Das tiefste von Menschen gebohrte Loch reicht über 12.000 Meter in die Erde. Gebohrt wurde es von sowjetischen Wissenschaftlern. Ein US-Start-up will den Rekord nun brechen. Es will dafür Technologie aus der Fusionsforschung einsetzen und sich durch den Boden schmelzen.
Von Michael Förtsch
Im Jahr 1970 begannen sowjetische Wissenschaftler ein nie dagewesenes Unterfangen. Sie wollten das tiefste Loch der Erde bohren, um die Zusammensetzung der Erdkruste, die thermischen Verhältnisse in den tieferen Erdschichten und mögliche Vorkommen von bislang unerschlossenen Ressourcen zu erforschen. Die Bohrung begann auf der russischen Halbinsel Kola und erreichte nach mehreren Jahren eine Tiefe von 12.262 Metern. Bis heute ist die Menschheit nie tiefer in die Erde vorgedrungen. Ein US-Start-up will diesen Rekord jedoch nun brechen – und das gleich mehrfach.
Das von Wissenschaftlern des Plasma Science and Fusion Center des MIT gegründete Unternehmen Quaise Energy hat in einer Pressemitteilung angekündigt, dass es plant, bis zu 20 Kilometer ins Erdinnere vorzustoßen. Das sei jedoch kein Selbstzweck. Stattdessen wollen die Ingenieure von Quaise die superkritische Erdwärme, die in diesen Tiefen vorherrscht, nutzbar machen.
In der Tiefe der Kola-Bohrung konnten damals Temperaturen von rund 180 Grad Celsius gemessen werden. Bei einem vergleichbaren Projekt in Deutschland, dem Kontinentalen Tiefbohrprogramm, wurde in den 1990ern im bayerischen Windischeschenbach innerhalb von 1.468 Tagen bis in 9.101 Meter Tiefe gebohrt, wo 265 Grad Celsius gemessen wurden.
Die Gründer von Quaise hoffen, in noch größeren Tiefen noch höhere Temperaturen vorzufinden: 500 Grad Celsius und mehr. Um jeweils ein Bohrloch soll dann ein modernes Geothermiekraftwerk errichtet werden, das die Hitze aus dem Erdinneren zur Erzeugung von Strom nutzt. Ebenso könnten ausgemusterte Kohlekraftwerkanlage auf Geothermie umgerüstet werden. Solche Kraftwerke könnten eine theoretische Leistung von 30 bis 50 Megawatt pro Bohrloch erreichen. Der Vorteil? Im Gegensatz zu anderen erneuerbaren Energieformen würde ein solches Kraftwerk weitaus weniger Platz einnehmen als beispielsweise ein Solarpark oder eine Windkraftfarm. Und es würde keine Flauten infolge von bewölktem Himmel oder Windstille geben. Außerdem ließe sich nahezu überall auf der Welt ein solches Bohrloch und drumherum ein Kraftwerk anlegen.
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Um in Tiefen über zehn Kilometer bohren zu können – und das auch noch möglichst schnell –, entwickeln die Ingenieure des bereits 2018 gestarteten Unternehmens neuartige Bohrwerkzeuge, die Technologie nutzen, die eigentlich im Bereich der Fusionsforschung eingesetzt wird. Gebohrt werden soll mit rotierenden Bohrköpfen und einem Gyrotron. Bei letzterem handelt es sich um eine Maschine, die hochfrequente Mikrowellen erzeugt, mit denen das Plasma in Forschungsreaktoren wie dem Wendelstein 7-X und dem zukünftigen ITER auf mehrere Millionen Grad Celsius erhitzt wird. Quaise hofft, sich mit dieser Technik einfach durch das Untergrundgestein durchschmelzen zu können. Der Bohrkopf soll das Material auflösen, bevor er überhaupt darauf treffen kann.
Bereits 2024 will Quaise seine Bohrtechnologie erproben. Wann dann das erste 20-Kilometer-Loch gegraben werden könnte, steht noch aus. Aber das Start-up hofft derzeit, seine Technologie gegen 2028 kommerzialisieren und das erste Kraftwerk in Betrieb nehmen zu können. Anschließend sollen rund um die Welt weitere Kraftwerke mit eigenen Bohrlöchern eröffnet werden. Dabei solle die Bohrung an sich vollkommen unspektakulär ablaufen. Lediglich 100 Tage soll der Vorstoß in 20 Kilometer Tiefe brauchen.
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