Ein Dirigent mit neuem Orchester: Die Künstlerin Susi Gelb über ihre Kooperation mit KI

Wird durch Künstliche Intelligenz, die aus Texteingaben Bilder und Videos generieren kann, bald jeder zum Künstler? Werden echte Künstlerinnen damit überflüssig? Oder ist KI nur ein spannendes Werkzeug, um ganz neue Kunst zu erschaffen? 1E9 hat darüber mit der Berliner Künstlerin Susi Gelb gesprochen. Sie stellt gerade ihr erstes KI-Werk aus – und macht sich keine Sorgen. Im Gegenteil. Sie ist begeistert.

Ein Interview von Wolfgang Kerler

Künstliche Intelligenzen wie DALL-E 2, Stable Diffusion oder Midjourney sorgen im Netz für Furore – und mischen die Kunstwelt auf. Aus Texteingaben erschaffen sie faszinierende Bilder und teilweise auch schon Animationen und Videos. Jeder kann sie nutzen.

Aber was ist davon zuhalten? Die Debatte läuft und selbst erfolgreiche Pioniere der KI-Kunst wie der Münchner Mario Klingemann haben ihre Zweifel. „Wenn jeder ein Künstler ist, dann ist keiner mehr ein Künstler“, sagte er gerade erst im 1E9-Interview.

Eine ganz andere Haltung nimmt die Künstlerin Susi Gelb ein. Gerade läuft in Zürich ihre Ausstellung LOOPZRING , in der sie sich mit Strudeln und Spiralen, mit den Grenzen des Wissens und der Wissenschaft und dem endlosen Universum auseinandersetzt.

Teil der Ausstellung ist Susi Gelbs erste Videoarbeit, die sie mit Künstlicher Intelligenz erschaffen hat: Whirled_Z , eine Videoinstallation auf zwei großen Bildschirmen, deren Name sich wie Whirlpool schreibt, aber wie Worlds klingt. Im Interview mit 1E9 erzählt Susi, wie Whirled_Z entstanden ist und warum sie KI als große Bereicherung für ihre Kunst empfindet, nicht als Gefahr.

1E9: Wie viel Susi und wie viel Künstliche Intelligenz stecken in deinem aktuellen Kunstwerk Whirled_Z ?

Susi Gelb: Schwer zu sagen. An der Arbeit mit Künstlicher Intelligenz hat mich einerseits total fasziniert, dass sie so ergebnisoffen ist. Das heißt, in Whirled_Z stecken viel Serendipität, also unerwartete Entdeckungen, glückliche Zufälle beim Herumprobieren. Andererseits habe ich bei aller Überraschung, die das Medium KI bietet, ziemlich lange an den Texteingaben gefeilt, bis ich das Ergebnis gut fand. Ich würde sagen, es ist eine klassische Kooperation, wo man nachher nicht genau trennen kann, von wem was kam. Das Ergebnis ist viel mehr als die Summe der beiden Beiträge.

Was ich interessant finde, ist, dass man deine Frage auch bei vielen anderen Arbeiten von mir stellen könnte. Das macht nur nie jemand. Dabei ist zum Beispiel in meinen Skulpturen oft das Material sehr präsent. Wenn sie aus Stampflehm sind, dann ist es auch der Lehm, der sie formt. Wie viel bin dann ich? Und wie viel ist der Stampflehm? Wenn ich Tiere filme, deren Verhalten ich nicht beeinflussen kann – wie viel von ihnen und wie viel von mir steckt dann in der Arbeit?

Ich halte grundsätzlich nichts von einem zu mechanistischen Weltbild. Als Mensch kann man nicht alles beherrschen, verändern und kontrollieren. Deswegen lasse ich Dinge gerne zufällig geschehen. Und ich kooperiere gerne – mit anderen Menschen, Tieren, Materialien oder eben KI.

Hat sich die Arbeit mit KI so natürlich angefühlt wie das Bearbeiten von Lehm, Holz oder das Filmen von Tieren?

Susi Gelb: Ja, tatsächlich. Nun muss ich sagen, dass ich schon immer dazu neige, fast alles zu personifizieren, auch meinen Computer. Ich denke mir ganz oft: Oh, das hat er nicht gemocht! Außerdem arbeite ich schon immer sehr gerne mit Suchmaschinen – für Inspirationsarchive oder für Moodboards. Dabei tippt man ebenfalls Text ein und bekommt Bilder zurück. Für ein Video, das Search Engine Extract hieß, habe ich ganz viele Google-Ergebnisse mit Fotos aus meinem Atelier gemischt, um einen Einblick in mein Gehirn zu geben.

Vielleicht hat sich die Arbeit mit KI für mich deswegen sofort organisch angefühlt. Ich habe aber auch gleich, als ich mit der KI für erste Tests losgelegt habe, gespürt, dass sie ein neuronales Netz ist, das intuitiv arbeitet. So wie ich auch. Es lässt sich nicht kausal vorhersagen, was genau passiert, wenn man etwas Bestimmtes eingibt. Darauf muss man sich einlassen, um ans Ziel zu gelangen. Mich hat das begeistert.

Wie bist du denn bei Whirled_Z ans Ziel gelangt?

Susi Gelb: Ich habe mit Begriffen angefangen, die mich schon lange begleiten und interessieren, und angeschaut, welche Ergebnisse kommen. Dann habe ich andere Wörter dazugeschrieben und beobachtet, in welche Richtung es dadurch geht. Mir war es schon wichtig, dass auch bei der Arbeit mit KI meine Handschrift erkennbar bleibt. Es hätte mich also ästhetisch nicht interessiert, ein gezeichnetes Video oder eines im Comic-Stil zu generieren. Aber wenn man mit den Prompts, also den Texteingaben, was falsch macht, läuft es manchmal ästhetisch in eine nicht gewollte Richtung – was ich dann immer sofort gestoppt habe.

Zuerst war es also ein Herumprobieren, bis ich gemerkt habe, dass es läuft – und dann bin ich total nervös geworden. Ich konnte gar nicht mehr weggehen vom Computer und habe drei Nächte lang nicht geschlafen, weil es so faszinierend war, wie virtuos die KI mit meinen Eingaben umgegangen ist. Ich kam mir vor wie ein Dirigent, der ein ganz neues Orchester vor sich hat und gar nicht genau weiß, wer welche Instrumente spielt, und dem es trotzdem gelingt, etwas herauszukitzeln, was noch viel pompöser ist als das, was er vorher zu hoffen gewagt hatte. Ich hatte, ehrlich gesagt, nicht so krasse Erwartungen an das Programm.

Manchmal war es auch richtig unheimlich, weil ich das Gefühl hatte, dass die KI mich und sogar meinen Stil viel zu gut kennt. Als ich in der zweiten Nacht dasaß und die bunten Bilder mit den ganzen tollen Wolken daherkamen, habe ich gedacht: Okay, jetzt verstehen wir uns – wir sind auf einer Wellenlänge. Gleichzeitig habe ich mich gefragt, ob die KI meinen ganzen Computer ausgelesen hat. Aber vermutlich war es nur ein guter Zufall.

Welches Programm hast du denn genutzt?

Susi Gelb: Ich habe mit Stable Diffusion gearbeitet, was Open Source ist und womit man seit September nicht nur Bilder, sondern auch Animationen erschaffen kann, was ich sofort ausprobieren wollte. Die große Herausforderung war es dann, rechtzeitig vor meiner aktuellen Ausstellung im Oktober eine leistungsstarke GPU zu bekommen. Die braucht man nämlich, um die Animation zu rendern. Aber zurzeit ist es fast unmöglich, eine zu mieten. Über einen Freund hat dann auch das geklappt – für ein Wochenende. Und an dem ist dann Whirled_Z entstanden.

Es ist dein „Betriebsgeheimnis“, aber kannst du trotzdem einen Einblick geben, mit welchen Prompts du die gewünschten Ergebnisse bekommen hast?

Susi Gelb: Alles will ich nicht verraten, aber ich beschäftige mich schon lange mit Themen wie Klimawandel, Anthropozän und menschengemachten Problemen, für die die KI ganz offensichtlich auch trainiert war. Ich habe zum Beispiel nach Waldbränden gesucht, aber auch nach vielen anderen Begriffen und Kombinationen.

Mein Ziel war von vornherein eine Trilogie zum Thema Vortex, ich wollte also drei bildgewaltige Strudel erzeugen, die einen richtig reinziehen und etwas total Immersives haben. Erforscht man den Ursprung der Welt, den Urknall, oder blickt man in die Zukunft, in der vieles zerstört ist? Explosionen, Rauch, Feuer, Wasser, Elemente. Wo kommen wir her, wo gehen wir hin? Es sollte auf jeden Fall auch etwas Transzendentes haben und es sollte sich auch gut in meine früheren Arbeiten einreihen. Bei meinen beiden letzten größeren Filmarbeiten kommen auch Wasser und Nebel vor und eine fast übersteigerte Naturwahrnehmung.

Hast du die Clips, die die KI erzeugt hat, eigentlich noch nachbearbeitet, die Farben verändert, zum Beispiel?

Susi Gelb: Tatsächlich habe ich fast gar nichts nachbearbeitet. Ich habe vor allem Entscheidungen getroffen, weil ich insgesamt an diesem Wochenende um die 20 Videos gerendert hatte. Daraus habe ich dann die drei besten Clips ausgewählt und in ein Schnittprogramm geladen und dann nur noch den Kniff angewandt, dass der Film wie durch eine Lupe einmal klein und einmal groß zu sehen ist. Das hat einerseits etwas Wissenschaftliches, aber verstärkt andererseits auch den schwurbeligen Eindruck beim Zugucken.

In meinem Archiv aus Search Engine Extracts habe ich dann noch den Affen gefunden, der mit Kreide Kreise auf den Boden zeichnet und der das Video jetzt in drei Akte unterteilt. Der passt auch deshalb so gut, weil ich mich schon immer viel mit Tieren beschäftige und mich gerade das fast menschliche Verhalten des Affen interessiert, der künstlerische Gestus, mit dem der Affe zeichnet.

Die Ausstellung in Zürich läuft jetzt schon einige Tage. Haben sich auch Leute beschwert, dass du mit einer KI gearbeitet hast? Oder die gesagt haben: Hey, das ist gar nicht mehr von dir!

Susi Gelb: Das gab es tatsächlich überhaupt nicht. Eigentlich waren die Leute durch die Bank begeistert, sind reingekommen und haben nur gesagt: Wow, was ist das?

Lustigerweise waren ein paar Typen da, die selbst schon mit KI gearbeitet haben und DALL-E auf ihrem Handy hatten. Und das war ziemlich witzig, weil sie Fotos von meiner Ausstellung gemacht und dann mit DALL-E verändert haben. Dem orangenen Strudel mit Fanta, den ich neben die Bildschirme mit Whirled_Z gestellt habe, hat DALL-E einen goldenen Topf mit einer Skulptur draufgesetzt. Das haben sie mir am Handy gezeigt, als ich mit einem Glas Wein im Gang stand. Da dachte ich kurz, die haben meine Skulptur kaputt gemacht und bin voll erschrocken, weil es so echt aussah.

Wer das Interview später lesen wird, kann nicht hören, dass du bisher alles sehr locker und fröhlich erzählst. Das macht den Eindruck, dass du keine Angst vor dem Vordringen von KI in die Kunstwelt hast und auch keine Berührungsängste, obwohl du KI nicht wirklich kontrollieren kannst, oder?

Susi Gelb: Ich mache mir, ehrlich gesagt, bisher überhaupt keine Sorgen, dass KI kreative Arbeit überflüssig macht. Ich finde es wirklich spannend und bin von den Bildern, die mir die KI auf meine Prompts geliefert hat, immer noch begeistert. Wenn ich das damit vergleiche, wie lange ich früher mit Photoshop herumprobieren musste, um meine Ideen umzusetzen.

Außerdem habe ich sofort gemerkt, dass die KI immer einen Bediener braucht. Ich würde das von vorne bis hinten als Zusammenarbeit beschreiben. Wenn irgendjemand etwas eingibt, kriegt er auch nur irgendwas. Insofern wird es auch weiterhin Künstler brauchen, die sortieren, die Entscheidungen treffen, die die richtigen Prompts auswählen und die KI mit einem guten Blick dirigieren.

Was ich viel unheimlicher finde im Zusammenhang mit KI sind die vielen Fragen rund um soziale Überwachung oder gesellschaftliche Entscheidungen und Bürokratie. Dass so etwas irgendwann von KI übernommen wird, das finde ich bedenklich.

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Kannst du denn die Sorgen von Künstlerinnen und Künstlern, aber auch von Grafikern oder Designerinnen, dass sie durch KI überflüssig werden können, nachvollziehen?

Susi Gelb: Ich glaube, wenn man ein richtig gutes Ergebnis haben will, wird man weiterhin einen Menschen brauchen für den Feinschliff. Ich könnte mir allerdings schon vorstellen, dass der Einsatz von KI stilistisch ganz viel beeinflussen wird und wir vielleicht auch komplett unseren Geschmack ändern in den nächsten Jahren – und dann ist so etwas glitchiges , was auch ein paar Fehler hat, gerade cool. Pixelwiederholungen, ein Pferd mit eineinhalb Köpfen, diese unheimlichen Sachen, die bei der KI passieren. Null Filter, nix bearbeitet, aber von einer KI. Das könnte eine neue Ästhetik werden.

Eine andere Diskussion, die gerade entbrennt, ist, dass die KI-Modelle mit unglaublich vielen Bildern, Videos, Animationen trainiert wurden, deren Urheberinnen und Urheber meistens nicht gefragt wurden, ob sie damit einverstanden sind. Wie problematisch findest du das? Vielleicht sind ja auch deine Bilder in irgendeine KI gefüttert worden…

Susi Gelb: Ich habe davon gelesen. Und klar, es gibt in manchen Bereichen bestimmte Künstler, die beliebte Stile der KI geprägt haben und deren Arbeiten dann für das Training von KI genutzt wurden. Aber die KI macht ja trotzdem immer ein komplett neues Bild. Und es war schon immer so, dass man sich angeschaut hat, was es vorher schon gab und davon gelernt hat. So werden auch Kinder oder Menschen auf Dinge „trainiert“. Deswegen finde ich das alles nicht so problematisch.

Lass uns noch in die Zukunft schauen: Du hast anfangs gesagt, dass du die KI sofort personifiziert hast. Heißt das, du könntest dir weitere Kollaborationen mit KI vorstellen?

Susi Gelb: Definitiv! Ihr könnt gespannt sein!

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