliten vollkommen zerschnitten, so dass die Aufnahmen kaum mehr für wissenschaftliche Arbeiten zu gebrauchen sind. „Besonders betroffen sind Beobachtungen mit besonders großen Gesichtsfeldern, zum Beispiel Durchmusterungen zur Kartierung des gesamten Himmels“, sagt Józsa. Hier können die Satellitenschwärme mehrere Tage an Forschungsarbeit vernichten. Wenn es besondere astronomische Ereignisse betrifft, könnten sie sogar einmalige Chancen zunichtemachen.

Laut Gyula Józsa müsste Astronomen – aber auch alle anderen Menschen – eigentlich eine Art Grund- oder Gewohnheitsrecht auf einen störungsfreien Nachthimmel zustehen. „Leider gibt es hierzu noch kein geschriebenes Gesetz“, so der Astronom. Das liege wohl auch daran, dass die technologischen Entwicklungen und die unternehmerische Zugkraft der letzten Jahre die Regulierungsbehörden und Gesellschaft einfach überrumpelt haben. Daher müsse eben nach andere Optionen geforscht und der Kontakt mit den Satellitenbetreibern gesucht werden. Und genau da soll das Zentrum für den Schutz des Nachthimmels ansetzen. Zumindest SpaceX hat schon auf Kritik und Anregungen reagiert „was bei den Astronomen sehr gut ankam“.

„Die ursprünglichen Satelliten waren ja mit dem bloßen Auge zu erkennen […] Starlink hat sie dann mit einem absorbierenden Material angemalt, was funktioniert hat, aber zu einer zu großen Erhitzung bei den DarkSats geführt hat. VisorSat war dann die nächste Generation, wobei man die Satelliten durch Abschirmung verdunkelt und die Satelliten sich von der Sonne wegdrehen“, so Józsa. Das verdunkle sie ebenso, aber nicht so weit, dass sie unsichtbar werden. Das Zentrum für den Schutz des Nachthimmels soll hier mithelfen, weitere Optimierungen anregen und das auch bei andere Satellitenbetreibern. „Wir müssen es ja hinbekommen, dass die technische Entwicklung von Satellitenkonstellationen und ein dunkler Himmel miteinander einhergehen können“.

Auch Information ist wichtig

Es geht den Astronomen aber nicht nur um die Satelliten, die im Erdorbit schweben, sondern auch um jene, die ihr Dienstende erreicht haben. „Denn Satelliten, die wieder in die Atmosphäre eintreten, sind sie ja gut zu sehen, weil sie verglühen“, meint Józsa. „Man kann man sich leicht ausrechnen, was Mega-Konstellationen in dem Zusammenhang anrichten werden. Man nehme eine Satellitenkonstellation mit 30.000 Satelliten, von denen jeder eine Lebensdauer von etwa fünf Jahren hat. Dann müssen jedes Jahr, wenn alles gut geht, 6.000 Satelliten in der Atmosphäre versenkt werden, da man sie ja schlecht als Weltraumschrott im Orbit belassen kann. Das macht dann 16 Sternschnuppen pro Tag.“ Das wäre zwar jede Nacht ein spektakulärer Anblick, aber ebenso eine sichere Katastrophe für die Astronomen.

Wir müssen es ja hinbekommen, dass die technische Entwicklung von Satellitenkonstellationen und ein dunkler Himmel miteinander einhergehen können.

Gyula Józsa

Die Forscher hinter dem Zentrum für den Schutz des Nachthimmels haben daher bereits vor der Gründung des Zentrums eine ganze Reihe an Vorschlägen und Forderungen beim Ausschuss für die friedliche Nutzung des Weltraums der Vereinte Nationen eingereicht. Darunter eine Verpflichtung für Satellitenbetreiber, genaue Informationen über sich ändernde Bahnen der Satelliten bereitzustellen und aktiv Verdunklungsmöglichkeiten zu erforschen. „Das Problem ist, dass der Weg in internationalen Regulierungsbehörden immer lang ist, während wir eigentlich nicht viel Zeit haben“, sagt Józsa. „Es werden immer mehr Satelliten in den Weltraum geschossen, und wenn sie einmal oben sind, lassen sie sich nicht mehr verbessern.“

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Aus diesen Gründen sei es ebenso wichtig, eine Wahrnehmung für das Problem in der Gesellschaft zu schaffen, wie Regulierungen und Kooperationen mit Starlink und Co. zu erreichen. Im Internet will das Zentrum für den Schutz des Nachthimmels daher informieren. Aber es sollen auch öffentliche Veranstaltungen organisiert werden, bei denen Besucher selbst erleben und sehen sollen, wie die Satelliten den Nachthimmel durchschneiden und wieso diese kleinen Lichterketten zwischen den Gestirnen ein Problem darstellen. Dabei sollen auch Hobby-Astronomen, Astrofotografen und andere Menschen und Gemeinschaften, die sich für den Himmel begeistern, angesprochen und an Bord geholt werden.

Bei alldem sei es nicht das Ziel des Zentrums für den Schutz des Nachthimmels, die Mega-Konstellationen zu verdammen. Denn natürlich sei auch das Gros der Astronomen „von technologischen Entwicklungen, die dem menschlichen Fortschritt dienen“ begeistert – auch, wenn diese in Form von riesigen Satellitenschwärmen daherkommen. Aber Internet wie mit Starlink in alle Ecken der Erde zu bringen, müsse eben auch machbar sein, ohne den Astronomen ihre Arbeit unnötig zu erschweren.

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